Kapitel 50 - Jonas
Genüsslich leckte Jonas sich ein wenig Ketchup vom Finger, wischte anschließend seine Hände an einer dieser billigen Papierservietten ab und warf sie in die weiße Plastiktüte, in der Markus vorhin ihr Essen transportiert hatte. Die Tüte stand samt leeren Styroporboxen darin zwischen Jonas und Markus auf dem Bett, wo sie ihre Pommes gegessen hatten. Allerdings fühlte Jonas sich nun ziemlich voll, schob die Tüte ein Stück beiseite und legte sich mit einem herzzerreißenden Seufzen auf das Bett.
Er lag auf dem Rücken, die Arme über den Kopf gestreckt, sodass seine Unterarme gegen das Kopfteil des Bettes lehnten und starrte an die Decke. Komischerweise hatte Markus noch nicht wirklich viel gesagt, seit sie hier im Hotel waren, beinahe so, als spürte er, dass Jonas vollkommen überfordert war.
Er hatte Matthias verlassen. Um mit Markus zusammen zu sein. Allein bei dem Gedanken an Matthias enttäuschtes – nein, entsetztes, vollkommen fassungsloses – Gesicht, fühlte er sich, als würde das Blut in seinen Adern auf einmal Schwierigkeiten haben, hindurchzufließen. Es rauschte und pochte in seinen Ohren und ihm war klar, dass er die Tragweite seiner Entscheidung noch nicht wirklich begriffen hatte.
Ein Rascheln irritierte ihn auf einmal und er wandte den Kopf zur Seite. Markus hatte die Tüte in den kleinen Mülleimer geworfen und nun streckte er sich ausgiebig, bis seine Knochen knackten. Anschließend legte er sich zu ihm ins Bett, allerdings seitlich, sodass er ihn ansehen konnte. Augenblicklich bildete sich ein dicker Kloß in seiner Kehle, denn er würde wohl oder übel nicht mehr darum herum kommen, Markus alles zu erzählen.
„Also... du weißt, dass ich deine Aktion heute Morgen auf dem Parkplatz ziemlich daneben fand. Ich meine...", setzte Markus an, eindeutig in Vorbereitung auf einen Streit. Oder zumindest eine Schimpftirade. Jonas fiel ihm ins Wort.
„Er hat mich eben in der Wohnung überrascht und ich habe mit ihm Schluss gemacht", sagte er vollkommen monoton, als bedeuteten diese Worte nicht, dass er sein Leben von links nach rechts gedreht hätte. Markus Reaktion kommt prompt. Vollkommen ungläubig starrte er ihn mit aufgerissenen Augen an, sein Mund öffnete sich langsam. Beinahe hätte Jonas gegrinst, denn das Markus wortlos war, kam wirklich selten vor. Allerdings hielt es auch nicht lange an.
„Du hast dich von ihm getrennt? Für mich?", stammelte er. Jonas nickte langsam, aber natürlich drängte sich sofort Matthias in seine Gedanken. Er hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass er es tatsächlich tun würde, das wusste er. Wahrscheinlich hatte er geglaubt, dass nach ein paar Tagen, ein wenig Diskutieren und anschließendem Versöhnungssex wieder alles gut war. Aber all das könnte niemals sein schlechtes Gewissen heilen, seine Schuld reinwaschen oder seinen Fehler wieder gutmachen.
Markus entfuhr ein Keuchen, dann verzogen sich seine Lippen zu einem rührseligen Lächeln. Er breitete die Arme aus, eindeutig eine Aufforderung, zu ihm zu kommen. Eilig gehorchte Jonas, legte seinen Kopf auf seinen Arm und seine Hand an seine Brust.
„Schatz, du weißt nicht, wie sehr ich mir diesen Moment herbeigesehnt habe. Ich liebe dich, mehr als alles andere und ich verspreche dir hier und jetzt, dass ich dich glücklich machen werde. Ich werde meine zweite Chance nicht versauen", erklärte er und Jonas bemerkte, dass es wie ein Schwur klang.
Jonas zweifelte nicht eine Sekunde lang, dass Markus all das vollkommen ernst meinte. Er wusste nicht so recht, was er darauf antworten sollte, denn eigentlich wollte er in diesem Moment einfach nur die Gedanken ausschalten. Sie wirbelten viel zu aufgeregt und unsortiert in seinem Kopf herum und machten sein Gehirn ganz wund.
