Kapitel 70 - Jonathan
Esra und die Kinder waren erst spät gegangen, doch Jonathan war froh, dass Sheila sich so lange mit ihr unterhalten hatte. Ihm war durchaus bewusst, dass sie manchmal einfach jemanden zum Reden brauchte der nicht er war und das war auch völlig in Ordnung.
Nachdem die drei gegangen waren, hatten sie sich direkt bettfertig gemacht, denn es war ein anstrengender Tag gewesen. Trotzdem konnte Jonathan nicht wirklich einschlafen. Er lag auf dem Rücken, einen Arm hinter dem Kopf und er betrachtete Sheila, die auf ihrer Seite des Bettes lag. Sie schien nicht zu schlafen, dafür ging ihr Atem zu unregelmäßig.
„Über was denkst du nach?", fragte er, doch es dauerte eine Weile, bis er eine Antwort bekam.
„Nicht so wichtig", sagte sie schließlich und zog ihre Decke höher, sodass es raschelte. Jonathan musterte sie weiter aufmerksam.
„Wenn es dich nicht schlafen lässt, dass ist es wichtig", erwiderte er. Es fühlte sich nicht wirklich gut an, wenn sie etwas vor ihm verbarg, doch wenn er ehrlich war, tat er genau das Gleiche. Er hatte Sheila nicht erzählt, dass Karima eine unangebrachte Bemerkung über ihre Narben gemacht hatte. Wahrscheinlich ging es ihr nun genau so und obwohl er neugierig war, wusste er, dass es nichts brachte, sie zu drängen.
„Schlaf gut", sagte er stattdessen, drehte sich auf die Seite und küsste sie sanft auf die Lippen. Sheila legte ihre Hand an seine Wange und hielt ihn so nah bei sich.
„Danke, dass du heute mit den Kindern gespielt hast", sagte sie, doch Jonathan winkte ab.
„Kein Problem. Es hat dir gut getan, mit Esra zu quatschen", gab er zurück, woraufhin sie nickte.
„Stimmt", sagte sie, dann sah er im schwachen Mondschein, wie sie die Augen schloss. Sie sah so friedlich aus, dass er sie ewig hätte ansehen können, doch auch er versuchte einzuschlafen.
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Am nächsten Morgen weckte ihn zwar der Wecker, aber Jonathan fühlte sich fit und ausgeschlafen wie schon lange nicht mehr. Sheila hingegen grummelte irgendetwas Unverständliches, drehte sich auf die andere Seite und schnarchte leise weiter.
Jonathan beugte sich zu ihr herüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange, dann stand er möglichst leise auf. Sie musste erst heute Nachmittag arbeiten, da konnte sie ruhig noch etwas schlafen.
Er schlich nach unten ins Bad und ließ sich heißes Wasser über seine angespannten Muskeln laufen. Es tat gut und half ihm, ein wenig zu entspannen. Unwillkürlich wanderten seine Gedanken an den vergangenen Abend zurück. Es hatte Spaß gemacht, mit Aaliyah zu spielen. Auch Duygu hatte eine Zeit lang bei ihnen gesessen, doch dann hatte sie sich in ein anderes Zimmer verzogen und mit ihrem neuen Freund Michi telefoniert.
Jonathan erinnerte sich noch, wie peinlich es ihr gewesen war, als Matthias er vor allen angesprochen hatte, doch sie schien schwer verliebt zu sein. Obwohl Sheila nur glaubte, dass er die beiden Kinder in Beschlag genommen hatte, damit sie und Esra in Ruhe reden konnten, steckte noch ein wenig mehr dahinter. Er genoss es, mit ihnen zu spielen und musste ständig daran denken, dass er in ein paar Jahren hoffentlich mit seinem eigenen Kind spielen konnte.
Immer wieder hörte er Sheila sagen, dass sie ein gutes Gefühl hatte. Sein Herzschlag beschleunigte sich, wenn er daran dachte, wie Sheila am Sonntag den Test machen wollte. Zwar schrieb er sich nicht in seinen Kalender, wann sie ihre Periode bekam, aber hatte sie nicht gesagt, dass es diese Woche sein würde? Er würde sie nachher auf jeden Fall danach fragen.
