Kapitel 75 - Sheila

Erschöpft ließ Sheila sich in den weichen Sitz ihres Autos fallen. Sie schwitzte in dem langärmeligen Hemd, dass sie zur Arbeit tragen musste und am liebsten hätte sie es ausgezogen. Doch stattdessen öffnete sie die Knöpfe unten am Ärmel und krempelte diese hoch. 

Gerade als sie den Motor startete, klatschte der erste dicke Regentropfen auf ihre Wundschutzscheibe. Sie stöhnte, denn sie hasste es, bei Regen über die Landstraße zu fahren. Es gab keine Beleuchtung und man konnte leicht von der Straße abkommen, wenn man zu schnell fuhr. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah, wie Karim an ihrem Auto vorbei ging. Sie winkte, doch er schien sie nicht zu bemerken. 

Sie parkte aus und fuhr in Richtung Straße, doch schon nach ein paar Sekunden schüttete es wie aus Eimern. Sheila spürte, wie sie nervös wurde, denn obwohl sie die Scheibenwischer auf die höchste Stufe gestellt hatte, konnte man kaum etwas erkennen. Angestrengt starrte sie auf die Straße, aber es war kaum ein anderes Auto unterwegs, an dem sie sich orientieren konnte. 

Der Regen war so laut auf der Scheibe und dem Dach, dass es in ihren Ohren rauschte. Etwa nach der Hälfte der Strecke gab sie auf und bog in einen der vielen Feldwege ein. Sie würde lieber den Schauer abwarten, bevor sie noch einen Unfall baute. Sie schaltete den Motor ab, ließ das Licht aber eingeschaltet, damit der nächste, der hier warten wollte bis der Regen vorbei war, nicht in sie hineinfuhr. 

Sie griff nach ihrer Handtasche, die wie immer auf dem Beifahrersitz lag und tippte eine Nachricht an Jonathan, dass sie wartete, bis der Regen schwächer würde. Gerade als sie auf Senden drückte, bekam sie eine Nachricht. Doch sie war nicht von Jonathan, wie sie erwartet hatte, sondern von ihrem Bruder. 

Tatsächlich freute es sie, dass er offensichtlich wieder mit ihr reden wollte. Hätte er sich ganz von ihr abgewandt, wäre sie mit ziemlicher Sicherheit daran zerbrochen. Schnell klickte sie auf die Nachricht und las den kurzen Text. 

„Hey, danke noch mal, dass du mir geholfen hast. Jonas ist zwar wieder im Hotel, aber ich glaube, er kommt morgen zurück nach Hause. Er kann sich morgen nicht frei nehmen, um mit mir zum Arzt zu gehen und da wollte ich fragen, ob du vielleicht mitkommen kannst?", las sie und ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. 

Sie war Jonas dankbar, dass er ihn nicht hängen ließ. Auch wenn sie es vollkommen verstanden hätte, wenn er keinen Alkoholiker zum Freund haben wollte. Doch es zeigte, dass er Matthias wirklich liebte und das freute sie. Morgen musste sie wieder schon um zwölf Uhr arbeiten, doch wenn er den Termin morgens hatte, hätte sie auf jeden Fall Zeit. 

„Es freut mich wirklich, dass er wieder nach Hause kommt. Wann hast du denn den Termin?", fragte sie und keine Minute später kam schon die Antwort. 

„Schon um acht Uhr morgens. Wenn du willst, kann ich dir dann erzählen, wie es heute war", schrieb er zurück. 

„Soll ich dich abholen kommen?", fragte sie dann und sie verabredeten sich für halb acht Uhr morgens bei ihm zu Hause. Sie würden knapp zwanzig Minuten bis zu dem Arzt fahren müssen und Sheila wäre es lieber, wenn Matthias im Moment kein Auto fuhr. Immerhin trank er noch immer ziemlich viel. 

