Kapitel 54 - Jonathan
Jonathan hatte schon beim Frühstück gespürt, dass Sheila nervös war. Wahrscheinlich machte sie sich schon Sorgen wegen morgen, wenn Ville bei Oskar war. Jonathan wusste nicht, ob er mit ihr darüber sprechen sollte, denn er hatte bisher den Eindruck gehabt, dass Sheila ihn nicht damit belasten wollte. Obwohl er ihr schon mehr als einmal versichert hatte, dass sie mit ihm über alles sprechen konnte, wusste er, dass sie es nicht tat.
Plötzlich kam ihn ein Gedanke, der ihn beunruhigte. So weit er wusste hatte sie bisher auch viel mit Matthias über ihre Probleme geredet, doch in letzter Zeit war nicht mehr wirklich Verlass auf ihn. Zwar war er gerade erst in seinem Studio angekommen, aber er beschloss, wieder zu ihr zurückzugehen.
Er könnte auch dann arbeiten, wenn sie arbeitete. Auch wenn sie heute nur fünf Stunden Schicht hatte, musste er jetzt mit ihr sprechen.
Schneller als auf dem Hinweg ging er wieder zurück zum Haus. Als er hereinkam, hörte er Sheila im Wohnzimmer. Er ging zu ihr und sah, wie sie mit einem feuchten Lappen den Tisch abwischte.
„Hey", sagte er, woraufhin sie zusammenzuckte. Offensichtlich war sie so in Gedanken, dass sie ihn nicht bemerkt hatte. Erschrocken sah sie ihn an und hielt in ihrer Bewegung inne.
„Hey. Was vergessen?", fragte sie, doch Jonathan sah, wie ihre Augen nervös hin- und herwanderten. Ohne zu antworten ging er näher zu ihr, nahm ihr den Lappen aus der Hand und legte ihn auf dem Esstisch ab. Anschließend nahm er ihre Hand und zog sie zum Sofa.
Schweigend ließ sie sich mitziehen, als wusste sie, dass er mit ihr reden wollte. Er drückte sie in die weichen Kissen und setzte sich dicht neben sie, sodass er den Arm um sie legen konnte. Sheila hatte den Blick auf ihre Knie gerichtet und sie saß ganz verkrampft da.
„Was ist los?", fragte er sanft, aber doch bestimmt. Er würde es ihr nicht durchgehen lassen, wenn sie abwinkte. Sie sollte mit ihm sprechen und ihm sagen, was sie bedrückte. Sie seufzte und er wartete geduldig, bis sie anfing zu sprechen.
„Ach, es ist bescheuert", sagte sie und verstummte dann wieder.
„Wenn es dich bedrückt und dich traurig macht, ist es nicht bescheuert", widersprach er und meinte es durchaus ernst. Er drückte sanft ihre Schulter, woraufhin sie endlich den Blick hob und ihn mit gequältem Gesichtsausdruck ansah.
„Sprich es einfach aus, dann wird es dir besser gehen", sagte er, doch innerlich wappnete er sich bereits auf einen Schock. Er wusste nicht wieso er das Gefühl hatte, dass sie ihm etwas sagen würde, dass ihm ganz und gar nicht behagte.
Sheila atmete tief durch und straffte die Schultern, dann schwang sie ihre Beine über seine und umarmte ihn.
„Ich habe auf deinem und auf unseren Reisekanal Kommentare von Karima gefunden. Sie meint, dass sie dich wiedersehen will und so etwas. Das macht mich wütend und...", brach es aus ihr hervor, doch Jonathan brauchte einen Moment, bis er begriff, was sie da sagte.
„Und es macht mich irgendwie eifersüchtig. Am liebsten würde ich zu ihr fahren und ihr eine reinhauen", fuhr sie fort, was ihn grinsen ließ. Es war irgendwie süß, dass sie eifersüchtig war, auch wenn es absolut unbegründet war.
„Was hat sie denn geschrieben? Und wo?", wollte er wissen, doch Sheila schnaubte nur.
„Ist auch egal. Wenn ich es noch einmal ansehe, muss ich kotzen. Ich bin so wütend auf sie", regte sie sich auf, doch Jonathan strich ihr behutsam über den Rücken.
