Kapitel 66 - Jonas
Panisch ließ Jonas sein Handy unter dem Kissen verschwinden, als er hörte, dass Markus die Badezimmertür öffnete. Er lag im Wohnzimmer auf dem Sofa, setzte sich aber in diesem Moment auf. Sein Herz hämmerte und er spürte noch den Nachhall der Erregung, die Matthias Nachricht in ihm ausgelöst hatte.
„Hey", sagte Markus, als sei er überrascht, ihn hier zu sehen. Er kam nur mit einem Handtuch um die Hüften und feuchten Haaren auf ihn zu. Seine Blicke waren eindeutig und als er sich auch noch verführerisch mit den Fingern durchs Haar fuhr, wandte Jonas sich ab. Matthias hatte schon recht, er musste nichts tun, was er nicht wollte.
„Kommst du?", fragte Markus und als Jonas den Blick hob, stand er mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen zum Schlafzimmer, das genau wie in Matthias Wohnung direkt ans Wohnzimmer angrenzte.
„Ich...", setzte Jonas an, aber Markus fiel ihm ins Wort.
„Aber deine Massage willst du noch, oder?", fragte er mit hochgezogener Augenbraue und eindeutig vorwurfsvoll. Schuldbewusst nickte Jonas. Wieder einmal wurde ihm klar, dass das hier alles so was von falsch war. Er sollte sich endlich entscheiden und sich dann voll und ganz auf denjenigen einlassen. Allerdings wurde ihm auch klar, dass er bis Sonntagabend hier zusammen mit Markus sein würde. Denn mit Sicherheit würde Markus ihm keine Gelegenheit geben, sich aus dem Staub zu machen.
„Ach, wir müssten morgen noch mein Auto holen. Das steht ja noch bei Antoine", warf Markus ein und Jonas musste zugeben, dass er das ganz vergessen hatte. Er nickte, aber seine Gedanken wanderten zu Antoine und seinem vorwurfsvollen Ton, als er ihm von dieser Chose hier erzählt hatte.
Ganz offensichtlich war Antoine der Meinung, dass Jonas schnellstmöglich zurück zu Matthias sollte, allerdings war er sich nicht sicher, ob Antoine überhaupt etwas dazu sagen konnte. Immerhin hatte auch er seine Frau betrogen.
Markus Seufzen riss ihn aus seinen Gedanken und erst da wurde ihm bewusst, dass er ihn schon viel zu lange warten ließ. Mühsam erhob er sich und wankte wie auf Eiern zu ihm. Erst als er nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war, löste Markus die Arme aus seiner verkrampften Haltung und breitete sie aus. Gehorsam befolgte Jonas seine stumme Anweisung und umarmte ihn. Tatsächlich roch er ziemlich gut, nach Seife und seinem typischen, leicht herben Duft. Markus verschränkte seinen Hände hinter seinem Rücken und hielt ihn so in seiner Umklammerung gefangen.
„Sieh mich mal an", forderte Markus leise, aber bestimmt. Jonas hob den Kopf und als er in Markus graue Augen sah, erkannte er so etwas wie Sorge.
„Willst du auch wirklich hier mit mir sein? Weil ich dich wirklich liebe", sagte er und klang dabei so unschuldig, als hätte nicht er vor Jahren diese Chance schon einmal gehabt und sie vergeigt. Jonas schluckte.
„Doch, ich...", setzte er an, schaffte es aber nicht, den Satz zu Ende zu bringen. Jonas presste ihn durch sanften Druck seiner Hände an seinem Rücken noch enger an ihn.
„Gut, denn... ich mache mir ein wenig Sorgen, dass du auch wirklich hier sein willst. Du wirkst nicht glücklich", sagte Markus und auch wenn seine Worte der Wahrheit entsprachen, schüttelte Jonas den Kopf.
„Nein, ich... ich muss mich nur noch an die Situation gewöhnen", erwiderte er, hätte sich aber in diesem Moment am liebsten selbst eine reingehauen. Denn in was für einer Situation war er eigentlich in diesem Moment? Er fuhr zweigleisig, denn obwohl er mit Matthias Schluss gemacht hatte, schrieb er noch Nachrichten mit ihm hin und her. Und diese Nachrichten waren wirklich alles andere als unverfänglich. Gleichzeitig stand er hier, in den Armen eines anderen.
„Na komm, legen wir uns hin. Es war ein anstrengender Tag", sagte Markus nach einer Weile, löste sich von ihm und betrat das Schlafzimmer. Jonas folgte ihm und betrachtete skeptisch das Bett. Es war ein typisch französisches Bett, ungewohnt schmal für zwei Personen und es gab nur eine Decke.
