Kapitel 48 - Jonas
Teil 2
Wie Jonas zurück zu Markus ins Auto gekommen war, wusste er nicht mehr. Was er allerdings wusste war, dass er soeben Matthias Herz gebrochen hatte und ein Teil seines eigenen gleich mit. Aber jedes seiner Worte hatte sich richtig angefühlt. Er konnte sich selbst nicht vergeben.
„Komm her, Schatz", sagte Markus, der neben ihm auf dem Beifahrersitz saß und nach seiner Hand griff. Ein wenig unbeholfen lehnte Jonas sich zu ihm hinüber, vergrub das Gesicht an seiner Brust und weinte. Markus legte seine Hand auf seinen Rücken und strich sanft darüber. Jonas konnte ihm nicht sagen, dass Matthias da gewesen war und er ihn geküsst hatte. Denn dann würde er sicherlich ausflippen.
„Lass mich fahren, okay? Holen wir uns auf dem Weg was zu essen und machen uns einen gemütlichen Abend im Hotel. Und dann reden wir, wie es weitergeht. Mit uns", sagte er und klang dabei so vernünftig, wie Jonas ihn schon seit Jahren nicht mehr gehört hatte. Er nickte an seiner Brust, löste sich von ihm und stieß die Fahrertür auf, bevor er eilig ums Auto herumlief.
Unwillkürlich warf er einen Blick zurück zum Haus, in der Erwartung Matthias noch einmal zu sehen, aber dort war niemand. Er war ihm nicht hinterhergelaufen. Aber warum auch? Er hatte ihm nur allzu deutlich gesagt, dass er das mit ihnen nicht mehr konnte und all seine Versuche zur Aussprache abgewiesen. Hoffentlich würde er das nicht bereuen.
Mühsam riss er den Blick los, setzte sich nun auf die Beifahrerseite und schnallte sich an. Markus startete den Motor, sah ihn aber fragend an.
„Wo muss ich lang fahren?", fragte er und erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass Markus hier keinerlei Orientierung hatte. Jonas räusperte sich und zwang sich zurück ins Hier und Jetzt.
„Ehm... du musst erst einmal wenden und dann hinten am Ende der Straße nach links", sagte er und nach einem unbeholfenen Schulterblick setzte Markus an, um den Wagen zu wenden. Noch einmal räusperte Jonas sich, straffte die Schultern und sah auf die Straße. Erst da fiel ihm wieder ein, dass er noch das Foto in seiner Hosentasche hatte. Allerdings wagte er es nicht, in Markus Gegenwart herauszuholen, also musste es wohl noch eine ganze Weile darin bleiben.
„Es tut mir leid, dass ich dich heute Morgen und auch vorhin so angegangen habe. Mir war nicht klar, dass das Ganze für dich vielleicht nicht ganz so leicht ist, wie ich es gerne hätte. Immerhin warst du mit ihm lange zusammen", plapperte Markus drauf los, was in Jonas den unbändigen Wunsch auslöste, ihm endlich mal die Meinung sagen zu können. Ihm an den Kopf zu werfen, dass er verdammt noch mal nur für eine Stunde den Mund halten sollte. Aber natürlich wagte er es nicht, ihm das zu sagen, sondern er fühlte sich wieder klein, schüchtern und vollkommen verunsichert.
„Schon okay", brachte er nur hervor und spürte genau in diesem Moment Markus Hand auf seiner.
„Ich meine es ernst, ich werde mich bessern. Ich will nicht, dass du deine Entscheidung für mich bereust", sagte er so selbstsicher, dass Jonas übel wurde. Er hatte noch gar nicht endgültig gesagt, dass er sich selbst nicht verzeihen konnte und deswegen nicht mehr mit Matthias zusammen sein konnte. Markus ging einfach davon aus.
Für eine Sekunde fühlte es sich sehr verlockend an, Markus von dem Kuss zu erzählen, aber sicherlich wäre das beim Autofahren keine gute Idee. Also schwieg Jonas, lauschte Markus Geplapper, von seinen Zukunftsplänen und seinen Versprechungen, bis sie schließlich an einer Imbissbude hielten.
„Bleib ruhig sitzen, ich hole uns was", sagte Markus, stieß die Autotür auf und eilte das kurze Stück die Straße entlang zum Imbiss. Verwundert sah Jonas ihm im Rückspiegel nach, denn bisher hatte Markus für ihn noch keinen Cent ausgegeben. Abgesehen von diesen Ringen, die er mit Sicherheit schon eine ganze Weile lang bei sich zu Hause rumliegen hatte.
Unruhig rutschte er in dem Sitz hin und her, aber irgendwie kam er nicht wirklich zur Ruhe. Matthias geisterte noch immer in seinem Kopf herum und er hörte durchgehend zwei Stimmen in sich streiten, so als hätte er sprichwörtlich ein Engelchen und ein Teufelchen auf seiner Schulter sitzen. War es albern, was er tat? Würde er in ein paar Tagen aufwachen, sich fragen, ob er eigentlich vollkommen bescheuert war und zu Matthias zurückkehren? Voller Reue, dass er sich wie ein unreifer Teenager benommen hatte? Würde Matthias ihm noch immer verzeihen? Oder würde er sich tatsächlich irgendwie mit Markus arrangieren können? Seinen Job hier aufgeben und mit ihm zurück nach Frankreich gehen? Könnte er mit Markus an seiner Seite glücklich werden?
