Kapitel 4 - Jonas
Auch wenn Jonas erleichtert war, dass Matthias sich um das Essen kümmerte, fühlte er sich schlecht, dass er ihn in der letzten Zeit so viel allein ließ. Allerdings konnte er sich einfach nicht mehr aufraffen, wenn er einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich hatte. Meistens saß er hier am Esstisch, genau wie jetzt, und beobachtete ihn, wie er in der Küche hantierte. Matthias hatte entschieden, dass es heute einfach nur Tiefkühlpizza gab, die er gerade in den Ofen schob.
Anschließend drehte er sich zu ihm um, lehnte sich mit der Hüfte an die Arbeitsplatte und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Blick klebte am Boden, bis er sich räusperte und ihm so direkt in die Augen sah, dass Jonas zusammenzuckte. Es war klar, dass er im Moment nicht wirklich zufrieden war, aber er konnte nichts daran ändern. Nicht im Moment.
„Wie war dein Tag?", fragte Jonas dennoch und versuchte sich an einem Lächeln. Matthias sah ihn einfach nur an, die Lippen zu einem geraden Strich verzogen. Er dachte über etwas nach, ganz eindeutig. Jonas bekam ein schlechtes Gewissen. Er war Schuld daran, dass ihre Beziehung litt. Nicht, dass er glaubte, Matthias wäre nicht mehr glücklich mit ihm, aber ewig konnte es so nicht mehr weitergehen.
Mühsam erhob Jonas sich, wobei seine müden Knochen knackten. Langsam ging er auf Matthias zu, streckte die Hand nach ihm aus und legte sie an seine Wange. Für einen Moment schloss Matthias die Augen und schmiegte seine Wange an seine Hand, doch dann griff er nach seinem Handgelenk und nahm seine Hand herunter. Stattdessen verschränkte er seine Finger mit seinen und suchte seinen Blick. Auf einmal wirkte Matthias, als wollte er dringend etwas loswerden.
„Bist du okay?", fragte er und bemühte sich, möglichst aufmerksam zu sein.
„Ja, ich... na ja, Esra hat mir da eben was gesagt", setzte er an, legte aber anstatt weiterzureden seine Hand an seine Hüfte. Seinen Finger schob er wie so oft in seine Gürtelschlaufe und zog ihn einen Schritt näher an sich heran. Sofort durchfuhr Jonas eine angenehme Wärme.
„Was denn?", hakte er nach, woraufhin Matthias anfing, auf seiner Lippe herumzukauen.
„Sie... sie ist schwanger und...", sagte er, unterbrach sich aber, als Jonas ein Keuchen entwich. Was hatte er da gerade gesagt?
„Bitte?", fragte er, die Augen weit aufgerissen. Tausend Gedanken schossen in seinen Kopf, die sich nur nach und nach zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzten. Esra, die Ex-Freundin von Matthias, mit der er zwei Kinder hatte, war schwanger. Das bedeutete, sie hatte Sex. Mit... Jonas glaubte, dass der Boden unter ihm anfing zu schwanken. Wollte er etwa damit sagen, dass... Nein! Nein, das glaubte er nicht. Das würde er nicht tun. Sie liebten sich doch!
„Hey, ich habe nichts damit zu tun. Du musst keine Krise bekommen", sagte Matthias, hob abwehrend die Hände und bohrte seinen Blick in ihn. Komischerweise wirkte er nicht belustigt, dass er wieder einmal eifersüchtig wurde, so wie er normalerweise reagiert hätte. Er sah ihn einfach nur ausdruckslos, beinahe wütend an.
Verlegen fasste er sich in den Nacken und bemerkte, dass seine Muskeln ganz verspannt waren.
„Ich... ich habe nicht gedacht, dass...", stammelte er, was Matthias mit einem Schnauben kommentierte.
„Ach nein? Du hast nicht im ersten Moment gedacht, dass ich der Vater bin?", fragte er ungewöhnlich angriffslustig. Verwirrt zog Jonas die Augenbrauen zusammen. Er wurde nicht ganz schlau aus seiner Reaktion, denn normalerweise war Matthias alles andere als hitzig. Jonas trat wieder näher an ihn heran und legte die Hände auf seine Schultern.
„Matthias, natürlich habe ich kurz daran gedacht, genau so, wie du es in meiner Situation getan hättest. Aber mir ist klar, dass du nicht mit ihr geschlafen hast", sagte er bemüht ruhig, allerdings machte Matthias sich von ihm los und fing an, unruhig auf und ab zu wandern.
