Kapitel 25 - Matthias
Ziemlich zufrieden mit sich betrachtete Matthias den selbstgemachten Burger, den er gerade auf dem Teller platzierte. Er brachte ihn zum Tisch und stellte anschließend den Burger, den er für Jonas gemacht hatte, unter die Abdeckung aus der Mikrowelle. Denn obwohl er eine ganze Weile in der Küche beschäftigt gewesen war, schien Jonas noch immer unterwegs zu sein. Er schnappte sich eine Pommes, die bereits in einer kleinen Porzellanschale neben seinem Teller auf dem Tisch stand und griff nach seinem Handy.
Kein Lebenszeichen von Jonas. Inzwischen war es kurz nach sieben. Verwirrt zog Matthias die Augenbrauen zusammen. Warum meldete Jonas sich nicht? War ihm irgendetwas passiert? Hatte er womöglich einen Autounfall gehabt? Er spürte, wie sein Herzschlag sich voller Sorge beschleunigte und er entschied sich, noch einmal zu versuchen, ihn anzurufen. Seine Finger zitterten ein wenig, als er auf seinen Namen und anschließend den grünen Hörer drückte.
„Bitte geh endlich ran", murmelte er, während er dem Tuten lauschte. Unendlich lange kam es ihm vor, bis sich endlich die Mailbox meldete. Natürlich. Er beschloss, ihm eine Nachricht zu hinterlassen.
„Ich bin's. Wo bist du? Ist irgendetwas passiert? Ich mache mir langsam wirklich Sorgen", sagte er und legte wieder auf. Einen Moment lang sah er noch auf sein Handy, aber Jonas rief nicht zurück. Sorge machte sich in ihm breit, gleichzeitig wurde er wütend. Jonas musste doch wissen, dass er hier auf ihn wartete.
Kopfschüttelnd warf er sein Handy auf den Tisch und wandte sich seinem Essen zu, bevor es kalt wurde. Wie auf Kommando knurrte sein Magen, allerdings schweiften seine Gedanken ziemlich schnell ab, sodass er den Burger gar nicht richtig genießen konnte.
Hatte Jonas womöglich diese Gelegenheit genutzt, um heimlich unterzutauchen? War er nicht mehr glücklich mit ihm und abgehauen? War ihm der ganze Stress mit Aaliyah und seiner sicherlich nicht ganz unkomplizierten Familie zu viel? Dazu noch die viele Arbeit in den letzten Wochen? Zweifel machten sich in ihm breit. War er zu unaufmerksam gewesen, um zu bemerken, dass Jonas sich nach und nach zurückzog? Hatte er die langen Arbeitszeiten nur vorgeschoben, um seine Zeit lieber woanders zu verbringen?
Nein, das glaubte er nicht. Matthias schüttelte den Kopf über seine eigenen Gedanken und versuchte, sie so ein wenig zu klären. Ja, er war manchmal nicht der aufmerksamste Partner, aber er hatte nicht den Eindruck gehabt, als wäre Jonas nicht mehr glücklich oder als würde er darüber nachdenken, sich von ihm zu trennen. Das hätte er sicherlich mitbekommen. Es musste etwas anderes sein. Oder er hatte einfach so viel Spaß mit seinen Freunden nach all dem Stress hier, dass er es genoss, einen Tag lang nicht auf sein Handy zu sehen.
Seufzend blies er die Wangen auf und ließ die Luft langsam entweichen. Er würde einfach abwarten müssen. Spätestens um zehn würde Jonas zurück sein, wenn er morgen früh aufstehen musste.
Matthias schob sich den letzten Rest seines Burgers in den Mund, bevor er aufstand und den Teller und die Pommesschale in die Spülmaschine stellte. Anschließend ging er zum Sofa, schnappte sich auf dem Weg noch sein Handy und ließ sich wie ein nasser Sack fallen. Er streckte sich noch einmal, um den Ventilator einzuschalten und kaum dass der angenehm kühle Wind durch sein Haar wehte, entspannte er sich ein wenig.
