Kapitel 67 - Sheila

Gerade als Sheila aus ihrem Auto stieg, sah sie Jonathan die Straße entlang kommen. Er hatte den Blick auf den Boden gerichtet und sah ganz und gar nicht zufrieden aus. Sie wartete an ihrem Auto auf ihn, doch er schien sie erst zu bemerken, als er direkt vor ihr stand. 

„Hey", sagte er und zwang sich zu einem Lächeln. 

„Selber hey", erwiderte sie, griff nach seiner Hand und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. 

„Bist du okay?", fragte sie, denn er sah ganz und gar nicht gut gelaunt aus. Mal wieder. 

„Ja, ich muss dir nachher etwas sagen. Oder zeigen, je nach dem, ob du es sehen willst", sagte er, dann zog er sie in Richtung Haus. Sheila wurde misstrauisch. Was wollte er ihr zeigen? 

„Worum geht es?", fragte sie, während er die Klingel drückte. 

„Karima", sagte er verbittert, doch gleichzeitig strich er mit dem Daumen über ihren Handrücken, ganz offensichtlich ein Versuch, sie zu beschwichtigen. 

„Was hat sie...", setzte sie an, doch er unterbrach sie. 

„Später", sagte er bestimmt und keine Sekunde danach wurde ihnen die Tür geöffnet. Sheila schluckte, denn irgendetwas musste passiert sein. Hatte er es sich doch anders überlegt? Hatte sie ihn so lange bequatscht, bis er sich mit ihr treffen wollte? Sheila biss die Kiefer aufeinander. Eigentlich glaubte sie nicht daran, denn er hatte wirklich keinerlei Interesse an ihr gezeigt und sie wusste, dass er sie nicht anlügen konnte. Dennoch machte sie sich Gedanken. 

„Hallo, kommt doch rein", begrüßte ihr Vater sie und Sheila zwang sich, ihn anzulächeln. Jonathan erwiderte die Begrüßung und zog sie ins Haus. 

„Wie geht es deiner Hand?", hörte sie ihren Vater fragen und ehrlicherweise war sie erleichtert, dass sie noch ein wenig Zeit hatte, ihre Gedanken zu ordnen. Jonathan hatte ihr doch versichert, dass sie sich wegen Karima keine Sorgen machen musste, dennoch konnte sie ihre Zweifel nicht abstellen. Sie würde zwar nicht sagen, dass Jonathan unglücklich mit ihr war, aber er war schon sehr oft frustriert. Offensichtlich schaffte sie es nicht, ihn da raus zu ziehen und nun hatte er eine Alternative. Ihr Herz schmerzte, doch sie riss sich zusammen. Jonathan wollte nachher mit ihr reden und sie musste bis dahin wohl oder übel durchhalten. 

Irgendwie hatten sie ihre Füße ins Wohnzimmer zur Couch getragen, wo schon Lisa und die beiden Kinder auf sie warteten. Ihr Vater war in der Küche verschwunden und erst da bemerkte sie den verlockenden Duft nach Essen. Jonathan saß bereits neben Lisa auf dem Sofa und er sah Sheila so unsicher an, dass sie ihn am liebsten in den Arm genommen hätte. Offensichtlich ging ihm so einiges durch den Kopf. Sheila ließ sich neben Jonathan nieder und lehnte sich an ihn. 

„Wie war denn euer Wochenendtrip ins Ferienhaus?", erkundigte sich Lisa und Sheila warf einen kurzen Blick zu Jonathan, der ihn erwiderte. Sie musste daran denken, wie sie gemeinsam ins Meer gegangen waren und was sie dort getan hatten. Doch an seinem Blick sah sie, dass er an etwas ganz anderes dachte. Nämlich an ihren Streit auf der Hinfahrt. 

„Es war ganz nett. Wir waren frühstücken und haben Pizza bestellt", berichtete sie, bevor Lisa misstrauisch wurde. Sie lächelte. 

„Klingt doch schön. Ich glaube, euch beiden täte ein Urlaub mal ganz gut. Es ist doch ziemlich viel passiert in letzter Zeit", sagte sie und Sheila musste zugeben, dass sie recht hatte. 

„Stimmt. Vielleicht können wir noch mal über ein verlängertes Wochenende wegfahren", sagte sie und sah Jonathan erwartungsvoll an, doch der zuckte nur die Schultern. 

„Wieso nicht", erwiderte er, aber es war klar, dass er mit den Gedanken ganz woanders war. 

