Kapitel 62 - Jonathan

Sheila hielt mitten auf der Straße an und Jonathan war wie verabredet schon draußen. Er schnappte sich die Tasche, die Sheila gepackt hatte und ging zu ihrem Auto. Noch bevor er die Tasche in den Kofferraum packte, ging er zur Fahrertür und riss sie auf. Er beugte sich unbeholfen ins Auto und umarmte Sheila so fest, dass sie erschrocken die Luft einsog. Jonathan vergrub seine unverletzte Hand in ihrem Haar und küsste sie so leidenschaftlich, dass seine Knie weich wurden. Atemlos löste er sich von ihr und sah ihr tief in die Augen. 

„Bist du okay?", fragte er ernst und sie nickte nur. Tatsächlich sah sie relativ gefasst aus. Er verstaute die Tasche im Kofferraum und beeilte sich dann, auf der Beifahrerseite einzusteigen. Kaum dass er die Tür zugezogen hatte, brauste sie los. 

Jonathan wusste nicht so recht, ob er sie auf die ganze Sache ansprechen sollte oder nicht. Natürlich wollte er alles ganz genau wissen, doch Sheila konnte heute nicht noch mehr Stress gebrauchen. Also schwieg er und sah sie einfach nur an, bis sie anfing zu sprechen. 

„Mir tut das alles so leid, dass wir immer wieder wegen mir Ärger bekommen", sagte sie dann und zog schmerzerfüllt die Augenbrauen zusammen. Jonathan schnalzte mit der Zunge und strich ihr das Haar hinters Ohr. 

„Wir bekommen doch nicht wegen dir Ärger. Du kannst nichts dafür, dass die beiden sich wie Idioten benehmen", widersprach er, doch Sheila schüttelte vehement den Kopf. 

„Nein, wenn ich nicht wäre, würden wir Ville und Oskar gar nicht kennen", fuhr sie fort, doch Jonathan lachte leise. 

„Hör auf. Es ist nicht deine Schuld", versuchte er weiter, sie umzustimmen, aber sie schien noch eine Weile sauer auf sich sein zu wollen. 

„Weißt du noch, wie du am Anfang gesagt hast, dass du Oskar nicht magst?", fragte sie ihn dann und natürlich erinnerte er sich daran. Sheila und er waren noch nicht lange zusammen gewesen und er hatte ihm vorgeworfen, dass er sich nicht um sie kümmern konnte, wenn es ihr richtig schlecht gehen würde. Vielleicht hatte er tatsächlich recht, doch da es Sheila mit ihm an ihrer Seite noch nie so schlecht gegangen war, spielte es keine Rolle. 

„Stimmt. Aber in letzter Zeit mochte ich ihn eigentlich", erwiderte er ehrlich. Sheila lachte leise. 

„Das ist jetzt auf jeden Fall vorbei", sagte sie bitter und Jonathan konnte seine Neugier nicht mehr zurück halten. 

„Willst du mir erzählen, was genau er gemacht hat?", fragte er und sah sie eindringlich an. Immerhin fuhr sie Auto und es wäre nicht wirklich klug, wenn sie sich zu sehr aufregte. Sie atmete tief durch dann nickte sie. Jonathan hörte ihrer Geschichte aufmerksam zu und unterbrach sie kein einziges Mal. 

Mit jeder Minute fiel ihm seine Kinnlade weiter hinunter. Er konnte verstehen, warum sie sauer auf Oskar war, doch er war sich gleichzeitig sicher, dass er nicht hätte absehen können, was sein Handeln für Auswirkungen haben würde. 

„Hoffentlich sieht Matthias ein, dass Oskar ein Idiot ist und lässt sich von ihm nicht seine Beziehung kaputt machen", sagte Sheila mit überraschend ruhiger Stimme. 

„Willst du ihn morgen anrufen?", fragte er, doch sie schüttelte den Kopf. 

„Nein, mein Vater wollte das machen", gab sie zurück, dann fuhr sie sich durch die Haare. 

„Aber es hätte doch auch viel schlimmer kommen können. Also für dich meine ich. Für Matthias muss es ziemlich schlimm sein", sagte er, denn auch wenn Sheila es egoistisch finden würde, zählte für ihn eindeutig mehr, dass es Sheila gut ging als ihrem Bruder. Sheila sah ihn fragend an. 

