Kapitel 30 - Jonas
Jonas lauschte an der Zimmertür des Hotels, aber er konnte nichts hören. Vielleicht war Markus ja verschwunden und er würde Zeit haben, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen, ohne die ganze Zeit von seinem Geplapper beeinflusst zu werden.
Er schob ein wenig ungeschickt die Karte in das Lesegerät und drückte die Tür auf, wobei die Plastiktüte raschelte, die an seinem Arm hing. Er hatte etwas zu Essen mitgebracht, denn er war sich nicht wirklich sicher, ob Markus daran gedacht hatte. Vermutlich ging er ohnehin davon aus, dass Jonas ihn einlud. Er betrat das Hotelzimmer und bemerkte sofort eine Bewegung im Augenwinkel.
„Hey, da bist du ja endlich!", rief Markus aus, kletterte unbeholfen aus dem Bett und kam auf ihn zugeeilt. Er trug nur eine Unterhose und ein weißes Polo-Shirt, aber er schien vor nicht allzu langer Zeit geduscht zu haben, denn sein Haar war noch feucht.
„Ich... ich habe was zu Essen mitgebracht", sagte er und hielt den Arm hoch, an der die weiße Tüte mit dem Essen vom Asia-Imbiss hing. Sofort leuchteten Markus Augen und er nahm ihm die Tüte ab. Er ging damit zurück zum Bett, wo er sich niederließ und die Tüte auf seinen Schoß stellte. Allerdings sah er anschließend zu ihm und sofort fühlte Jonas sich ein wenig unwohl. Sein musternder Blick schien ihn zu durchdringen und er hatte das Gefühl, dass er seine Gedanken lesen konnte.
„Wie war die Arbeit?", fragte Markus, allerdings entging ihm sein misstrauischer Unterton nicht. Jonas seufzte, ließ seine Umhängetasche auf den Boden gleiten und stieg aus seinen Schuhen. Er fühlte sich klebrig vom Schweiß, denn auch wenn sie in ihrem Büro im Keller recht kühl saßen, war es dort heiß und stickig gewesen.
Er seufzte nur, denn abgesehen davon, dass er ohnehin nicht über die Ermittlungen mit ihm sprechen durfte, wollte er eigentlich nur noch schlafen. Er war müde, denn die letzte Nacht war nicht nur kurz, sondern auch nicht wirklich erholsam gewesen.
Jonas wankte zum Bett, wo er sich neben Markus auf die Bettkante setzte und nahm die Styroporbox entgegen, die er ihm hinhielt. Er öffnete sie und nahm den vertrauten Geruch nach asiatischem Imbiss wahr, der augenblicklich dafür sorgte, dass ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Eilig riss er das Papier von den Stäbchen und schob sich eine erste Ladung der gebratenen Nudeln in den Mund. Genüsslich stöhnte er. Markus neben ihm kicherte leise, fing aber auch an zu essen.
„Ist gut, was?", fragte er, was Jonas nicken ließ.
„Ich war heute shoppen", berichtete Markus ungefragt, was Jonas überrascht die Augenbrauen hochziehen ließ. Er sah, dass Markus lächelte und mit dem Kopf hinter sich deutete. Erst da bemerkte Jonas eine Tüte, die auf der anderen Seite des Bettes stand.
„Ich kann es dir gleich mal zeigen, wenn du willst", fuhr er fort und grinste ihn an. Es war klar, dass Markus ihm seine Einkäufe zeigen wollte. Jonas seufzte.
„Ich bin ziemlich geschafft", sagte er und wandte den Blick auf sein Essen. Auf einmal schlichen sich Gedanken in sein Hirn, die er den ganzen Tag über ziemlich gut hatte verdrängen können. Matthias. Was er wohl gerade machte? Versuchte er, ihn zu erreichen? Jonas schluckte schwer, denn er hatte die Blockierung noch nicht wieder rückgängig gemacht, denn er konnte seine Vorwürfe im Moment noch nicht ertragen. Er war absolut noch nicht bereit, sich anzuhören, wie Matthias sich gefühlt hatte, als er von seinem Betrug erfahren hatte.