„Helft mir mal tragen", rief Darren aus der Küche und erleichtert sprang Sheila auf. Sie war froh, dass sie aus der Situation herauskam, denn offensichtlich war Jonathan nicht in der Stimmung, Urlaubspläne zu schmieden. Sie spürte, dass Jonathan ihr hinterher ging, doch schon wieder herrschte zwischen ihnen eine angespannte Stimmung. Sie griff nach einer der Schüsseln, die ihr Vater mit Kartoffeln befüllt hatte. Doch ihr entging der fragende Blick ihres Vaters keineswegs. 

Bevor er sie ausfragen konnte ging sie an Jonathan vorbei zum Esstisch, wo Lisa gerade ihre kleine Tochter Tamara in den Hochstuhl setzte. Sie stellte die Schüssel ab und wollte gerade wieder zurück in die Küche gehen, als Lisa sie am Arm festhielt. Sheila wandte sich zu ihr um und sah sie fragend an, doch bei Lisas Blick sank ihr das Herz in die Hose. Sie hatte eine mitleidsvolle Miene aufgesetzt und zog sie näher zu sich heran. 

„Willst du mal reden? Zwischen euch ist doch irgendetwas nicht in Ordnung", flüsterte sie, damit Jonathan sie nicht hörte. Kurz zögerte Sheila. Es würde ihr sicherlich gut tun, mit jemandem über alles zu sprechen, doch wenn Lisa es wusste, dann würde ihr Vater auch alles wissen. Außerdem waren sie gerade dabei, alles wieder auf die Reihe zu bekommen. Sie schüttelte den Kopf. 

„Danke, es renkt sich gerade alles wieder ein. Wir hatten viel Stress, aber ich bin sicher, dass alles wieder so wird wie früher", erwiderte sie und lächelte. Ganz offensichtlich war Lisa nicht überzeugt. Dennoch ließ sie ihren Arm los. 

„Na gut. Aber wenn irgendetwas ist, ruf mich oder Papa an, okay?", fragte sie und schnell nickte Sheila. Zwar wusste sie, dass sie das Angebot nicht annehmen würde, trotzdem war sie dankbar. Normalerweise redete sie mit Matthias oder Johnny über ihre Probleme, doch beide schienen im Moment Out of Order zu sein. 

„Hast du etwas von Matthias gehört?", hörte Sheila sich fragen, vielleicht weil ihr Unterbewusstsein sehr wohl mit jemandem sprechen wollte. Entschuldigend schüttelte Lisa den Kopf. 

„Noch nicht. Er hat sich seit ein paar Tagen schon nicht gemeldet. Wenn er sich bis Mittwoch nicht meldet, wird Darren zu ihm fahren. Er kann sich nicht ewig vergraben", antwortete sie. Sheila schluckte. Es war überhaupt kein gutes Zeichen, wenn Matthias so lange nichts von sich hören ließ. 

Doch bevor sie sich länger darüber den Kopf zerbrechen konnte, kamen Jonathan und ihr Vater aus der Küche zu ihnen und Sheila setzte sich auf ihren angestammten Platz neben Jonathan. Sie suchte unter den Tisch nach seiner Hand, doch gerade als sie ihre Finger mit seinen verschränken wollte, nahm er sie weg und stützte seine Ellbogen auf dem Tisch ab. Obwohl sie sich sicher war, dass er ihren Annäherungsversuch mitbekommen hatte, ignorierte er ihren fragenden Blick. Sie schluckte, denn auch wenn es nur eine Kleinigkeit war, verletzte es sie. Was, wenn das Gespräch zwischen ihm und Karima doch anders abgelaufen war, als er es dargestellt hatte? Eigentlich hatte er nicht so geklungen, als wäre er nicht ehrlich gewesen, gleichzeitig beunruhigte es sie, dass er später noch mit ihr reden wollte.

Nach dem Essen, das sie irgendwie überstanden hatte, spürte sie Jonathans Hand auf ihrem Knie. Eilig legte sie ihre Hand auf seine und es fühlte sich gut an. Sie suchte seinen Blick und für eine Sekunde sah sie genau in seine blauen Augen, doch schnell sah er wieder auf seinen leeren Teller. Irgendetwas war ganz und gar nicht in Ordnung, das spürte sie. 

„Wollt ihr noch etwas zu Essen mitnehmen?", fragte Lisa, die gerade anfing, das Geschirr einzusammeln. 