„Naja, wenigstens hat Ville dich in Ruhe gelassen. Stell dir nur mal vor, dass er auch noch aufgetaucht wäre und dich durcheinander gebracht hätte", sagte er, doch Sheila schnaubte verächtlich. 

„Er würde mich nicht so durcheinander bringen, wie Oskar es offensichtlich mit Matthias macht", widersprach sie, doch auch wenn er es gar nicht so gemeint hatte, fühlte es sich schön an, das noch einmal zu hören. 

„Apropos, was hat er dir eigentlich am Telefon gesagt?", wollte sie wissen, doch Jonathan wollte sich eigentlich nicht wirklich daran erinnern. Auch wenn es nur wenige Sekunden lang gedauert hatte, schüttelte es ihn noch bei dem Gedanken daran. 

„Er wollte dich sehen. Ich habe ihm gesagt, dass er das vergessen kann und dann habe ich mein Handy auf lautlos gestellt. Deswegen habe ich es auch nicht mitbekommen, dass dein Vater angerufen hat. Aber ist ja zum Glück noch alles einigermaßen gutgegangen", sagte er und stupste Sheila mit dem Ellbogen an. Sie schien einen Moment lang darüber nachzudenken, doch dann nickte sie. 

„Ja, du hast recht. Für mich hätte es wirklich schlimmer sein können", gab sie zurück, dann legte sie ihre Hand auf sein Knie. Sofort legte er seine Hand auf ihre und strich mit dem Daumen über ihren Handrücken. 

„Ich habe noch gar nicht deine Nägel gesehen", sagte er und hob ihre Hand näher an sein Gesicht und betrachtete sie im Dämmerlicht, das durch die schwache Straßenbeleuchtung hineindrang. Er konnte es nicht recht erkennen, doch es sah aus, als hätte sie sich auf die Spitzen ein Zebramuster zeichnen lassen. Zumindest hatte er das schon ein paar Mal bei ihr gesehen und obwohl es etwas außergewöhnlich war, gefiel es ihm. 

„Sieht hübsch aus", sagte er und drückte ihr einen Kuss auf jeden ihrer Finger. Sie kicherte, dann legte er ihre Hand wieder auf sein Knie. 

„Ach, wusstest du eigentlich, dass Leonard und Esra sich ziemlich gut verstehen?", fragte sie dann und Jonathan war erleichtert, dass sie das Thema wechselte. 

„Wie meinst du das?", fragte er, denn Leonard hatte ihm noch nicht wirklich etwas erzählt. 

„Sie haben sich zwei Mal getroffen und sie klang so, als hätten sie sich mindestens geküsst. Am Mittwoch wollen sie sich wieder treffen, vorausgesetzt mein Bruder kriegt sich bis dahin wieder zusammengerissen, damit er auf die Kinder aufpasst. Oder eher auf Aaliyah, Duygu ist inzwischen alt genug, dass sie allein bleiben kann. Wenn ich überlege, was ich mit vierzehn gemacht habe", erzählte sie und klang auf einmal sorglos. 

„Ich wünschte, ich hätte dich schon früher kennengelernt", hörte er sich sagen und spürte, dass es tief aus seinem Herzen kam. Es war zwar ein wenig peinlich, doch bevor er Sheila kennengelernt hatte, war er lange Jahre allein gewesen und er hatte sich ziemlich einsam gefühlt. 

Nicht erst einmal hatte er sich ausgemalt wie es wäre, wenn sie sich schon früher kennengelernt hätten. Vielleicht wäre es ihr gesundheitlich dann nicht so schlecht gegangen und auf jeden Fall wäre ihr einiger Schmerz erspart geblieben. Jonathan würde sie niemals schlagen, geschweige denn seine Hände um ihren Hals legen und zudrücken. 

„Manchmal wünsche ich mir das auch. Aber ändern kann man es leider nicht mehr. Hauptsache ist, dass du mich nicht mehr allein lässt", sagte sie dann und musterte ihn so eindringlich, dass er Panik bekam, dass sie noch von der Straße abkam. Doch gerade als er etwas sagen wollte, richtete sie ihren Blick wieder nach vorn. 

