Kapitel 9 - Matthias
Es dauerte noch eine Ewigkeit, bis Sheila endlich ein passendes Kleid gefunden hatte. Es war viel zu aufreizend für seinen Geschmack, aber so war Sheila schon immer gewesen. Sie schlenderten noch eine Weile durch das Einkaufszentrum, bis Sheila beinahe erschrocken nach seinem Arm griff und ihn so aufhielt.
Als er zu ihr sah, bemerkte er, dass sie vor einem Juwelier stehen geblieben war und mit großen Augen die ausgestellten Schmuckstücke betrachtete. Unwillkürlich wanderte sein Blick ebenfalls zu den Ketten, Ringen und Uhren. Er selbst war nicht wirklich der Typ für Schmuck und auch Jonas hatte nur eine Kette und ein Armband, was er beides täglich trug.
„Guck mal", sagte Sheila und tippte mit dem Finger auf die Scheibe. Sie deutete auf einige Eheringe, die auf einer sich drehenden Etagere auf kleinen weißen Kissen lagen.
„Nicht mehr zufrieden mit deinem Ehering?", fragte er und warf unwillkürlich einen Blick auf ihren Ringfinger. Sheila verdrehte die Augen.
„Doch nicht für mich. Für dich", sagte sie und stupste ihn mit dem Ellbogen an. Matthias lachte.
„Auf keinen Fall. Ich heirate doch nicht", sagte er verächtlich, denn obwohl er keinen rationalen Grund nennen konnte, wollte er nicht heiraten. Es lag nicht an Jonas, natürlich nicht, sondern eher generell am Heiraten.
„Warum nicht?", fragte Sheila unschuldig, auch wenn sie schon oft über dieses Thema geredet hatten.
„Ich will einfach nicht. Das ist so... verbindlich", brummte er, was nun Sheila lachen ließ.
„Ihr seid euch doch sicher, dass ihr für immer zusammenbleiben wollt und ihr liebt euch. Warum also nicht heiraten?", fragte sie weiter und er wusste, dass sie und er bei diesem Thema eindeutig verschiedene Meinungen hatten.
„Ja, schon. Also kann doch auch alles so bleiben, wie es ist. Heiraten ist vollkommen überflüssig", erwiderte er und machte Anstalten, weiterzugehen. Allerdings drängte sich unweigerlich das Bild von Jonas in einem schicken Anzug in sein Hirn, das ihn nicht mehr losließ. Jonas wollte heiraten, das wusste er, aber diesen Wunsch würde er ihm nicht erfüllen. Einfach aus Prinzip nicht.
„Heiraten ist romantisch", widersprach Sheila, doch er blieb hart.
„Hör auf! Ich werde ganz bestimmt nicht heiraten. Das ist albern. Es ändert nichts", beharrte er.
„Wie du meinst. Du unromantischer Eisblock", brummte Sheila, hakte sich bei ihm unter und gemeinsam gingen sie weiter durch das Einkaufszentrum.
Allerdings ließ sich die Vorstellung nicht mehr aus seinem Kopf vertreiben, wie er Jonas einen Antrag machte. Schon oft hatten sie darüber geredet, allerdings hatte er Jonas ziemlich schnell den Wind aus den Segeln genommen. Immerhin wussten sie doch, dass sie sich liebten. Wieso sollte ein blödes Blatt Papier es irgendwie besser machen? Nein, er würde ganz sicher nicht heiraten.
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Eine Stunde später kam Matthias völlig erschöpft zu Hause an. Er zog seine Schuhe aus und ließ sich erschöpft auf das Sofa fallen. Es war heiß, viel zu heiß und er pellte sich ein wenig ungeschickt aus seiner Jeans. Er streckte sich und schaltete den Ventilator an, der neben dem Sofa stand, sodass ihm direkt die angenehm kühle Luft ins Gesicht blies. Er legte sich gemütlich auf die Seite und genoss ein paar Minuten einfach nur den kühlen Wind, bis sich sein Magen meldete.