„Lass das doch nicht so an dich heran. Ich kann gleich einstellen, dass sie nichts mehr bei mir kommentieren kann und ich lösche ihre Kommentare", sagte er. Sheila nickte.
„Okay. Aber trotzdem. Warum hast du sie nicht weg geschubst, als sie dich geküsst hat?", entrüstete sie sich weiter und Jonathan spürte, dass sie gleich anfangen würde zu weinen, wenn er es nicht verhinderte. Er legte eine Hand an ihre Wange und zog sie enger an sich.
„Darüber haben wir doch schon gesprochen. Ich war überrumpelt und bevor ich kapiert habe was passiert, war es auch schon vorbei", erklärte er und wieder nickte Sheila.
„Ja, ich weiß es doch eigentlich. Aber... Ich weiß auch nicht, warum ich eifersüchtig bin. Vielleicht, weil ich es bisher noch nie sein musste", sagte sie, doch ihre Worte verletzten ihn. Er rutschte unruhig hin und her.
„Du musst es auch jetzt nicht sein", versicherte er ihr, allerdings schien sie nicht überzeugt zu sein.
„Sheila, ich liebe dich. Mich interessiert keine andere", setzte er überdeutlich nach. Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare, dann sah sie ihm endlich in die Augen. Sofort schmolz sein Herz, denn ihm wurde bewusst, wie sehr er sie liebte.
„Na gut. Versprich mir, dass du sie überall blockierst, okay?", fragte sie.
„Versprochen", sagte er ernst und beugte sich näher an sie heran, um sie zu küssen. Sie löste sich schon nach ein paar Sekunden wieder von ihm, doch sie blieb an ihn gelehnt sitzen.
„Karim hat mir schon gesagt, dass sie irgendwie verrückt ist", sagte sie dann, was ihn trocken auflachen ließ.
„Offensichtlich", lachte er und endlich lachte auch Sheila wieder.
„Kannst du mir Bescheid sagen, wenn sie dich irgendwie kontaktiert?", fragte sie und schnell nickte er.
„Ja. Aber mach dir keine Sorgen, ich glaube nicht, dass sie es tun wird. Ich blockiere sie und ignoriere ihre Kommentare. Meistens hilft das ganz gut", antwortete er, doch Sheila sah misstrauisch aus. Dennoch nickte sie, dann stand sie auf und stemmte die Hände in die Hüften.
„Ich gehe wahrscheinlich morgen noch einmal mit Esra Nägel machen. Nach unserem Frühstück", sagte sie dann.
„Okay. Machst du dich hübsch für unseren kleinen Ausflug?", gab er zurück und zwinkerte ihr zu. Zwar wollte er sie eigentlich nur aufmuntern, doch die Vorstellung, dass sie sich hübsch für ihn machte, gefiel ihm. Sie grinste ihn verschmitzt an, dann warf sie ihm eine Kusshand zu und machte sich wieder daran, den Esstisch abzuwischen.
Eine Weile beobachtete er sie, doch dann ging er zu ihr, um sich von ihr zu verabschieden. Auf einmal wollte er ihrer Bitte lieber so schnell wie möglich nachkommen. Er küsste sie auf die Wange und lächelte sie an.
„Ich mache mich dann mal an die Arbeit. Schreib mir ruhig zwischendurch, wenn du Zeit hast", sagte er und sie nickte.
„Mach ich. Bis gleich", sagte sie, anschließend machte er sich zurück auf den Weg in sein Studio. Es war richtig gewesen, zu ihr zurückzugehen. Sie schien wegen diesen blöden Kommentaren im Internet ganz verrückt zu werden. Unwillkürlich beschleunigte er seine Schritte, um möglichst schnell an seinem Computer zu sein.
Jonathan betrat sein Studio und ließ sich mit einem Seufzen auf seinem Drehstuhl nieder. Hoffentlich konnte er das Problem schnell aus der Welt schaffen. Ein Streit würde vor dem gemeinsamen Wochenende noch fehlen.
Obwohl Sheila ihm schon berichtet hatte, was Karima geschrieben hatte, las er sich die Kommentare ebenfalls durch. Ihm drehte sich der Magen um und er konnte verstehen, dass Sheila durcheinander war. Zwar war es nicht sonderlich anzüglich, aber sie machte deutlich, dass sie sich in ihn verknallt hatte und ihn auch persönlich kannte. Wobei er sich einmal auf einem Geburtstag zu treffen nicht als Sich Kennen bezeichnen würde.
