Kapitel 70 - Jonas

 „Jonas! Bitte", rief Markus, viel zu schrill und eindeutig panisch. Jonas sah ihn, wie er auf sein Auto zu rannte, so schnell das mit seinem Gewicht noch möglich war, die Hand ausgestreckt. Jonas zögerte, denn er sah die Angst in Markus Blick. Er schüttelte den Kopf. Er musste weg hier. Oder? 

Markus stolperte die letzten Schritte auf ihn zu, riss die Autotür auf und fiel vor der geöffneten Tür auf die Knie. Er keuchte, obwohl er keine zwanzig Meter gerannt war. Jonas Hand ruhte noch immer am Zündschlüssel, bereit, ihn jederzeit herumzudrehen. 

„Es tut mir leid. Entschuldige bitte!", presste Markus zwischen seinem Keuchen hervor, legte seine Hände auf seinen Oberschenkel und sah ihn mit einem herzzerreißenden Hundeblick von unten an. Jonas spürte, wie seine Kehle eng wurde und es ihm schwerfiel zu atmen. 

„Lass mich", sagte Jonas, allerdings viel zu leise, um überzeugend zu klingen. Markus rappelte sich mühsam auf, legte eine Hand auf der geöffneten Autotür ab und beugte zu sich ins Wageninnere. Seine freie Hand platzierte er zielsicher an Jonas Wange. Sofort fing seine Haut unter seiner Berührung an zu brennen. Er wand sich, aber Markus Hand folgte seiner Bewegung und auf einmal, viel schneller als er es ihm zugetraut hätte, küsste Markus ihn. 

Jonas schaffte es einige Sekunden lang nicht, sich zu regen, doch als er begriff, was genau hier passierte, stieß er Markus unsanft weg und drehte den Kopf zur Seite. Seine Lippen fühlten sich geschwollen an und komischerweise pochte sein Herz wie verrückt. 

„Schatz, ich... ich liebe dich! Bitte, gib mir etwas Zeit. Ich verspreche dir, dass wir zusammen glücklich werden", flehte Markus, Verzweiflung in der Stimme. Jonas Herz wurde schwer. Er hasste sich, dass er gezögerte hatte und nicht genau in diesem Moment auf dem Weg zu Matthias war. 

„Schatz", sagte Markus eindringlich, legte einen Finger unter sein Kinn und drehte seinen Kopf mit sanfter Gewalt zu ihm herum. Jonas konnte nicht erklären warum, aber dieser Mann ließ ihn einfach nicht kalt. 

„Bitte gib mir bis morgen Abend Zeit. Wenn du dann noch immer gehen willst, lasse ich dich gehen. Auch wenn es mein Leben zerstört, mein Herz in Stücke reißt. Aber ich will, dass du glücklich bist", faselte Markus daher. Jonas schloss für einen Moment die Augen. 

„Komm, holen wir mein Auto und dann machen wir uns einen schönen restlichen Tag. Holen was zu Essen und machen alles, was du willst. Aber bitte, ich flehe dich an, bitte gib mir eine einzige, ernst gemeinte Chance."

Jonas Kopf schwirrte von seinem Geplapper und er war unfähig, irgendetwas zu sagen. Markus machte ihn mürbe und dass dieser verdammte Kerl ihn wahrhaftig liebte, stellte Dinge mit ihm an, gegen die er eigentlich immun sein sollte. Bevor er wusste, was er da tat, nickte er. 

„Unter einer Bedingung", hörte er sich sagen, als hätte sein Mund auf einmal ein Eigenleben entwickelt. 

„Alles", brachte Markus hervor, den Finger noch immer unter seinem Kinn. Er fing Jonas Blick auf und hielt ihn fest, seine grauen Augen schienen sich förmlich in ihn zu bohren. 

„Ich... mir... mir geht das alles zu schnell. Ich muss mich erst sortieren, ich kann nicht direkt...", stammelte er, schüttelte aber auf einmal panisch den Kopf. Was redete er denn da? 