Sein Blick fiel auf die Cupcakes, die noch auf dem kleinen Tisch vor ihm standen und kurzentschlossen setzte er sich auf und nahm den Deckel der Form ab. Er nahm einen der Cupcakes heraus und biss hinein. Genüsslich seufzte er und war nun doch froh, dass Jonas sie vergessen hatte. Gleich ein paar schlang er herunter, dann schaltete er den Fernseher ein und ließ sich ein wenig berieseln.
Unweigerlich wanderten seine Gedanken zu Jonas. Was er wohl gerade machte? Eilig verdrängte er ihn aus seinem Kopf, denn sicherlich würde er ihm morgen berichten, was er alles mit seinen Freunden unternommen hatte.
Dennoch zog er sein Handy aus der Hosentasche und kontrollierte, ob er nicht doch eine Nachricht von ihm hatte. Tatsächlich sah er, dass Jonas etwas schrieb und er wartete. Nach wenigen Sekunden traf ein Bild ein von einem Teller voller Essen. Augenblicklich lief ihm das Wasser im Mund zusammen und er spürte, wie sein Magen trotz der Cupcakes noch immer knurrte.
„Antoine und ich haben gekocht", schrieb Jonas noch und Matthias sehnte sich auf einmal nach ihm. Früher hatten sie oft gemeinsam gekocht, allerdings war das in den letzten Jahren irgendwie eingeschlafen.
„Sieht gut aus! Du fehlst mir", antwortete er und wartete, ob Jonas noch einmal etwas zurückschrieb, aber er wurde enttäuscht.
Missmutig legte er sein Handy auf den Wohnzimmertisch und erhob sich mühsam. Er schlenderte in die Küche, öffnete den Kühlschrank und ließ den Blick von oben nach unten wandern. Eigentlich hatte er gar keine Lust zu kochen und er griff stattdessen nach dem Flyer der Pizzeria, der noch von seiner letzten Bestellung auf dem Esstisch lag.
Gerade als er den Flyer aufschlug, klingelte es. Erschrocken zuckte er zusammen, denn er erwartete niemanden. Eilig ging er zur Wohnungstür und nahm den Hörer der Gegensprechanlage in die Hand.
„Hallo?", meldete er sich und lauschte den Geräuschen der vorbeifahrenden Autos.
„Papa?", hörte er eindeutig Aaliyahs Stimme und hektisch drückte er auf. War sie etwa ganz allein hier her gekommen? Als er die Wohnungstür öffnete, hörte er ihre kleinen Schritte auf der Treppe und kurz darauf erschien ihr Lockenkopf.
„Was machst du denn hier?", fragte er verwundert, erstarrte aber, als er ihr verweintes Gesicht sah.
„Hey, was ist denn?", fragte er, ging in die Knie und breitete die Arme aus. Sofort stürmte seine Tochter auf ihn zu und umarmte ihn fest. Aaliyah schmiegte ihr Gesicht an seine Schulter und er spürte, wie Tränen in sein T-Shirt sickerten.
„Hey, was ist denn passiert?", fragte er sanft, löste sich von ihr und suchte ihren Blick. Sie rieb sich mit den kleinen Händen durchs Gesicht und atmete ein paar Mal hektisch ein, bevor sie sich wieder beruhigte.
„Na komm, gehen wir erst einmal rein", sagte er, schloss die Wohnungstür und führte sie an der Schulter ins Wohnzimmer. Aaliyah setzte sich aufs Sofa und betrachtete die Cupcakes vor ihr auf dem Tisch.
„Papi hat die nicht mitgenommen?", fragte sie und deutete mit dem Finger auf die Küchlein. Matthias seufzte und schüttelte den Kopf.
„Nein, er hat sie vergessen. Aber jetzt erzähl mir erst einmal, was passiert ist", forderte er, setzte sich neben sie und sah sie eindringlich an. Aaliyah wand sich ein wenig, doch schließlich holte sie tief Luft und begann, zu erzählen.
„Mama und ich hatten einen Streit", setzte sie an, verstummte dann aber.