Diese Hitze machte ihm ganz schön zu schaffen und er war froh, wenn es wieder kühler wurde. Aber es war mitten im August, dem heißesten Monat des Jahres. Allmählich fielen ihm die Augen zu und recht schnell döste er ein wenig ein.
Allerdings war ihm nur ein paar Minuten Ruhe gegönnt, denn auf einmal riss ihn ein lautes Schrillen aus seiner Versenkung. Panisch setzte er sich auf, sein Herz pochte vor Schreck wild in seiner Brust. Es dauerte einen Moment, bis er realisierte, dass es sein Handy war, das klingelte. Hastig suchte er es zwischen den Kissen und als er den Namen auf dem Display las, atmete er erleichtert auf und nahm das Gespräch entgegen.
„Hey, da bist du ja endlich. Hab mir langsam echt Sorgen gemacht", begrüßte er Jonas und bemerkte, wie er unwillkürlich anfing zu lächeln. Seine Wut darüber, dass Jonas sich den ganzen Tag nicht gemeldet hatte, war verflogen. Eine Weile herrschte Schweigen, nur der rauschende Wind war zu hören. Ein Schniefen ertönte. Sofort war Matthias alarmiert.
„Alles okay? Was ist los?", fragte er, während er aufstand und anfing, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Er hörte, wie Jonas die Luft ausstieß, als würde er sich selbst verfluchen.
„Ich...", setzte er an, verstummte aber wieder. Komischerweise überkam Matthias ein ganz schlechtes Gefühl. Irgendetwas musste passiert sein und unweigerlich gingen seine Gedanken wieder auf Wanderschaft.
„Jonas, was ist los?", fragte er eindringlicher als zuvor und presste sich das Handy fester ans Ohr, damit er ja nichts verpasste. Noch einmal schniefte Jonas, gefolgt von einem zitternden Ausatmen.
„Ich... ich habe etwas Schlimmes getan", sagte er nüchtern, beinahe emotionslos. Abrupt bliebt Matthias stehen und er fühlte sich, als klingelten seine Worte in seinen Ohren. Er hatte etwas Schlimmes getan? In Frankreich? Im L'Affaire, diesem schmuddeligen Club, in den sie gehen wollten? Oh nein. Eine böse Vorahnung überkam ihn.
„Was hast du gemacht?", fragte er leise, bemerkte aber, dass es merkwürdig drohend klang, obwohl er sich eher verloren fühlte. Wieder dauerte er einen Moment, bis Jonas weitersprach.
„Ich habe dich betrogen."
Matthias fühlte sich, als würde er fallen. Ein Rauschen setzte ein, er nahm nichts mehr um sich herum wahr, bis er einige Sekunden später auf das Sofa sank. Was hatte Jonas da gesagt? Er begriff die Tragweite dieser Worte nicht, konnte sich nicht vorstellen, was das bedeuten sollte.
„Was?", brachte er nur matt hervor, allerdings trafen ihn die nächsten Worte mit voller Wucht.
„Ich habe Markus getroffen und mit ihm geschlafen. Er... er will, dass ich bei ihm bleibe. Es tut mir so leid, ich... ich weiß nicht, warum ich das gemacht habe", platzte es aus Jonas heraus, seine Stimme eindeutig weinerlich und ziemlich nahe dem Wahnsinn. Matthias blinzelte, versuchte, die Bedeutung der Worte zu verarbeiten.
„Du hast mit Markus geschlafen und er will, dass du bei ihm bleibst?", wiederholte er, bekam als Antwort aber nur ein Schniefen. Einige Sekunden vergingen, in denen Matthias Gedanken nur so umherkreisten. Jonas und Markus. Er hatte es geahnt. Nicht, dass er glaubte, Jonas hätte ihn angelogen, was die Nachrichten von ihm anbetraf, aber es sprach schon für sich, dass er sofort mit ihm in die Kiste sprang, sobald er die Möglichkeit dazu hatte. Bedeutete er ihm denn gar nichts? Selbstzweifel und Unsicherheit machten sich in ihm breit, bis Tränen über seine Wangen liefen.
