Kapitel 104 - Jonathan

Jonathan sah, wie Leonard nur in einer tropfnassen Badehose und manisch auf den Boden starrend an ihm und Mona vorbei ging. Er schien sie nicht zu bemerken und verschwand wortlos in seinem Zimmer. 

Jonathan und Mona saßen auf der Terrasse vor ihrem eigenen Zimmer und spielten Karten. Neugierig hielt er Ausschau nach Sheila, aber von ihr war nichts zu sehen. Ihr Koffer stand fertig gepackt im Zimmer bereit, damit sie, sobald sie wieder zurück kam, zu Leonard ins Zimmer ziehen konnte. 

Doch wie es nun aussah, hatte sie es fertig gebracht, auch Leonard zu verärgern. Vielleicht hatte sie ihm gesagt, dass sie in ihn verliebt war, aber noch mehr Gefühle für ihn selbst hatte. Denn genau das hatte Sheila doch versucht, ihm zu sagen, oder? Dass sie sich nur in Leonard verguckt hatte, wie eine Geschmacksverirrung, die man eben manchmal hatte. 

Dass sie damit die Gefühle von ihm, Leonard und auch Mona verletzte, schien ihr gar nicht bewusst zu sein. 

„Papa! Du bist dran", riss Monas Stimme ihn zurück in die Realität und eilig konzentrierte er sich wieder auf das Spiel. Auch wenn er im Moment nicht mit Sheila zusammen sein wollte, machte er sich Sorgen um sie. Immerhin war sie die Frau, die er noch immer liebte und sie war die Mutter seines Kindes. 

„Muss Mama wirklich bei Onkel Leonard schlafen?", fragte Mona, was ihn unsanft zusammenzucken ließ. 

„Ja... ich... Mama und ich streiten uns doch so oft. Da braucht man manchmal ein paar Tage Zeit für sich", erklärte er und hoffte, dass Mona es verstand. Sie nickte zwar, wirkte aber traurig. 

„Aber wir machen es uns heute Abend ganz gemütlich", versprach er und brachte sie so wieder zum Lächeln. 

„Na gut, aber erst spielen wir noch eine Runde. Und danach gehen wir zum Abendessen, okay?", fragte sie und nun nickte Jonathan, griff nach den Karten und mischte sie erneut.

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Jonathan lag wach in seinem Bett und konnte nicht schlafen. Sheilas Koffer stand noch immer neben der Tür, aber weder sie noch Leonard hatten ihn abgeholt. Abgesehen davon hatte er Sheila außer kurz beim Abendessen nicht mehr gesehen. Sie war danach noch eine Weile mit Mona auf dem Spielplatz gewesen, aber als Mona allein zurückgekommen war, hatte sie erklärt, dass Sheila noch eine Runde spazieren gehen wollte. 

Dass sie nun schon seit knapp drei Stunden spazieren war, machte ihm doch ein wenig Sorgen. 

Vielleicht war sie auch ohne ihre ganzen Sachen zu Leonard gegangen und sie würde sie morgen früh abholen. 

Gerade als Jonathan erneut die Augen schloss, bemerkte er ein surrendes Geräusch auf Sheilas Matratze. Im schwachen Licht leuchtete es und er begriff, dass es Sheilas Handy war, das sich bemerkbar machte. 

Er nahm es in die Hand und betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen, denn das helle, künstliche Licht blendete ihn. Es war ihr Bruder Matthias, der sie anrief und kurz überlegte Jonathan, das Gespräch anzunehmen. Allerdings war es schon zu spät, denn Matthias hatte aufgelegt. 

Keine zehn Sekunden später traf eine Nachricht ein und kurzentschlossen las Jonathan sie. 

„Ist alles in Ordnung bei dir? Ich habe ein komisches Gefühl. Bitte melde dich", schrieb er und sofort sprang Jonathan panisch auf. Eigentlich glaubte er nicht an diesen übernatürlichen Quatsch, dass man spürte, wenn einem geliebten Menschen etwas zustieß, doch diese Nachricht beunruhigte ihn zutiefst. 

Eilig warf er einen Blick zu Mona, die seelenruhig schlief. Er lief unruhig im Zimmer hin und her und überlegte, was er tun sollte. 