Jonathan duschte fertig, dann machte er sich daran, ein kleines Frühstück vorzubereiten. Gerade als er alles auf den Tisch stellte, kam Sheila heruntergeschlichen. Ihr Haar war noch verstrubbelt und sie sah ziemlich verschlafen aus, doch sie lächelte.
„Gut geschlafen?", fragte er, während sie sich an den Esstisch setzten. Sheila seufzte.
„Es geht so. Ich habe so viele verrückte Dinge geträumt", antwortete sie und fragend sah er sie an. Sheila griff nach der Kaffeekanne und schüttete etwas von der dampfenden Flüssigkeit in ihre Tasse, bevor sie seinen Blick bemerkte.
„Ich kann es gar nicht richtig beschreiben, es war einfach komisch", sagte sie, machte eine wegwerfende Handbewegung und nahm einen Schluck Kaffee.
„Okay... Willst du dich gleich noch was ausruhen?", fragte er, doch schnell schüttelte sie den Kopf.
„Nein, ich wollte einkaufen gehen. Wir haben nicht mehr wirklich viel zu Essen", sagte sie und er musste zugeben, dass sie schon eine ganze Weile nicht mehr einkaufen gewesen waren.
„Wenn du willst kann ich mitkommen", schlug er vor, doch sie schüttelte den Kopf.
„Musst du nicht. Du hast doch bestimmt noch viel zu arbeiten", erwiderte sie. Jonathan musste zugeben, dass er durchaus etwas zu tun hatte, denn sein Zeitplan war durch seine gebrochene Hand ein wenig durcheinander gekommen.
Auf einmal fiel ihm wieder ein, dass sie ihm doch zeigen wollte, was sie für die Mitarbeiter-Vorführung planten. Sheila sah ihn misstrauisch an, denn offensichtlich konnte man ihm seine Neugier und Vorfreude ansehen.
„Du wolltest mit noch zeigen, was ihr gestern bei der Probe gemacht habt", erinnerte er sie und nun lächelte auch sie.
„Stimmt. Wenn du willst, komme ich nach dem Einkaufen zu dir ins Studio und zeige dir ein bisschen was. Es ist natürlich komisch, immerhin tanzen wir zu dritt, aber dir gefällt es bestimmt", schlug sie vor und begeistert nickte er. Sie hatte recht, es würde ihm mit Sicherheit gefallen. Was wohl eher daran lag, dass ihm immer gefiel, wie sie tanzte. Sie schien dann in eine andere Welt einzutauchen, wo sie all ihre Probleme vergessen konnte.
„Abgemacht", strahlte er, dann widmete er sich seinem Frühstück. Eine ganze Weile aßen sie schweigend, doch Jonathan lag die ganze die Frage nach ihrer Periode auf der Zunge.
„Ist irgendwas?", fragte sie und grinste. Er war wirklich schlecht darin, Dinge zu verbergen. Er spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Obwohl es etwas ganz normales sein sollte, war es ihm ein wenig unangenehm.
„Hattest du nicht gesagt, dass du diese Woche... du weißt schon, deine Periode bekommst?", fragte er dann und musterte sie verlegen. Sie kicherte, denn anscheinend fand sie es lustig, dass es ihm unangenehm war.
„Stimmt, eigentlich sollte ich sie diese Woche bekommen", sagte sie und ihr Lächeln wurde breiter. Sollte?
„Meinst du damit, dass du überfällig bist?", fragte er und fühlte sich auf einmal ganz aufgekratzt. Für eine Sekunde senkte sie den Blick, doch als sie ihn wieder hob, schwammen ihre Augen in Tränen.
„Heute ist schon Dienstag. Normalerweise fängt es Samstags an, spätestens Sonntags. Es sind erst zwei Tage, aber... es hat in den letzten Monaten immer Samstags oder Sonntags angefangen", sagte sie und wischte sich eine Träne von der Wange.
