Kapitel 38 - Jonas

Mit einem herzzerreißende Seufzen ließ Jonas sich aufs Bett fallen, legte die Arme überkreuzt über seine Augen und wartete, dass die Entspannung einsetzte. Allerdings fühlte er sich mehr und mehr angespannt, sodass seine Schultern mit Sicherheit ein einziger harter Block waren. 

„Ich gehe schnell duschen, okay?", fragte Markus, woraufhin er nur schwach nickte, ohne die Arme herunterzunehmen. Anscheinend war Markus taktvoll genug, ihm ein paar Minuten der Ruhe zu gönnen, denn er hörte, wie er die Badezimmertür schloss und das Wasser in der Dusche anstellte. 

Jonas atmete auf, nahm die Arme endlich herunter und rollte sich auf die Seite. Unweigerlich ließ er den Tag Revue passieren. Markus schien ihn keine Sekunde mehr aus den Augen lassen zu wollen. Er war anhänglich, eigentlich sogar mehr als das. Für ihn schien es sonnenklar zu sein, dass sie so lange hier in diesem Hotel bleiben würden, bis er seine Zelte hier abgebrochen hatte und sie gemeinsam nach Frankreich gingen. Wo sie heiraten würden. 

Jonas Herz setzte einen Schlag lang aus, denn immer schon hatte er davon geträumt, von einem starken, fürsorglichen und gutaussehenden Mann einen Ring an den Finger geschoben zu bekommen zusammen mit dem Versprechen, bis an ihr Lebensende mit ihm zusammen zu sein. 

Ein angenehmes Kribbeln breitete sich auf seiner Haut aus, denn er erinnerte sich, dass er schon als Teenager davon geträumt hatte. Damals, als er sich noch gar nicht sicher gewesen war, was nicht mit ihm stimmte. Warum in seiner Fantasie ein Mann vorkam und nicht eines der hübschen, blonden Mädchen aus seiner Klasse. Mit einem von ihnen hatte er sogar einmal so etwas wie eine Beziehung geführt, hatte sich mit ihr getroffen und sogar mit ihr geschlafen. Aber all das hatte sich nie wirklich richtig angefühlt. Sicher, er war verliebt in sie gewesen, zumindest irgendwie, aber erst als Markus aufgetaucht war, hatte er begriffen, was es bedeutete, jemanden zu lieben. Wie erfüllend körperliche Nähe sein konnte. Wie sehr er Markus damals angehimmelt hatte, einen richtigen Mann. 

Er war einige Jahre älter als er selbst, ziemlich genau sechs, was für ihn als Achtzehnjährigen wahnsinnig erwachsen und aufregend gewesen war. Ja, Markus hatte ihn eine ganze Zeit lang auf Händen getragen, ihn so behandelt, wie er es sich immer gewünscht hatte, auch wenn Markus schon immer manipulativ und egoistisch gewesen war. Aber immerhin war er damals noch attraktiv gewesen und hatte sich nicht so gehen lassen. Jonas war alles andere als oberflächlich, auch wenn viele das von ihm dachten, aber es war nicht nur Markus Leibesfülle, die ihm nicht gefiel. Es war viel mehr der fehlende Glanz in seinen Augen, seine kränkliche Gesichtsfarbe und natürlich auch die Spuren des Alters, die ihn besonders hart getroffen zu haben schienen. 

Jonas entfuhr ein Seufzen, denn auch der Grund, warum ihre Beziehung damals zerbrochen war, tauchte vor seinem inneren Auge auf. Markus hatte ihn betrogen. Mit einer Frau. Komischerweise hatte ihn dieser Umstand sehr verunsichert und er glaubte, dass er es weniger schlimm gefunden hätte, wenn er ihn mit einem anderen Mann betrogen hätte. Natürlich hätte das nichts an seiner Entscheidung ihn zu verlassen geändert, aber unweigerlich waren ihm Gedanken wie Kein Mann wird dich jemals so sehr wollen, dass es ihm reicht und Du bist für das, was du willst nicht gut genug gekommen. Selbstzweifel hatten ihn zerfressen und es hatte einige Monate gedauert, bis er wieder einigermaßen klargekommen war. Dann war Matthias aufgetaucht. 