Ohne es verhindern zu können sah er für eine Sekunde zu Markus, der seinen Blick sofort erwiderte. Wenigstens einer hier schien glücklich zu sein.
„An was denkst du?", fragte Markus, der anscheinend bemerkt hatte, wie sehr er in Gedanken war. Jonas schluckte mühsam den Bissen, den er gerade im Mund hatte herunter, bevor er sprach.
„Ich... ich habe ein ziemlich schlechtes Gewissen", rutschte es ihm heraus, bevor er darüber nachgedacht hatte. Markus Reaktion kam prompt.
„Was willst du damit sagen? Bereust du... ich meine, willst du mir sagen, dass du lieber bei ihm sein willst? Nach allem, was wir besprochen haben? Ich dachte, wir wollen heiraten!", redete er sich an Rage und Jonas wurde klar, dass es im Moment sinnlos war, mit ihm zu diskutieren.
„Ich meine nur... ich habe ihn betrogen, da hätte jeder ein schlechtes Gewissen, oder nicht?", versuchte er, ihn etwas zu besänftigen, aber Markus schüttelte nur den Kopf.
„Du und dein Gewissen! Wenn du ihn wirklich so sehr lieben würdest, dann wärst du nicht mit zu mir gekommen. Darüber müssen wir auch gar nicht mehr diskutieren, diese Sache zwischen dir und ihm ist vorbei", sagte Markus bestimmt, oder vielleicht auch trotzig, da war Jonas sich nicht sicher. Allerdings war er sich ziemlich sicher, dass er Markus nicht mehr loswurde. Er hatte sich das selbst eingebrockt, er hatte Matthias verraten, ihre Beziehung durch seinen Verrat beendet. Nun musste er auch die Konsequenzen tragen. Dennoch schmerzte sein Herz und Tränen sammelten sich in seinen Augen. Eilig blinzelte er sie weg und versuchte, sich wieder aufs Essen zu konzentrieren. Allerdings gelang es ihm nicht wirklich und kurzentschlossen klappte er die Styroporbox zu und stellte sie auf den kleinen Nachttisch neben dem Bett. Markus tat es ihm gleich, stellte seine jedoch auf den kleinen Tisch gegenüber des Bettes.
„Also. Jetzt reden wir mal Klartext", forderte Markus, während er sich mit einem Seufzen wieder neben ihm niederließ. Jonas spürte seine Nähe, seine Wärme und seinen Atem auf seiner Haut, so dicht war er an ihn heran gerutscht.
„Du hast mit mir geschlafen. Das hättest du nicht tun müssen, es war deine freie Entscheidung. Wieso hättest du es tun sollen, wenn du glücklich mit diesem Kerl wärst? Der auch noch zwei Kinder hat, die du mit versorgen kannst", setzte Markus an, doch als er die Kinder erwähnte, stockte Jonas Atem.
Aaliyah, die er seit ihrer Geburt kannte. Und Duygu, die er durch die Pubertät bis ins Erwachsenenleben begleitet hatte. Wenn Markus wirklich glaubte, die beiden seien eine Belastung, dann lag er falsch. Sie waren eine Bereicherung und auch wenn sie nicht seine leiblichen Kinder waren, liebte er sie.
Er ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass seine Nägel sich in seine Handflächen bohrten. Wie hatte er all diese wunderschönen Dinge, die Matthias in sein Leben gebracht hatte, wegwerfen können? Für Markus, einen arbeitslosen, inzwischen nicht mehr wirklich attraktiven und manipulativen Kerl, der ihm schon einmal das Herz gebrochen hatte?
„Glaubst du wirklich, er nimmt dich noch? Das habe ich dir doch schon einmal gesagt: Du bist ihm fremdgegangen. Weißt du nicht mehr, wie du mich damals im hohen Bogen rausgeschmissen hast, nachdem du von meinem Ausrutscher erfahren hast? Du hast es verdorben, du hast ihn verloren!", plapperte Markus weiter auf ihn ein und mit jedem Wort rauschte es lauter in Jonas Ohren.
