Kapitel 71 - Matthias
Sanft strich Matthias Aaliyah durch die süßen kleinen Löckchen. Sie war zum Glück recht schnell eingeschlafen, auch wenn sie darauf bestanden hatte, dass er bei ihr blieb. Allerdings erhob er sich nun möglichst leise, um sie nicht zu wecken. Sein Blick haftete auf ihrem friedlichen Gesicht, als er langsam zur Tür schlich und aus dem Zimmer schlüpfte.
Zum Glück schien sie von all dem nichts mitbekommen zu haben, sodass er ein wenig erleichtert ins Wohnzimmer ging und sich dort auf dem Sofa niederließ. Sein Handy lag auf dem kleinen Couchtisch und als er einen Blick darauf warf, sah er, dass er eine Nachricht hatte.
Sofort durchzuckte es ihn, denn er dachte an Jonas. Womöglich hatte er ihm geschrieben. Sein Herz machte einen kleinen Hüpfer, denn obwohl Jonas gerade nicht hier bei ihm war, spürte er, dass Jonas eigentlich zu ihm zurück wollte. Er musste nur noch sein schlechtes Gewissen überwinden.
Ein Seufzen entfuhr ihm, als er realisierte, dass es nicht Jonas war, der sich bei ihm gemeldet hatte, sondern Esra.
„Alles okay?", schrieb sie nur und er konnte ihren besorgten Tonfall förmlich hören.
„Alles okay. Sie schläft", antwortete er und bekam keine zehn Sekunden später einen Daumen nach oben zurück. Matthias schloss den Chat mit ihr, sodass er wieder in der Übersicht war. Er betrachtete die kleinen Bildchen und als er das seiner Schwester erkannte, legte sich ein Lächeln auf seine Lippen.
Auf einmal verspürte er den Drang, mit ihr zu sprechen. Über alles. Über seine Gefühle für Jonas, seine Wut, dass er ihn betrogen hatte und seine Enttäuschung, dass er noch nicht wieder hier in seinen Armen lag.
Erst da wurde ihm bewusst, dass sie noch nicht wirklich viel von der Trennung und seinen Gefühlen wusste. Seine Kehle wurde auf einmal eng, denn er wusste nicht, ob er ihr wirklich davon erzählen sollte. Sie würde ein riesiges Drama daraus machen, es überall herumposaunen und Jonas ins Kreuzverhör nehmen, wenn er wieder auftauchte. Nein, das ging einfach nicht. So sehr er Sheila auch liebte, aber sie war für sensible Themen nicht immer der richtige Ansprechpartner.
Seufzend ließ er sein Handy neben sich in die Kissen fallen, legte sich gemütlicher hin und schloss für einen Moment die Augen. Er ließ die Gedanken kreisen und unweigerlich wanderten sie zu Jonas. Natürlich. Jonas hatte ihm gestern Abend geschrieben. Vielleicht hätte er auch jetzt ein wenig Zeit.
Matthias griff wieder nach seinem Handy und öffnete den Chat mit ihm. Noch einmal überflog er die letzten Nachrichten und unweigerlich wurde ihm ein wenig heiß dabei. Sein Herzschlag beschleunigte sich und wenn er noch länger darüber nachdachte, was Jonas in der Dusche getan hatte, würde er wohl oder übel das gleiche tun müssen.
Kopfschüttelnd vertrieb er den Gedanken jedoch, denn so sehr sein Körper auch nach dem von Jonas verlangte, es gab im Moment eindeutig wichtigere Dinge. Zum Beispiel, dass Jonas begriff, dass er wollte, dass er zu ihm zurückkam.
Matthias entfuhr ein Seufzen und er drehte sich auf die Seite und umklammerte eines der Kissen. Was sollte er Jonas nur schreiben? Oder sollte er ihn anrufen? Immerhin hatte Jonas gestern mit ihm sprechen wollen. Matthias zögerte. Was, wenn er Jonas durch einen Anruf in Erklärungsnot brachte und Markus wütend auf ihn wurde?