Jonas zog die Beine an und umklammerte sie mit den Armen, denn die Erinnerung an den Tag, an dem er Matthias getroffen hatte, schmerzte ungemein. Sie hatten sich in der Disko das erste Mal getroffen. An der Bar hatte Jonas ihn angesprochen, nachdem er ihn schon einige Minuten lang beobachtet hatte. 

Er bemerkte, wie seine Mundwinkel für eine Sekunde nach oben zuckten. Es war eigentlich gar nicht seine Art, Typen anzusprechen, aber er hatte Matthias nicht gehen lassen können. Seine leicht verpeilte Art, die dunklen Augen und sein Lachen hatten ihm sein Herz gestohlen, schon in der ersten Sekunde. 

Ein Geräusch riss Jonas aus seinen Erinnerungen und beinahe ertappt sah er zu Markus, der vollkommen unbekleidet aus dem Bad kam, das Haar noch feucht und ein eindeutiges Grinsen auf dem Gesicht. So unersättlich konnte wirklich niemand sein. 

Jonas schluckte schwer, denn komischerweise störte es ihn, dass Markus offensichtlich nur seinen Körper wollte. Eilig stieg er aus dem Bett und wollte sich an ihm vorbei ins Bad schleichen, aber natürlich hielt Markus ihn auf, indem er ihm den Weg versperrte. 

„Küss mich", forderte Markus, führte seine Hand unter sein Kinn und zwang ihn so, ihn anzusehen. Jonas sah ihn einen Moment lang an, ohne seine Lippen näher an seine zu bewegen. 

„Jonas. Küss mich", wiederholte Markus seine Bitte, nein, seine Anweisung, doch auch dieses Mal weigerte Jonas sich. Er konnte gar nicht genau sagen warum, vielleicht weil er einfach nur noch schlafen wollte und das am liebsten für eine Woche. Markus schien ihn mit seinem Blick zu durchdringen, bis er blitzschnell einen Kuss auf seine Lippen drückte und anschließend von ihm abließ. Er ging zum Bett und ohne es verhindern zu können sah Jonas ihm über die Schulter nach. Offensichtlich war er sich seines Blickes bewusst, denn er grinste süffisant. 

Mühsam riss Jonas den Blick los und verschwand im Bad. Sofort fühlte er sich ein wenig erleichtert, auch wenn Markus durch den fehlenden Schlüssel jederzeit hereinkommen konnte. Eilig zog Jonas sein Muskelshirt über den Kopf und warf es auf den Boden. Anschließend zog er das Handy aus der Hosentasche, legte es auf dem Rand des Waschbeckens ab und stieg aus seiner Jeans, die zu seinem Oberteil wanderte. 

Unwillkürlich huschte sein Blick auf sein Handy, aber niemand hatte sich bei ihm gemeldet. Natürlich nicht, immerhin waren im Moment ziemlich viele Leute sauer auf ihn. Na ja, zumindest Antoine und... Er seufzte, entledigte sich seiner restlichen Kleidung und stieg unter die Dusche. 

Je öfter er an Matthias dachte, um so mehr schmerzte es, gleichzeitig wurde ihm klar, dass er in immer weitere Entfernung rückte, je länger er hier mit Markus blieb und einem klärenden Gespräch aus dem Weg ging. 

Jonas beeilte sich und duschte in Windeseile, damit er schnell schlafen und so nicht mehr von seinen Gedanken gequält wurde. Er drehte das Wasser ab, öffnete mit einem leisen, schmatzenden Geräusch die Duschtür und griff nach seinem Handtuch. Erst da bemerkte er, dass er mal wieder seine Kontaktlinsen vergessen hatte und er wandte sich zum Waschbecken, um sie in das kleine Döschen zu tun. 

Seine Sicht verschwamm augenblicklich und er blinzelte ein paar Mal, bis er sich daran gewöhnt hatte. Anschließend trocknete er sich ab und verließ das Bad. Sein Blick wanderte zu Markus, der inzwischen mit einer Unterhose bekleidet im Bett lag und auf seinem Handy herumtippte. 

Erst da fiel Jonas ein, dass seines noch im Bad lag und er ging zurück, um es zu holen. Wieder wanderte sein Blick unwillkürlich darauf, aber logischerweise hatte sich niemand in den letzten zehn Minuten gemeldet. 