„Ich lasse dich nie mehr allein, das habe ich dir doch versprochen", sagte er und tippte den kleinen Stein an ihrem Verlobungsring an. Sheila kicherte leise und er spürte, wie ihre Hand langsam sein Bein hinauf wanderte. 

„Und mich wirst du auch nicht mehr los. Außer du schickst mich weg", sagte sie auf einmal ernst. 

„Wieso sollte ich dich wegschicken?", fragte er nach, denn offensichtlich gab es da etwas an das sie dachte. 

„Ich weiß nicht. Wenn ich so daran denke wie ich früher war, habe ich schon lange keinen Mist mehr gebaut", antwortete sie und senkte für eine Sekunde den Blick. 

„Was meinst du mit Mist gebaut?", hakte er nach und auf einmal fühlte er sich unbehaglich. Wollte sie ihm subtil irgendetwas sagen? 

„Ach, du weißt schon. Ich habe ständig Dinge gesagt, um Leute absichtlich zu verletzten. Und ich habe es mit der Treue nicht so ernst genommen", antwortete sie und klang dabei, als würde sie sich Sorgen machen, dass sie wieder in diese Verhaltensmuster zurückfiel. Ja, sie hatte Ville betrogen, und zwar mit ihm selbst. Doch das war etwas ganz anderes gewesen. Jonathan schluckte. 

„Hast du denn das Bedürfnis, es mit der Treue nicht mehr ganz so ernst zu nehmen?", fragte er unsicher und spürte einen Stich im Herzen. Sheila riss den Kopf herum. 

„Was? Nein! Ich meine... nein, auf keinen Fall. Ich könnte dich niemals betrügen", sagte sie schnell. Jonathan lachte erleichtert. 

„Gut, ich dachte kurz... naja, ich dachte, du wolltest mir irgendetwas sagen", gestand er, doch Sheila schüttelte den Kopf. 

„Nein, wirklich nicht. Ich habe nur daran gedacht, wie ich reagieren würde, wenn Ville versucht, sich an mich ranzumachen. Nicht heute, sondern so generell habe ich darüber nachgedacht", gab sie zu, woraufhin sich Jonathans Brust zusammenzog. 

„Und wie würdest du reagieren?", fragte er und bemerkte, dass seine Stimme zitterte. Er musterte Sheila aufmerksam, in der Hoffnung an ihrer Reaktion zu merken, wenn sie log. 

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Im ersten Moment wäre ich glaube ich wütend auf ihn. Aber ich habe schon irgendwie Angst, dass er irgendetwas in mir von früher auslöst und ich schwach werde", sagte sie leise. 

Jonathan spürte, wie ihm die Galle hochkam. Er hatte es eigentlich gewusst, doch es aus ihrem Mund zu hören, tat unglaublich weh. Obwohl es schmerzte, dass Sheila anscheinend nach all den Jahren und all dem, was er ihr angetan hatte, noch immer Gefühle für ihn hatte, wusste er auch, dass sie ihn mehr liebte. 

„Ich würde es nicht aushalten, wenn du ausgerechnet mit ihm wieder etwas anfangen würdest", murmelte er und wandte den Blick ab, denn vor seinem inneren Auge sah er wieder das Bild vor sich, wie Sheila und Ville sich im Ferienhaus geküsst hatten. Jonathan hatte mit dem Kommissar im Auto gesessen und über die Kamera, die sie vorher dort platziert hatten, zugesehen. 

„Das werde ich nicht, denn ich werde ihn nicht wieder sehen", sagte sie bestimmt, doch Jonathan lachte bitter. Auch wenn er es ihr am liebsten verbieten würde ihn jemals wieder zu treffen, konnte er es nicht. Dann wäre er kein bisschen besser als Ville, denn auch er hatte versucht Sheila zu verbieten, ihn zu treffen. Er hatte sie sogar einmal eingeschlossen, damit sie nicht zu ihm fuhr. 

„Stimmt", sagte er dennoch und warf einen kurzen Blick zu ihr. Sie sah erschrocken aus und gleichzeitig zog sie schmerzerfüllt die Augenbrauen zusammen. 

„Ist ja auch egal. Lass uns über etwas anderes reden. Ich will nicht, dass..", setzte sie an, doch er unterbrach sie. 