„Warum?", presste er hervor, schlug aber die Hand vor den Mund, sodass es nur als ein leises Gemurmel herauskam.
„Keine Ahnung. Es ist einfach passiert und... ich hasse mich dafür. Ich... ich kann dir nicht mehr unter die Augen treten, ich...", setzte Jonas verzweifelt an, unterbrach sich selbst aber mit einem Schluchzen. Matthias schloss die Augen, damit endlich diese blöden Tränen aufhörten, über seine Wangen zu fließen.
„Okay. Komm erst einmal nach Hause und...", sagte Matthias, allerdings fiel Jonas ihm ins Wort.
„Ich kann nicht. Ich ertrage es nicht, dich zu sehen, ich... ich kann nicht...", stammelte er, eindeutig mit jedem Wort näher am Zusammenbruch.
„Hey, beruhige dich", sagte Matthias, aber es half nur wenig. Er konnte sich geradezu bildlich vorstellen, wie Jonas irgendwo am Straßenrand saß, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen und hin und her wiegte. Sein schlechtes Gewissen zerfraß ihn, das wusste er. Wahrscheinlich war es für Jonas sogar noch schlimmer, als für ihn selbst.
„Jonas, bitte hör mir zu. Du kommst erst einmal nach Hause", startete er einen neuen Versuch, denn ihre ganze Beziehung, die letzten zehn Jahre seines Lebens einfach hier und jetzt am Telefon zu beenden, kam ihm einfach falsch vor. Jonas sollte es persönlich erklären, ihm ganz genau sagen, was passiert war. Matthias wunderte sich über sich selbst, dass er so rational an die Sache heranging und nicht von Gefühlen wie Wut, Eifersucht und Hass getrieben alles herausschrie, was ihm durch den Kopf schoss. Aber er war kein Teenager mehr. Er war erwachsen, wusste, dass die Welt nicht unterging, wenn ein einmaliger Ausrutscher passierte. Er hatte Aaliyah, die Jonas brauchte und liebte. Und ja, auch er wollte Jonas nicht gehen lassen. Was sollte er nur ohne ihn tun?
„Ich kann nicht", schniefte Jonas mit heiserer Stimme, aber er klang dabei so, als wollte er eigentlich. Als wollte er zu ihm nach Hause kommen, aber sein schlechtes Gewissen zerfraß ihn.
„Doch du kannst", widersprach Matthias und wünschte sich in diesem Moment mehr als alles andere, einfach durch den Hörer kriechen zu können und ihn in den Arm zu nehmen. Ja, er war wütend und er war verletzt, aber er wollte nicht, dass er und Jonas getrennte Wege gingen. Sie würden das schaffen, sie würden darüber reden, ihre Wunden lecken, bis sie verheilt waren und gemeinsam da durch kommen.
„Bitte, komm nach Hause. Wir...", startete er einen letzten Versuch, Jonas zu beruhigen, aber bevor er den Satz hatte beenden können, erklang ein Tuten. Jonas hatte aufgelegt.
„Wir finden schon eine Lösung", sagte er dennoch, auch wenn Jonas ihn nicht mehr hören konnte. Langsam ließ Matthias das Handy sinken und starrte hinaus in den Himmel. Er konnte nicht begreifen, was Jonas ihm soeben gestanden hatte. Nach und nach sickerte die Information durch, als würde Wasser über einen heißen Stein laufen. Sein Atem beschleunigte sich, ging stoßweise und es fühlte sich an, als würde seine Brust von einem unsichtbaren Band zusammengepresst. Kraftlos stand er da, vor seinem inneren Auge das Bild von Jonas und Markus. Tausend Fragen bohrten sich in sein Hirn. Wie war es dazu gekommen? Wo? Hatte Jonas dabei an ihn gedacht? Hatte es ihm womöglich besser gefallen als mit ihm?
