Kapitel 32 - Jonas

Als Jonas den Fön abstellte, schwitzte er bereits wieder und hätte gleich noch einmal duschen können. Aber er wollte nur noch ins Bett, sich zusammenrollen und in Selbstmitleid zerfließen. 

Es war ganz allein seine Schuld, dass er in dieser Situation war. Schließlich war er mit Markus mitgegangen, hatte sich von ihm bequatschen lassen, ihn mitzunehmen und war nun nach der Arbeit zurück in dieses Hotelzimmer gekehrt. Er hatte wirklich schon mehr als eine Gelegenheit gehabt, zurück zu Matthias zu gehen, aber aus welchem Grund auch immer hatte er sie nicht genutzt. 

Er fühlte sich vollkommen kopflos, ausgebrannt und erschöpft. Markus brachte ihn durcheinander von seinen Versprechungen, vor allem, da sie mit Sicherheit ernst gemeint waren. 

Unwillkürlich drängte sich das Bild von seinem Antrag in seiner Wohnung in sein Hirn. Er schnaubte, schüttelte den Kopf und kramte auf dem Boden nach seinen Klamotten. Blöderweise hatte er seine letzte frische Unterhose, die er mit nach Frankreich genommen hatte, noch in seinem Rucksack neben dem Bett. So viel zum Thema kopflos. 

Er wickelte das Handtuch fest um sich, zog es absichtlich etwas höher und verließ das Bad. Ihm war klar, dass Markus auf ihn wartete. Obwohl seine Sicht ohne Kontaktlinsen verschwommen war, erkannte er Markus auf dem Bett. Er saß auf der Bettkante, die Beine weit gespreizt und genau wie er nur in ein Handtuch gewickelt. Jonas schluckte schwer und wandte den Blick ab, als er an ihm vorbeiging, um zu seinem Rucksack zu kommen. 

Markus Blick ruhte auf ihm, geifernd und gleichzeitig irgendwie zärtlich. Hartnäckig ignorierte Jonas ihn, zog den Reißverschluss seines Rucksacks auf und kramte darin herum, bis er die Unterhose und ein Muskelshirt gefunden hatte. Er knüllte beides in der Hand zusammen und wandte sich um, als Markus auf einmal aufsprang, den Arm um seine Taille schlang und ihn mit sich zum Bett zog. Jonas entfuhr ein überraschter Laut, als er zwischen Markus Beinen stand. Das Handtuch bedeckte Markus nur noch halbherzig. 

„Komm schon, Schatz. Ich bin so froh, dich endlich wieder zu haben", hauchte er, ließ seine Hand von seiner Taille zu seiner Hüfte wandern und signalisierte ihm durch eindeutigen Druck, dass er wollte, dass er sich hinkniete. Jonas schluckte schwer, denn sofort schlich sich Matthias in seine Gedanken. 

„Schatz, hör endlich auf, an ihn zu denken. Er will dich nicht mehr. Ich bin hier und ich liebe dich", drängte er weiter, allerdings hörte er auf, ihn nach unter zu drücken. Stattdessen erhob er sich, wodurch das Handtuch endgültig auf den Boden rutschte. Er legte seine Hände wieder an seine Taille, zog ihn enger an sich, sodass ihre Körper sich berührten und führte seine Lippen an seine. Es war ein sanfter Kuss, zärtlich und liebevoll und auch wenn Jonas Markus nicht liebte, spürte er, dass seine Gefühle echt waren. Markus liebte ihn, wollte ihn heiraten. 

Jonas entfuhr ein leises Keuchen, denn er musste daran denken, wie er und Markus, beide in schicken Anzügen und von ihren Freunden bejubelt aus dem Standesamt traten, Ringe an den Fingern. Eigentlich konnte er gar nicht so genau sagen, warum er die Vorstellung, verheiratet zu sein so schön fand, aber augenblicklich durchfuhr ihn ein wohliges Gefühl. 

„Küss mich endlich. Bitte", flehte Markus beinahe und als Jonas den Blick hob, sah er ihm direkt in die Augen. Ihre Lippen trennten nur wenige Zentimeter und in diesem Moment spürte er, dass Markus das alles vollkommen ernst meinte. Er spielte nicht mit ihm, er machte sich nicht nur einen Spaß daraus, ihn dazu zu bringen, Matthias zu betrügen. 