Schnell klickte er sich durch und löschte ihre Kommentare und blockierte sie, sodass sie nichts mehr unter seinen Videos schreiben konnte. Natürlich könnte sie das ganz leicht umgehen, indem sie sich einfach ein zweites Profil anlegte, doch so verrückt war sie hoffentlich nicht. Er klickte zum Schluss noch auf seine privaten Nachrichten und wie immer war sein Postfach voll. Viele Fans nutzten nicht nur die Kommentare, sondern schrieben ihm E-Mails, um ihm längere Nachrichten zu schicken. Viele waren positiv oder Vorschläge, welche Lieder er covern sollte.
Obwohl es langweilig war, las er alle Nachrichten durch und auf die nicht vollkommen schwachsinnigen antwortete er auch. Nach einer Weile traf er auf eine Nachricht, wo ihn schon der Absender die Augen rollen ließ. KarimaHeartbeat hatte ihm auch eine E-Mail geschrieben. Beinahe hatte er es erwartet, doch er hatte es Sheila nicht unter die Nase reiben wollen. Erst überflog er die Nachricht nur, bevor er sie noch einmal genauer durchlas.
„Jonathan, ich weiß, du hast Sheila, aber ich muss jeden Tag an dich denken. Ich wünschte, du würdest mir eine Chance geben. Vergiss den Zettel, den ich dir gegeben habe, das war blöd. Seit mein Mann gestorben ist, bin ich ganz durch den Wind, aber wenn ich an dich denke geht es mir wieder gut. Ich weiß, du hältst mich für verrückt, aber ich flehe dich an, gib mir eine Chance, dich richtig kennenzulernen. Sheila muss es ja nicht unbedingt erfahren. Sie ist sowieso nicht gut genug für dich, ich habe ihre Arme gesehen. Sie ist mit Sicherheit nicht einfach und du hast viel Stress mit ihr. Mit mir wäre es ganz leicht. Bitte überlege es dir. Wir könnten uns am Samstag Abend um 17 Uhr beim Kleeblättchen treffen. Karim hat mir gesagt, dass Sheila da arbeitet. Ich werde da sein und auf dich warten. Karima", las er und augenblicklich stellten sich seine Nackenhaare auf.
Es war schlimmer, als er erwartet hatte, denn offensichtlich glaubte Karima ernsthaft, er würde auch nur daran denken, ihr eine Chance zu geben. Was er nicht tat. Doch ihr Angebot, mit ihr eine heimliche Affäre anzufangen, verringerte die Chance, dass er jemals mit ihr reden würde nur noch mehr.
Doch was ihn an ihrer Nachricht am meisten störte war, wie sie über Sheila sprach. Hätte sie sich Sheilas Arme genauer angesehen, hätte sie bemerkt, dass alle Narben darauf schon alt waren. Seit er mit ihr zusammen war, hatte sie sich nicht mehr selbst verletzt und das, obwohl sie schon eine ganze Menge durchgemacht hatten.
Jonathan schüttelte den Kopf, um die Gedanken an Sheilas schlechte Zeiten zu verdrängen und löschte die Nachricht. Er würde ihr weder antworten noch morgen Nachmittag ins Kleeblättchen gehen. Zwar war es ein wirklich süßes Café in der Innenstadt, doch wenn sie da sein würde, zog ihn nichts dorthin.
Jonathan griff nach seinem Handy, das er heute neben sich auf den Schreibtisch gelegt hatte und nicht wir üblich vorne auf den Couchtisch bei der Sitzecke. Er schrieb Sheila schnell eine Nachricht, dass er alles von Karima gelöscht hatte, damit sich beruhigt war und sich nicht weiter Sorgen machte. Keine halbe Minute später summte sein Handy. Sheila hatte ihm schon geantwortet.
„Danke. Ich muss los zur Arbeit. Ich liebe dich", schrieb sie. Ein Lächeln umzuckte seine Mundwinkel und er schrieb ihr zurück, dass er sie auch liebte. Danach legte er sein Handy wieder beiseite und machte sich an seine Arbeit. Wie froh er doch wäre, wenn dieser blöde Gips endlich abkäme, denn dann könnte er wieder das machen, was ihm am meisten Spaß machte, nämlich Musik.
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