Kapitel 43 - Sheila

Sheila war froh, als sie zu Hause war. Heute war irgendwie ein anstrengender Tag gewesen und als sie Karim zugewinkt hatte, bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie noch gar nicht für die Mitarbeiter-Vorführung geübt hatte. Sie nahm sich vor, gleich noch in Jonathans Studio zu gehen und zu üben. Vielleicht wollte er sogar mitkommen. Sheila musste grinsen, denn er sah sie immer so bewundernd an, wenn sie Klavier spielte. 

Sie fuhr ihren Wagen in die Einfahrt, dann ging sie zur Tür. Noch bevor sie den Schlüssel ins Schloss stecken konnte, öffnete Jonathan die Tür und strahlte sie an. Offensichtlich hatte er gute Laune, was sie freute. Das war in der letzten Zeit viel zu selten vorgekommen. 

„Hey", begrüßte er sie, streckte die Hand nach ihrer Handtasche aus und nahm sie ihr ab. 

„Selber hey", erwiderte sie und trat in den Flur. Jonathan stellte ihre Handtasche auf den Garderobenschrank, dann breitete er die Arme aus. Sheila lächelte, schloss aber noch die Tür, bevor sie sich an ihn schmiegte. Es fühlte sich einfach nur gut an, dass er wieder fröhlich und nicht mehr abweisend und kalt war. 

„Wie war dein Tag?", fragte er, doch Sheila brummte nur. 

„Frag nicht. Irgendwie anstrengend. Wie war deiner?", wollte sie wissen, doch bevor er antworten konnte, wurden sie vom Klingeln des Küchenweckers unterbrochen. Schnell löste er sich von ihr und lief in die Küche. Sheila folgte ihm und schnupperte neugierig. Anscheinend hatte er eine Pizza in den Ofen geschoben, doch es freute sie, dass er ihr überhaupt etwas zu Essen gemacht hatte mit seinem kleinen Handicap. Er mühte sich damit ab, die Pizzen aus dem Ofen zu holen und sanft schob sie ihn beiseite. 

„Lass mich das machen", sagte sie und dankend trat er noch einen Schritt beiseite. Sheila legte die Pizzen auf die bereitgestellten Teller, dann brachte sie sie zum Esstisch ins Wohnzimmer. Jonathan folgte ihr und setzte sich ihr gegenüber an seinen gewohnten Platz am Tisch. 

„Was hast du heute so gemacht?", fragte sie und sah ihn neugierig an. Bei dem Gedanken daran, dass sie ihm gestern wirklich zugetraut hatte, dass er sich mit Karims Schwester getroffen haben könnte, bekam sie ein schlechtes Gewissen. Er war einfach nicht der Typ für so etwas. 

„Ich habe ein bisschen gearbeitet. Kannst du es dir nachher mal ansehen?", fragte er dann und sah sie etwas verlegen an. 

„Klar", sagte sie schnell und lächelte. Es war süß, dass es ihm noch immer peinlich war, ihr seine Arbeit zu zeigen. 

„Ich müsste heute auch noch dein Studio benutzen. Karim hat mir ein Klavierstück gegeben, das ich für die Mitarbeiter-Vorführung noch etwas üben muss", sagte sie und schnell nickte Jonathan. 

„Aber nur, wenn ich zuhören darf", lachte er, doch Sheila nickte, denn genau das hatte sie erwartet.

***************************

Nach dem Essen gingen sie Hand in Hand das kurze Stück die Straße hinunter zu seinem Studio. Es gehörte mit zu ihrem Haus, doch es war ein abgetrenntes Gebäude ein paar hundert Meter entfernt. Als Matthias und sie Teenager gewesen waren, hatten sie dorthin oft ihre Freunde eingeladen, doch nun war es Jonathans Arbeitsplatz. 

„Meine Eltern kommen am Sonntag nach meinem Geburtstag vorbei, ich hoffe das ist okay", sagte er schließlich und schnell nickte Sheila. 

„Klar, allerdings muss ich arbeiten", erwiderte sie, doch er nickte. 

„Ja, weiß ich. Aber ich dachte mir, dass wir vielleicht noch etwas zu Essen bestellen können, wenn du wieder kommst. Nur wenn es dir nicht zu stressig ist", sagte er schnell, doch Sheila lächelte. 