Ihr Blick wanderte zu der kleinen Uhrzeitanzeige auf ihrem Handy. Es war bereits viertel vor eins und sie würde nicht mehr viel Schlaf bekommen, wenn sie noch länger hier stehen blieb. Sie schob ihr Handy zurück in die Handtasche und startete den Motor. Zwar hatte der Regen nur minimal nachgelassen, doch sie hatte keine Lust mehr, hier herumzustehen. 

Vorsichtig lenkte sie den Wagen zurück auf die Straße. Es war noch immer kaum ein anderes Auto unterwegs und im Schneckentempo schaffte sie es schließlich bis nach Hause. Doch die Fahrt war nervenaufreibend gewesen und sie war froh, endlich angekommen zu sein. 

Sie klemmte sich ihre Tasche unter den Arm und lief schnell die paar Schritte bis zur Haustür, trotzdem war sie klitschnass. Sie zog den Haustürschlüssel aus ihrer Handtasche und schloss auf, doch da zog Jonathan die Tür von innen auf. Er grinste sie an. Er kam anscheinend aus dem Bett, so verschlafen wie er aussah. 

„Hey", begrüßte er sie und beugte sich vor, um sie zu küssen. Sie drückte ihre Lippen schnell auf seine, doch dann schob sie sich an ihm vorbei und zog die nassen Schuhe aus. Sie lief geradewegs ins Bad, um ihre nassen Klamotten zum Trocknen aufzuhängen. Jonathan folgte ihr auf dem Fuß bis ins Bad, doch sie wandte sich ihm erst zu, als sie nur noch in Unterwäsche da stand. Er betrachtete sie unverhohlen, was sie erröten ließ. 

„Zeit zu schlafen", sagte sie, griff nach seiner Hand und zog ihn nach oben. 

„Schon?", fragte er verschmitzt, doch sie nickte. 

„Ja, ich habe meinem Bruder versprochen, ihn morgen um halb acht abzuholen und mit ihm zum Arzt zu fahren. Jonas kann sich nicht freinehmen und er will nicht allein gehen", berichtete sie und konnte seine Enttäuschung regelrecht spüren. 

„Okay", sagte er leise, aber es klang wirklich enttäuscht. 

„Ich bin doch schnell wieder da", sagte sie und zog ihn ins Schlafzimmer. Er nickte, doch dann zog er sie mit einem Ruck an sich an küsste sie. Sheila erwiderte den Kuss, löste sich aber schnell wieder von ihm. 

„Ich muss schlafen. Die Fahrt war anstrengend, es schüttet wie aus Eimern", sagte sie, doch Jonathan kicherte. 

„Ach was, ist mir noch gar nicht aufgefallen", lachte er, ließ sie los und legte sich wieder ins Bett. Sheila schlüpfte in ihren Schlafanzug und legte sich neben ihn. Der Regen trommelte aufs Dach und zu allem Überfluss fing es auch noch an zu donnern. Sheila stellte sich ihren Wecker, dann kuschelte sie sich an Jonathan und versuchte einzuschlafen.

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Natürlich war Matthias zu spät, doch Sheila wartete geduldig in ihrem Wagen auf ihn. Er war mit Sicherheit schon nervös genug, da musste sie ihn nicht noch mehr stressen, aber wenn er nicht bald auftauchte, würden sie zu spät kommen. 

Immer wieder sah sie zur Haustür und als sie ihn endlich herauskommen sah, startete sie schon den Motor. Ihr Bruder winkte kurz, dann setzte er sich zu ihr ins Auto. Er sah verhärmt aus und unter seinen Augen lagen dunkle Ringe. Seufzend rutschte er in seinem Sitz nach unten, schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen das Seitenfenster. Sheila fuhr los und fädelte sich in den Verkehr ein und fuhr in Richtung Autobahn. 

„Hey", sagte sie nach einer Weile, doch ihr Bruder machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Sie biss die Zähne aufeinander. Offensichtlich hatte er schlechte Laune. 