„Dann hör auf, so über ihn zu reden. Es tut mir jedes Mal weh, wenn du ihn so darstellst, als würdest du die ganze Zeit mit mir vergessen. Als wäre ich nur ein Lückenbüßer", fuhr er sie an, doch eine Sekunde später wollte er es wieder zurücknehmen. 

Sheila fuhr so abrupt in den nächsten Feldweg, das der Gurt unangenehm gegen den Schlüsselbein drückte. Sie hielt an und nahm den Gang heraus, dann sah sie ihn so entsetzt an, wie er es noch nie gesehen hatte. 

„Wenn du das wirklich denkst, warum hast du mich dann geheiratet?", fragte sie, doch er schüttelte den Kopf. 

„Die Frage ist eher, warum du mich geheiratet hast. Anscheinend rennst du direkt zu ihm zurück, wenn du die Chance dazu hast", giftete er zurück und auf einmal wurde ihm bewusst, dass sie innerhalb weniger Minuten von einem 

„Ich liebe dich und werde dich niemals verlassen" zum Infragestellen ihrer ganzen Ehe gelangt waren. Wie hatte das nun schon wieder passieren können? Sheila schnaubte, dann schaltete sie den Motor aus, warf ihm den Schlüssel in den Schoß und stieg aus. Sie beugte sich zu ihm ins Auto und funkelte ihn so böse an, dass ihm das Herz in die Hose rutschte. 

„Weißt du was? Vergiss es einfach. Ich dachte du willst, dass ich dir alles erzähle, was mir durch den Kopf geht. Doch anscheinend ist es auch falsch. Dir kann man es einfach nie recht machen", schrie sie, knallte die Autotür zu und stapfte den Feldweg entlang durch die Dunkelheit. 

Ein paar Sekunden lang saß er da, wie unter Schock. Ihre Handtasche hatte er vorhin beim Einsteigen auf die Rückbank gelegt, also lief sie ohne ihr Portemonnaie und ihr Handy, mit dem sie zumindest eine kleine Lichtquelle hatte, durch die Dunkelheit. Abgesehen von der Landstraße, über die sie gerade gefahren waren, gab es weit und breit nichts als dunkle Felder. 

Er musste ihr hinterhergehen, doch irgendwie schaffte er es nicht, sich aufzuraffen. Stattdessen tastete er nach dem Schlüssel, den sie ihm zugeworfen hatte und steckte ihn in die Zündung, damit die Scheinwerfer wieder angingen. Er drehte den kleinen Hebel herum und schaltete das Fernlicht ein, doch sie war nirgends zu sehen. Offensichtlich war sie, absichtlich oder unabsichtlich, schon nach so kurzer Zeit vom Weg abgekommen. Sein Blick wanderte von links nach rechts, doch da waren nur Felder, die gut zu überblicken waren, denn was auch immer hier angepflanzt wurde, war noch sehr klein. 

Panik überfiel ihn. Wo konnte sie nur hingegangen sein? Nun schaffte er es doch endlich, aus dem blöden Auto zu steigen und sofort rannte er ein Stück den Weg entlang, dann rief er nach ihr. Doch es kam keine Reaktion. 

Seine Gedanken stürzten nur so auf ihn ein. Konnte man es ihm tatsächlich nicht recht machen oder hatte sie es nur als Ausrede benutzt? Immerhin war sie diejenige gewesen, die ihm eröffnet hatte, dass sie vielleicht wieder etwas mit ihrem Ex anfangen würde. 

Jonathan hatte zwar die Scheinwerfer eingeschaltet gelassen, doch schon nach wenigen Metern war es stockdunkel. Er kramte in seiner Hosentasche nach seinem Handy und schaltete die Taschenlampe ein. Hektisch leuchtete er von links nach rechts und stolperte weiter den holprigen Weg entlang. 

Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, bis er sie endlich am Feldrand sitzen sah. Sie hatte die Beine angezogen und mit den Armen umschlungen, die Stirn hatte sie auf die Knie gelegt. Sie schluchzte leise und sofort war sein Ärger vergessen. Er wusste doch, dass sie ihn liebte und dass sie manchmal noch ein wenig verwirrt war, was Ville betraf. Warum musste er auch immer so empfindlich reagieren? Er bereute den Streit, eigentlich bereute er alle ihre Streits. 

