Kapitel 68 - Jonathan

Jonathan brachte Sheila ins Bett, denn sie konnte einfach nicht aufhören zu weinen. Zwar wusste er nicht, was genau Karima zu ihr gesagt hatte, doch offensichtlich war es gemein gewesen. 

„Bleibst du bei mir?", fragte sie und schnell nickte er. Sie hob ihre Decke an und er kroch zu ihr darunter. Sofort legte sie ihre Hand an seine Brust und tatsächlich schien es sie zu beruhigen. Sie hatte die Augen geschlossen, dennoch schien sie nachzudenken. 

Hoffentlich glaubte sie Karima nicht, was auch immer sie ihr gesagt hatte, doch er würde sie nicht danach fragen. Er würde Karima ignorieren und nicht noch einmal von ihr anfangen, egal was sie tat. Denn Sheila würde eifersüchtig werden und sie konfrontieren, was ganz offensichtlich dazu führte, dass sie verletzt war. Und das wollte er auf keinen Fall. Sanft strich er ihr mit dem Finger über den Arm, was ihr ein Seufzen entlockte. 

„Ruh dich ein wenig aus", flüsterte er und sie nickte. 

„Wartest du noch, bis ich eingeschlafen bin?", fragte sie, ohne die Augen zu öffnen. 

„Mache ich", versprach er, doch wenn er ehrlich war, fühlte auch er sich erschöpft. Obwohl es erst gegen Nachmittag sein musste, war er ausgelaugt vom Tag. Aber er zwang sich, so lange zu warten, bis sie eingeschlafen war. Tatsächlich dämmerte sie schon nach ein paar Minuten weg, sodass er selbst die Augen schloss und versuchte zu schlafen. 

Doch seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe. Machte es ihr wirklich so sehr zu schaffen, dass Karima ihn als Lügner bezeichnet hatte? Immerhin schien sie ihm trotzdem zu glauben. Jonathan schlug die Augen wieder auf und betrachtete eine Weile Sheilas sanftes Gesicht. Sie schien vollkommen entspannt zu sein und er konnte sich nur mit Mühe zurückhalten, ihr nicht durchs Haar zu fahren. Doch das würde sie vielleicht aufwecken und das wollte er nicht. Schlafen konnte er allerdings auch nicht, also stand er so leise wie möglich auf und schlich sich aus dem Zimmer. 

Sheila rührte sich nicht, also ging er davon aus, dass sie weiterschlief. Er ging nach unten ins Wohnzimmer und setzte sich aufs Sofa. Eigentlich könnte er noch eine Weile arbeiten, aber er wollte Sheila nicht allein lassen. Wahrscheinlich würde sie die Krise kriegen, wenn sie aufwachte und er war nicht da. 

Sein Blick fiel auf sein Handy, das auf dem kleinen Wohnzimmertisch lag. Es war schon verlockend, Karima noch einmal anzurufen und ihr klar zu machen, dass es absolut nicht in Ordnung war, wenn sie Sheila zum Weinen brachte. 

Er streckte die Hand nach seinem Handy aus, doch kurz bevor seine Finger es erreichten, zog er sie wieder zurück. Nein, er wollte sie ignorieren und das würde er auch tun. Jede Mail, die sie ihm zweifelsfrei noch schreiben würde, wanderte automatisch in den Papierkorb. 

Jonathan atmete tief durch und versuchte so, die wirren Gedanken in seinem Kopf zu ordnen. Eigentlich hatte er das Gefühl gehabt, dass alles wieder besser wurde. Sie hatten sich ausgesprochen und über ihre Gefühle füreinander geredet und sie würden am Sonntag den Test machen. Wenn Sheila ihn nicht angelogen hatte, könnte es durchaus sein, dass er positiv ausfiel. 

Er spürte, wie ihm das Herz bis zum Hals schlug, doch es war vor Freude. Sicher, sie hatten sich in letzter Zeit oft gestritten und eigentlich war er immer der Auslöser gewesen, aber er war der festen Überzeugung, dass mit einer Schwangerschaft alles besser werden würde. Sie wünschten es sich schon so lange und mit jedem weiteren Monat, in dem es nicht geklappt hatte, war seine Frustration gestiegen. Sheila ließ sich ihren Frust zwar nicht so anmerken wie er selbst, doch ihr musste es genau so gehen wie ihm. Der Unterschied war wahrscheinlich, dass sie noch nicht so schnell aufgegeben hatte wie er. 

Ein Summen ließ ihn zusammenzucken und es dauerte ein paar Sekunden bis er begriff, dass ihn jemand anrief. Schnell nahm er das Handy vom Glastisch und warf einen Blick auf das Display. Wäre es eine unbekannte Nummer, würde er nicht drangehen, denn vielleicht hatte Karima doch irgendwie seine Nummer herausbekommen. Doch auf dem Display stand ein Name und schnell meldete er sich. 