„Klar, klingt doch schön", gab sie zurück und umklammerte seine Hand ein wenig fester. Anscheinend hatte sein Selbstvertrauen in den letzten Wochen gelitten und es musste wieder ein bisschen aufgebaut werden. 

„Mein Vater hat auch gefragt, ob wir in den nächsten Tagen noch einmal vorbei kommen wollen", fiel es ihr dann wieder ein und sie sah ihn fragend an. 

„Wann immer du Zeit hast. Ich kann immer", sagte er und Sheila nahm sich vor, ihren Vater zu fragen, ob er nicht morgen Zeit hatte. 

„Ich rufe ihn morgen früh mal an", sagte sie, dann gingen sie das letzte Stück zum Eingang des Studios. Jonathan ließ ihre Hand los und zog den Schlüssel aus seiner Hosentasche. 

„Hereinspaziert", sagte er und hielt ihr die Tür auf. Sheila zwinkerte ihm im Vorbeigehen zu und umklammerte die Mappe, die Karim ihr gegeben hatte. Jonathan ging direkt in den hinteren Teil seines Aufnahmestudios und hielt ihr auch diese Tür auf, die es vom vorderen Teil des Studios abtrennte. 

„Zu freundlich", lachte sie und ging an ihm vorbei. Doch kein Sekunde später schlang Jonathan von hinten die Arme um ihre Schultern und küsste sie auf die Wange. Sheilas Herzschlag beschleunigte sich, doch relativ schnell löste sie sich von ihm. Sie hatte heute noch vor zu üben, sonst glaubte sie, dass sie im Erdboden verschwinden musste, wenn sie Karim morgen unter die Augen trat. 

Doch Jonathans Blick wanderte ihren Körper entlang und es war eindeutig, was er viel lieber tun wollte. Seit er gestern sein Ergebnis vom Arzt erhalten hatte, schien er unersättlich zu sein. 

„Zeig mir doch mal, woran du heute gearbeitet hast", forderte sie und zog ihn zu einem Drehstuhl am Schreibtisch. Beinahe widerwillig ließ er sich darauf nieder, bevor er sie fordernd ansah und mit der Hand auf seinen Schoß klopfte. Sheila rollte die Augen, doch dann setzte sie sich auf seinen Schoß und küsste ihn schnell auf den Mund. 

„Jetzt wird gearbeitet", sagte sie bestimmt, grinste aber in sich hinein. 

„Ja ja, ist schon gut", gab Jonathan zurück, dann klickte er sich durch die Programme auf seinem Computer, bis er schließlich ein Video aufrief. Sheila griff nach den Kopfhörern, die vor ihr auf dem Tisch lagen und setzte sie sich auf. Jonathan startete das Video dann spürte Sheila, wie er die Arme um sie schlang. Gespannt lauschte sie der Musik und betrachtete ihn in dem Video. Sie kannte das Lied nicht, doch es war wirklich gut. Nachdem es zu Ende war, zog sie langsam die Kopfhörer wieder ab und legte sie auf den Tisch vor sich. 

„Was sagst du?", fragte Jonathan mit zitternder Stimme, offensichtlich war er ziemlich nervös. 

„Es ist wirklich gut. Ich meine... wenn ich nicht wüsste, dass es von dir ist...", setzte sie an, doch sie wusste nicht recht, wie sie es beschreiben sollte. Fragend sah er sie an. 

„Es könnte wirklich ein Lied von einer richtigen Band sein", sagte sie, doch sofort erstarb sein Lächeln. 

„Oh, vielen Dank", sagte er sarkastisch, obwohl sie es anders gemeint hatte. 

„So meine ich es nicht. Es ist super und es ist verrückt, dass du das alles allein hinbekommst. Du spielst alle Instrumente, du singst und die produzierst es auch noch. Das ist unglaublich", erklärte sie schnell, woraufhin er errötete. 

„Vielleicht kommt es besser an als der Rest", murmelte er resigniert. 

„Ich bin mir sicher, dass es gut ankommt. Mach dir nicht so einen Kopf", sagte sie dann, doch ihr war gerade eine Idee gekommen. Allerdings behielt sie sie für sich, denn ihr war klar, dass es ihm nicht gefallen würde. Doch es würde ihm sicherlich helfen, seine Selbstzweifel zu vergessen. 

„Wann willst du es veröffentlichen?", fragte sie. 

„Morgen. Ich habe es für morgen angekündigt und trotz Unfall habe ich das Datum einhalten können", antwortete er und hob kurz seine eingegipste Hand. 