„Ja, gerne", hörte sie Jonathan sagen und musste grinsen. Natürlich wollte er sich noch etwas zu Essen mitnehmen. Er aß Unmengen, ohne dabei wirklich dick zu sein. Auch die anderen lachten leise, doch kurze Zeit später kam Lisa mit einer gefüllten Tupperdose an den Tisch zurück. 

„Was macht ihr heute noch?", erkundigte ihr Vater sich und wieder war es Jonathan, der antwortete. 

„Ich muss noch was arbeiten", sagte er und warf dann einen Blick zu Sheila. Sie nickte. 

„Ich auch. Beziehungsweise muss ich für die Mitarbeiter-Vorführung üben", sagte sie und es war noch nicht einmal gelogen. Sie hatten sich eine neue Choreo ausgedacht und obwohl es leichter sein würde, wenn sie als Gruppe übten, hatten sie vereinbart, dass jeder zumindest die Schritte draufhaben sollte. Immerhin war es zeitlich doch etwas knapp dieses Jahr. Jonathan sah sie verwundert an. 

„Zeigst du es mir?", fragte er neugierig und schnell nickte sie. 

„Ja, wieso nicht", erwiderte sie, denn obwohl sie nicht überrascht war, dass er sich für die Vorführung interessierte, war es ihr lieber, wenn sie mit ihm zusammen Zeit verbrachte. Hinterher fingen seine Gedanken noch an, um jemand anders zu kreisen. Sie wusste selbst, wie schnell so etwas ging und obwohl er bisher noch nicht wirklich Probleme mit dem Gedankenkreisen gehabt hatte, schien es sich bei ihm in den letzten Wochen zu entwickeln.

„Ist die Vorführung wieder am 1. Mai?", fragte ihr Vater und Sheila nickte. 

„Wollt ihr auch kommen?", fragte sie und lächelte. Sie freute sich immer, wenn ihre Familie ihr beim Tanzen zusah. Auch wenn es etwas ganz anderes war, als sie früher getanzt hatte, war sie ein wenig stolz auf sich. Ihr Vater und Lisa wechselten kurz einen Blick, dann nickten sie beide. 

„Okay, ich kann euch Karten hinterlegen lassen", sagte sie und machte sich eine Notiz in ihrem imaginären Kalender. 

„Danke", sagte ihr Vater noch, doch dann erhob Jonathan sich. Es war offensichtlich, dass er gehen wollte und auch Sheila hatte schon die ganze Zeit wie auf heißen Kohlen gesessen. Sie wollte endlich wissen, was heute Vormittag zwischen Jonathan und Karima abgelaufen war.

Nachdem sie sich verabschiedet hatten und in Sheilas Auto saßen, fuhr Jonathan sich mit den Händen durchs Gesicht. Sheila startete den Motor und fuhr aus der Einfahrt, doch sie ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Er schien angestrengt nachzudenken, den Blick starr auf seinen Schoß gerichtet. 

„Was ist los?", fragte sie und endlich sah er sie an. Zwar war sein Blick schmerzerfüllt, doch immerhin ignorierte er sie nicht. Er seufzte. 

„Ich bin so durcheinander", gestand er und rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. 

„Weswegen?", fragte sie skeptisch, denn sofort musste sie an Karima denken. Es ärgerte sie selbst, dass sie ihm nicht einfach vertraute, doch Karima schien hartnäckig zu sein. 

„Ach, es ist im Moment einfach alles zu viel. Gerade wenn ich denke, dass alles wieder einigermaßen in Ordnung ist, kommt die nächste Katastrophe", stöhnte er, was Sheila nicht gerade beruhigte. Forschend sah sie ihn an, doch sein Gesicht war unmöglich zu deuten. 

„Kannst du vielleicht zum Studio fahren? Ich möchte dir was zeigen", sagte er und klang dabei seltsam resigniert. 

„Ja, mache ich", sagte sie und beschleunigte. Obwohl es wirklich nicht weit von ihrem Vater bis zum Studio war, kam ihr die Straße heute ungewöhnlich lang vor. Sie parkte ihren Wagen genau vor dem Studio am Straßenrand. Bevor sie aussteigen konnte, hielt Jonathan sie am Arm fest. 

„Du darfst nicht glauben, dass ich so durcheinander bin, weil ich Gefühle für Karima hätte. Das habe ich nicht, wirklich. Aber sie... ach, sieh es dir einfach selbst an, okay?", sagte er dann und langsam nickte Sheila. Was konnte nur so schlimm sein? Hatten sie mehr Kontakt gehabt als nur das eine Telefonat von dem sie wusste? 

