Duygu rannte nach draußen. Es war ihr einfach nur peinlich, dass sie vor allen Leuten anfing zu heulen, doch seit sie heute Nacht damit angefangen hatte, konnte sie einfach nicht mehr aufhören.
Sie würde das Treffen heute Abend nicht durchstehen, wenn Michael sie ansah. Das schaffte sie wirklich nicht, die Enttäuschung in seinem Blick zu sehen. Es bestand kein Zweifel darin, dass er sie aufrichtig liebte und sie verließ ihn. Sie wollte es so und sie hasste sich selbst dafür, ihm das antun zu müssen und wenn sie gekonnt hätte, dann hätte sie ihre Gefühle für ihn wieder hergezaubert, aber das konnte sie nun mal nicht.
Schniefend lief sie ein wenig den Flur entlang, weg von dem Seminarraum. Sie war vollkommen erschöpft und fing an zu zittern und sank an der Wand auf den Boden. Sie vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte, sich wieder zu beruhigen.
Sie hörte, wie eine Tür aufging und wieder geschlossen wurde, dann Schritte, die immer näher kamen.
„Hey", sagte eine Stimme dicht bei ihr und sie wusste ohne hinzusehen, dass es Davide war. Duygu wischte sich mit dem Ärmel durchs Gesicht, um den gröbsten Rotz abzubekommen, dann hob sie vorsichtig den Blick.
Er hatte sich neben sie auf den Boden gesetzt und musterte sie. Auch sein Gesicht war traurig und es rührte sie, dass er es war, der ihr hinterher gekommen war.
„Ist es... wegen gestern?", fragte er so leise, dass sie es beinahe überhört hätte. Duygu brauchte einen Moment, bis sie begriff dass er sich Sorgen machte, ob er sie verwirrt hatte. Beinahe hätte sie gelacht, doch dann würde er sie für vollkommen verrückt halten. Anstatt zu antworten schüttelte sie nur den Kopf, was ihn kein bisschen zu beruhigen schien.
Wieder flossen neue Tränen und nun hielt er ihr ein Taschentuch hin. Sie nahm es, wandte sich von ihm ab und putzte sich die Nase. Davide legte eine Hand auf ihre Schulter, was sie den Kopf wieder herumdrehen ließ. Sein Gesicht war gequält verzogen und beinahe flehend sah er sie an.
„Was ist los?", fragte er, doch Duygu schüttelte den Kopf. Sie konnte ihm doch nicht sagen, dass sie so durch den Wind war, weil sie gestern erfahren hatte, dass ihr Ex ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Zwar nicht persönlich, aber sie hatte einen Ring und den Brief, in dem er seine Gefühle für sie beschrieb.
Michael war noch nicht einmal ganz ausgezogen und sie brachte Davide mit nach Hause. Nicht, dass sie die letzte Nacht bereute, es war einfach nur nicht der richtige Zeitpunkt gewesen. Sie hatte sich mit ihm von ihrem Trennungsschmerz abgelenkt und das war nicht richtig.
Noch vor ein paar Stunden hatte sie ganz anders darüber gedacht, aber nun war es ihr klar. Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass er sie besser kennenlernen wollte, was sie zwar ungemein freute, aber gleichzeitig hatte sie auch Angst. Davide drückte sanft ihre Schulter.
„Was soll ich tun?", fragte er dann auf einmal, was sie verwirrte. Wie meinte er das? Duygu schluckte und sammelte sich einen Moment lang, dann sah sie ihm in die Augen.
„Wie meinst du das?", fragte sie nach, wobei ihre Stimme kratzig klang. Davide rutschte ein wenig um sie herum, damit er sie besser ansehen konnte.
„Ich meine... Ich habe die Kartons bei dir im Wohnzimmer gesehen. Ich habe bemerkt, dass du manchmal nachdenklich warst und dass das gestern eigentlich von deiner Freundin eingefädelt wurde. Klingt für mich nach einer frischen Trennung. Und... ich mag dich und ich will dich wieder treffen. Aber ich kann auch verstehen, wenn du das nicht möchtest, wenn es für dich... eine einmalige Sache war", sagte er dann überraschend ausführlich, doch mit jedem Satz zog sich ihr Magen mehr und mehr zusammen. Er hatte begriffen, was Sache war, ohne dass sie es ihm gesagt hatte. Er wusste von Michael und er wusste, dass... sie mit ihm geschlafen hatte, um sich abzulenken. Nicht nur, sie mochte ihn auch irgendwie, aber sie konnte sich noch nicht Hals über Kopf in etwas Neues stürzen.
Sie musste ihm nur zustimmen, er machte es ihr sogar leicht, dennoch fiel es ihr schwer. Auch wenn die Situation mit Michael ein wenig komplizierter war, hatte er den Kern der Angelegenheit begriffen.
Für ein paar Sekunden schloss sie die Augen und horchte in sich hinein, bis sich allmählich das Chaos in ihr legte und sich das herauskristallisierte, was wichtig war. Sie musste diese ganze Sache mit Michael klären und über ihn hinwegkommen, auch wenn sie sich von ihm getrennt hatte, brauchte sie sicherlich eine Weile, bis sie mit ihm abgeschlossen hatte.
Gleichzeitig war da Davide, den sie kaum kannte, der aber offensichtlich fest entschlossen war, das zu ändern. Und er war gut im Bett. Duygu spürte, wie sie errötete und gleichzeitig in ihr etwas anfing zu kribbeln. Sie musste ihm sagen, woran er war.
Entschieden hob sie den Kopf und sofort fand ihr Blick seinen.
„Du hast recht, ich... habe mich erst vor ein paar Tagen getrennt. Er ist gestern endgültig ausgezogen und... Hatice hielt es für eine gute Idee, mich ins Toscatos zu schleifen. Dass wir dich getroffen haben, war nur Zufall, aber... sie hat dich anscheinend letzten Dienstag in der Kneipe gesehen und bemerkt, dass du mich angesehen hast. Ich meine... ich bereue letzte Nacht nicht, es war schön aber... vielleicht zu früh", sagte sie und beobachtete gespannt seine Reaktion.
Seine grauen Augen wanderten von links nach rechts, dann senkte er den Blick. Ein Lächeln zuckte um seine Lippen, doch dann nickte er.
„Okay. Danke, dass du mir das gesagt hast. Also... soll ich dich erst einmal in Ruhe lassen?", fragte er und Duygu brachte nur noch ein Nicken zustande. Er war verletzt und enttäuscht, das war offensichtlich, aber er schien es zu verstehen. Mit einem Seufzen erhob er sich wieder und hielt ihr die Hand hin.
Duygu zögerte, doch dann ließ sie sich von ihm auf die Beine ziehen. Auch wenn es unangenehm war, würde sie wieder ins Kolloquium gehen müssen. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar, dann sah sie zu Davide. Fragend breitete er die Arme aus und Duygu ließ sich hineinfallen. Nur weil er vielleicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt aufgetaucht war, hieß das nicht, dass sie ihn ignorieren wollte. Sie legte die Arme um ihn und Erinnerungen an letzte Nacht durchzuckten sie. Sie sog seinen noch immer vertrauten Duft ein, dann löste sie sich von ihm.
„Gehen wir wieder rein?", fragte er, woraufhin sie noch einmal tief durchatmete und nickte.
„Danke", sagte sie noch, doch er lachte leise in sich hinein.
„Nicht dafür", sagte er, dann ging er vor ihr her zurück in den Seminarraum.
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