„Schon okay. Ich verstehe dich. Wir machen alles in deinem Tempo", sagte Markus, gespielt verständnisvoll. 

„Ich lasse dich jetzt los, okay?", fuhr er fort, sah ihm noch einmal fest in die Augen und löste sich langsam von ihm. Er richtete sich wieder auf und schlug langsam die Autotür zu. Jonas beobachtete, wie er vorne um das Auto herum zur Beifahrerseite ging und einstieg. 

Er spürte, wie er heftig anfing zu beben. Tränen schossen ihm in die Augen und bahnten sich ihren Weg über seine Wangen. Ein Schluchzen kroch seine Kehle hinauf und als es aus ihm herausbrach, presste er schnell eine Hand auf den Mund. 

„Hey, Schatz", hörte er Markus Stimme, sanft und einfühlsam, ja beinahe besorgt. Jonas schüttelte den Kopf, wischte die Tränen aus seinem Gesicht und straffte die Schultern. Er musste Markus sagen, was er fühlte. Dass er Matthias liebte und sich nach ihm sehnte. 

„Schatz? Soll ich fahren?", fragte Markus, aber Jonas schüttelte eilig den Kopf. Er holte tief Atem, verdrängte auch die letzten Tränen und wandte sich Markus zu. Als er sein Gesicht sah, erkannte er ernste Sorge. 

„Ich...", setzte er an, schaffte es aber nicht, die Worte auszusprechen. Warum fiel es ihm nur so schwer, sich Markus zu öffnen und ehrlich zu ihm zu sein? Markus streckte die Hand aus und legte sie auf sein Knie. 

„Lass uns zu Hause in Ruhe darüber reden, okay? Kannst du wirklich fahren?"

Jonas hörte unverkennbar den unterschwelligen Befehl, dass er sich zusammenreißen und losfahren sollte. Seine Finger fühlten sich merkwürdig taub an, als er den Zündschüssel im Schloss herumdrehte und so den Motor startete. Das sanfte Schnurren des Motors beruhigte ihn irgendwie und als er vorsichtig den Fuß von der Bremse nahm und sich sein Auto in Bewegung setzte, zwang er sich zur Konzentration. Einen Unfall konnte er nun wirklich nicht auch noch gebrauchen. 

Er lenkte den Wagen in Richtung Villing, allerdings kreisten seine Gedanken in diesem Moment um Antoine. Es war Samstag Vormittag, sicherlich war er zu Hause und würde mitbekommen, wenn sie Markus Auto holten. Sollte er mit ihm reden? Oder ihn vertrösten, dass er sich in ein paar Tagen meldete? Würde Antoine überhaupt zulassen, dass er wieder mit Markus fuhr? Jonas biss sich fest auf die Unterlippe und hoffte sie, seine kreisenden Gedanken in wenig in geregeltere Bahnen zu lenken. 

„Hey, halt mal kurz da vorn an", sagte Markus auf einmal und deutete auf eine kleine Bäckerei. Jonas gehorchte und hielt am Straßenrand und kaum dass er gehalten hatte, sprang Markus aus dem Auto und verschwand in dem kleinen Laden. Jonas sah ihm nach, bis er ihn durch das Schaufenster mit der Verkäuferin reden sah. 

Wieder einmal bot sich ihm die Chance, einfach abzuhauen und wieder einmal war er nicht in der Lage, einfach das Gaspedal durchzudrücken und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Bis morgen Abend, dann würde Markus ihm die Wahl lassen. Zumindest hatte er das gesagt. Aber war das auch die Wahrheit gewesen? Würde Markus ihn ziehen lassen, wenn er ihm sagte, dass er lieber zurück zu Matthias wollte? 