„Zwischen uns ist doch alles okay oder? Ich meine... du willst nicht Schluss machen oder so?", fragte sie dennoch, einfach nur, um sicherzugehen. Jonathans Reaktion verriet es ihr bereits, bevor er etwas sagte. Sämtliche Gesichtszüge schienen ihm zu entgleisen und er beugte sich panisch zu ihr herüber. 

„Sheila, ich würde niemals mit dir Schluss machen. Ich liebe dich", sagte er und tatsächlich musste sie lächeln. Es fühlte sich schön an, das zu hören. 

„Okay. Ich wollte nur noch einmal sichergehen. Ich liebe dich auch", erwiderte sie, sah ihm noch für ein paar Sekunden in die Augen und stieg dann aus. Sofort war er neben ihr und griff nach ihrer Hand und strich ihr mit dem Daumen über den Handrücken. Obwohl es sie normalerweise beruhigte, spürte sie, wie sie nervös wurde. 

Jonathan schloss die Tür auf und führte sie geradewegs in den hinteren Teil des Studios. Er setzte sich an seinen Computer und schaltete ihn ein, dann bedeutete er ihr mit einer Handbewegung, sich auf seinen Schoß zu setzen. Sie gehorchte und schlang einen Arm um seine Schultern. 

„Was willst du mir zeigen?", fragte sie, während sie neugierig der Bewegung des Mauszeigers auf dem Bildschirm folgte. Bevor Jonathan antwortete, öffnete er sein E-Mail-Programm. 

„Karima hat mir E-Mails geschrieben. In der letzten, die ich gesehen habe, war ein Bild von ihr", sagte er. Sheila schluckte. 

„Hier", fuhr er fort und klickte auf eine der Mails. Sheila las schnell den Text und spürte sofort einen Stich der Eifersucht. 

„Sie hat mir noch mehr geschrieben, im Prinzip bettelt sie darum, dass ich mich mit ihr treffe. Nachdem wir kurz telefoniert haben, habe ich sie angerufen und ihr klar und deutlich gesagt, dass ich nichts von ihr will. Sie hat sich mir quasi angeboten", berichtete er und Sheila wurde schlecht. 

„Wie meinst du das?", fragte sie dennoch, obwohl sie es sich schon denken konnte. Jonathan seufzte. „Sie hat gesagt, dass man ja nicht zusammen sein muss, aber wenn ich Lust auf etwas Neues hätte, soll ich mich bei ihr melden", sagte er und schüttelte langsam den Kopf. 

Sofort sah Sheila Jonathan zusammen mit Karima. Sie glaubte den Schmerz körperlich spüren zu können und sie fasste sich an die Brust, als hätte sie Angst, dass ihr Herz tatsächlich brechen könnte. Ihr war klar, dass sie Jonathan nicht aufhalten konnte, wenn er wirklich zu ihr gehen wollte, doch es würde sie kaputt machen. Jonathan war alles für sie. Er hatte sie aus einem tiefen Loch gezogen, aus dem sie allein niemals herausgekommen wäre. 

„Ich habe ihr gesagt, dass ich sie nicht will. Aber danach hat sie mir noch das hier geschickt", hörte Sheila ihn sagen, dann klickte er ein paar Mal mit der Maus herum. Sie wagte kaum, den Blick wieder auf den Bildschirm zu richten, doch anscheinend wollte Jonathan, dass sie alles wusste. 

Sie klammerte sich fester an ihn und betrachtete das Bild. Tatsächlich hätte sie Schlimmeres erwartet. Immerhin hatte sie noch etwas an, auch wenn ihr Ausschnitt so tief war, dass sie auch nichts hätte tragen können. Ihr Gesicht war durchaus hübsch, doch sie war nicht gerade schlank. Sie war vom Typ her so ganz anders als Sheila selbst und sie hoffte instinktiv, dass sie Jonathan nicht gefiel. Jonathan schloss das Foto wieder, dann sah er hilfesuchend zu Sheila. 

„In der Zeit, wo wir bei deinem Vater waren, sind noch zwei Mails gekommen", sagte Jonathan und klang dabei verunsichert. Sheila atmete tief durch. Wahrscheinlich hatte sie ihm noch mehr Fotos geschickt. Anscheinend hatte sie verstanden, dass Jonathan keine Beziehung mit ihr wollte, also versuchte sie mit allen Mitteln, ihn ins Bett zu bekommen. Was ging nur in dem Kopf dieser Frau vor? Wie konnte man sich so an jemanden klammern, den man erst einmal gesehen hatte? 