Matthias Hand krampfte sich um das Handy und am liebsten hätte er es geradewegs durch die Scheibe nach draußen geschleudert, aber er riss sich im letzten Moment noch zusammen. Immerhin war sein Handy aktuell die einzige Möglichkeit, mit Jonas Kontakt aufzunehmen.
Unruhig fing er an, hin und her zu laufen, bis er schließlich im Badezimmer landete, die Hände auf dem Rand des Waschbeckens abgestützt und den Blick in den Spiegel darüber gerichtet. Seine Schultern hoben und senkten sich viel zu schnell, Tränen schimmerten auf seinem Gesicht. Stimmte etwas mit ihm nicht? War er nicht aufmerksam genug? Nicht attraktiv genug? Nicht... Stopp! Das brachte doch nichts. Jonas müsste hier sein und es erklären, dann erst machte es Sinn, nach dem Warum zu fragen. Er wusste ja gar nicht, was wirklich passiert war. War es eine schnelle, vom Alkohol benebelte Nummer auf dem Klo des L'Affaire gewesen? Oder hatte Jonas Markus nach Hause begleitet, mit ihm gelacht, sich bei ihm geborgen gefühlt?
Matthias spürte, dass ihn diese Fragen vollkommen verrückt machen würden, wenn Jonas nicht schnell zurückkam. Aber Jonas hatte so geklungen, als wollte er nicht zurückkommen. Als... wollte er, dass sie keine Lösung fanden, als wollte er ihre Beziehung beenden.
Diese Erkenntnis traf ihn hart und unerwartet. War das wirklich so? Er kramte noch einmal sein Handy hervor und wählte erneut Jonas Nummer. Vielleicht hatte er sich inzwischen ein wenig beruhigt und er könnte noch einmal in Ruhe mit ihm reden. Wieder tutete es und wieder trieb es ihn in den Wahnsinn. Plötzlich veränderte sich der Ton, dann wurde es still. Jonas hatte ihn weggedrückt. Kopfschüttelnd starrte er sein Handy an und schrieb ihm stattdessen eine Nachricht.
„Komm bitte zurück. Erklär es mir! Ich will wissen, was genau passiert ist. Bitte! Wir finden eine Lösung! Ich will dich nicht verlieren!", schrieb er und klickte auf Senden. Allerdings bemerkte er, dass seine Nachricht nicht durchkam. Dämliches Netz in Frankreich. Er schnaubte verächtlich, stieß sich vom Waschbecken ab und ging ins Schlafzimmer.
Auf einmal fühlte er sich vollkommen erschöpft und aufgekratzt zugleich. Es war, als würde sein Körper jeden Moment zusammenklappen, während seine Gedanken kreisten und kreisten.
Irgendwie fiel er ins Bett, das Handy dicht neben seinem Gesicht, damit er sofort mitbekam, wenn Jonas sich bei ihm meldete. Sicherlich würde morgen die Welt schon wieder ganz anders aussehen. Wenn seine verwirrten Gefühle ihn nicht mehr durcheinander brachten und er die ganze Situation nüchtern betrachten konnte. Sicherlich würde es Jonas genau so gehen und alles würde sich schnell aufklären. Jeder würde sich ein paar Tage Zeit nehmen, um sich zu ordnen, sie würden sich aussprechen und alles wäre wieder gut. Natürlich würde es dauern, bis er Jonas wieder vertrauen konnte, aber er liebte ihn doch. Er war seine bessere Hälfte, sein ein und alles.
„Gott verflucht, warum nur hast du das getan?", murmelte er vor sich hin, bevor ihn die Erschöpfung übermannte.
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