Er ging zurück in den Schlafraum, kramte in der Tüte mit seinen neuen Klamotten nach einer frischen Unterhose und riss das Schildchen mit den Zähnen ab. Eigentlich hätte er sein neues Zeug vor dem Tragen einmal durchgewaschen, aber das ging im Moment eben nicht. Er brachte sein Handtuch zurück ins Bad, warf es aber nur ins Waschbecken, da er keine Lust hatte, es aufzuhängen und huschte anschließend ins Bett. 

Sein Handy schloss er ans Ladekabel an, kontrollierte noch einmal, ob sein Wecker auch eingeschaltet war und zog das dünne Laken über sich, das als Decke diente. Das Deckenlicht war noch immer eingeschaltet und fragend sah er zu Markus, der ihn bisher ignoriert hatte und auch jetzt noch immer auf sein Handy starrte. 

„Können wir das Licht ausmachen?", fragte er, woraufhin Markus ihm endlich den Blick zuwandte und sein Handy zur Seite legte. 

„Liebst du mich?", fragte er auf einmal und überrumpelte Jonas damit vollkommen. Seine Augen weiteten sich und er hatte keine Ahnung, was er darauf sagen sollte. Bilder von ihm und Markus blitzten vor seinem inneren Auge auf, wie sie sich küssten, wie sie Händchen hielten und wir Markus und er miteinander schliefen. All das hatte er in den letzten Tagen getan und er musste zugeben, dass er sich nicht dagegen gewehrt hatte. Vielleicht am Anfang, als er Markus Wohnung hatte verlassen wollen, aber spätestens seit sie hier waren nicht mehr. 

„Antworte mir. Liebst du mich? Ja oder Nein?", drängte Markus weiter und sah ihn wieder so durchdringend an, dass Jonas sich fühlte, als würde er auf die Größe einer Maus zusammenschrumpfen. 

„Ich... ich weiß es nicht", stammelte er, allerdings kam Markus Reaktion prompt. Vollkommen ungläubig sah er ihn an, als hätte er ihm gerade eröffnet, dass er plante, an den Nordpol zu ziehen. Markus Lippe zitterte, dann lachte er verächtlich. 

„Das kann nicht dein Ernst sein. Was soll das dann alles hier, wenn du mich nicht liebst?", fragte er aufbrausend und sofort erzielte es bei Jonas die ohne Frage beabsichtigte Wirkung. Er bekam ein schlechtes Gewissen. Wollte ihn nicht enttäuschen und erst recht nicht vor den Kopf stoßen. 

„Das habe ich doch gar nicht gesagt. Ich habe gesagt, dass ich es nicht weiß", sagte er mit überraschend fester Stimme, aber Markus schüttelte nur den Kopf und richtete den Blick an die Decke. 

„Du bist echt unglaublich. Ich habe dir mein Herz geschenkt, für unsere zweite Chance. Für unseren Neuanfang. Ich habe dir einen Antrag gemacht und glaub bloß nicht, dass mich das keine Überwindung gekostet hat, nachdem du mich schon so oft abgewiesen hast", redete Markus sich in Rage. Jonas Herz klopfte fest gegen seine Rippen. Natürlich wollte Markus ihm ein schlechtes Gewissen machen. Und genau dieser Umstand, dass er sich darüber bewusst war und es dennoch funktionierte, ließen Jonas für sich selbst nur noch Verachtung spüren. 

Sie beide schienen in den letzten Tagen am Rande des Abgrundes zu wandeln, ständig in Gefahr, von ihren Gefühlen über die Klippe geschubst zu werden. Auf einmal spürte Jonas so etwas wie Mut in seiner Brust. Ein warmes, aufsteigendes Gefühl, das unbedingt raus musste. 

„Du hast mich vollkommen überrannt mit all dem. Du wusstest ganz genau, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte und du nutzt das schamlos aus! Du zwingst mich förmlich dazu, hier bei dir zu bl..."

Markus fiel ihm ins Wort. 

„Wage es bloß nicht zu sagen, dass ich dich zu irgendetwas zwinge!"

Jonas schluckte schwer und sah, wie Markus aus dem Bett sprang und darum herum auf seine Seite lief. Er packte sein Handgelenk und zog daran. Verwirrt, was das nun wieder sollte, sah Jonas ihn an. 