„Sind es wieder Bilder?", fragte sie und starrte auf den Bildschirm. 

„Ich nehme es an. Soll ich sie öffnen?", fragte er und Sheila nickte. 

„Okay", murmelte er noch, dann öffnete er die erste Mail. 

„Damit du siehst, was du verpasst", las Sheila als Betreff und ihr wurde übel. Jonathan öffnete die angehängte Bilddatei. Wieder war es ein Bild von Karima, doch sie trug nun kein Top mehr, sondern nur noch einen BH. Entsetzt sah sie zu Jonathan, der den Blick abgewandt hatte. Sheila griff nach der Maus und nahm sie ihm aus der Hand, dann klickte sie auf die zweite noch ungelesene Mail. Dieses Mal gab es weder Text noch Betreff, sondern nur ein Bild. Sheila hielt den Atem an und öffnete es. Dieses Mal war auch ihr BH verschwunden. Jonathan stieß einen erstickten Laut aus, dann lehnte er seine Stirn an ihre Schulter. 

„Bitte lösch es einfach. Ich will das nicht sehen", nuschelte er und Sheila gehorchte. Doch sie öffnete noch einmal ihre erste Mail, in der ihre Telefonnummer stand. Sie war nun nicht mehr verletzt, sondern nur noch wütend. Was fiel ihr ein, solche Bilder an ihren Mann zu schicken? Vor allem, weil er ihr gesagt hatte, dass er sie nicht wollte. Sheila kramte ihr Handy aus ihrer Hosentasche und stellte ein, dass sie mit unterdrückter Nummer anrief. 

„Ich rufe sie an", sagte sie bestimmt, doch Jonathan schüttelte den Kopf. 

„Nein, bitte nicht. Es wird sie nur noch mehr anheizen", sagte er und Sheila zögerte. 

„Aber wir können das doch nicht einfach so ignorieren. Sie schickt dir Nacktbilder von sich und ich soll das einfach so hinnehmen?", fuhr sie ihn an, doch er zuckte nur die Schultern. 

„Ich werde jede weitere Nachricht von ihr einfach löschen", sagte er, aber Sheila war damit ganz und gar nicht zufrieden. 

„Nein, ich will das klären", sagte sie bestimmt und stieg von seinem Schoß herunter. Jonathan hielt sie am Arm fest, doch sie schüttelte ihn ab. 

„Bitte. Lass mich fünf Minuten mit ihr reden", sagte sie, doch egal was er sagte, sie würde sie auf jeden Fall anrufen und ihr die Meinung sagen. 

„Sheila, lass es einfach gut sein", flehte er, doch sie schüttelte den Kopf und setzte sich ihm gegenüber auf den Klavierhocker. Sie drückte auf den grünen Hörer und lauschte dem Tuten. Panisch suchte sie nach Worten, aber ihr Hirn war wie leergefegt. Jonathan musterte sie und als sie den Blick hob, traf ihrer den seinen für einen Moment. Er sah sie beinahe ängstlich an, doch nicht so, als hätte er etwas zu verbergen und nun Angst, dass es auffliegen würde, sondern eher so, als würde er unter dem ganzen Stress zusammenbrechen. 

„Hallo?", meldete sich Karima und Sheilas Herz setzte einen Schlag lang aus. 

„Hier ist Sheila, Jonathans Frau", meldete sie sich, damit sie nicht vorgeben konnte, ihren Namen nicht zuordnen zu können. 

„Oh, hallo", sagte sie dann und klang ganz und gar nicht so, als wäre ihr die Situation unangenehm. 

„Hör auf, ihm solche Nachrichten und Bilder zu schicken. Er will nichts von dir und er ist mit mir zusammen", sagte mit bemüht fester Stimme, doch sie klang ganz und gar nicht so selbstsicher, wie sie es sich gewünscht hätte. 

Eine Weile war es still, dann lachte Karima. Tatsächlich lachte sie. Panisch sah Sheila zu Jonathan, der die Ellbogen auf die Knie gestützt hatte und sie mit schmerzverzerrtem Gesicht ansah. 

„Und er ist glücklich mit mir", setzte Sheila noch hinterher, denn dass Karima lachte, verunsicherte sie. 

„Ach, wenn er so glücklich ist, warum hat er mich dann angerufen?", höhnte sie. 

„Er hat dich nur angerufen, um dir zu sagen, dass du ihn in Ruhe lassen sollst", fuhr sie sie an, doch Karima gluckste. 