„Wie war es denn gestern mit Jonas?", fragte sie dann, in der Hoffnung, ihn damit ein wenig aufzumuntern. Tatsächlich sah er sie an, doch bevor er antwortete, fuhr er sich mit den Händen über das Gesicht. 

„Wir haben nicht gestritten und er meinte, dass er mit mir zusammen bleiben will. Vorausgesetzt, ich lasse mir helfen", sagte er und Sheila nickte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie genau das von Jonas erwartet. 

„Das ist doch gut. Er wird dich bestimmt unterstützen", fuhr sie fort, doch er brummte nur. 

„Wenn er es wirklich ernst meinen würde, warum ist er nicht geblieben? Er will erst heute nach der Arbeit wieder nach Hause kommen", sagte er tonlos und Sheila runzelte die Stirn. 

„Er hatte doch bestimmt noch seine ganzen Sachen im Hotel und vielleicht wollte er es nicht überstürzen", schlug sie vor, aber Matthias schüttelte den Kopf. 

„Was denn überstürzen? Wir sind zusammen, da kann man nichts mehr überstürzen", meckerte er, doch er schien mehr mit sich selbst zu reden. Sheila schluckte, denn ganz offensichtlich war ihm nicht klar, wie sehr er Jonas verletzt hatte. Wenn sie ehrlich war, hatte er auch sie selbst ganz schön verletzt, doch er war immerhin ihr Bruder und sie verzieh ihm schnell. 

„Sag schon was du denkst", fuhr er sie an. Langsam schüttelte sie den Kopf. 

„Du könntest ruhig ein wenig netter sein. Ich könnte jetzt auch noch im Bett liegen und schlafen anstatt dich herumzufahren", fauchte sie zurück, was ihn nur schnauben ließ. Ungläubig sah Sheila ihn an. 

„Seit wann bist du so griesgrämig? Wenn du mich fragst kannst du froh sein, dass Jonas überhaupt noch mit dir redet. Du hast dich benommen wie der letzte Arsch. Du hast ihn rausgeschmissen, ohne Erklärung! Er war vollkommen fertig deswegen", redete sie sich in Rage, doch an Matthias schien das alles abzuprallen. 

„Schrei mich nicht so an, mein Kopf tut weh", murmelte er und wandte wieder den Blick ab. Sheila spürte, wie ihr die Kinnlade nach unten fiel, doch sie riss sich zusammen, nichts zu sagen. Es wäre sinnlos, denn ganz offensichtlich sah er in diesem Moment nicht, wie er sich benahm. 

Schweigend fuhr sie den restlichen Weg bis zu der Arztpraxis. Ein großer Schotterparkplatz lag davor und es parkten schon einige Autos dort. Sie lenkte ihren Wagen auf einen der freien Parkplätze, doch dann drückte sie den Knopf der Zentralverriegelung, bevor Matthias aussteigen konnte. Wütend funkelte er sie an. 

„Was soll das?", beschwerte er sich und rüttelte an dem Türgriff. 

„Das frage ich dich! Gestern dachte ich wirklich, du wärst wieder normal, aber anscheinend habe ich mich getäuscht. Ich habe dir nichts getan, ich versuche nur dir zu helfen", sagte sie und für einen Moment glaubte sie in seinen Augen ein Schimmern zu sehen. Doch in der nächsten Sekunde war seine Miene wieder eiskalt. Er schien über etwas nachzudenken, denn seine Augen wanderten unruhig von links nach rechts. 

„Lass mich aussteigen", sagte er dann überraschend ruhig, doch Sheila schüttelte den Kopf. 

„Erst wenn du versprichst, mich nicht mehr blöd anzumachen. Ich hätte dich auch nicht fahren müssen. Ich hätte beleidigt sein können, weil du mir ziemlich fiese Dinge gesagt hast", erinnerte sie ihn und tatsächlich senkte er schuldbewusst den Blick. Nach ein paar Sekunden hob er wieder den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. Sheila spürte, dass ihr Bruder sie stumm um Hilfe anflehte, doch irgendetwas in ihm schien sie auch von sich stoßen zu wollen. 