Jonathan hörte, wie etwas klirrte und erst da wurde ihm bewusst, dass er sein Messer auf den Teller fallen gelassen hatte. Wie automatisiert sprang er auf und lief zu ihr um den Tisch herum. Sheila streckte die Arme nach ihm aus und er beeilte sich, sie zu umarmen. Sein Herz hämmerte ihm gegen die Rippen, dass es schmerzte, doch es war ein schöner Schmerz. So lange hatte er auf diesen Moment gewartet. Natürlich hieß es nicht, dass sie tatsächlich schwanger war, doch nun teilte er ihr gutes Gefühl. Er löste sich von ihr und sah ihr tief in die Augen.
„Das wäre so wunderschön", hauchte er und spürte, wie sie eine Hand in seinen Nacken und sie andere auf seine Brust legte.
„Wir sollten uns noch nicht allzu große Hoffnungen machen und bis Sonntag abwarten. Aber... ich weiß, man sollte sich nicht zu sehr auf seine Gefühle verlassen, aber ich glaube, dieses Mal hat es wirklich geklappt", sagte sie und wieder lief eine Träne ihre Wange hinunter. Jonathan wusste, was sie meinte. Würde er sich nun unendlich freuen, wäre die Enttäuschung um so größer, sollte ihre Periode doch noch einsetzen. Dennoch gefiel die Vorstellung, dass sie tatsächlich schwanger war.
„Bisher habe ich mich recht gut auf meine Gefühle verlassen können", erwiderte er und dachte daran, wie sehr er sich schon in ihrer Beziehung von seinen Gefühlen hatte leiten lassen. Natürlich war es rational nicht klug gewesen, nach zwei Monaten Beziehung mit ihr gemeinsam ein Haus zu kaufen und ihr einen Antrag zu machen, doch er bereute nichts davon.
Obwohl sie zu Beginn ihrer Beziehung psychisch am Ende gewesen war und es für ihn selbst viel einfacher gewesen wäre, sich jemand anders zu suchen, der keinen psychopathischen Ex hatte, war er bei ihr geblieben und hatte alles mit ihr gemeinsam durchgestanden. Und es hatte sich wirklich gelohnt. Sicher, sie hatten ein paar Streitereien, doch all das konnte er in diesem Moment vergessen.
„Ich liebe dich", hörte er sich sagen und spürte, dass diese Worte tief aus seinem Herzen kamen. Sheila kicherte verlegen, dann küsste sie ihn.
„Ich liebe dich auch", gab sie zurück und umschlang ihn so fest, dass er beinahe vornüber gekippt wäre. Eine ganze Weile hielten sie sich einfach nur fest und es fühlte sich schön an. All die Sorgen der letzten Tage waren in diesem Moment vergessen und er wünschte sich, dass alles wieder so leicht sein würde wie in diesem Moment. Als Sheila sich löste, war er beinahe ein wenig enttäuscht.
„Ich mache mich dann auf den Weg, okay? Ich beeile mich", sagte sie, dann stand sie auf, trug ihren Teller in die Küche und zwinkerte ihm im Vorbeigehen zu. Jonathan fühlte sich noch wie berauscht und es klingelte in seinen Ohren. Als sie wieder aus der Küche zurückkam, stellte er sich ihr in den Weg und grinste sie frech an.
„Was ist?", fragte sie, legte ihm aber die Hände an die Hüften.
„Nichts, ich sehe dich einfach gern an", erwiderte er und es stimmte. Er wollte sie nicht gehen lassen, noch nicht einmal für eine Stunde. Bevor er richtig darüber nachdachte, trat er einen Schritt näher an sie heran und legte ihr seine Hand auf den Bauch. Es fühlte sich an wie immer, doch er stellte sich vor, wie sich mit jeder Woche ihr Bauch weiter rundete und irgendwann könnte er die Tritte des kleinen Wesens in ihr erspüren.
„Lass uns bis Sonntag warten", flüsterte sie und schob seine Hand weg. Er schluckte, denn auf einmal klang sie ernüchtert. Er nickte nur, dann drängte sie sich an ihm vorbei in den Flur und verschwand in Richtung Bad. Jonathan sah ihr nach, bis sie die Tür leise hinter sich schloss. Keine Minuten später hörte er das Rauschen des Wassers und er machte sich daran, den Tisch weiter abzuräumen.
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