Unschlüssig, was er nun tun sollte, warf er das Kissen beiseite, sprang auf und fing an, hin und her zu wandern. Warum war das alles nur so schwer? Noch einmal schloss er die Augen, um sich zu sammeln, dann wählte er Jonas Nummer. Es war ihm egal, wenn Markus es sehen würde, immerhin konnte Jonas tun und lassen, was er wollte. Er spürte, wie er nervös auf seiner Lippe herumkaute, während es tutete. Und tutete. Wieder meldete sich die Mailbox und Matthias entschied, ihm noch eine Nachricht zu hinterlassen.
„Hey, ich wollte nur mal deine Stimme hören und... ich hoffe, dir geht es gut und... ich vermisse dich", sagte er nach dem Piepton und hoffte, dass Jonas sich melden würde. Nachdem er aufgelegt hatte, stellte er sein Handy auf laut, damit er es auf jeden Fall mitbekommen würde, wenn Jonas zurückrief.
Eine ganze Weile starrte er noch auf sein Handy, aber es blieb stumm. Plötzlich gab es einen kurzen Ton von sich, was Matthias zusammenzucken ließ. Er hatte eine Nachricht! Eilig öffnete er sie, aber es war nur Oskar.
Ein genervtes Stöhnen entfuhr ihm, denn auch wenn Oskar sein Kumpel war, wollte er nicht schon wieder in seinen ewigen Streit mit seinem Mann Johnny hineingezogen werden. Manchmal fragte er sich, warum Johnny Oskar nicht schon lange verlassen hatte, denn er benahm sich meist wie die Axt im Wald. Dennoch las Matthias die Nachricht.
„Hey, wie geht's? Was von Jonas gehört?", stand da. Er musste die Nachricht noch einmal lesen, bevor er begriff, dass Oskar gar nicht von Johnny sprach, sondern sich nach seinem Wohlbefinden erkundigte. Matthias Finger schwebten über der Tastatur, während er nach den passenden Worten suchte.
Tja, wie ging es ihm? Komischerweise fühlte er sich nicht, als wollte er am liebsten im Boden versinken und für immer dort bleiben. Vielleicht, weil seine Hoffnung, dass Jonas bald wieder zu ihm zurückkam mehr als begründet war. Außerdem hatte er einen schönen Tag mit seiner Tochter verbracht, was sicherlich auch dabei half, nicht all zu sehr im Herzschmerz zu vergehen.
„Es geht mir eigentlich ganz okay. Jonas und ich haben gestern ein paar Nachrichten geschrieben. Er... er ist noch immer bei ihm, aber... ich denke er kommt bald zurück", schrieb er und unwillkürlich legte sich bei der Vorstellung, wie Jonas bei ihm vor der Tür stand und ihn verlegen angrinste, ein Lächeln auf seine Lippen. Klar, er würde wissen wollen, wie genau das alles hatte passieren können und vermutlich wäre er eine Weile angefressen deswegen, aber er liebte diesen Mann nun einmal.
„Du weißt, dass ich will, dass du glücklich bist, aber... denk immer daran, dass er dich hintergangen hat. Und wer so etwas einmal tut, der wird es wieder tun", schrieb Oskar, was Matthias verächtlich schnauben ließ. Oskar musste es ja wissen, immerhin war auch er alles andere als treu. Und Johnny wusste es.
„Ich muss mit ihm darüber sprechen. Aber ich will, dass er wieder zurückkommt."
„Hab ich ja verstanden. Ich frage mich nur, wie lange du warten willst. Was, wenn er für ein halbes Jahr verschwindet und dann auf einmal wieder auftaucht?"
Matthias Kehle wurde eng. Nein, das würde nicht passieren. Jonas würde zurückkommen und das vermutlich schon in wenigen Tagen. Oder? Oskar verunsicherte ihn, allerdings hatte er auch ein klein wenig recht. Jonas musste sicherlich schon tausend Chancen gehabt haben, einfach in sein Auto zu steigen und Markus zurückzulassen und dennoch hatte er es bisher nicht getan. Gleichzeitig konnte er nur zu gut nachvollziehen, wie es sich anfühlte, wenn man jemanden nicht verletzen wollte. Wie lange hatte er gezögert, Esra zu erklären, dass seine Gefühle für sie eben nicht so etwas wie Liebe waren? Viel zu lange.