„Du hast mich aber gefahren und du bist nicht beleidigt", nuschelte er und rüttelte noch einmal am Griff. Mit einem Seufzen gab sie auf. Es hatte keinen Sinn, jetzt mit ihm zu sprechen. 

„Soll ich hier warten?", fragte sie, woraufhin er sich noch einmal zu ihr umwandte. 

„Wenn du willst, kannst du auch fahren. Ich komme schon zurück", antwortete er, stieg aus und knallte die Tür zu. Eine Sekunde später öffnete er sie jedoch wieder und beugte sich zu ihr ins Auto. 

„Du könntest aber auch mitkommen. Wenn du willst, meine ich", sagte er kleinlaut, was Sheila lächeln ließ. Er gab sich sichtlich Mühe, was sie zu schätzen wusste. Außerdem hätte sie ihn ganz sicher nicht hier allein stehen gelassen. 

Sie stieg aus und genau gleichzeitig schlugen sie ihre Autotüren zu. Matthias ging mit den Händen in den Hosentaschen in Richtung Eingang, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Sheila schloss schnell zu ihm auf und legte den Arm um ihn. 

„Bitte sei nicht mehr so gemein, ich versuche nur, dir irgendwie zu helfen, dass es dir besser geht", sagte sie leise und er nickte. 

„Ich weiß. Es ist nur... Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Ich bin so durcheinander", gab er zurück. Sheila konnte nur zu gut nachvollziehen, wie er sich fühlte. Eine Zeit lang hatte sie sich auf der einen Seite wie der einsamste Mensch auf der Welt gefühlt und andererseits hatte sie alle die ihr helfen wollten, von sich gestoßen, da sie immer nur das Schlechte in Menschen gesehen hatte. 

„Daran arbeiten wir doch jetzt. Du weißt, dass ich immer für dich da bin", sagte sie und er nickte, dann betraten sie die Arztpraxis. Das Gebäude hatte schon von außen ziemlich groß und recht modern gewirkt. Man erkannte zwar schon, dass es eine Art Krankenhaus sein musste, es gab Gummiboden und eine weiße Theke, hinter der eine Frau in einem weißen Kittel saß. Rechts von ihnen befand sich ein großer Wartebereich mit Sesseln und Sofas, der ganz anders aussah als in einem gewöhnlichen Krankenhaus. 

Sheila schob Matthias an die Theke und die Frau dahinter lächelte ihn freundlich an. Er kramte aus der Tasche seiner Jeansjacke einen zerknitterten Zettel, den er wortlos der Frau über die Theke hinweg reichte. Sheila spürte, wie er sich neben ihr versteifte und ohne wirklich darüber nachzudenken drückte sie sanft seinen Arm. 

„Sie haben eine Termin bei Doktor Humbert?", fragte sie und Matthias nickte. 

„Gut. Bitte nehmen Sie einen Moment Platz", sagte die Frau dann überfreundlich und deutete auf die Sessel und Sofas. Matthias marschierte davon und ließ sich auf einem kleinen, orangeroten Sofa nieder, das ganz hinten in der Ecke stand. Sheila folgte ihm und setzte sich neben ihn. 

Kaum dass sie sich gesetzt hatte, vergrub er das Gesicht in den Händen. Sheila tätschelte ihm den Rücken, doch sie sah sich neugierig um. Die Sessel und Sofas waren so bunt durcheinander gewürfelt, dass sie irgendwie nicht hier her zu passen schienen. 