Sicherlich war Sheila bei Leonard, oder? Er lief zur Tür, hielt dann aber inne. Sollte er wirklich so spät am Abend zu Leonard gehen und ihn fragen, ob er sie gesehen hatte? Matthias schien sich Sorgen zu machen und auch ihn selbst beunruhigte es, dass sie ihren Koffer nicht abgeholt hatte. 

Noch immer mit ihrem Handy in der Hand ging er kurzentschlossen den letzten Schritt bis zur Tür, öffnete sie und eilte barfuß zu Leonards Zimmer hinüber. Es drang flackerndes Licht durch des Schlitz in den Vorhängen, so als würde der Fernseher laufen. Jonathan klopfte bestimmt an die Tür, doch es dauerte eine ganze Weile, bis er öffnete. 

Ein wenig verschlafen und vollkommen verstrubbelt blickte Leonard ihm entgegen. 

„Ist Sheila bei dir?", fragte er und versuchte, an seinem Cousin vorbei ins Innere des Zimmers zu sehen. Leonards Miene veränderte sich schlagartig, panisch riss er die Augen auf. 

„Nein, ich habe sie seit heute Nachmittag nicht mehr gesehen. Ich dachte, sie ist bei dir", sagte er und hektisch fuhr Leonard sich mit den Fingern durchs Haar. Es war offensichtlich, dass er sich Sorgen machte. 

„Habt ihr euch irgendwie... gestritten?", fragte er und sofort senkte er schuldbewusst den Blick. 

„So was in der Art. Sie... meinte, sie wäre in mich verliebt, aber ich habe ihr gesagt, dass ich mich nicht auf sie einlasse, solange ich die zweite Wahl bin. Dann hat sie versucht, mich zu küssen", berichtete er überraschend ausführlich und Jonathan fiel mit jedem Wort weiter die Kinnlade nach unten. 

Leonard, der bisher immer in Sheila verliebt gewesen war, wies sie nun ab? Kein Wunder, dass sie durcheinander war und womöglich eine Dummheit machte. Kopfschüttelnd sah er Leonard an, gleichzeitig fuhr ein Zucken durch seinen Körper. 

Sheila hatte Leonard küssen wollen. 

Seine Hand klammerte sich fester um ihr Handy, doch dann suchte er Leonards Blick. 

„Wir sollten sie suchen", sagte Jonathan und Leonard nickte. 

„Ich suche sie, du bleibst bei Mona. Ich nehme sie mit zu mir. Sollte ich sie nicht finden, sage ich dir Bescheid", sagte Leonard in bestimmten Ton, schnappte sich seine Klamotten, die auf dem Boden vor dem Bett lagen und eilte los. 

„Ruf mich an, wenn du Hilfe brauchst", rief Jonathan ihm nach, dann ging er zurück zu Mona, die zum Glück noch immer schlief. Leonard hatte recht, er sollte bei seiner Tochter bleiben. 

Jonathan wusste, dass er nicht schlafen konnte, solange Sheila noch nicht zurück war und er beschloss, sich auf die Terrasse zu setzen. Er ließ die Tür offen stehen, sodass er Mona gut im Blick hatte, dann klickte er noch einmal auf die Nachricht von Sheilas Bruder. Er entschied sich, ihm zu antworten. 

„Hier ist Jonathan. Sie ist noch nicht vom Spazieren zurückgekommen. Leonard sucht sie. Sobald sie wieder da ist, melde ich mich", schrieb er und erkannte, dass Matthias die Nachricht sofort gelesen hatte. 

„Danke. Pass gut auf sie auf, auch wenn ihr getrennt seid. Bitte", schrieb er und komischerweise lösten diese Worte einen stechenden Schmerz in ihm aus. 

„Werde ich", antwortete er noch, dann legte er Sheilas Handy neben sich auf den kleinen Tisch und hielt nach ihr Ausschau. 

Es war vollkommen dunkel und er hörte das Rauschen des Meeres, das nicht weit entfernt lag. Hoffentlich war sie nicht auf dämliche Idee gekommen, im Dunkeln schwimmen zu gehen. Bei dieser Vorstellung zog sich eine Gänsehaut über seine Arme und er schüttelte sich. Nein, daran wollte er nicht denken.

Vielleicht war sie ja wieder an der Poolbar und betrank sich. Das war ihm allemal lieber und er klammerte sich an die Vorstellung, dass Leonard sie in wenigen Minuten vollkommen betrunken zu ihm bringen würde. 

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