„Du... du liebst mich wirklich", stellte er fest, was Markus lachen ließ. Es war ein ungewohntes Geräusch und klang so, als hätte er schon eine ganze Weile nicht mehr gelacht. 

„So wirklich es nur geht. Ich verspreche dir hier und jetzt, dass ich meine dummen Fehler von damals niemals mehr wiederholen werde. Dadurch habe ich dich für fast zwölf Jahre verloren. Wäre ich damals nicht so dumm gewesen, säßen wir jetzt zusammen in unserem Haus, das wir gemeinsam gebaut hätten. Ringe an unseren Fingern und wir wären glücklich. Ich weiß, dass ich dich glücklich machen kann", sagte er und Jonas spürte, dass sein Herz schneller schlug. Er blinzelte ein paar Mal, denn natürlich erzählte er ihm das Blaue vom Himmel, aber es bestand durchaus die Chance, dass dieser Traum wahr werden könnte. 

„Weißt du, ich... hatte eine ganze Weile schon nicht mehr die Motivation, irgendetwas zu tun. Ich bin nur jedes Wochenende ins L'Affaire gegangen, in der Hoffnung, dass du irgendwann zu mir zurückkommst. Und das bist du", fuhr er fort und auch wenn das vollkommen verkorkst klang, war es auch romantisch. 

Alte Gefühle wallten plötzlich in ihm auf, denn schon einmal hatte er Markus geliebt, wirklich geliebt. Vielleicht hatte er ja recht und sie wären heute noch immer ein Paar, wenn er ihn damals nicht betrogen hätte. Aber... nein, er hätte Matthias nie getroffen, wenn Markus ihm nicht fremdgegangen wäre. Wahrscheinlich hätte es ihn nach seinem Studium zurück nach Frankreich gezogen, zurück zu dem Mann, den er einmal für die Liebe seines Lebens gehalten hatte. 

Jonas spürte, dass Markus womöglich recht hatte. Matthias hatte er hintergangen, wie er selbst hintergangen worden war. Sein schlechtes Gewissen machte es unmöglich, wieder mit ihm zusammen zu sein, also... Markus war hier und er liebte ihn. Vielleicht würde er seine Liebe für ihn wieder entfachen können, denn irgendwo, ganz tief in sich drin, steckte sicherlich noch ein Funke davon. 

Es geschah wie ganz von allein. Jonas streckte sich und küsste Markus. Dieser stieß erst einen überraschten, dann einen genüsslichen Laut aus, als er den Kuss erwiderte und schnell intensivierte. Jonas fühlte sich merkwürdig losgelöst, befreit von seinem schlechten Gewissen. Matthias war verloren, das konnte er nicht wieder hinbiegen. Und Markus... er war hier, versprach ihm die Dinge, die er hören wollte und schien ihn aufrichtig zu lieben. 

Nach einigen Augenblicken löste Markus sich von ihm und drückte ihn an den Schultern nach unten. 

„Bitte", hauchte er nur und auch wenn Jonas eigentlich viel zu müde war und dringend über all das hier schlafen musste, gehorchte er dieses Mal und erfüllte Markus seinen Wunsch.

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Jonas Augen fielen beinahe zu, aber er musste noch einmal aufstehen und sein Handy aus seiner Tasche holen. Immerhin hatte er hier keinen Wecker, sodass sein Handy herhalten musste. 

Möglichst leise stand er auf, denn Markus schien zu schlafen. Er tapste barfuß über den kratzigen Teppich und kramte sein Handy heraus. Als er auf die Home-Taste drückte und sich das Display einschaltete, kniff er geblendet die Augen zusammen. Sein Blick fiel auf die Uhrzeit, zumindest genug Schlaf würde er heute bekommen, vorausgesetzt er schlief innerhalb der nächsten Stunde ein. 

Allerdings zog ein kleines Symbol seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war eine kleine Sprechblase, die er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte. Neugierig und ein wenig verunsichert, wer ihm über Facebook schreiben würde, klickte er es an und sah die Nachricht, die sich öffnete. 

Sie war lang und es dauerte einen Moment, bis er realisierte, dass sie von Matthias war. Sofort setzte sein Herz einen Schlag lang aus und sein Blick huschte zu Markus, der von der ganzen Sache nichts mitbekommen zu haben schien. 