„Gut. Ich bin wirklich stolz auf dich, dass du das alles so gut hinbekommst", sagte sie und meinte es ernst. Jonathan lachte leise und bitter, doch seine Mundwinkel zuckten. 

„Das heißt danke, mein Schatz, dass du an mich glaubst, obwohl ich selbst es nicht tue", gab sie sarkastisch zurück, doch schnell küsste sie ihn, bevor er sich darüber beschweren konnte. Seine Hand ging schon wieder auf Wanderschaft, aber sie hielt sie fest. 

„Hör auf damit. Ich muss noch was üben", ermahnte sie ihn und stieg von seinem Schoß herunter. Widerwillig ließ er es zu und folgte ihr zu seinem Klavier. Sie ließ sich auf dem Hocker nieder, machte dann aber Platz für ihn, dass er sich auch setzen konnte. 

Viele Stunden hatten sie hier schon so gesessen und er hatte sie verliebt angesehen, als sie gespielt hatte. 

Sheila griff nach der Mappe, die sie vorhin auf dem Klavier abgelegt hatte und holte die Notenblätter heraus. Jonathan betrachtete sie neugierig, dann lachte er leise. 

„Ihr habt euch ja viel vorgenommen", kommentierte er, doch Sheila warf ihm einen warnenden Blick zu. 

„Ja und genau deswegen muss ich üben. Karim scheint richtig aufzugehen und da kann ich ihn nicht enttäuschen, wenn ich es nicht spielen kann. Miriam ist schon... naja, sie tut sich schwer mit dem Tanz, den Karim vor hat", sagte sie, denn sie wollte Miriam nicht schlecht machen. Sie mochte sie und sie gab sich sichtlich Mühe, doch sie war keine allzu talentierte Tänzerin. Nicht wirklich schlecht für jemanden, der es nur zum Spaß machte, aber auch nicht überragend. 

„Warum tanzt du nicht?", fragte Jonathan, doch Sheila winkte ab. 

„Weil ich schon Klavier spiele. Das kann kein anderer aus unserer Gruppe. Ich kann ja nicht alles machen", gab sie zurück, dann legte sie die Finger auf die Tasten und spielte die ersten Takte des Stückes. Jonathan verstummte und schloss sogar die Augen. Doch es dauerte nicht lange, bis sie sich verspielte. Es war wirklich schwer und schnell, doch wenn sie nur genug übte, würde es schon klappen. 

Nach einer Weile sah sie fragend zu Jonathan, der sie angrinste. 

„Du meinst, ich bin unglaublich?", lachte er und legte den Arm um sie. 

„Ich habe mich ständig verspielt", erwiderte sie, doch er lachte nur noch lauter. 

„Meinst du, ich spiele alles in einem durch, wenn ich aufnehme?", gab er zurück und Sheila senkte den Blick. Sie wusste, dass er alles Stück für Stück aufnahm, doch für die Aufführung müsste sie das ganze Stück können. 

„Das Problem ist nur, dass ich es nicht aufnehme, sondern auf der Bühne spielen muss. Aber was hältst du von dem Stück? Klingt es gut?", fragte sie neugierig und natürlich nickte er. 

„Ich bin schon so gespannt, was ihr euch ausdenkt. Kannst du mir wieder einen Platz in der ersten Reihe besorgen?", fragte er dann, was sie zum Lachen brachte. 

„Mache ich. Aber du darfst mich nicht ablenken, sonst versaue ich hinterher noch alles", sagte sie nicht ganz ernst, denn sie hatte so viel Bühnenerfahrung, dass sie sich nicht vom Publikum ablenken ließ. 

„Wie sollte ich dich denn ablenken?", murmelte er in ihr Ohr und fing an, ihre Schulter zu küssen. Sheila seufzte. 

„Kannst du dich noch eine halbe Stunde gedulden? Ich muss noch etwas weiter üben", sagte sie, woraufhin Jonathan sofort innehielt und ein wenig enttäuscht ansah. 

„Ist ja schon gut, ich setze mich dahinten hin", antwortete er, dann stand er auf und setzte sich auf den Stuhl an seinem Schreibtisch. Allerdings hatte sie seinen Blick nun im Rücken und sie war sich nur allzu bewusst, dass er sie anstarrte. Doch sie versuchte ihn zu ignorieren und studierte weiter das Stück ein. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top