Ohne lange nachzudenken stürzte er zu ihr, sank neben ihr auf die Knie und umarmte sie. Seine Wange legte er auf ihren Kopf und er zog sie fester an sich. Sheila reagierte nicht auf ihn, sondern schluchzte einfach weiter. Wenigstens schickte sie ihn nicht weg und versuchte sich aus seiner Umarmung zu winden. 

„Komm wieder zurück, bitte", flüsterte und nun lief auch ihm eine Träne über die Wange. Noch immer saß sie bewegungslos da, was ihn verrückt machte. Er löste sich von ihr und versuchte, ihre Arme aus ihrer Umklammerung zu lösen, doch ohne Gewalt würde es nicht funktionieren. 

„Schatz, bitte", flehte er und endlich rührte sie sich. Zwar löste sie ihre Arme und wischte sich die Tränen vom Gesicht, doch sie hielt den Blick von ihm abgewandt. Er legte seine Hand an ihre Wange und drehte ihren Kopf zu ihm herum. Verzweifelt suchte er ihren Blick, doch sie schloss einfach die Augen. 

„Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Aber es verletzt mich wirklich, wenn du so etwas über ihn sagst", hörte er sich mit brüchiger Stimme sagen, woraufhin Sheila zusammenzuckte. Sanft strich er über ihre Wange, die noch ganz nass von ihren Tränen war. Endlich öffnete sie die Augen und am liebsten wäre er ihr um den Hals gefallen, aber er riss sich zusammen. 

„Weißt du... meine Gedanken kreisen und kreisen und manchmal sage ich Dinge, die mir so durch den Kopf schießen. Es ist einfach nur in meinem Kopf. Manchmal glaube ich, dass ich Dinge tun würde, nur weil ich sie denke, aber in der Realität ist es dann ganz anders. Verstehst du, was ich meine?", fragte sie und nun suchte sie seinen Blick. Als seiner den ihren traf, wurde ihm bewusst, dass sie ihm irgendetwas zu erklären versuchte, dass er nicht begriff. 

„Nicht wirklich", gab er ehrlich zu. Denn wenn man an etwas dachte, musste doch irgendetwas dahinter stecken. Sheila seufzte. 

„Es ist nur schwer zu erklären. Ich denke mir ständig Sachen aus und manchmal stelle ich mir vor, dass mir das wirklich passiert. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich es dir einfach erzählen kann, aber immer verletze ich dich damit", versuchte sie es weiter, doch er konnte es nicht nachvollziehen. Vielleicht, weil er in diesem Moment zu aufgewühlt war, aber vielleicht fehlte ihm auch einfach die Phantasie, die sie offensichtlich hatte. 

„Du meinst, dass du dir ausmalst, wie du ihn wieder triffst?", fragte er, doch er fürchtete sich vor der Antwort. Sie schluckte, dann nickte sie und bevor er sich verletzt abwenden konnte, griff sie nach seinem Arm. 

„Lass es mich erklären. Ich glaube, ich habe manchmal in meinem Kopf mehrere Personen. Wenn es mir nicht so gut geht oder ich viel Stress habe, vergesse ich manchmal dass diese Personen, die ich mir ausgedacht habe, nicht ich bin. Sie gehören schon irgendwie zu mir, aber vielleicht helfen sie mir ein bisschen, all die Dinge zu erleben, die mir durch den Kopf geistern", sagte sie. Jonathan verstand zwar, was sie meinte, doch er konnte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlen musste. Zwar klang das ganze doch nach der passenden Entschuldigung für alles, doch er glaubte ihr. 

„Gibt es irgendetwas, das dir hilft, nicht zu vergessen, dass diese Personen und du nicht dieselbe sind?", fragte er und sofort nickte sie. 

„Ja, ich muss alles aufschreiben", sagte sie und Jonathan dachte daran, was sie schon alles zu Papier gebracht hatte. Es war wirklich viel und tatsächlich waren es gute Geschichten. Manchmal scherzte er, dass sie doch als Schriftstellerin durchstarten könnte, doch das wollte sie nie. Sie meinte, dass es zu persönlich wäre. Jonathan schluckte, denn wenn er sich recht erinnerte, hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr geschrieben. Zumindest hatte sie nichts davon erzählt. 