Als sein Blick zu Markus wanderte, sah er, wie er sein Handtuch fallen ließ und stattdessen in eine Boxershort schlüpfte, bevor er zum Bett ging und die Decke zurückschlug. Er seufzte herzzerreißend, legte sich ins Bett und klopfte mit der Hand auf die Matratze neben sich. Jonas nickte, mehr um sich selbst Mut zuzusprechen, als ihm etwas mitzuteilen und entledigte sich ebenfalls seiner Klamotten. Markus Blicke schienen ihn regelrecht zu durchdringen und er beeilte sich, zu ihm ins Bett zu kriechen.
Er rollte sich auf der Seite zusammen, Markus seinen Rücken zugewandt. Immerhin wollte er ihn massieren und kaum dass er es gedacht hatte, spürte er Markus Finger über seine Haut streifen. Jonas schloss die Augen und versuchte, sich darauf einzulassen, immerhin empfand er auch etwas für Markus, warum hätte er sonst mit ihm geschlafen, nachdem er aus dem L'Affaire mit ihm hier her gegangen war?
„Entspann dich. Deine Schultern sind ganz verspannt", säuselte Markus und fing an, seine Schultern zu kneten. Jonas lockerte seine Arme und versuchte, locker zu werden, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen.
Komischerweise stellte er sich vor, es wären Matthias Finger, die ihn berührten. Was allerdings gar nicht so leicht war, denn Matthias Finger fühlten sich ganz anders an als die von Markus.
Auf einmal spürte er, wie Markus näher an ihn heran rutschte und seinem Körper gegen den seinen drückte. Seine Erektion war nur zu deutlich spürbar, was Jonas beinahe hätte aufseufzen lassen.
„Schatz, du bist so wunderschön", hauchte er an seinem Ohr und küsste zärtlich seine Schulter. Sein Körper reagierte auf die Berührung, aber eilig rutschte er ein Stück weg, sodass er der Kante des Bettes gefährlich nah kam.
„Ich kann nicht", sagte er nur, bemerkte aber, dass seine Stimme merkwürdig erstickt klang. Markus stieß genervt die Luft aus.
„Warum nicht?", fragte er nur, allerdings konnte Jonas ihm diese Frage nicht beantworten. Er konnte ihm ja schlecht sagen, dass er noch vor einer Viertelstunde mit Matthias ziemlich heiße Nachrichten hin und her geschrieben hatte und seitdem an ihn denken musste.
„Ich will einfach nicht, okay?", rutschte es Jonas schärfer als beabsichtigt heraus. Markus schwieg, einen unheimlichen Moment lang war es totenstill im Zimmer. Bis auf einmal die Decke raschelte und Markus sich erhob. Jonas spürte die Bewegung auf der Matratze und wandte sich um. Markus raufte sich die Haare, während er an ihm vorbei in Richtung Wohnzimmer ging. Im Türrahmen blieb er stehen, wandte den Blick über die Schulter zu ihm und schüttelte kaum merklich den Kopf.
Jonas fühlte sich direkt schuldig, sehr sogar. Markus wandte den Blick wieder ab und ging ins Wohnzimmer. Er verschwand aus seinem Sichtfeld und Jonas war versucht, ihm nachzugehen. Tatsächlich schlug er die Decke zurück und setzte sich auf die Bettkante, als wäre er eine Marionette, dessen Fäden Markus in den Händen hielt.
„Schatz? Was hast du gemacht, als ich duschen war?", rief Markus auf einmal und wie elektrisiert sprang Jonas auf, denn genau in diesem Moment fiel ihm ein, dass sein Handy noch unter dem Kissen im Wohnzimmer lag. Hoffentlich hatte Markus ihn nicht dabei beobachtet, wie er den Code eingab, um es zu entsperren und schnüffelte ihm nun hinterher. Mit nur wenigen Schritten ging er ins Wohnzimmer und setzte sich neben ihn auf das Sofa, allerdings zuckten Markus Mundwinkel wissend.
„Sag schon. Hast du mit ihm telefoniert? Oder geschrieben?", fragte er vorwurfsvoll, aber gleichzeitig ungewohnt ruhig. Normalerweise war er hitzköpfig, sodass diese Besonnenheit Jonas umso mehr nervös machte. Eilig griff Jonas unter das Kissen und nahm sein Handy an sich.
„Nein, ich... ich habe doch mit ihm Schluss gemacht", sagte er und lachte verräterisch auf. Markus schüttelte den Kopf.
