Kapitel 41 - Sheila

Obwohl es mitten am Nachmittag sein musste, schlief Jonathan. Sheila malte mit ihrem Finger Kreise auf seine Brust, die sich gleichmäßig hob und senkte. 

Sie kam sich blöd vor, dass sie ihm wirklich zugetraut hatte, sich mit einer anderen Frau zu treffen. Er hatte ihr noch nie einen Grund zur Eifersucht gegeben und sie bereute, dass sie ihn so frostig begrüßt hatte, wo er ihr doch so gute Nachrichten zu überbringen hatte. 

Bei dem Gedanken daran, dass sie beide biologisch in der Lage waren, Kinder zu bekommen und wie oft sie in den letzten Tagen miteinander geschlafen hatten ohne zu verhüten, bekam sie ein Kribbeln im Bauch. Sie wünschte sich so sehr, dass sie eine richtige kleine Familie wurden. Zwar war sie auch nur mit ihm allein ziemlich glücklich, doch bei dem Gedanken daran, ein gemeinsames Kind mit ihm zu haben, wurde ihr warm ums Herz. Sie wusste, dass es Jonathan genau so ging. 

Möglichst leise stand sie auf, denn sie wollte ihn nicht wecken. Heute war für ihn ein aufreibender Tag gewesen und der Schlaf würde ihm guttun. Sie schlüpfte in ihre Klamotten und machte sich auf den Weg nach unten. 

Sie setzte sich aufs Sofa und griff nach ihrem Handy, das noch immer auf dem Couchtisch lag. Sie klickte sich durch die Nachrichten in Jonathans Geburtstagsgruppe und sie nahm sich vor, heute Abend eine Liste zu machen, wer alles kommen würde, damit sie genug Getränke und Snacks kaufen konnte. 

Sie hatte auch eine Nachricht von ihrem Vater, der sich erkundigte, wie es ihr ging und er bat sie, ihn anzurufen, wenn sie Zeit hätte. Erst da fiel ihr wieder ein, dass er gestern mit Lisa und den Kindern aus ihrem Kurzurlaub bei Lisas Eltern zurückgekommen waren. Zwar wohnten sie nur knapp eine Stunde entfernt und Sheila war der Meinung, dass sie sie viel öfter besuchen könnten, doch irgendwie machten sie nur ein paar Mal im Jahr für ein paar Tage Urlaub bei ihnen. 

Ohne lange nachzudenken wählte sie die Nummer ihres Vaters. Bereits nach dem zweiten Klingeln meldete er sich und nicht zum ersten Mal dachte Sheila, dass er langsam zu einer Glucke wurde. Er ging immer sofort ans Telefon und sie konnte sich vorstellen, dass er manchmal am Fenster stand und die Nachbarn beobachtete. 

„Bist du in Ordnung? Was ist mit Jonathan?", platzte ihr Vater heraus, ohne sich mit Begrüßungsfloskeln aufzuhalten. Sheila lachte verwirrt, denn so einen Ausbruch hatte sie nicht erwartet. 

„Ja, alles in Ordnung", sagte sie, doch ihr Vater grummelte vor sich hin. 

„Matthias hat mir erzählt, dass dich Esras komischer Freund geschlagen hat? Wie konnte das denn passieren?", entrüstete er sich und erst da erinnerte sich Sheila wieder daran, was am Freitag passiert war. Es kam ihr vor, als wäre es schon eine Ewigkeit her. Unwillkürlich betastete sie ihre Wange, die inzwischen gar nicht mehr wehtat. 

„Halb so wild. Es ist alles in Ordnung. Jonathan hat mich gerächt. Allerdings hat er sich dabei die Hand gebrochen", berichtete sie und bei dem Gedanken daran, wie Jonathan diesem Schrank von einem Typen eine reinhaut, musste sie grinsen. 

„Ich finde das überhaupt nicht lustig. Er hätte nicht zulassen dürfen, dass er überhaupt die Möglichkeit hat, dir wehzutun", empörte ihr Vater, sich lautstark, doch Sheila unterbrach ihn. 