Ein scharrendes Geräusch ließ sie aufblicken und sie sah, wie eine Gruppe Leute durch die Eingangstür hineinkam. Es waren vielleicht elf oder zwölf Leute, die verschiedener nicht sein konnten. Es war eine bunte Mischung aus jung, alt, Männern und Frauen. Sie plauderten untereinander und verteilten sich ein wenig, doch dann gingen sie an ihr und Matthias vorbei und verschwanden einen langen Gang entlang. Offensichtlich waren das alles Patientin. Sie hatte gar nicht gewusst, dass es anscheinend auch die Möglichkeit gab, hier stationär unterzukommen. Doch eigentlich hätte es ihr bei der Größe des Gebäudes direkt auffallen müssen. 

Unwillkürlich wurde sie an ihre eigenen Krankenhausaufenthalte erinnert. Auch sie hatte damals bei Gruppentherapien mitgemacht, doch ihre Erinnerungen waren eher nur verschwommen. Zu dieser Zeit war es ihr so schlecht gegangen und eigentlich hatte sie diese Zeit hinter sich lassen wollen, aber irgendwie kam nun alles wieder hoch. 

Am schlimmsten war es gewesen, als sie per Gerichtsbeschluss zwangsernährt werden musste. Damals hatte sie alles nur wie durch einen Schleier wahrgenommen und es fühlte sich gar nicht mehr real an. Eher so, als wäre das alles jemand anders passiert und sie hätte nur zugesehen. 

Schnell schüttelte sie den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben. Sie war hier mit Matthias und nicht, weil sie selbst Hilfe brauchte. Ihr ging es gut und sie hatte all das hinter sich gelassen. Sie umklammerte Matthias Arm ein wenig fester, was sie tatsächlich wieder zurück in die Realität holte. Sie atmete einmal tief durch, dann stupste sie ihren Bruder mit der Schulter an. Auch wenn es bescheuert klang, war es in solchen Situationen immer am besten, sich irgendwie abzulenken. Panisch suchte sie nach einem unverfänglichen Thema. 

„Du kommst doch noch am Samstag, oder? Zu Jonathans Geburtstag, meine ich", fragte sie ihn, doch er verzog nur gequält das Gesicht. 

„Ist Oskar auch da?", fragte er und Sheila hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. 

„Du musst doch nicht viel mit ihm reden, wenn du nicht willst. Es werden genug andere Leute da sein, mit denen du reden kannst. Mit mir zum Beispiel", versuchte sie möglichst locker zu sagen, doch er spannte sich an. 

„Jonas wird ihn mit Sicherheit wütend ansehen und das wird alles nur noch schlimmer machen", sagte er und seufzte. Sheila konnte sich wirklich nur zu gut vorstellen, dass Jonas wütend auf Oskar war, doch wenn sie Oskar richtig einschätzte, würde er nichts sagen. Er wusste, dass er Mist gebaut hatte und er würde es mit Sicherheit nicht schlimmer machen wollen. 

„Wieso sollte es schlimm sein? Er hat alles Recht, wütend auf ihn zu sein, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Oskar nichts sagen wird", erwiderte sie, doch er schüttelte den Kopf. 

„Ich weiß es noch nicht. Ich will erst einmal abwarten, ob sich zwischen mir und Jonas alles klärt", sagte er. Sheila nickte und sie beschloss, das Thema nicht weiter zu vertiefen. Sie hatte gar nicht daran gedacht, dass zwischen Oskar und Jonas dicke Luft herrschen könnte. Doch fiel ihr siedend heiß etwas ein. 

„Du hast nicht zufällig etwas von Johnny gehört, oder?", fragte sie ihn, doch sie kannte die Antwort schon. Matthias schüttelte wie erwartet den Kopf, dann senkte er den Blick. 

„Ich sollte mich bei ihm entschuldigen", murmelte er, was Sheila überraschte. 

„Wieso das denn?", fragte sie, woraufhin Matthias sie verständnislos ansah. 

„Hätte ich das nicht alles falsch verstanden, hätten Oskar und er sich nicht getrennt. Wobei...", setzte er an, doch dann brach er ab und machte eine wegwerfende Handbewegung. 

