Kapitel 52 - Jonas

Vollkommen erfrischt trat Jonas aus dem Bad. Markus lag im Bett, das dünne Laken bis unter die Arme hochgezogen und die Augen geschlossen. Möglichst leise schlich Jonas zum Bett und krabbelte hinein. Markus sog tief die Luft ein, ließ die Augen aber geschlossen. Anscheinend war er wirklich müde und auch Jonas täte gut daran, noch die wenigen Stunden zu schlafen, bis sein Wecker klingelte und er zur Arbeit musste. 

Er legte sich auf die Seite, zog die dünne Decke über sich und schloss die Augen. Allerdings sprangen sie wie von allein wieder auf, als würden sie zusammen mit seinem Hirn entschieden haben, dass es noch lange keine Zeit zum Schlafen war. 

Sofort drehten seine Gedanken sich im Kreis, wirbelten herum und machten ihn ganz wahnsinnig. Denn erst vor wenigen Stunden hatte er sein Leben vollkommen verändert. Sein Blick fiel auf Markus friedliches Gesicht, dass selbst im Halbschlaf besser aus sah, als in den letzten Tagen. Anscheinend hatte Markus seine Trennung wieder aufleben lassen. Als würde Markus seinen Blick bemerken, öffnete er die Augen und lächelte. 

„Hey", sagte er, als würde er erst jetzt bemerken, dass Jonas wirklich bei ihm war. 

„Hey", erwiderte er und spürte, wie seine Mundwinkel zu einem Lächeln zuckten. Langsam schob Markus seine Hand über die Matratze, bis er die seine gefunden hatte. Seine Berührung war sanft und nicht so drängend und fordernd, wie in den letzten Tagen. Sie war voller Liebe, nicht voller Lust. Komischerweise pochte Jonas Herz auf einmal unangenehm. 

„Du solltest dich auch ausruhen. Es war ein anstrengender Tag und morgen sieht die Welt sicherlich schon ganz anders aus", sagte er sanft, zog Jonas Hand an seine Lippen und küsste sie. 

Markus schloss wieder die Augen und verfiel in einen leichten Schlaf, während Jonas sich noch viel zu aufgekratzt fühlte, um zur Ruhe zu finden. Es gab noch so viele Dinge, die er erledigen musste. Wichtige Dinge, die gar nichts mit seinem Gefühlschaos zu tun hatten, wie zum Beispiel die Frage, wo er unterkommen sollte. Denn dieses Hotel hier war nur eine Übergangslösung, das war ihm klar. Er musste mit Matthias reden, endgültig und vollständig ausziehen und mit ihm klären, wie sie die ganzen Verträge änderten. Immerhin hatte er sich meistens um so etwas wie Strom und Internet gekümmert, sodass diese Verträge über ihn liefen. 

Unweigerlich machte er sich Sorgen, denn auch wenn die Wohnung an sich nicht teuer war, hatte Matthias Ausgaben, die er kaum noch decken konnte, wenn sein eigenes Gehalt nicht mehr zur Verfügung stand. Er zahlte Unterhalt für Aaliyah, Duygus Mietanteil und seine eigenen Kosten fürs Wohnen und die ganzen anderen Dinge, die man nun einmal zum Leben benötigte. Würde er nicht mehr diese Summe für die Kinder zahlen, würde unweigerlich Esra Probleme kriegen. 

Ein Seufzen entfuhr Jonas, denn ihm wurde nach und nach bewusst, dass eine Trennung nach so langer Zeit viel mehr mit sich zog, als nur die emotionale Verbindung zu kappen. Ihre Leben waren aufeinander abgestimmt, hatten sich eingespielt. Wenn einer einfach nicht mehr mitspielte, brachte das alles durcheinander. 

Unruhig drehte Jonas sich auf die andere Seite, sodass er Markus den Rücke zukehrte. Sein Blick hing auf der Wand, hinter der das kleine Badezimmer lag und er fühlte sich auf einmal in diesem engen Raum eingequetscht. Er wälzte sich hin und her, aber er fand einfach keine Position mehr, die bequem war. 

„Kannst du nicht schlafen?", fragte Markus auf einmal. Erschrocken riss er den Kopf zu ihm herum und betrachtete ihn. Langsam richtete Markus sich auf, sodass er mit dem Rücken gegen das Kopfende des Bettes lehnte. Jonas setzte sich in die gleiche Position und zuckte die Schultern als Antwort auf seine Frage. 