Ein Seufzen entfuhr ihm, was Markus zum Anlass nahm, ihn enger an sich zu ziehen. Sanft fuhr er mit der Hand über Jonas Arm.
„Wie geht es dir damit? Auch wenn es mir gefällt, war es sicher nicht leicht, ihn zu verlassen, hab ich recht?", fragte Markus schließlich. Verwundert hob Jonas den Blick und als er in seine grauen Augen sah, bemerkte er tatsächlich so etwas wie wahres Mitgefühl. Konnte es womöglich sein, dass Markus nun, da er endgültig die Sicherheit hatte, dass Jonas ihm gehörte, so etwas wie ein guter Freund wurde? Dass er aufmerksam und einfühlsam anstatt kontrollsüchtig und manipulativ war? Jonas spürte, dass das irgendetwas mit seinem Herzen anstellte. Was genau es war, konnte er noch nicht einschätzen. Er räusperte sich, bevor er sprach.
„Es war schwer, sehr schwer. Ihn so vollkommen fassungslos zu sehen, hat mir mein Herz gebrochen. Immerhin waren wir lange zusammen."
Markus nickte verständnisvoll.
„Ich bin für dich da. Ich bin nur so froh, dass du nun bei mir bist und er nicht mehr dazwischen funkt. Genau das hier habe ich mir schon so lange gewünscht und endlich hast du mein Flehen erhört", säuselte Markus und küsste ihn auf die Stirn.
Jonas bemerkte, dass sich auf einmal Tränen in seinen Augen sammelten. War das hier tatsächlich von jetzt an sein Leben? Erinnerungen an früher, als er das erste Mal mit Markus zusammen gewesen war, tauchten vor seinem inneren Auge auf.
Er war jung gewesen, Markus sein älterer, erwachsener und erfahrener Freund, zu dem er aufsah. Der ihm alles gezeigt hatte, was seine Sexualität anbetraf und der schon immer ein wenig über ihn bestimmen wollte. Damals hatte es ihm gefallen, aber heute? Er war nun erwachsen, konnte seine eigenen Entscheidungen treffen und brauchte ihn nicht mehr als jemanden, der alles für ihn übernahm.
„Markus ich... ich brauche ein wenig mehr Freiraum", hörte Jonas sich auf einmal sagen, ohne dass er darüber nachgedacht hatte.
„Was meinst du damit?", erwiderte Markus sofort und ohne ihn anzusehen, spürte Jonas seinen skeptischen Blick auf sich. Langsam klärten sich seine Gedanken und er sah ihm direkt in die Augen.
„Ich meine damit, dass du mich nicht überall hin begleiten musst. Ich kann allein zur Arbeit fahren und... du musst mir ein bisschen mehr vertrauen", sagte er und zog automatisch den Kopf ein, denn bisher war es nicht wirklich gut gewesen, Markus zu sagen, dass er etwas falsch machte. Tatsächlich schwieg Markus einen Moment, allerdings wanderten seine Augen von links nach rechts, so als würde er angestrengt nachdenken.
„Okay", sagte er gedehnt, „also möchtest du allein sein?"
Jonas schüttelte den Kopf.
„So meinte ich das nicht. Es fühlt sich manchmal an, als nimmst du mir die Luft zum Atmen. Du hängst ständig an mir dran, redest die ganze Zeit auf mich ein. Ich komme so einfach nicht zur Ruhe, um mich zu sortieren. Um zu begreifen, was ich hier gerade tue und was das alles bedeutet", erklärte er, woraufhin Markus langsam nickte.
„Ich verstehe, was du meinst. Ich habe all das getan, damit du mir nicht wegläufst. Damit du weißt, dass ich es ernst meine. Ich wusste nicht, dass es dich so sehr stört", gab er zurück, allerdings glaubte Jonas ihm nicht ganz. Dennoch beließ er es dabei, denn zum Diskutieren fehlte ihm in diesem Moment eindeutig die Kraft.
„Aber ich hätte auch eine Bitte an dich", fuhr Markus fort und griff, ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, hinter sich auf den kleinen Nachttisch neben seinem Bett. Er holte die kleine Ringdose hervor und ließ sie aufschnappen.
Jonas rutschte das Herz in die Hose. Denn auch wenn er von einer Hochzeit träumte, hielt er wenig davon, es zu überstürzen. Seine Trennung war noch so frisch, er kam noch gar nicht so richtig zurecht, da konnte er keinen anderen heiraten.