„Ach so. Warum hat er dann darum gebeten, dass ich ihm Fotos schicke? Er will sich zwar nicht auf eine Beziehung mit mir einlassen, aber hat mir gesagt, dass du ihn im Bett langweilst", sagte sie kalt und berechnend. Sheila war klar, dass es gelogen war, trotzdem schmerzten ihre Worte. Mehr sogar als die Bilder zu sehen. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und sie spürte, wie ihre Wangen feucht wurden. 

„Das stimmt nicht", sagte sie, doch es kam kaum mehr als ein Flüstern heraus. 

„Doch es stimmt. Er wird es leugnen, weil er seine Ehe nicht aufs Spiel setzen will, aber wenn du wüsstest, was er mir vorhin gesagt hat... Es klang, als hätte er schon eine ganze Weile keinen Spaß mehr mit dir gehabt", schleuderte Karima ihr entgegen und obwohl Sheila sich noch vor ihrem Anruf stark und selbstsicher gefühlt hatte, wollte sie sich nun am liebsten in eine Ecke verkriechen und weinen. Sie schlug die Hand vor den Mund, damit sie nicht schluchzte, denn diese Genugtuung wollte sie Karima nicht geben, allerdings wusste sie auch nicht, was sie dazu noch sagen wollte. 

Auf einmal spürte sie, wie Jonathan ihr das Handy aus der Hand nahm und auflegte. Er schlang die Arme um sie und strich ihr über den Rücken, doch er schwieg. Wahrscheinlich wusste er, dass Karima ihn anschwärzen wollte. Sheila wischte sich mit dem Ärmel die Tränen aus dem Gesicht, dann erwiderte sie Jonathans Umarmung. 

„Sie meinte, du hättest ihr Angebot nicht abgelehnt und sie darum gebeten, dir Fotos zu schicken", flüsterte sie in sein Ohr. Obwohl sie wusste, dass es nicht stimmte, schmerzte die Vorstellung. In ihr drängte sich das Bild auf, wie auch er heimlich Fotos von sich gemacht hatte. Jonathan umarmte sie noch fester und atmete zitternd aus. 

„Schatz, du weißt, dass das nicht stimmt. Es ist genau so abgelaufen, wie ich es dir erzählt habe", sagte er und schnell nickte sie. 

„Ich glaube dir, aber trotzdem ist die Vorstellung schlimm. Sie meinte, dass du geklungen hast, als hättest du schon lange keinen Spaß mehr mit mir gehabt", sagte sie, doch ihre Stimme brach. Jonathan stieß einen erschrockenen Laut aus, löste sich ein wenig von ihr, eine Hand an ihrer Wange und sah ihr tief in die Augen. 

„Das ist Quatsch. Habe ich dir das Gefühl gegeben es... würde mir nicht gefallen? Du würdest mir nicht gefallen?", fragte er auf einmal vollkommen ernst. Sheila konnte nur den Kopf schütteln und sie dachte an die letzten Tage, in denen sie wirklich oft miteinander geschlafen hatten. Letzte Nacht, davor die Nacht im Meer... Nein, sie hatte wirklich nicht eine Sekunde lang das Gefühl gehabt, dass Jonathan sie nicht anziehend oder er es langweilig mit ihr fand. 

„Na siehst du. Du bist perfekt, in jeder Hinsicht", sagte er deutlich und küsste sie sanft. 

„Lass das nicht so nah an dich ran. Sie ist offensichtlich bescheuert", fuhr er fort. Sheila zwang sich zu einem Nicken, doch ihre Tränen wollte einfach nicht aufhören. Sie konnte nun verstehen, was Jonathan vorhin im Auto damit gemeint hatte, dass er durcheinander war. Er wischte ihr die Tränen von den Wangen, doch sofort flossen neue nach. 

„Na komm, lass uns nach Hause gehen", sagte er und hielt ihr die Hand hin. Sie ergriff sie und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. Anstatt in Richtung Ausgang zu gehen, klammerte sie sich an ihm fest und vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. 

„Haben dir ihre Fotos gefallen?", hörte sie sich fragen, bevor sie es zurückhalten konnte. Obwohl sie ihm glaubte, dass er nichts von ihr wollte, schmerzte es doch, wenn sie sich vorstellte, wie er sich ihre Bilder angesehen hatte. Er seufzte. 

„Ich habe sie mir gar nicht richtig angesehen. Ich will es auch nicht. Außerdem ist sie nicht mein Typ", sagte er dennoch, dann legte er den Arm um ihre Mitte und schob sie in Richtung Ausgang. 

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