Dieser Typ quatschte und quatschte, bis man selbst daran glaubte, was er sagte. Das war schon immer so gewesen und hatte sich bis heute nicht geändert. Er wusste das und dennoch saß er hier bei ihm, erlaubte seine Nähe und machte ihm Hoffnungen, dass sie wieder ein Paar wurden.
„Aber ich bin hier. Ich liebe dich und ich weiß, dass du mich auch liebst. Sonst würdest du nicht hier sitzen", beendete Markus seinen Vortrag, allerdings wurde seine Stimme bei den letzten Worten so sanft und weich, dass Jonas Herz schwer wurde. Er hatte sich schon einmal in diesen Typen verliebt, als er 18 Jahre alt gewesen war und noch nicht so wirklich wusste, was er wollte. Seine ersten Erfahrungen mit einem Mann waren mit Markus gewesen, er hatte ihm gewissermaßen gezeigt, dass es okay war, mit einem Mann zusammen zu sein.
„Jetzt... jetzt sag doch auch mal was dazu, Schatz", sagte Markus und lachte unsicher. Jonas Kopf fühlte sich vollkommen leer an. Markus machte ihn ganz kirre mit seinem Geplapper, aber das war nun einmal seine Taktik und auch wenn er das wusste, konnte er sich seiner Wirkung nicht entziehen. Auf einmal legte Markus den Arm um seine Taille und zog ihn in seine Richtung.
„Komm schon her", forderte er und zog nun fordernder an ihm, eindeutig in seinem Wunsch, dass Jonas sich auf seinen Schoß setzte. Er schluckte, denn ihm war durchaus bewusst, dass Markus nur eine Unterhose trug.
„Ich... ich muss duschen, ich fühle mich total eklig", sagte er, stand auf und eilte in Richtung Bad. Allerdings griff Markus unerwartet schnell nach seinem Handgelenk und hielt ihn fest.
„Warte. Du entziehst dich mir. Du willst mich nicht", sagte Markus vollkommen emotionslos. Erschrocken wandte Jonas sich zu ihm um und als er seinen gebrochenen Blick sah, spürte er einen Stich in seinem Herzen. Es wäre gelogen, wenn er sagte, dass Markus ihm vollkommen egal war. Natürlich war diese Sache hier zwischen ihnen nicht mit seiner Liebe zu Matthias vergleichbar, aber irgendetwas war da. Vielleicht weil Markus seine tiefsten Sehnsüchte und Wünsche kannte und ihm genau das immer wieder versprach. Sie würden heiraten, glücklich werden und in Frankreich leben. Zumindest zwei dieser drei Dinge würde Matthias ihm nicht geben.
Ein Seufzen entfuhr ihm, aber er entwand Markus sein Handgelenk, ohne ihm zu antworten. Möglichst schnell huschte er ins Bad und griff nach dem Schlüssel, allerdings griff er ins Leere. Ein Schock durchfuhr ihn, als er realisierte, dass man die Tür nicht abschließen konnte. Vermutlich aus Sicherheitsgründen oder einfach nur, weil die Welt ihm nun die Quittung für sein Verhalten gab. Er wusste, dass Markus hereinkommen würde, wenn er unter der Dusche stand. Er wusste es einfach und er konnte es ihm noch nicht einmal verübeln. Immerhin hatte er bisher keinen Ton gesagt, während er ziemlich deutlich gemacht hatte, dass er ihn liebte und sein Leben mit ihm verbringen wollte.
Für einen Moment wurde er panisch, doch dann beruhigte er sich auf einmal, als würde sein Körper kapitulieren. Er war vollkommen übermüdet und erschöpft und er wollte nur noch schlafen.
Also zog er sich aus und stieg in die überraschend große Dusche. Das Wasser drehte er auf kalt und als es auf seine Haut traf, keuchte er. Er schloss die Augen und spürte, dass seine Augen von den nun wirklich abgenutzten Kontaktlinsen schmerzten und er beschloss, sie einfach in der Dusche herunterzuspülen.
Er musste ohnehin morgen früh kurz nach Hause, um sich frische Klamotten zu holen, da konnte er auch gleich neue Kontaktlinsen mitnehmen.