„Wobei was?", hakte Sheila nach, aber er schüttelte den Kopf. Sie legte den Kopf schief und musterte ihn eindringlich, damit er es aussprach. Resigniert seufzte er. 

„Ich glaube immer noch nicht, dass ich es vollkommen falsch verstanden habe. Ich weiß es klingt überheblich, aber... ich bin mir ziemlich sicher, dass er mich mehr mag, als er sollte", sagte er dann und schüttelte langsam den Kopf. Sheila schluckte. Instinktiv wusste sie, dass es stimmte. Zwar schien Oskar bei seiner Geschichte, die er ihr in ihrem Auto erzählt hatte, nicht gelogen zu haben, doch bei ihm steckte oft mehr dahinter, als er zugab. 

„Zerbrich dir darüber nicht den Kopf. Du solltest dich darauf konzentrieren, dich wieder mit Jonas zu vertragen", sagte sie sanft. 

„Du hast recht", erwiderte er nur, dann lehnte er sich beinahe erschöpft in die Kissen. Er hatte die Augen geschlossen und obwohl seine Haut normalerweise ein weniger dunkler war als ihre, wirkte er aschfahl. Ein Geräusch ließ sie herumfahren und sie sah, wie ein älterer Mann in weißem Kittel auf sie zukam. 

„Sie sind gekommen", sagte er zu Matthias und klang dabei überrascht. Erst da schien Matthias ihn zu bemerken und erschrocken riss er die Augen auf und setzte sich aufrechter hin. Offensichtlich war das der Arzt und Sheila lächelte ihm schüchtern zu. Matthias verzog nur den Mund zu einem geraden Strich, dann erhob er sich. 

„Wartest du?", fragte er sie und schnell nickte Sheila, anschließend verschwanden die beiden den langen Flur entlang, wo auch schon die Gruppe von Leuten entlang gegangen waren. Sheila sah ihnen hinterher, doch Matthias blickte nicht noch einmal zu ihr zurück. 

Als sie nicht mehr zu sehen waren, kramte sie ihr Handy aus ihrer Handtasche, um Jonathan zu schreiben. Doch er war ihr zuvorgekommen und lächelnd klickte sie auf die Nachricht, die er ihr geschrieben hatte. 

„Ist alles in Ordnung bei dir? Ist er nett zu dir?", schrieb er und Sheila beschloss, kurz nach draußen zu gehen und ihn anzurufen. Auf einmal verspürte sie das drängende Verlangen, seine Stimme zu hören. Gerade als die Eingangstür hinter ihr mit einem Krachen zufiel, nahm er das Gespräch entgegen. 

„Hey", sagte er, doch irgendwie klang seine Stimme belegt. 

„Selber hey", erwiderte sie und musste unwillkürlich grinsen. Sie hatte diese Begrüßung irgendwann von ihm übernommen, ohne es wirklich zu merken. 

„Bist du okay?", fragte er und klang seltsam besorgt. 

„Ja, alles okay. Er ist gerade beim Arzt und ich warte", erklärte sie, woraufhin er brummte. 

„Was ist?", wollte sie wissen, doch er seufzte. 

„Ich habe mir nur Sorgen gemacht, dass er wieder etwas Gemeines sagt oder so", gab er zu, doch Sheila winkte ab. 

„Musst du nicht. Alles ist gut. Ich weiß ja, dass er es nicht so meint", sagte sie, doch sie beschloss, über etwas anderes zu sprechen. 

„Und bei dir? Bist du im Studio?", wollte sie wissen. 

„Ja, ich konnte nicht mehr schlafen, als du weg warst. Aber...", setzte er an, doch dann brach er ab. Sheila wusste instinktiv, was los war. Er hatte sich an seinen Computer im Studio gesetzt und schon wieder eine Mail von Karima erhalten. Warum sie das so genau wusste, konnte sie nicht sagen, aber irgendwie spürte sie, dass es so war. 