Er hatte es schon einmal getan, ich gehen gelassen. Damals, nachdem Markus mit dieser Frau geschlafen hatte. Logischerweise unter Protest, Betteln und Flehen, aber er hatte akzeptiert, dass er nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte. Jonas erinnerte sich, dass er eine ganze Weile nach der Trennung geglaubt hatte, dass Markus eigentlich doch auf Frauen stand. Bis zu dem Tag, an dem sie sich wiedergesehen hatten und Markus ihm versichert hatte, dass er ihn liebte und immer lieben würde. 

Jonas Herz wurde schwer, denn auch wenn er sich wirklich geschmeichelt fühlte, dass Markus ihn so sehr liebte, war das Ganze doch vollkommen verrückt. Sie waren schon so lange Jahre nicht mehr zusammen und Markus wollte ihm weismachen, dass er die ganze Zeit über nie wieder in jemand anders verliebt gewesen war? Das kam ihm wirklich ein wenig verrückt vor. 

Auf einmal wurde die Beifahrertür geöffnet und Markus setzte sich wieder ins Auto. Sofort verschwanden Jonas Grübeleien und sein Blick richtete sich auf Markus. Er hielt eine reichlich gefüllte Tüte in den Händen und seine Mundwinkel zuckten, als er Jonas Blick bemerkte. 

„Fahren wir?", fragte Markus und lachte leise, als würde er sich über ihn amüsieren. Jonas schluckte schwer, gehorchte aber wieder einmal und fuhr weiter. Nach nur wenigen hundert Metern verließen sie Creutzwald und er hörte das Rascheln der Brötchentüte, als Markus sich zu ihm herumdrehte. 

„Willst du gleich kurz mit Antoine reden?", fragte Markus auf einmal und durchschnitt so die herrschende Stille. Beinahe erschrocken riss Jonas den Kopf herum. Ihm war klar, dass Antoine ihn abfangen würde, sollte er zu Hause sein. 

„Ehm... ja, vielleicht kurz", stammelte er, auch wenn er eigentlich schon genau wusste, was Antoine ihm sagen würde. Nämlich dass er die Beine in die Hand nehmen und seinen Arsch zurück zu Matthias bewegen sollte. 

„Wenn du willst, kann ich schon mal nach Hause fahren und in der Zeit das Frühstück vorbereiten", schlug Markus vor, allerdings wirkte er berechnend, lauernd. So, als wollte er Jonas testen, ob er auch wirklich zu ihm zurückkam. Bevor er darüber nachdachte, nickte Jonas. 

„Okay. Und danach machen wir und einen richtig schönen Tag. Wir machen alles, was du willst, wir können uns unterhalten oder einen Film ansehen", plapperte Markus in einem unangemessen fröhlichen Ton. Jonas fühlte sich mit jeder Sekunde schlechter. 

„Markus, ich...", setzte er an, allerdings fuhr Markus ihm über den Mund. 

„Erzähl es mir zu Hause. Und dann redest du endlich einmal Klartext. Mir ist klar, dass in deinem hübschen Köpfchen eine Menge vor sich geht und ich will alles ganz genau wissen. Auch wenn es mir nicht gefallen wird", beendete Markus abrupt seinen Versuch, seine Gedanken auszusprechen. Verwirrt starrte Jonas ihn an, denn dass er ihn ständig unterbrach, wenn er versuchte, sich zu öffnen, half nicht wirklich. 

„Gut, aber dann musst du mich ausre..."

„Wir reden zu Hause."

Jonas Finger krallten sich ins Lenkrad. Es machte ihn wütend, wie Markus ihn behandelte, so als wäre er noch immer der unsichere, vollkommen überforderte Junge, der er gewesen war, als sie sich kennengelernt hatten. Aber so war er nicht mehr! Jonas atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Seine Kiefer mahlten, aber er hielt den Mund. Markus würde ihn nicht zu Wort kommen lassen, bis sie zu Hause waren, das war klar. Also fuhr er schweigend das kurze Stück bis zu Antoines Haus. 

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