„Bitte trag deinen Ring. Es würde mir sehr viel bedeuten", flüsterte Markus und löste den filigraneren der beiden Ringe aus dem Samt. Jonas schüttelte den Kopf, unfähig irgendetwas zu sagen. Markus Mundwinkel fingen an zu zittern, aber da blitzte noch etwas anderes in seinen feuchten Augen auf. Verständnis? Langsam steckte er den Ring zurück, stellte die Dose aber geöffnet zwischen sie. Seine Hand wanderte an seine Wange und liebkoste sie.
„Zu früh?", fragte er, eindeutig enttäuscht.
„Mh-mh", krächzte Jonas, griff aber eilig nach Markus Hand auf seiner Wange und drückte sie.
„Gib mir Zeit", flehte er und zu seiner Überraschung schlug Markus einmal kurz die Augenlider nieder, als würde er zustimmen.
„In Ordnung. Ich bin nur so ungeduldig, weil es sich für mich nicht anfühlt, also wären wir erst seit ein paar Tagen wieder ein Paar. Oder zumindest wieder auf dem Weg dorthin. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben und ich werde es auch nie. Sag mir einfach Bescheid, wenn du bereit dafür bist", sagte er wieder in der gewohnten Ausführlichkeit, was Jonas beinahe ein Schmunzeln entlockte.
„Okay", sagte er und bemerkte, dass er lächelte.
„Zur Sicherheit werde ich dich zwischendurch daran erinnern", sagte Markus und gluckste leise. Jonas Herz flatterte. Markus schien wie ausgewechselt zu sein. War er wirklich nur so herrisch gewesen, weil er wusste, dass Matthias noch nicht abgeschrieben war? Das war durchaus möglich. Diese Erkenntnis beruhigte Jonas ungemein, denn sollte Markus sich wirklich bessern, wäre er vielleicht wirklich gar kein schlechter Partner. Zwar hatte er sich körperlich gehen lassen, aber schon jetzt wirkte sein Gesicht nicht mehr so fahl wie noch vor ein paar Tagen. Abgesehen davon war der Körper nicht alles und würde er behaupten, er wäre in den letzten Tagen nicht auf seine Kosten gekommen, wäre das eine Lüge.
„Du zerbrichst dir schon wieder deinen hübschen Kopf", bemerkte Markus, was ihn aus seinen Gedanken zurück ins Hier und Jetzt holte. Er blinzelte ein paar Mal und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. Erst da bemerkte er wieder die Bartstoppeln und ihm wurde bewusst, dass er sich eigentlich vorgenommen hatte, sich etwas um sich zu kümmern.
„Ja ich... ich muss mich rasieren. Und auf die Sonnenbank. Ich sehe schrecklich aus und fühle mich eklig", sagte er, was Markus lachen ließ.
„Du bist perfekt, so wie du bist. Wenn sich jemand um sich kümmern muss, dann bin ich das", sagte er, klang aber beim letzten Satz ein wenig verbittert, so als wäre ihm durchaus bewusst, dass er sich sehr verändert hatte, aber nicht die Motivation finden würde, daran etwas zu ändern. Dennoch entließ er Jonas aus seiner Umarmung, damit er aufstehen konnte.
„Wir beide haben uns verändert. Wir sind nicht mehr die knackigen Kerle, die wir vor..."
Jonas stockte und rechnete. Er und Markus waren ein Paar geworden, als er achtzehn gewesen war. Nun war er sechsunddreißig.
„Ist das wirklich schon achtzehn Jahre her?", fragte er, denn es kam ihm gar nicht so lange her vor. Markus grinste.
„In Mathe warst du schon immer gut. Aber ja, es ist ziemlich genau achtzehn Jahre her, seit du dich das erste Mal in mich verliebt hast", bestätigte Markus und klang, als würde er in Erinnerungen schwelgen.
Jonas schüttelte langsam den Kopf. Allerdings wurde ihm bewusst, dass die letzten zehn Jahre, die er an Matthias Seite verbracht hatte, wie ihm Flug vergangen waren. Sicherlich war ihre Beziehung zu Beginn holprig gewesen, aber die Jahre waren unglaublich schnell vergangen.
Mühsam riss Jonas sich von der Erinnerung los und verschwand im Bad. Als allererstes musste er duschen, sich rasieren und seine Anti-Aging-Creme auftragen, damit er sich wieder wohlfühlte. Grinsend über seine eigene Eitelkeit entledigte er sich seiner Klamotten und drehte das Wasser in der Dusche auf.
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