„Hallo", sagte er und erst da bemerkte er, wie kratzig sich seine Stimme anhörte. 

„Hey, hier ist Esra", sagte Esra am anderen Ende der Leitung, obwohl er es schon an der Nummer erkannt hatte. Ein wenig verwundert zog er die Augenbrauen zusammen, denn obwohl sie sich gut verstanden, wenn sie sich sahen, war es unüblich, dass Esra ihn anrief. 

„Wie geht's?", fragte er, als Esra schwieg. Sie seufzte als Antwort. 

„Ich will dich gar nicht lange stören, aber... du hast nicht zufällig was von Matthias gehört? Ich erreiche ihn schon seit ein paar Tagen nicht und die Kinder fragen nach ihm und ich bräuchte ihn für Mittwoch", sagte sie dann und er konnte die Verzweiflung in ihrer Stimme hören. Jonathan schluckte, denn auch Sheila hatte schon eine Weile nicht mehr mit ihm gesprochen, was schon seltsam war. 

„Nein, wir haben schon ein paar Tage nichts mehr von ihm gehört", antwortete er und hörte, wie Esra fluchte. 

„Hast du es bei Jonas versucht?", schlug Jonathan vor, denn soweit er sich erinnerte wollte er doch gestern wieder von seinen Eltern zurückkommen und mit Matthias sprechen. 

„Ja habe ich. Er hat anscheinend auch mit ihm gesprochen, aber so weit ich es verstanden habe, ist es nicht wirklich gut ausgegangen und er ist vorübergehend in ein Hotel gezogen. Zumindest ist das mein letzter Stand", berichtete sie. Jonathan schluckte schwer. Eigentlich ging es ihn ja nicht wirklich etwas an, was zwischen Sheilas Bruder und seinem Freund passierte, doch wenn ihr Bruder vollkommen abtauchte, ging es ihn durchaus etwas an. Immerhin quatschte Sheila ziemlich oft über ihre Sorgen mit ihm und es tat ihr mit Sicherheit gut, mit ihm auch über ihre Probleme zu sprechen. 

„Da weißt du schon mehr als ich", gab er zurück. 

„Ich wollte nicht schon wieder Darren anrufen. Er wird ihm nur die Hölle heiß machen und er scheint im Moment irgendwelche Probleme zu haben, über die er nicht spricht. Zumindest nicht mit mir", sagte sie und klang schon recht verzweifelt. Er wusste, dass Esra noch immer Gefühle für Matthias hatte, doch sie sollte sich das alles nicht so sehr zu Herzen nehmen. Zwar mochte er Matthias, aber er war nicht wirklich der Zuverlässigste. 

„Wenn er seine Kinder vernachlässigt und sich nicht an Absprachen hält, sollte ihm vielleicht mal jemand die Hölle heiß machen", sagte Jonathan und er meinte es durchaus ernst. Zwar wollte er nicht derjenige sein, der diese Aufgabe übernahm, doch Matthias schien manchmal einen Tritt in den Hintern zu brauchen. Wieder seufzte Esra. 

„Vielleicht hast du recht. Ich versuche gleich noch mal mit den Kindern zu ihm nach Hause zu fahren, vielleicht reagiert er ja auf Klingeln", sagte sie, doch sie klang nicht wirklich überzeugt, dass er aufmachen würde. 

Plötzlich kam Jonathan eine Idee. Esra meinte doch, dass sie am Mittwoch einen Babysitter brauchte und er meinte sich zu erinnern, dass Sheila ihm erzählt hatte, dass sie sich an dem Tag mit Leonard treffen wollte. 

„Falls du ihn nicht erreichst, könnten wir auch am Mittwoch auf die beiden aufpassen", hörte er sich vorschlagen, bevor er lange darüber nachgedacht hatte. Sicherlich war das auch eine Intention von Esra gewesen, aber sicherlich hätte sie es von sich aus niemals gefragt, da war er sich sicher. 

„Ach was, das müsst ihr nicht machen", widersprach sie, doch Jonathan schnalzte mit der Zunge. 

„Es ist ja nur für einen Abend. Das ist kein Problem", sagte er und er hörte, dass Esra erleichtert war. 

„Das wäre wirklich super! Ich probiere es aber noch mal bei Matthias. Ich melde mich spätestens Mittwoch gegen Mittag. Wäre das zu kurzfristig?", fragte sie und er konnte förmlich das Leuchten in ihren Augen sehen. 

„Nein, das wäre in Ordnung. Ich habe Zeit. Sheila muss bis 17 Uhr arbeiten, aber ich habe den ganzen Tag Zeit", sagte er, denn obwohl er arbeiten musste, konnte es jederzeit eine Pause einlegen. 