Damit er ihn nicht aufweckte, verzog er sich ins Bad. Jonas spürte, wie seine Hände zitterten, als er die Tür hinter sich schloss und sich auf den geschlossenen Klodeckel fallen ließ. Das durfte nicht wahr sein! Wie hatte er vergessen können, dass Matthias ihn so erreichen konnte? 

Seine Augen starrten auf den langen Text, ohne den Sinn der Worte zu begreifen. Viel zu verwirrt war er davon, dass er vor weniger als einer Stunde Markus einen geblasen hatte und das sich vollkommen bewusst darüber, was er tat. 

Sein Blick wanderte an die Decke und er atmete tief durch, bevor er wieder auf sein Handy sah. Er musste diese Nachricht lesen, denn auch wenn er im Prinzip eingewilligt hatte, bei Markus zu bleiben, würde er ohne zu zögern zurück zu Matthias gehen, wenn er ihm die Chance gab. Das war heuchlerisch und selbstsüchtig, aber er spürte, dass er Matthias mehr liebte als Markus. Sehr viel mehr. Er stützte die Ellbogen auf den Knien ab und setzte erneut an, um die Nachricht endlich zu lesen.

„Jonas, da du mich anscheinend blockiert hast und ich dich heute auf der Arbeit verpasst habe, ist das hier die einzige Möglichkeit, wie ich dich erreichen kann. Bitte komm nach Hause. Wir können über alles reden und ich bin sicher, wir finden eine Lösung. Ich will nicht, dass du aus meinem Leben verschwindest, dass du aus Aaliyahs und Duygus Leben verschwindest. Wir brauchen dich und wir lieben dich. Ich liebe dich! Bitte komm zurück, ich habe dir schon längst verziehen. Wir stehen das durch. Ich flehe dich an, komm zu mir zurück. Du hast ein schlechtes Gewissen, das weiß ich und ich kann es auch verstehen. Und vielleicht will ich auch, dass du noch eine Weile eines hast, aber es ist okay. Die Welt dreht sich weiter und wir beide stehen das zusammen durch. Komm nach Hause! Ich vermisse dich und ich liebe dich! M."

Jonas glaubte, unter ihm würde sich ein Loch auftun und er fiel geradewegs in die Hölle. Dorthin, wo er hingehörte. Wüsste Matthias, dass es nicht nur bei dem einen betrunkenen Ausrutscher geblieben war, dass er Markus aus eigenem Antrieb geküsst und noch mehr mit ihm gemacht hatte, würde er sicherlich anders denken. Vielleicht gab er jetzt vor, ihm zu verzeihen, aber wenn ein paar Wochen vergangen wären, der Alltag wieder einkehrte, dann würde er sicherlich immer und immer wieder daran denken müssen, was Jonas getan hatte. Panisch biss er sich auf die Zunge, damit er nicht anfing zu schreien. 

Auf einmal hörte er das Rascheln der Laken und panisch sprang er auf. 

„Schatz?", hörte er Markus Stimme. 

„Ich bin im Bad, ich komme jetzt", rief er, sammelte sich für einen Moment und schloss eilig die Nachricht von Matthias. Gerade als er die Klinke herunter drückte, wurde die Tür von außen geöffnet und Markus streckte den Kopf herein. In seinem Gesicht war die pure Angst zu sehen. Erleichtert atmete er auf. 

„Ich dachte schon, du hättest mich allein gelassen", sagte er und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, zu ihm zu kommen. Jonas fühlte sich merkwürdig, beinahe wie in Trance. Sein übermüdetes Gehirn war einfach nicht in der Lage so viele Gefühle zu verarbeiten. 

„Nein, ich... ich bin hier", sagte er mit kratziger Stimme, drängte sich an Markus vorbei und marschierte geradewegs ins Bett. 

„Ich bin total müde", sagte er noch, gerade als Markus sich neben ihn legte. 

„Schlaf schön. Morgen sieht die Welt sicherlich schon viel besser aus", murmelte Markus, schob seine Hand über die Matratze, bis er seine fand und verschränkte ihre Finger miteinander. Jonas presste die Augen zusammen, wohl wissend, dass er immer größeres Chaos anrichtete. 

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