„Worüber habt ihr gestritten?", fragte er, was sie wieder seufzen ließ.
„Über Mamas Baby", sagte sie und auch wenn Matthias bereits davon wusste, fühlte er sich überrascht.
„Okay", sagte er gedehnt und forderte sie mit dem Blick auf, weiterzusprechen.
„Sie will, dass der Papa vom Baby öfter zu Besuch kommt. Aber das will ich nicht. Und ich will nicht, dass das Baby mein Zimmer bekommt", rückte sie endlich mit der Sprache raus und verschränkte die Arme vor der Brust.
Matthias unterdrückte nur mit Mühe das Keuchen, das ihm entweichen wollte. Ihm war klar, dass es eine ganz schöne Umstellung für Aaliyah sein würde, aber das würde sie schon schaffen.
„Und warum möchtest du nicht, dass Mamas Freund zu Besuch kommt? Magst du ihn nicht?", wollte er wissen. Augenblicklich wanderten seine Gedanken zu Esra, wie sie mit einem anderen Mann zusammen war.
„Nein!", schrie Aaliyah beinahe und stampfte mit dem Fuß aus.
„Hey, kein Grund, so wütend zu werden. Aber... bist du etwa von zu Hause weggelaufen? Oder weiß Mama, dass du hier bist?", fragte er, woraufhin Aaliyah verlegen den Blick senkte. Matthias schloss für einen Moment die Augen.
„Aaliyah, das kannst du wirklich nicht machen!", rief er aus und griff nach seinem Handy, das noch immer auf dem Wohnzimmertisch lag. Gerade als er es in die Hand nahm, klingelte es und er erkannte Esras Namen auf dem Display.
„Hey, ich wollte dich gerade anrufen", meldete er sich.
„Bitte sag mir, dass sie bei dir ist", hörte er Esras panische Stimme.
„Ja, sie ist gerade hier aufgetaucht. Deswegen wollte ich dich anrufen", sagte er, was Esra erleichtert aufatmen ließ.
„Puh, da bin ich erleichtert", sagte sie.
„Ich komme sie abholen", fuhr sie fort, woraufhin Matthias eilig einen Blick zu Aaliyah warf, die gerade von einem Cupcake abbiss.
„Nein, ich bringe sie. Kein Problem. Bis gleich", sagte er und legte auf. Er warf sein Handy aufs Sofa und stemmte die Hände in die Hüften.
„Also. Ich bringe dich wieder nach Hause. Du kannst wirklich nicht einfach weglaufen. Mama macht sich wahnsinnige Sorgen um dich", sagte er streng, was Aaliyah betreten den Blick senken ließ. Sie pulte in ihrem Cupcake herum, sodass einige Krümel auf den Boden fielen.
„Komm", forderte er, als sie endlich den Blick hob. Zu seiner Überraschung grinste sie.
„Du hast keine Hose an", sagte sie und erst da fiel ihm wieder ein, dass er seine Jeans vorhin ausgezogen hatte. Eilig hob er sie vom Boden auf und stieg hinein.
„So, jetzt aber. Und im Auto erzählst du mir, warum du Mamas Freund nicht magst", forderte er und hielt ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Trotzig schüttelte sie den Kopf.
„Komm schon", drängte er und griff nach ihrer Hand.
„Nein! Ich will erst wieder nach Hause, wenn er weg ist", schrie sie, während sie ihm ihre Hand entriss. Matthias verdrehte innerlich die Augen. Er konnte mit diesen Situationen einfach nicht umgehen und noch einmal mehr wünschte er sich Jonas zurück. Er hätte gewusst, was er sagen musste. Aaliyah schmollte. Matthias war überfordert und ihm war klar, dass Aaliyah seine Unsicherheit ausnutzte.
„Aaliyah, bitte", flehte er, aber mehr als ein Kopfschütteln bekam er nicht. Er stöhnte, zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte Esras Nummer. Es war ihm mehr als unangenehm, dass sie ihm helfen musste, aber er hatte keine andere Wahl.
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