Kapitel 101 - Duygu

Duygu schaffte es nur mit Mühe und Not, sich zusammenzureißen. Sie fühlte sich wie in Trance und konnte nicht fassen, was passiert war. Rein realistisch betrachtet benahm sie sich albern, denn all das musste noch gar nichts bedeuten. 

Letzten Samstag, also vorgestern, war sie aus dem Urlaub zurückgekommen und zum Glück war sie Michael bisher nicht begegnet. Der hätte ihr gerade noch gefehlt. Sie hatte ein ganz anderes Problem, denn eigentlich hätte sie am Donnerstag, spätestens am Freitag ihre Periode bekommen sollen. 

Nun war schon Montag Nachmittag. Natürlich war es dämlich, sich schon jetzt Gedanken zu machen, aber seit sie angefangen hatte die Pille zu nehmen (und das waren inzwischen immerhin sieben Jahre), war ihre Periode immer, wirklich immer Donnerstag oder Freitag gekommen. Es gab keinen Monat an den sie sich erinnern konnte, dass es anders gewesen war. Und da sollte sie nicht in Panik geraten? 

Noch hatte sie mit niemandem darüber geredet, noch nicht einmal mit Hatice, die ihre merkwürdige Nervosität darauf schob, dass sie heute Abend eigentlich mit Davide verabredet war. Aber wie sollte sie es schaffen, den Abend mit ihm zu verbringen? Sollte sie ihm schon jetzt von ihrem Verdacht erzählen? Gemeinsam mit ihm den Test machen? Ihn meiden und den Kontakt abbrechen? 

Zu ihrer Schande musste sie zugeben, dass sie sich wie von allein und ohne darüber nachzudenken für die dritte Variante entschieden hatte. Zumindest im Moment, denn ihn zu sehen brach ihr das Herz. Er schien sich wirklich darauf gefreut zu haben, sie besser kennenzulernen und wäre diese Sache nicht, dann hätte sie sich genau so darauf gefreut. Aber nun würde es doch so sein, dass sie nur zusammen waren, weil sie ein Kind bekamen. Vorausgesetzt er würde sich nicht aus dem Staub machen wie ihr eigener Vater. 

Duygus Gedanken kreisten und kreisten, auch wenn sie wusste, dass ihre Panik unbegründet war. Es gab tausend Möglichkeiten, warum sich ihre Periode verschob. Vielleicht lag es an dem ganzen Stress mit Michael und vielleicht machte sich auch der Jetlag bemerkbar. Doch irgendwie spürte sie tief in sich, dass ihre Sorgen begründet waren. 

Wie in den letzten Tagen auch durchforstete sie ihr Hirn, wie das hatte passieren können, aber sie kam immer wieder zu dem selben Schluss. Kurz bevor sie mit Davide das erste Mal geschlafen hatte, hatte sie Durchfall gehabt. Dennoch kam es ihr ziemlich unwahrscheinlich vor, dass genau in diesem Moment die Pille versagte. Und sie hatte ihm noch gesagt, dass er sich keine Sorgen mache müsse. Sie allein war verantwortlich für die Situation, nicht er.

Irgendwie schaffte sie es, das Kolloquium hinter sich zu bringen. Fahrig stopfte sie ihr Zeug in ihre Tasche, als sie Davides Hand auf ihrer Schulter spürte. 

„Komm, ich helfe dir", sagte er sanft und reichte ihr ihr Mäppchen an, damit sie es in die Tasche packen konnte. Ihre Hände fingen an zu zittern, denn seine Berührung tat ihr gut und allein die Tatsache, dass er noch mit ihr sprach, obwohl sie ihn in den letzten Tagen ignoriert hatte, zeigte doch, dass er nicht wie ihr eigener Vater sein würde, oder? 

Duygu erhob sich mit weichen Knien und warf einen schüchternen Blick zu ihm, den er ein wenig unsicher erwiderte. Sein Blick sagte ihr eindeutig, dass er reden wollte, aber was sollte sie ihm schon sagen? 

Oh schön dich zu sehen, aber ich bin vielleicht schwanger von dir. Obwohl wir uns nicht kennen und ich dir versichert habe, dass das nichts passieren kann. 

Nein, das war nun wirklich keine gute Idee. Sie spürte, wie Davide sie am Ellbogen berührte, oder besser gesagt: stützte und sie aus dem Seminarraum hinaus begleitete. Er schob sie einige Meter den Flur entlang, bis er sie wieder losließ. 

Duygu wagte es kaum, ihn anzusehen, doch als ihre Blicke sich trafen, erschauerte sie. Es war eindeutig, dass er wissen wollte, was mit ihr los war. 

„Geht's dir gut? Ich meine... offensichtlich nicht, aber... willst du mit mir darüber reden?", fragte er so einfühlsam und ruhig, wie sie es niemals gekonnt hätte, wenn er sie einfach wie aus dem Nichts heraus ignoriert hätte. Wie von allein zuckten ihre Schultern. 

„Okay", sagte Davide tonlos, sah sie noch ein paar Sekunden an und wandte sich dann zum Gehen. Plötzlich durchfuhr es sie wie ein Blitz. Würde sie ihn nun gehen lassen, würde er sicherlich anfangen, über sie hinwegzukommen. Sie schätzte ihn nicht wie jemanden ein, der sich lange mit aussichtslosen Dingen beschäftigte. 

Eilig trat sie einen Schritt näher an ihn heran und legte zögerlich einen Arm um ihn. Er wirkte überrascht, doch dann erwiderte er die Umarmung unerwartet fest. Duygu schlang beide Arme um ihn und verschränkte ihre Hände hinter seinem Rücken. Sanft strich er ihr durchs Haar. 

„Darf ich dich nach Hause bringen?", fragte er leise an ihrem Ohr und sie nickte. Vielleicht schaffte sie es irgendwie auf dem Weg, ihm zu erklären, dass sie noch etwas mehr Zeit brauchte. Sie musste erst sicher wissen, was Sache war, dann konnte sie überlegen, was sie nun tun sollte. 

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