„Was hat sie geschrieben?", fragte sie geradeheraus, doch Jonathan stellte sich dumm. 

„Wen meinst du?", fragte er. 

„Karima. Sie hat dir doch geschrieben, oder?", gab sie zurück und sein Stutzen verriet ihn. Er stöhnte und sie konnte sich bildlich vorstellen, wie er sich die Hand an die Stirn presste, wie er es oft tat, wenn er sich ärgerte. 

„Stimmt. Sie hat wieder geschrieben. Ich hatte heute acht neue Mails von ihr und in allen bettelt sie um ein Treffen. Was soll ich machen?", fragte er und klang dabei ziemlich verzweifelt. Sheila überlegte. 

„Kannst du die Mailadresse nicht einfach blockieren?", fragte sie, denn sie meinte sich zu erinnern, dass ihr Anwalt ihr damals geraten hatte, alles von Ville zu blockieren, auch seine Mailadresse. 

„Habe ich schon, sie benutzt einfach eine andere", sagte er und Sheila musste schlucken. Sie erinnerte sich gar nicht mehr, dass er das erzählt hatte. 

„Ich habe es heute Morgen direkt ausprobiert, aber danach hat sie noch eine Mail von einer anderen Adresse geschickt", beantwortete er ihre unausgesprochenen Gedanken. 

„Was genau schreibt sie denn?", wollte sie wissen, doch Jonathan machte nur ein missbilligendes Geräusch. 

„Es steht gar nicht mehr viel Text in ihren Nachrichten. Hier in der letzten zum Beispiel schreibt sie: Können wir uns bitte treffen, ich flehe dich an. Ich bin heute Nachmittag ab drei Uhr wieder im Kleeblättchen", las er vor. Sheilas Finger krallten sich fester um ihr Handy. 

„Gut, dann bin ich heute um drei Uhr auch im Kleeblättchen und sage ihr die Meinung", sagte sie, doch ihre Stimme klang ganz und gar nicht so fest, wie sie es sich vorgenommen hatte. Schmerzlich erinnerte sie sich an ihr Telefonat mit ihr. Sie hatte ihr an den Kopf geworfen, dass Jonathan sie nach freizügigen Bildern von ihr gefragt hätte. Ohne es wirklich zu wollen drängte sich das absolut absurde Bild von Karima und Jonathan in ihr Hirn, wie die beiden zusammen waren. Ihr Herz drohte zu zerspringen und nur mit Mühe schaffte sie es, die Tränen zurückzuhalten. 

„Kommt gar nicht in Frage. Ich werde hinfahren und sie zur Rede stellen. Du kannst mitkommen, aber du wartest im Auto", sagte Jonathan in so bestimmtem Ton, dass sie nicht wagte zu widersprechen. Doch ihr gefiel die Vorstellung nicht. 

„Ich will nicht, dass du sie triffst", erwiderte sie trotzig, aber ihr war klar, dass sie Jonathan sonst nicht in Ruhe lassen würde. Jonathan seufzte, dann hörte sie im Hintergrund das allzu vertraute Geräusch, dass eine neue Mail bei ihm eingetroffen war. 

„Sie schreibt schon wieder. Ich habe mir die ganze Anhänge noch nicht angesehen, die sie mitgeschickt hat, aber jetzt fragt sie, ob mir ihre Bilder gefallen", berichtete er. Sheila keuchte. 

„Bitte warte, bis ich zu Hause bin. Ich will sehen, was sie dir schickt", presste sie hervor und obwohl Jonathan nichts sagte, wusste sie, dass es ihm gar nicht gefiel. 

„Na gut. Ich versuche, noch etwas zu arbeiten, bis du wieder kommst. Denk dran, dass ich dich liebe", sagte er mit sanfter Stimme und ein Lächeln breitete sich auf Sheilas Lippen aus. 

„Ich liebe dich auch", sagte sie, dann beendeten die das Gespräch und sie ging wieder hinein, um auf ihren Bruder zu warten.

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