„Danke! Ich melde mich noch mal", sagte sie und schien es auf einmal eilig zu haben, das Gespräch zu beenden. 

„Klar doch. Bis dann", verabschiedete er sich, dann legte sie auf. 

„Wer war das?", riss Sheilas Stimme ihn aus seinen Gedanken und erschrocken riss er den Kopf herum. Mit verschränkten Armen stand sie im Türrahmen und musterte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen. Jonathan hatte gar nicht bemerkt, dass sie hereingekommen war. 

„Esra. Sie hat gefragt, ob wir etwas von Matthias gehört haben. Sie erreicht ihn nicht", erklärte er und setzte ein Lächeln auf. Obwohl Sheila nickte, sah sie misstrauisch aus. Jonathan stand auf und ging zu ihr. Sie wich zwar nicht zurück, doch ihre verschränkten Arme löste sie auch nicht. 

„Ich habe ihr angeboten, dass wir am Mittwoch auf die Kinder aufpassen könnten, falls sie Matthias nicht erreicht. Sie wollte sich doch mit Leonard treffen", berichtete er und endlich löste sie ihre verkrampfte Haltung und ließ zu, dass er ihre Hand nahm. Doch ihr Blick war auf den Boden gerichtet. 

„Ich habe im ersten Moment gedacht, dass du mit Karima sprichst. Anscheinend werde ich schon paranoid", sagte sie, dann hob sie den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. 

„Es war wirklich nur Esra. Ich würde nicht mit Karima telefonieren. Zumindest nicht so, ich bin wütend, dass sie dir wehgetan hat", brach es aus ihm heraus, doch am liebsten hätte er den letzten Teil zurückgenommen, denn in Sheilas Augen standen schon wieder Tränen. Sie blinzelte, um sie zurückzudrängen und seufzte, bevor sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte. 

„Ich weiß auch nicht, warum mich das so mitnimmt. Ich weiß doch, dass du nichts mit ihr anfangen würdest und trotzdem bin ich eifersüchtig. Es macht mich verrückt, wenn ich mir vorstelle, wie ihr beide...", setzte sie an, doch Jonathan legte ihr die Hand auf den Kopf und ließ sie so verstummen. 

„Hey, stell dir so etwas doch nicht vor. Es wird nicht passieren, das weißt du. Es gibt keinen Grund, eifersüchtig zu sein", sagte er leise und einfühlsam. Obwohl er es nachvollziehen konnte, war es unnötig, dass sie sich deswegen so viele Sorgen machte. 

„Eine andere Frau schickt dir Nacktbilder, ich denke das ist ein guter Grund, um eifersüchtig zu sein", widersprach sie beinahe patzig, doch dann schlang sie die Arme um ihn. 

„Verschwende keinen Gedanken mehr an sie. Ich werde alles, was von ihr kommt direkt löschen. Sie interessiert mich nicht", sagte er und hoffte, dass das Thema nun beendet war. 

„Nein, bitte zeig mir, was sie dir schickt. Sonst drehe ich durch, weil mein Gehirn sich irgendetwas ausdenkt", sagte sie bestimmt und hob den Kopf von seiner Schulter, um ihm wieder in die Augen sehen zu können. Er erwiderte ihren Blick, obwohl es ihm durchaus schwerfiel. Es war schrecklich, diesen Schmerz in ihren Augen zu sehen. 

„Bitte", flehte sie und ohne dass er es verhindern konnte, nickte er. 

„Aber nur wenn du mir versprichst, dass du dich davon nicht runterziehen lässt", forderte er, denn eigentlich gefiel es ihm gar nicht, dass Sheila alles sehen wollte. Sie nickte kurz, dann lehnte sie sich wieder an ihn. 

„Wann sollen wir denn auf die Kinder aufpassen?", fragte sie nach ein paar Sekunden und Jonathan war erleichtert, dass sie nicht weiter über Karima reden wollte. 

„Esra wollte sich noch mal melden, aber ich denke es wird gegen Abend sein. Vielleicht erreicht sie Matthias ja noch. Sie wollte gleich zu ihm fahren", berichtete er und spürte, wie Sheila an seiner Schulter nickte. 

„Ich hoffe. Er fehlt mir irgendwie", sagte sie und sprach damit seine Befürchtungen aus. 

„Er kriegt sich schon wieder ein. Esra meinte, dass Jonas in ein Hotel gezogen ist", erwiderte er. 

„Oh je... Hoffentlich geht es ihm einigermaßen gut. Meinst du, ich soll ihn mal anrufen?", fragte sie, doch er zuckte die Schultern. Wenn sie es wirklich wollte, würde er sie ohnehin nicht davon abhalten können, aber eigentlich hielt er wenig davon, sich einzumischen. 