„Nein, es war meine Schuld. Er wollte mich zurückhalten, aber ich habe den Typen provoziert. Ich musste ihn doch ablenken, damit er Esra aus den Augen lässt und sie hereinkommen kann. Sag ihm bloß nicht, dass er nicht auf mich aufgepasst hätte. Er hat schon so eine Krise bekommen", erklärte sie und hoffte, dass ihr Vater Jonathan nicht darauf ansprach. Was das Beschützen anging hatte Jonathan auf jeden Fall einen kleinen Tick und er reagierte mehr als sensibel auf das Thema. Darren seufzte. 

„Na gut, ich reibe es ihm nicht noch unter die Nase. Aber trotzdem solltest du dich nicht immer in solche Situationen bringen", sagte er und Sheila rollte die Augen. Es war lieb, dass ihr Vater sich solche Sorgen um sie machte, doch sie konnte inzwischen auf sich allein aufpassen. 

„Okay", sagte sie dennoch, um ihren Vater zu beruhigen. 

„Gut", setzte er noch nach, dann schwiegen sie eine Weile. Sheilas Blick fiel auf den Zettel, den Jonathan vom Arzt bekommen hatte. 

„Wir haben auch das Ergebnis von Jonathans Untersuchung, ob er... du weißt schon", sagte sie dann und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Es war ihr ein wenig unangenehm, mit ihrem Vater darüber zu sprechen, doch sie hatte ihm auch erzählt, dass sie schon seit einiger Zeit versuchten ein Kind zu bekommen. Sie hörte, wie er scharf die Luft einsog, als machte er sich auf das Schlimmste gefasst. 

„Es ist alles in Ordnung. Also... biologisch gesehen müsste es eigentlich klappen", erklärte sie, woraufhin sich unwillkürlich ein Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete. 

„Das freut mich wirklich. Macht euch nur nicht verrückt, wenn es doch nicht klappt. Manchmal soll es einfach nicht sein", erwiderte er mit ruhiger Stimme. Sheila nickte, obwohl er es nicht sehen konnte. 

„Ich habe irgendwie so ein Gefühl, dass es bald klappt", sagte sie dann, doch sie konnte förmlich spüren, wie ihr Vater sich versteifte. 

„Ich hoffe für euch, dass es klappt. Aber falls nicht, macht euch nicht verrückt", sagte er. 

„Machen wir nicht", sagte sie beschwichtigend, doch bei dem Gedanken daran, wie sehr Jonathan sich schon jetzt verrückt machte, überfielen sie die Sorgen. Hoffentlich sah er nun, wo er Gewissheit hatte, nicht mehr alles so schwarz. 

„Okay. Wollt ihr nicht die Tage noch mal vorbeikommen?", fragte Darren anschließend. 

„Ja, ich melde mich noch mal", sagte sie, dann verabschiedeten sie sich. Sheila warf ihr Handy neben sich aufs Sofa und stand seufzend auf. Ihr Vater machte sich immer so viele Sorgen um sie. Auf der einen Seite war es wirklich lieb, doch sie war dreißig, da sollte man doch auch mal in seine Tochter vertrauen, dass sie ihr Leben einigermaßen auf die Reihe bekam. Was sie eigentlich tat, zumindest im Vergleich zu früher. 

Sie ging in die Küche, denn ihr Magen knurrte. Erst da wurde ihr bewusst, dass sie heute noch nicht wirklich etwas gegessen hatte. Für ein Frühstück hatte sie heute Morgen keine Zeit mehr gehabt und anstatt zu Mittag zu essen, hatten sie vorhin etwas anderes getan. Sie beschloss, für Jonathan etwas richtig Gutes zu kochen, mit Nachtisch und allem. Das hatte er sich verdient, und sie wusste, dass es ihn freuen würde. 

Sie ließ den Blick durch den Kühlschrank wandern und entschied sich dann für Kartoffelauflauf. Ganz hinten im Schrank fand sie noch eine Tüte mit Pulver für Schokopudding. Möglichst leise bereitete sie alles zu, um Jonathan nicht zu wecken. Doch selbst als der Küchenwecker klingelte und sie den dampfenden Auflauf aus dem Ofen holte, hörte sie ihn nicht die Treppe herunter kommen. 

Leise schlich sie hinauf ins Schlafzimmer. Tatsächlich lag er noch unverändert in seinem Bett und schnarchte leise. Sanft strich sie ihm durchs Haar und küsste ihn auf die Wange. Mit einem genüsslichen Seufzen wachte er auf. Er rieb sich mit der Hand über die Augen, dann lächelte er sie an. 