Keine Minute später öffnete sich wie erwartet die Badezimmertür. Jonas tat, als hätte er es nicht bemerkt, drehte sich aber unwillkürlich mit dem Rücken zu Markus. Die Dusche war aus Glas, also hatte Markus freie Sicht auf ihn. Auch wenn er nicht über die Schulter sah, wusste er, dass Markus ganz nah vor der Duschtür stand und ihn ansah.
Jonas Gedanken kreisten und er musste wieder einmal an Matthias denken. Er sehnte sich nach ihm, nach seiner Hand, die seine hielt und sein Lächeln. Sogar nach seinen Haaren, die viel zu lag waren und total dämlich aussahen. Ein Lächeln umzuckte seine Lippen, als er genau in diesem Moment spürte, wie die Duschtür geöffnet wurde und Markus zu ihm unter den Wasserstrahl trat. Genau wie er selbst keuchte er, griff an ihm vorbei und drehte das Wasser etwas wärmer.
Jonas schluckte schwer, zwang sich aber, ihn nicht anzusehen. Markus legte seine Hände auf seine Schultern und er spürte, wie er sich an ihn drückte. Sein Atem streifte seine Wange, als er seine Arme um ihn legte und seine Lippen auf seinen Hals presste. Es fühlte sich an, als würde Markus ihn komplett verschlingen, ihn einnehmen. Seine Hand wanderte auf seine Brust und Jonas spürte, wie Markus seine Erektion gegen ihn presste.
Würde er nicht jetzt die Reißleine ziehen, würde es genau so enden wie vorletzte Nacht. Er würde Matthias noch einmal betrügen, ihn verraten, ihn in noch weitere Ferne rücken.
„Hör auf", brach es aus ihm hervor, lauter und schärfer als beabsichtigt.
„Womit denn?", säuselte Markus, der weiter seinen Hals küsste. Jonas wischte sich das Wasser von Gesicht und stellte kurzerhand das Wasser ab.
„Damit. Ich... ich will das hier nicht. Ich will allein sein", sagte er, griff nach Markus Armen und versuchte, sie von sich zu schieben, bis er genug Platz hatte, um sich umzudrehen. Was allerdings ein großer Fehler war, denn nun sah er Markus Gesicht. Wasser tropfte aus seinen Haaren, von seinem Kinn und aus seinen Wimpern. Seine grau-blauen Augen wirkten ausdruckslos und undurchdringlich. Jeder, der behauptete, man könne durch die Augen in die Seele eines Menschen schauen, würde an Markus verzweifeln. Er war absolut unberechenbar.
„Okay, aber dir ist klar, dass du das zu Ende bringen musst, was du angefangen hast, oder?", fragte er auf einmal alles andere als einfühlsam. Jonas schluckte, denn er wusste, was er meinte. Ohne es verhindern zu können wanderte sein Blick weiter nach unten. Er unterdrückte ein Seufzen und als er den Blick hob, schüttelte er den Kopf.
„Nein", sagte er entschieden, war sich aber durchaus bewusst, wie nah Markus ihm war. Als würde ihn das genau in diesem Moment auch klar werden, grinste er und platzierte seine Hände links und rechts neben seinen Schultern, sodass er gegen die kühlen Fliesen gedrückt wurde, die Armatur in seinem Rücken. Jonas wand sich.
„Küss mich. Das wird ja wohl nicht zu viel verlangt sein."
Markus Stimme zitterte, ob vor Wut oder Angst konnte Jonas nicht sagen.
„Markus, bitte geh", forderte er eindringlich, denn er würde ihn ganz sicher nicht küssen oder ihn sonst irgendwie befriedigen. Auf einmal löste Markus seine Hände von der Wand und hob sie abwehrend.
„Okay, ganz wie du willst, Prinzessin", sagte er verächtlich, allerdings stieg er aus der Dusche und griff nach einem der weißen Handtücher, welches er sich um die Hüfte wickelte und anschließend verließ er das Bad.
Beinahe erleichtert atmete Jonas auf, und er stellte das Wasser wieder an. Komischerweise schwappte eine Welle der Erregung durch ihn und das Bild von Matthias erschien vor seinem inneren Auge.
„Es tut mir leid", murmelte er, in der Hoffnung, Matthias könnte ihn irgendwie hören.
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