„Na los, verschwinde doch, wenn ich dich dazu zwinge, hier bei mir zu sein. Hau ab! Verzieh dich und lebe mit der Gewissheit, dass du mir das gefühlt hundertste Mal in den letzten zehn Jahren das Herz in Fetzen gerissen hast! Du wusstest, dass ich dich liebe! Warum tust du mir das an?", schrie er so laut, dass Jonas ein wenig Angst bekam, dass sie jeden Moment aus dem Hotel geworfen wurden. Noch immer zerrte Markus an seinem Arm, aber Jonas war viel zu perplex, als dass er hätte reagieren können. 

„Steh schon auf und verschwinde!", rief Markus, zog plötzlich mit einer solchen Heftigkeit an seinem Arm, die Jonas ihm niemals zugetraut hätte und zwang ihn so, aus dem Bett aufzustehen. Markus Fingernägel bohrten sich in seine Haut, als er ihn unsanft in Richtung der Tür schob. Jonas ließ es zu, aus Angst, Markus würde ihm noch den Arm verdrehen oder so etwas, bis er ihm einen letzten Schubs gab. 

Jonas kam nur wenige Millimeter vor der Tür zum Stehen. Was zur Hölle war nur los mit Markus? Seit wann war er so... ruppig? Bestimmend war er immer gewesen, aber niemals hatte er ihn körperlich angegangen. Jonas wandte sich um und zuckte heftig zusammen, als er sah, dass Markus bis auf wenige Zentimeter an ihn herangekommen war. Unwillkürlich machte er einen Schritt zurück und spürte sogleich die Tür im Rücken. Markus trat noch näher, heftig atmend und Tränen auf den Wangen. Auf einmal legte Markus die Unterarme neben seinem Kopf an die Tür, sodass er ihn unweigerlich gefangen hielt, zumindest symbolisch. Jonas brachte keinen Ton heraus, er war eingeschüchtert und überrumpelt von Markus Reaktion. 

„Ich weiß, dass wir glücklich werden, wenn du endlich zu deinen Gefühlen stehst. Vergiss Matthias. Er wird dich nicht mehr wollen, wenn er erfährt, was du und ich getan haben", hauchte Markus so leise, dass er kaum zu verstehen war. Seine Stimme brach und er schniefte. Noch immer nagelte er ihn an der Tür fest, sodass Jonas sich keinen Millimeter rühren konnte. Markus schob seinen Fuß zwischen die seinen und lehnte sich ein Stück vor, sodass seine Hüfte gegen ihn gepresst wurde. Seinen linken Arm löste er von der Tür und ließ seine Hand ganz zärtlich über sein Schlüsselbein streifen. 

Jonas spürte, wie sein Körper gegen seinen Willen reagierte. Es kostetet ihn all seine Selbstbeherrschung, die noch nie sehr groß gewesen war, seine Hände bei sich zu behalten. 

„Sag schon, willst du verschwinden oder hier bei mir bleiben, bei dem Mann, der dich liebt, dich heiraten wird und dich glücklich machen wird?", hauchte Markus an seinem Ohr und augenblicklich wurde Jonas Haut von einer Gänsehaut überzogen und er keuchte, eine Mischung aus Erregung und Verzweiflung machte sich in ihm breit. Mit jeder Sekunde, die er länger hier blieb, in der er zuließ, dass Markus die Oberhand hatte, drückte er das Siegel fester auf sein Schicksal. 

Jonas wurde heiß und ihm wurde bewusst, dass Markus durchaus die Reaktion seines Körpers spüren musste. Als würde ihm genau das ebenfalls in diesem Moment klar werden, führte er seine Hand von seinem Schlüsselbein weiter nach unten und legte sie in seinen Schritt. Jonas keuchte und keine Sekunde später küsste Markus ihn. Heftig und dreckig und... heiß? 

Jonas war nicht mehr Herr seiner Gedanken, seiner Gefühle und seines Körpers. Er handelte instinktiv, was gleichzeitig unheimlich dämlich war. Er erwiderte den Kuss, rieb sich an Markus Hand und schlang die Arme um seinen Hals. Markus wirbelte ihn herum, drängte ihn zum Bett und warf ihn auf den Rücken. Jonas spürte, wie Markus ihm die Unterhose auszog und sich zwischen seine Beine kniete. Jonas schloss die Augen, um die Berührungen zu genießen. Markus Lippen umschlossen ihn und in diesem Moment schien Jonas alles zu vergessen. 

„Ich liebe dich", keuchte er und er glaubte, ein selbstgefälliges Grinsen auf in Markus Augen aufblitzen zu sehen.

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