„Hey", murmelte er und Sheila erwiderte das Lächeln. 

„Ich habe uns etwas gekocht", sagte sie und sein Lächeln wurde breiter und er strich ihr über die Wange. 

„Schon fertig?", fragte er und sie nickte. 

„Ja, schon fertig. Kommst du mit runter?", gab sie zurück, woraufhin er schwungvoll die Decke zurückschlug und aus dem Bett sprang.

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Nachdem sie gegessen hatten, räumte Sheila den Tisch ab und stellte alles in die Spülmaschine. Jonathan folgte ihr in die Küche und legte die Arme von hinten um sie. Er schob ihr Haar nach hinten und legte sein Kinn auf ihrer Schulter ab. 

„Womit habe ich das alles nur verdient? Ich war wirklich gemein in letzter Zeit", murmelte er. Sheila seufzte. Offensichtlich hatte er ein schlechtes Gewissen, doch er musste sie auch nicht ständig daran erinnern. 

„Schon okay. Hör auf, darüber nachzudenken", sagte sie streng und sie spürte an ihrer Schulter, wie er nickte. 

„Okay", nuschelte er, dann schmiegte er seine Wange an ihren Hals. 

„Kannst du mir helfen, meinen Geburtstag zu planen?", fragte er dann, was Sheila zum Kichern brachte. Sie hatte nichts anderes erwartet, als dass sie letztendlich diejenige war, die sich um alles kümmerte. 

„Mach ich. Du wolltest Pizza bestellen?", fragte sie und wieder nickte er und massierte dabei halb ihre Schulter. 

„Okay, aber wir müssen noch Getränke und alles besorgen", überlegte sie. 

„Dein Bruder kommt, wir brauchen viele Getränke", lachte er und Sheila stimmte mit ein. 

„Ich wette zehn Euro, dass er sich was eigenes mitbringt", sagte sie, doch Jonathan ging nicht weiter darauf ein. Offensichtlich war ihm klar, dass er diese Wette nur verlieren konnte. Doch da kam Sheila ein nicht ganz angenehmer Gedanke. Sie erinnerte sich, dass auch Jonathan sich in letzter Zeit öfter als sonst betrunken hatte. 

„Kannst du mir was versprechen?", fragte sie, denn sie wollte sichergehen, dass er nicht anfing, seine Probleme in Alkohol zu ertränken. 

„Alles", erwiderte er und auf einmal klang er, als würde er gleich wieder einschlafen. 

„Kannst du mir versprechen, dass du an deinem Geburtstag nicht so viel trinkst wie letztes Mal bei Leonard?", fragte sie, doch anstatt zu antworten löste er sich von ihr und drehte sie zu sich herum, dass er sie ansehen konnte. Sein Blick war ernst. 

„Ich werde mich nicht abschießen. Das eine Mal bei Leonard war eine Ausnahme", versprach er und Sheila nickte. 

„Okay, ich habe mir nur Sorgen gemacht. Ich sehe ja bei meinem Bruder, wie viele Probleme er durch seine Trinkerei bekommt", erwiderte sie und es stimmte. Matthias hatte in den letzten Jahren – waren es tatsächlich schon Jahre? - damit angefangen, sich jedes Wochenende volllaufen zu lassen und er hatte auch andere Drogen ausprobiert. Er war nie vollkommen auf die schiefe Bahn geraten, denn er ging noch immer zur Arbeit und auch um seine Töchter kümmerte er sich. Doch Sheila gefiel es ehrlich gesagt gar nicht, dass er so über die Stränge schlug. 

„Du vergleichst mich doch nicht wirklich mit ihm, oder?", empörte Jonathan sich, doch dann grinste er. 

„Naja, nein. Eigentlich nicht. Ich habe nur keine Lust, dass du am nächsten Morgen nicht aus dem Bett kommst und ich vor der Arbeit noch alles alleine aufräumen muss", sagte sie dann, obwohl es nicht ganz die Wahrheit war. Vielleicht hatte sie einfach zu viele schlechte Erfahrungen mit betrunkenen Freunden gemacht. Außerdem würde sie selbst nichts trinken. Nur für den Fall, dass sie doch schwanger war. Doch das würde sie Jonathan nicht sagen. Sollte sie es doch nicht sein, wäre er nur zu enttäuscht. 

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