„Ich weiß nicht. Misch dich nicht in ihre Beziehung ein, das müssen die beiden unter sich ausmachen", riet er ihr, doch sie stöhnte nur. 

„Du hast ja recht. Aber ich könnte ihm doch anbieten, mal zu quatschen", sagte sie, dann löste sie sich von ihm. 

„Hast du auch Lust auf einen Kaffee?", fragte sie und er nickte. Sie lächelte, küsste ihn auf die Wange und verschwand in die Küche. Er folgte ihr, doch er blieb im Türrahmen stehen und beobachtete, wie sie Kaffeepulver in die Maschine füllte. Es war schön, sie einfach nur bei alltäglichen Dingen zu sehen, denn Aufregung und Stress hatten sie wirklich genug gehabt. 

„Sollen wir uns gleich einen Film ansehen?", fragte sie, als der Kaffee langsam durch den Filter lief. Sie lächelte, doch es sah mühsam aus. 

„Klar, wenn du Lust hast", erwiderte er und freute sich, dass sie etwas mit ihm unternehmen wollte. Auch wenn es nur einen Film schauen war, gefiel ihm das doch besser als zu streiten. Sheila nickte. 

„Weißt du noch, wie wir früher ständig Filme geguckt haben?", fragte sie, doch er lachte leise. Natürlich erinnerte er sich. 

„Wie könnte ich das vergessen? Wir könnten auch noch mal ins Kino gehen, das haben wir schon ewig nicht mehr gemacht", schlug er vor und musste unwillkürlich grinsen. Sie hatten sich oft gruselige Filme im Kino angesehen und er hatte sie ziemlich oft erschreckt, als sie im Dunkeln nach Hause gegangen waren. Obwohl sie sich immer beschwert hatte, wusste er, dass es ihr auch Spaß gemacht hatte. 

„Gute Idee. Aber wehe du erschreckst mich wieder so oft", warnte sie und zeigte mahnend mit dem Finger auf ihn. Jonathan lachte, was auch sie zum Kichern brachte. 

„Genau daran habe ich auch gerade gedacht", presste er hervor und streckte die Arme nach ihr aus. Ohne zu zögern umarmte sie ihn. 

„Gruselige Filme sind im Kino auch am coolsten. Bei Komödien ändert sich ja nichts, außer dass es lauter ist", sagte sie und er prustete los. 

„Ach so, du meinst gruselige Filme verändern sich im Kino?", lachte er, doch sie stupste ihn an. 

„Nein, ich meine damit, dass sie noch gruseliger wirken. Es ist doch viel schlimmer einen Horrorfilm im Kino anzusehen als zu Hause auf dem Sofa", erklärte sie, musste aber auch kichern. Jonathan wusste, was sie meinte, doch es war lustig, sie absichtlich falsch zu verstehen. 

„Stimmt. Wenn du willst, kann ich mal nachsehen was im Moment läuft", schlug er vor und sie nickte. 

„Okay", stimmte sie zu, dann löste sie sich von ihm und holte zwei Tassen aus der Schrank. Jonathan strich ihr noch einmal über die Wange, anschließend klappte er ihren Laptop auf, der auf dem Tisch lag, um im Internet nach Filmen zu suchen. 

Sofort sprang der Bildschirm an, offensichtlich war er nur im Standby gewesen. Jonathan klickte auf Anmelden und es öffnete sich ein Textdokument, das Sheila anscheinend zuletzt benutzt hatte. Hatte sie wieder geschrieben? Er erinnerte sich, dass sie davon gesprochen hatte, dass es ihr half, ihre Gefühle zu ordnen. 

Schnell warf er einen Blick zu Sheila, die in der Küche im Schrank herumkramte. Obwohl er wusste, dass sie es nicht mochte, wenn er einfach so ihre Geschichten las, ohne dass sie es ihm erlaubt hatte, wanderten seine Augen über die Worte. 

Sein Herz blieb beinahe stehen, als er begriff, worum es in diesem Abschnitt ging. Schnell klickte er auf den Browser, damit er nicht weiter las. Es war albern, dass er sich dadurch verletzt fühlte, doch obwohl Sheila die Personen in ihren Geschichten anders genannt hatte und auch ihre Charaktere etwas abgeändert hatte, konnte man alle vorkommenden Charaktere echten Leuten zu ordnen, die sie kannte. Er hatte zwar nur einen kleinen Abschnitt gelesen, doch anscheinend hatte Sheila Fantasien davon, wie sie wieder engeren Kontakt mit Ville hatte. Jonathan schüttelte den Kopf, rief die Internetseite des Kinos auf und durchstöberte das Programm. 

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