„Weißt du Schatz, wenn du mich schon anlügst, dann solltest du es geschickter anstellen. Du hast noch mit ihm Kontakt, habe ich recht?", fragte er, wieder so ruhig. Jonas schwieg und verriet sich dadurch. Es war ihm durchaus bewusst, aber er konnte einfach nicht mehr lügen. Dieses ganze Verheimlichen und nicht sagen zu können, was ihm auf dem Herzen lag, belastete ihn mehr, als er gedacht hatte.
„Na los, sag es schon. Wir wollten doch ehrlich zueinander sein."
„Ich...", setzte Jonas an, seine Finger umklammerten sein Handy, als wäre es sein größter Schatz.
„Wenn du nicht mit ihm in Kontakt bist, dann zeig mir dein Handy", forderte er, was Jonas schnauben ließ.
„Das ist meine Privatsphäre!", empörte er sich und drückte sich das Handy an die Brust. Allerdings entging ihm nicht das kleine Symbol, das signalisierte, dass Matthias ihm noch eine Nachricht geschickt hatte. Markus zog die Augenbrauen hoch und lachte verächtlich auf.
„Ach, so ist das. Weißt du, zwar bin ich derjenige, der dich damals betrogen hat, aber du bist eigentlich viel schlimmer als ich. Du bist ein Lügner und hinterhältig!", rief er aus, nun in Rage. Einerseits beruhigte es Jonas, denn das war seine gewöhnliche Reaktion, aber er war es leid, immer und immer wieder mit ihm zu streiten. Kopfschüttelnd wandte er sich ab, stemmte die Hände in die Sitzfläche des Sofas und drückte sich hoch.
„Das ist mir echt zu blöd", murmelte er und ging wieder in Richtung Schlafzimmer. Allerdings hielt Markus ihn am Handgelenk fest, genau an der Hand, in der er sein Handy hielt. Markus schielte darauf, aber der Bildschirm war schwarz und er konnte nichts erkennen.
„Lass mich los", forderte er, aber Markus funkelte ihn nur an.
„Sag mir die Wahrheit. Hast du noch Kontakt mit ihm? Ja oder Nein?", fragte er, erhob sich ebenfalls und kam näher auf ihn zu, sein Handgelenk noch immer umklammert. Jonas wusste, dass er so oder so einen Streit provozierte, ganz egal, wie seine Antwort ausfallen würde. Da konnte er auch die Wahrheit sagen und sein Gewissen nicht mit noch mehr Lügen belasten.
„Ja, verdammt! Ich habe Kontakt mit ihm. Und bevor du fragst: Ja, ich habe auch noch Gefühle für ihn!", fuhr er ihn an, entriss ihm mit Gewalt sein Handgelenk und marschierte ins Schlafzimmer. Beinahe hätte er erwartet, dass Markus ihm folgte, aber das war nicht der Fall.
Verunsichert blieb er stehen und sah zurück ins Wohnzimmer. Markus war zurück auf das Sofa gesunken und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Weinte er? Jonas Herz wurde schwer. Warum machte es ihm nur so sehr zu schaffen, wenn Markus litt? Für einen Moment lang war er versucht, zu ihm zurückzugehen, aber er riss sich zusammen.
Stattdessen zog er sich wieder an und ging geradewegs zur Wohnungstür. Markus schien es entweder nicht mitzubekommen oder es war ihm egal. Also zog er sich die Schuhe an, kontrollierte, ob er auch seine Zigaretten und sein Handy bei sich hatte und legte die Hand auf die Klinke der Wohnungstür. Da reagierte Markus.
„Hey. Kommst du zurück?", fragte er und auch wenn er einfach hätte davon gehen können, hielt er inne. Sein Blick wanderte über die Schulter zu Markus, der sich genau in diesem Moment erhob und auf ihn zukam. Jonas wusste, dass er jetzt handeln musste. Würde Markus ihm zu nahe kommen und ihn abhalten, jetzt die Wohnung zu verlassen, würde er die ganze Nacht nicht mehr gehen können.
„Ich...", sagte er, aber Markus fiel ihm ins Wort.
„Bitte verlass mich nicht. Ich habe dich gerade erst zurückbekommen. Bitte Schatz!", flehte er und kam noch näher. Jonas seufzte.
„Ich brauche eine Zigarette", sagte er, öffnete die Wohnungstür und schlüpfte nach draußen. Bevor Markus ihn aufhalten konnte, zog er die Tür hinter sich zu und eilte die Treppen nach unten. Noch immer roch das Treppenhaus nach Urin und Desinfektionsmittel, genau so wie es schon vor Jahren gerochen hatte.