„Was... was ist los?", fragte Jonas, folgte seiner Wanderung mit dem Blick und versuchte an seiner versteinerten Miene zu lesen, was wirklich mit ihm los war. Sicher, dass Esra schwanger war kam unerwartet, aber es würde ihn sicherlich nicht so aus der Bahn werfen.
Auf einmal blieb Matthias stehen und zeigte mit dem Finger drohend genau auf sein Gesicht. Jonas entfuhr ein erstickter Laut, denn er war sich keiner Schuld bewusst, die ihn so wütend werden ließ. Ja, er hatte wenig Zeit, aber das würde sich auch irgendwann wieder legen.
„Weißt du, das ist ganz schön heuchlerisch von dir", fuhr er ihn an, offensichtlich ziemlich geladen. Jonas hob beschwichtigend die Hände, denn abgesehen davon, dass er heute Abend wirklich keine Kraft mehr hatte, sich mit ihm zu streiten, musste das hier alles ein riesiges Missverständnis sein.
„Was meinst du?", fragte er und durchforstete sein Hirn nach irgendeinem Hinweis, was Matthias so sehr stören konnte. Es musste schon einige Tage zurückliegen, denn wenn er explosionsartig so wütend wurde, hatte er es schon eine Zeitlang in sich hineingefressen und nun brach es sich Bahn.
Matthias lachte freudlos auf und stemmte die Hände in die Hüften.
„Ich weiß von der Nachricht", sagte er leise und bedrohlich. Jonas war vollkommen verwirrt.
„Welche Nachricht?"
Wieder lachte Matthias, eine Spur hysterischer als zuvor. Panisch überlegte Jonas, was er meinte. Nachricht. Was für eine Nachricht? Wieder packte er Matthias an den Schultern, was ihn zum Glück ein wenig zu beruhigen schien.
„Welche Nachricht? Ich weiß wirklich nicht, was du meinst", wiederholte er eindringlich und suchte seinen Blick. Matthias kratzte sich mit dem Daumen an der Stirn, schüttelte den Kopf und sah ihm schließlich in die Augen.
„Du hast Kontakt mit Markus. Ich habe gesehen, dass er dir eine Nachricht geschrieben hat. Er hat Gefühle für dich", antwortete Matthias mit ruhiger Stimme, allerdings fing sein Körper an zu beben. Überrascht riss Jonas die Augen auf, denn weder hatte er damit gerechnet, dass Matthias das mitbekommen hatte noch dass es ihn stören würde.
„Das ist doch schon zwei Wochen her und... Kontakt haben würde ich das nicht nennen. Du weißt, dass er mir hin und wieder schreibt und wir wissen beide, dass er denkt, er würde noch etwas für mich empfinden", sagte er, denn das war die Wahrheit. Matthias wusste all das und er begriff nicht, warum es ihn auf einmal störte.
„Tsss", machte er nur, wandte sich von ihm ab und ließ sich kopfschüttelnd am Esstisch nieder. Er fuhr sich mit dem Fingern durchs Haar, wodurch es in alle Richtungen abstand. Langsam ging Jonas zu ihm und schlang von hinten die Arme um ihn.
„Du weißt, dass Markus keine Rolle mehr in meinem Leben spielt. Er ist eben ein wenig verrückt, aber ich reagiere nicht auf seine Nachrichten. Er interessiert mich wirklich nicht im geringsten", sagte er leise an seinem Ohr und hoffte, dass Matthias sich wieder beruhigte. Denn das war die Wahrheit. Markus, sein Ex, interessierte ihn nicht mehr. Ja, er schrieb ihm ein oder zwei Mal im Monat Nachrichten, die er ignorierte und ja, Markus war sein wunder Punkt. Aber nicht, weil er noch Gefühle für ihn hatte. Immerhin waren sie schon viele Jahre getrennt, sondern weil Markus ziemlich gut darin war, ihn zu manipulieren und ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Vermutlich war er damals als unerfahrener 18-Jähriger, der noch nicht wirklich zu sich selbst gefunden hatte, zu unsicher gewesen und hatte jemand Narzisstischen wie Markus gebraucht.
„Blockier ihn", forderte Matthias trocken. Jonas schluckte. Erst da wurde ihm klar, dass er vielleicht nicht ganz so unschuldig war, wie er sich gefühlt hatte.