Ein Seufzen entfuhr ihm, doch genau in diesem Moment spürte er sein Handy in seiner Hosentasche vibrieren. Auch wenn er eigentlich im Moment nicht noch mehr Stress gebrauchen konnte, zog er es heraus und las die erhaltene Nachricht durch. Zu seiner Überraschung war sie von Antoine.
„Wie geht es dir? Was war los, bist du wieder zurück zu Hause?", schrieb sein Freund und augenblicklich spürte er wieder, wie wütend und enttäuscht selbst Antoine von ihm war, dass er sich wieder auf Markus eingelassen hatte. Jeder in seinem Freundeskreis wusste, dass Markus alles andere als liebevoll und einfühlsam sein konnte und jeder wusste auch, warum ihre Beziehung damals vor vielen Jahren auseinander gegangen war.
Jonas entschied sich, ihm zu antworten. Immerhin war Markus noch immer in der Imbissbude verschwunden. Er überlegte, was er ihm schreiben sollte, denn eigentlich wusste er selbst gar nicht, wie es ihm ging und was genau los war. Zögernd schwebten seine Finger über der Tastatur und er bemerkte, dass er auf seiner Lipper herumkaute. Nach ein paar Sekunden hatte er sich jedoch ein paar passende Worte zurechtgelegt.
„Ich weiß nicht, wie es mir geht. Ziemlich viel auf einmal. Ich glaube, ich habe gerade mit Matthias Schluss gemacht und werde nun mit Markus zusammen sein. Zumindest so was in der Art."
Ihm war klar, wie verwirrt seine Nachricht klang, aber bevor er länger darüber nachdachte, schickte er sie ab. Sofort färbten sich die Häkchen unten in der Ecke blau und er erkannte, dass Antoine eine Antwort eingab. Das Warten machte ihn ganz verrückt und er kramte ungeschickte eine Zigarette aus der Dose, die wie immer in seiner Hosentasche war und zündete sie an. Er warf das Feuerzeug zurück in die Mittelkonsole, öffnete das Fenster einen Spaltbreit und sog gierig den giftigen Rauch ein.
„Bitte was? Du willst wirklich wieder mit Markus zusammen sein? Bist du dir wirklich sicher? Ich meine, du musst das nicht aus Schuldgefühlen machen. Erinnerst du dich nicht mehr daran, wie mies er dich früher behandelt hat?", fragte Antoine und Jonas konnte seine Entrüstung förmlich in seinen Worten lesen. Natürlich war sein bester Freund nicht damit einverstanden, wahrscheinlich fand niemand in seinem Umfeld es gut, wenn er zu Markus zurückging. Aber was hatte er denn für eine Wahl?
Plötzlich durchzuckte es ihn wie ein Blitz. Natürlich hatte er eine Wahl. Er hatte seine Beziehung mit Matthias durch seinen blöden Fehler kaputt gemacht, das war klar, aber wieso musste er denn dann im Umkehrschluss mit Markus zusammen sein? Er konnte sich auch allein eine Wohnung suchen und mit niemandem zusammen sein. Dann könnte er wenigstens niemanden mehr verletzen.
Allein bei diesem Gedanken schossen ihm Tränen in die Augen. Er erinnerte sich, dass er zwei Jahre Single gewesen war, bevor er Matthias kennengelernt hatte. Zwei sehr unglückliche Jahre waren das gewesen. War er unfähig, allein zu sein? Vermutlich. War es wirklich schlimmer, als mit Markus zusammen zu sein? Vermutlich auch das.
„Er meint es ernst mit mir und vielleicht gebe ich dem Ganzen eine Chance", antwortete er Antoine, wusste aber gleich, dass das eine ziemlich schwache Antwort war. Wieder antwortete Antoine sofort.
„Wie du meinst. Ich finde es nur nicht richtig. Du hast jemand Besseres verdient als ihn und das meine ich ganz ehrlich als dein Freund. Er ist kein guter Mensch und das weißt du. Er ist ein Plappermaul."
Die Wahrheit schmerzte, auch wenn er sie eigentlich schon kannte. Antoine hatte recht, aber im Moment fehlte ihm einfach die Kraft dazu, rational zu denken und eine rationale Entscheidung zu treffen.
„Mag sein. Ich brauche einfach mal eine Pause von allem. Ich fühle mich vollkommen überfordert", schrieb er, dann stellte er sein Handy auf lautlos und schob es zurück in seine Hosentasche. Er schnippte ein wenig Asche von seiner Zigarette durch den kleinen Spalt am Fenster und beobachtete, wie sie auf der anderen Seite der Scheibe nach unten flog. Gerade, als er noch einmal an seiner Zigarette zog und anschließend den Stummel nach draußen flitschte, sah er im Seitenspiegel Markus Gestalt. In der Hand trug er eine weiße Plastiktüte mit Styroporboxen darin und wie auf Kommando knurrte sein Magen. Er beobachtete Markus, bis er ans Auto kam und die Beifahrertür öffnete.
„Hier, halt das mal", sagte er, drückte ihm die Tüte in die Hand und schlug die Beifahrertür wieder zu. Jonas roch fettige Pommes und stellte das Essen in den Fußraum, während Markus sich ins Auto hievte.
„So, dann fahren wir mal ins Hotel. Wo geht es lang?", fragte er und sah ziemlich gut gelaunt zu ihm herüber. Jonas schaffte es nicht, sein Lächeln zu erwidern, erklärte ihm aber den Weg, der zum Glück nicht mehr weit war.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top