Jonas stieß die Haustür aus und atmete tief durch als er auf die Straße trat. Erst da bemerkte er, dass es bereits dämmerte. Mit geübten Fingern zog er eine Zigarette hervor und zündete sie an. Gierig sog er den Rauch ein, schob seine freie Hand in die Hosentasche, zusammen mit seinem Handy und setzte sich in Bewegung. Er eilte strammen Schrittes die Straße entlang, bis er sich sicher war, dass Markus ihm nicht folgte. Erst da wurde er langsamer und zog sein Handy wieder heraus, um Matthias Nachricht zu lesen.
Sein Herz stolperte, als er Matthias Worte las. Dieser Mann liebte ihn, trotz seines Fehlers. Nach all dem, was er in den letzten Tagen getan hatte, wollte Matthias noch immer mit ihm zusammen sein.
Kopfschüttelnd starrte er auf sein Handy, in dessen künstlichen Licht sich bereits einige Insekten tummelten. Jonas verscheuchte sie mit einer Handbewegung, setzte seine Wanderung am Rand der Weizenfelder fort und hob die Blockierung von Matthias Nummer auf. Kurz zögerte er, dann klickte er auf Matthias Namen und rief ihn an. Panisch warf er einen Blick über die Schulter, ob auch bloß nicht Markus in Sicht war, aber seine Panik war unbegründet.
Er schlenderte weiter und lauschte dem Tuten. Jonas fühlte sich aufgekratzt und nervös, allerdings schien Matthias sich nicht zu melden. Als ihm eine Computerstimme mitteilte, dass der gewünschte Teilnehmer zur Zeit nicht erreichbar war, starrte er ungläubig sein Handy an. Es war bereits kurz vor elf und tatsächlich war es in den letzten Minuten schnell dunkel geworden.
Jonas schluckte schwer, denn ihm fiel ein, dass Aaliyah an diesem Wochenende zu bei Matthias sein würde und er ihm geschrieben hatte, dass sie morgen in den Zoo gingen. Sicherlich hatte er schon schon hingelegt, damit er morgen fit war.
Ein wenig enttäuscht öffnete Jonas den Messenger und überlegte, was er ihm antworten könnte. Bevor ihm etwas eingefallen war, klingelte jedoch sein Handy. Allerdings war er nicht Matthias, sondern Markus. Genervt verdrehte er die Augen, nahm den Anruf aber entgegen.
„Was?", fragte er gereizt und fingerte anschließend nach einer zweiten Zigarette.
„Kommst du wieder rein? Ich bin müde", sagte er und auch wenn Jonas ihm am liebsten eine freche Erwiderung an den Kopf geworfen hätte, nickte er. Denn ihm wurde klar, dass er sich auf dieses Wochenende eingelassen hatte, um herauszufinden, was er wollte. Ob er wirklich zu Matthias zurückkehren und mit der Schuld leben wollte, dass er sein Vertrauen missbraucht hatte. Oder ob er sich lieber Markus zuwandte, der ihn abgöttisch liebte und dem er kein schlechtes Gewissen gegenüber hatte.
Auf einmal kam ihm diese ganze Sache mit dem schlechten Gewissen albern vor. Andererseits... wie würde er reagieren, wenn Matthias ihn mit seiner Ex betrogen hätte? Könnte er ihm verzeihen und einfach da weitermachen, wo sie aufgehört hatten? Nein, ganz sicher nicht.
„Schatz?", ertönte wieder Markus Stimme und wieder einmal hatte er sich so sehr in Gedanken verloren, dass er abgedriftet war.
„Ja, ich komme. Gib mir zehn Minuten", sagte er und legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Kopfschüttelnd machte er auf dem Absatz kehrt und ging zurück zu Markus Wohnung. Zumindest dieses Wochenende sollte er Markus geben. Immerhin schien Markus es ziemlich ernst mit ihm zu meinen, wenn er ihn sogar heiraten wollte.
Ein Seufzen entfuhr ihm und er dachte an den Tag zurück, als er Matthias gesagt hatte, dass es zwischen ihnen beiden vorbei war. Meinetwegen heirate ich dich sogar, wenn es dir so wichtig ist. Oder so etwas in der Art hatte Matthias zu ihm gesagt. War das wirklich ernst gemeint? Oder nur eine Panikreaktion? Jonas schnaubte verächtlich über seine eigenen verkorksten Gedanken, bevor er die Schritte beschleunigte und zurück zu Markus Wohnung ging.
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