„Was geht dir durch den Kopf?", wollte Markus wissen, allerdings zögerte Jonas. Sollte er ihm wirklich von seinen Sorgen um Matthias erzählen? 

„Na los, raus damit. Ich bin für dich da, das weißt du doch", sagte Markus, auch wenn Jonas sich noch lange nicht so weit fühlte, mit ihm über alles zu reden. Vertrauen brauchte Zeit, auch wenn er Markus nun schon seit beinahe zwanzig Jahren kannte. 

„Ich... mir wird langsam bewusst, was meine Entscheidung zu gehen alles noch mit sich zieht", sagte er und warf sofort einen schüchternen Blick zu Markus, der beinahe traurig den Blick senkte. 

„Ich weiß, was du meinst. Du machst dir Gedanken darum, was mit ihm ist, habe ich recht?", erriet er und überrascht, dass Markus so aufmerksam war, nickte er. 

„Ja, ich meine... es gibt viel zu organisieren was die Wohnung anbetrifft und... wenn er weiterhin so viel Geld für seine Kinder ausgibt wird er bei seinem Gehalt in finanzielle Schwierigkeiten geraten", platzte es nun doch aus ihm heraus und sofort spürte er so etwas wie Erleichterung. Markus schien einen Moment darüber nachzudenken. Skeptisch beobachtete Jonas ihn, denn seine Ruhe und Besonnenheit waren noch ganz ungewohnt. 

„Das ist nicht mehr dein Problem. Er muss sehen, wie er mit dem, was er zur Verfügung hat, auskommt. Bevor ihr zusammen wart, hat er es ja auch hinbekommen", sagte er merkwürdig monoton, so als wäre ihm eigentlich etwas ganz anderes im Kopf herumgeschwirrt. Jonas nickte dennoch langsam. 

„Du hast recht, aber...", setzte er erneut an, doch auf einmal wollte ihm nicht die passende Formulierung einfallen. Bevor er sich sortiert hatte, sprach Markus weiter. 

„Ich weiß, wie du dich fühlst, aber du bist nicht für ihn verantwortlich. Eure Wege haben sich getrennt, jeder muss für sich selbst sehen, wie er zurecht kommt. Vielleicht findet er ja schnell einen Neuen, der ihn wieder finanziert."

Jonas schluckte schwer, denn so wie Markus es beschrieb, war es doch gar nicht. Matthias lag ihm nicht auf der Tasche. Jonas selbst hatte vorgeschlagen, dass er mehr für die Kinder zahlte, als er allein mit seinem Gehalt konnte, denn den beiden sollte es an nichts fehlen. Zwar waren sie nicht seine eigenen Kinder, aber Aaliyah... 

Jonas durchfuhr ein Schock. Wie hatte er die Kleine verdrängen können? Er liebte sie, immerhin hatte er sie seit ihrer Geburt mit großgezogen und nun verpisste er sich einfach, ohne ihr irgendetwas zu erklären oder sich von ihr zu verabschieden. Ein Keuchen entwich ihm und Tränen schossen ihm in die Augen. 

„Hey, was ist denn?", fragte Markus besorgt, rutschte unbeholfen näher an ihn und legte den Arm um seine Schultern. Jonas wischte sich mit den Händen durchs Gesicht, um die Tränen zu verbergen. 

„Aaliyah, sie... sie wird mir fehlen", brachte er hervor und merkte erst wie sehr seine Stimme zitterte, als er es aussprach. Markus zog ihn enger an sich, bis sein Kopf auf seiner Brust ruhte. 

„Komm her", sagte er noch und gehorsam vergrub er das Gesicht an seiner Brust. Stumme Tränen benetzten erst Jonas Wangen, dann Markus Brust. Würde er Aaliyah nie wieder sehen? Vermutlich nicht, denn rechtlich gesehen hatte er keine Chance. Er war nicht ihr leiblicher Vater, sondern nur der Lebensgefährte ihres Vaters. Der ehemalige Lebensgefährte. Jonas spürte, wie Markus ihm mit der Hand die Tränen von den Wangen wischte und beruhigende Laute machte. 

„Du solltest dich ausruhen", sagte er, schob ihn von sich weg und legte sich hin, nur um ihn wieder auf seine Brust zu betten. Jonas ließ es zu, denn er musste zugeben, dass Markus recht hatte. Was sollte er auch anderes tun? Er konnte nichts daran ändern, also musste er es akzeptieren.