„Würde es dir helfen, wenn du vielleicht mit jemandem über alles sprichst?", fragte er, doch schnell schüttelte sie den Kopf. 

„Nein, ich kann nicht so gut darüber reden. Außerdem tut es dir weh und wir streiten uns nur", antwortete sie, doch eigentlich hatte er dabei gar nicht an sich selbst gedacht. 

„Ich meinte eigentlich einen Therapeuten oder so", nuschelte er und spürte, wie er rot wurde. Sheila hatte damals ihre Therapie abgebrochen, als sie zusammengekommen waren, was ihrem Vater und auch ihrem Bruder große Sorgen bereitet hatte. 

„Nein, das will ich nicht. Ich versuche einfach, wieder mehr zu schreiben. Dann geht es mir bestimmt besser und ich lege nicht mehr alles auf die Goldwaage. Könnte dir vielleicht auch helfen", sagte sie und tatsächlich kicherte sie. Doch irgendwie wurde es zu einem Weinen und schnell legte er wieder die Arme um sie. Dieses Mal erwiderte sie die Umarmung und es fühlte sich schön an. 

„Vielleicht hast du recht. Ich kann es ja mal probieren", sagte er, doch er wusste, dass er nicht schreiben konnte. Zumindest nicht so wie sie. 

„Oder du schreibst Lieder darüber. Darin bin ich nicht wirklich gut, du aber schon", sagte sie leise an seinem Ohr und er musste grinsen. Tatsächlich hatte er schon oft am Schlagzeug gesessen, wenn er irgendetwas raus lassen musste, doch über seine persönlichen Probleme Lieder zu schreiben, die er dann veröffentlichte, kam ihm irgendwie unpassend vor. 

„Wir müssen versuchen, uns nicht mehr so viel zu streiten. Früher hat es doch auch funktioniert", sagte sie und löste sich von ihm, dann stand sie überraschend schnell auf und hielt ihm eine Hand hin, um ihm aufzuhelfen. 

„Stimmt. Ich muss mich einfach mehr anstrengen", sagte er, dann griff er nach ihrer Hand und zog sich hoch. 

„Und ich muss mich auch mehr anstrengen. Ich will doch, dass es mit uns funktioniert", sagte sie, dann wanderte ihr Blick nach unten und sie fing an, den Dreck von seiner Hose zu klopfen. 

„Wie siehst du schon wieder aus", lachte sie, doch auch ihre Hose war voller Staub. Sie nahm seine Hand und zog ihn hinter sich her, während er mit seinem Handy den Weg leuchtete. Offensichtlich schien ihr nicht bewusst zu sein, dass ihr Hintern voller Dreck war. 

„Hier, halt das mal", sagte er und reichte ihr sein Handy, dann klopfte er ihr ungeniert den Dreck ab. Sie stieß einen überraschten Laut aus und blieb stehen. 

„Was machst du da?", fragte sie und wandte sich zu ihm um, ein freches Grinsen auf dem Gesicht. 

„Deine Hose ist ganz schmutzig", sagte er, doch anstatt seine Hand wieder wegzunehmen, schob er sie in ihrer hintere Hosentasche. Sheila gluckste, doch sie beschwerte sich nicht. 

„Du bist unmöglich, sei froh, dass uns hier keiner sieht", sagte sie und legte ihren Arm um seine Mitte. 

„Sonst was?", fragte er provokativ und konnte nicht verhindern, dass er unanständige Dinge dachte. 

„Sonst hättest du mir nicht so an den Hintern grapschen dürfen", lachte sie, doch sie meinte es nicht wirklich ernst. Er würde sie in der Öffentlichkeit niemals anzüglich berühren, das wusste sie. 

„Ich habe nicht gegrapscht, ich habe dich nur sauber gemacht", widersprach er. Sheila lachte leise. 

„Wir müssen wirklich aufhören, uns wie aus dem Nichts zu streiten. Irgendwann platzt mir noch der Kopf", sagte sie und klammerte sich fester um ihn. 

„Meiner auch", seufzte er, dann kamen sie wieder in den Lichtkegel der Scheinwerfer ihres Wagens.

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