„Er wird zurückkommen", schrieb er nur und öffnete noch einmal den Nachrichtenverlauf mit Jonas. Aaliyah lachte ihm entgegen, denn er hatte ihm das Foto bei den Elefanten geschickt. Allerdings hatte er darauf noch nicht reagiert.
Matthias sah, dass Oskar noch eine Antwort geschickt hatte, aber er las sie nicht. Es laugte ihn aus, sich immer und immer wieder vor ihm zu rechtfertigen, obwohl Oskar der schlimmste Ehemann auf der Welt war und es ihm überhaupt nicht zustand, irgendetwas zu sagen.
Kopfschüttelnd machte er sich auf den Weg ins Schlafzimmer, denn obwohl es erst halb zehn war und er theoretisch morgen ausschlafen konnte, wusste er, dass Aaliyah ein ziemlich zuverlässiger und vor allem viel zu früher Wecker sein würde.
Er legte sein Handy neben sein Kopfkissen, kontrollierte noch einmal, ob auch wirklich der Ton eingeschaltet war und pellte sich schließlich aus seinen Klamotten. Als er nur noch seine Unterhose trug, krabbelte er ins Bett und legte sich, alle Viere von sich gestreckt auf den Rücken.
Sein Blick klebte an der Decke, an der die kleinen, rechteckigen hellen Stellen zu sehen waren, ein Abbild der letzten Sonnenstrahlen, die durch die Ritzen in den Rollläden hereinfielen. Er kniff ein wenig die Augen zusammen, bis sie verschwammen und ihm schwindelig wurde. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen, als er den Kopf über sich selbst schüttelte und sein Handy wieder in die Hand nahm. Er war doch neugierig, was Oskar ihm geschrieben hatte und als er die Nachricht öffnete, las er eilig den Text.
„Ich will nur, dass du weißt, was du tust. Ich habe Angst, dass er dich wieder verletzt."
Matthias wusste, dass Oskar ihn irgendwie auf eine merkwürdige Weise liebte, mehr als es angemessen war. Und das auch schon ziemlich lange, aber nach dieser einen Sache vor mehr als zehn Jahren war nie wieder etwas zwischen ihnen passiert. Entweder war Oskar wirklich gut in Selbstbeherrschung oder er war masochistisch veranlagt, denn wenn er selbst in jemanden verliebt wäre, den er nie haben konnte, würde er den Kontakt vermutlich abbrechen.
Er entschied sich, nicht mehr darauf zu antworten, sondern zu schlafen. Vielleicht, wenn er ganz fest an Jonas dachte, vielleicht sah er ihn in seinem Traum wieder. Tatsächlich hatte das schon ein paar Mal funktioniert und so wanderten seine Gedanken wieder einmal zu Jonas. Seinem Lächeln, das langsam zu einem Lachen wurde und er schließlich die Arme um seinen Hals schlang und ihn küsste.
Matthias entfuhr ein genüssliches Seufzen und es fühlte sich an, als würde er förmlich Jonas Finger auf seiner Haut spüren. Seine weichen Fingerkuppen, die über seine Schulter strichen, seinen Arm, seinen Rücken und schließlich den Weg zu seiner Brust fanden. Himmel, er vermisste ihn so sehr! Auf einmal spürte er, wie seine Hand zum Bund seiner Unterhose gewandert war.
Stopp! Aaliyah lag nur wenige Meter von ihm entfernt in ihrem Bett und konnte jeden Moment hereinkommen! Eilig presste er die Fäuste auf die Augen, bis er Sternchen sah. Er musste sich dringend ablenken und er kam sich irgendwie ziemlich notgeil vor, aber... es war Samstag Abend und... nun ja, wäre Jonas nun hier gewesen, hätte es ihrer Routine... Verflucht! Was dachte er denn da?
Ruckartig setzte er sich auf und fuhr sich durch die Haare. Noch einmal griff er nach seinem Handy, auch wenn es noch keinen Ton von sich gegeben hatte und er klickte auf Jonas Namen. Erneut wählte er seine Nummer und lauschte dem Tuten, in der Erwartung, wieder nur die Mailbox zu erreichen. Doch auf einmal knackte es in der Leitung und das Gespräch wurde angenommen.
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