Allerdings bildete sich auf einmal eine andere Gewissheit in ihm, die ihm Unbehagen bereitete. Markus hatte gesagt, dass Matthias womöglich jemand Neues fand. Würde er genau so wie er ein guter Stiefvater für Aaliyah sein? Würde er einfach ersetzt werden von jemanden, der Matthias nicht betrog und ihn hinterging? 

Jonas keuchte, denn auf einmal schlich sich eine wahnwitzige Idee in sein Hirn. Er wusste, dass Matthias Trost bei Oskar suchen würde. Und er wusste, dass Oskar Matthias liebte, obwohl er verheiratet war. Matthias war in diesem Moment verletzlich und einsam und... würde er... Nein! Matthias liebte Oskar nicht auf diese Weise. Oder? 

Plötzlich sprang Jonas auf. War es nicht Oskar gewesen, der gestern Morgen Matthias hierher begleitet hatte? Und war es nicht Oskar gewesen, der ihn getröstet hatte, nachdem er ihn stehengelassen hatte? Und war es nicht Oskar gewesen... 

„Schatz!" riss Markus ihn auf einmal aus seinen beinahe wahnhaften Gedanken und aufgrund seines Tons wurde ihm klar, dass ihn schon einige Male angesprochen hatte. 

„Was ist, wenn er sich auf Oskar einlässt?", stieß Jonas aus, ohne wirklich darüber nachzudenken. Verwirrt sah Markus ihn an. Jonas wandte sich zu ihm um, denn erst da bemerkte er, dass er tatsächlich aus dem Bett gesprungen war und unruhig auf und ab ging, während Markus unverändert im Bett lag. 

„Wer zur Hölle ist Oskar und... warum würde es dich stören?", fragte Markus, eindeutig auch eine Spur Wut in der Stimme. Jonas blinzelte ein paar Mal, bis er wieder im Hier und Jetzt war. Markus hatte keine Ahnung, wer Oskar war und dass Jonas schon immer die Vermutung hatte, dass Oskar mehr für seinen besten Freund empfand, als er zugab. Würde er diese Chance nutzen und sich endlich eingestehen, dass er Matthias liebte und sich von seinem Mann Johnny trennen? Warum ihm das so große Angst machte, konnte er gar nicht so genau sagen, aber vermutlich, weil er Oskar einfach nicht für einen guten Menschen hielt. Er... er war genau wie er selbst. Er betrog diejenigen, die ihm viel bedeuten. Also würde Matthias es mit ihm eigentlich gar nicht so viel schlechter haben. 

„Schatz, du machst dich ja ganz verrückt. Bitte schlaf eine Nacht darüber, das hilft bestimmt. Komm wieder her", sagte Markus sanft, aber auch irgendwie genervt. Was Jonas nur zu gut verstehen konnte, er war ja selbst von sich genervt. Noch einmal holte er tief Luft und drängte angestrengt all seine Probleme in den Hintergrund. 

„Du hast ja recht. Ich bin total aufgekratzt", stimmte er ihm zu und ging langsam wieder zum Bett. Markus grinste auf einmal. 

„Ich wüsste da was, das dir beim Abschalten helfen könnte", säuselte er und setzte eindeutig sein verführerisches Gesicht auf. Jonas verdrehte die Augen. Ja, sie waren womöglich so etwas wie frisch verliebt, aber sie waren keine Teenager mehr, die an nichts anderes dachten als an Sex. Er brummte, legte sich in sein Bett und drehte Markus den Rücken zu. Wie erwartet strich Markus sanft über seine Wirbelsäule, bis hinunter zu seinem Hintern. 

„Ich bin nicht in Stimmung", murmelte Jonas, was Markus allerdings nicht davon abhielt, seinen Hintern zu umfassen. 

„Dann bringen wir dich in Stimmung", flüsterte Markus auf einmal unerwartet nah. Jonas stöhnte genervt und drehte sich auf den Rücken. 

„Nein", sagte er fest, woraufhin Markus endlich von ihm abließ. 

„Na gut, wie du willst", grummelte er und verzog sich zurück in seine Hälfte des Bettes. Jonas legte sich wieder gemütlich hin und schloss die Augen. Er würde einfach so lange hier liegen bleiben, bis er einschlief. 

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