„Du hast recht. Ich blockiere ihn", sagte er, wusste aber, dass er es nicht tun würde. Warum konnte er gar nicht so recht sagen. Zwar nervten ihn die meist gefühlsduseligen Nachrichten von Markus, aber komischerweise wollte er sie auch nicht missen. Matthias schüttelte kaum merklich den Kopf.
„Was hat dieser Kerl nur an sich, dass du nicht von ihm los kommst?", fragte er, glücklicherweise nicht mehr ganz so in Rage. Jonas schluckte schwer.
„Er war mein erster Freund nachdem ich wusste, dass ich auf Männer stehe. Das ist etwas Besonderes. Aber er ist Vergangenheit. Ich liebe ihn nicht mehr, sondern dich. Du weißt das", sagte er eindringlich und presste ihm einen Kuss auf die Wange. Matthias seufzte herzzerreißend.
„Ich mache mir nur ein wenig Gedanken wegen dem Wochenende. Du bist in Frankreich, wo er auch ist und...", setzte er an, was Jonas lachen ließ. Er drückte Matthias noch etwas fester und schmiegte seine Wange an seine.
„Antoine ist doch gar nicht mit ihm befreundet. Nur weil ich in dem Ort auf einem Geburtstag eingeladen bin, heißt das doch nicht, dass ich ihm über den Weg laufe."
Matthias schwieg.
„Wirklich nicht. Ich werde ihn nicht sehen. Du musst nicht eifersüchtig auf jemanden sein, der mich gar nicht interessiert", fuhr er fort, was Matthias mit einem Brummen beantwortete.
„Es wäre mir trotzdem lieber, wenn du hier bleibst. Oder dass ich mitkomme. In Frankreich passieren immer schlimme Dinge, wenn du da bist", sagte er, schüttelte ihn ab und erhob sich wieder.
Jonas lachte, wurde gleichzeitig aber schwermütig. Leider hatte er da gar nicht so Unrecht. Ganz am Anfang ihrer Beziehung, als sie gerade ein paar Wochen zusammen gewesen waren, hatte er in einer Disko in Frankreich einen anderen geküsst. Aber das war schon lange her, seine und auch Matthias wilde Selbstfindungsphase war vorbei. Sie waren doch jetzt eine Familie. Fehlte nur noch, dass Matthias ihm endlich die eine Frage stellte, aber darauf würde er sicherlich noch lange warten.
„Du hast Markus in Frankreich geküsst", bemerkte Matthias, während er zum Backofen schlenderte und einen Blick hinein warf. Autsch. Ja stimmt, der andere damals war Markus gewesen.
Jonas entschied sich, es ins Lächerliche zu ziehen.
„Oh weißt du, ich hatte auch mein erstes Mal in Frankreich. Und ich war das erste Mal betrunken, habe meine erste Zigarette geraucht und alle meine Freunde wohnen da", sagte er und bemerkte erst als es ausgesprochen war, wie sarkastisch er klang. Matthias warf ihm einen verächtlichen Blick über die Schulter zu.
„Schon kapiert. Ihr Franzosen seid nur komisch, wenn ihr feiern geht", sagte er, holte einen Teller aus dem Schrank und beförderte mit dem bloßen Finger mit einer schnellen, ziemlich ungeschickt wirkenden Bewegung die Pizza auf dem Blech immer weiter in Richtung Teller.
„Du musst dir wirklich keine Gedanken machen. Soweit ich weiß, treffen wir uns bei Antoine zu Hause. Wir sind doch viel zu alt für die Disko", sagte er, auch wenn er sich da gar nicht so sicher war. Auch wenn Antoine genau wie er 36 wurde, ließ ihn die Aussicht auf eine lange Nacht in dem einzigen Club in dem kleinen französischen Ort vorfreudig werden.
Noch einmal sah er zu Matthias, der gerade scharf die Luft einzog und mit der Hand wedelte, während die erste Pizza endlich auf den Teller rutschte.
„Was machst du da eigentlich?", fragte er, trat näher an ihn heran und schob ihn an der Schulter beiseite. Er holte eine Gabel aus der Besteckschublade, nahm den bereitgestellten Teller und schob nicht wirklich sehr viel geschickter die zweite Pizza auf den Teller.
„Das sah nicht wirklich besser aus", bemerkte Matthias und endlich legte sich ein Grinsen auf seine Lippen.
„Ein bisschen besser schon", zwinkerte er, beugte sich zu ihm und küsste ihn.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top