Kapitel 4 - Jonathan

Immer wenn Jonathan die Augen schloss, fingen seine Gedanken an, Achterbahn zu fahren. Es war zermürbend, doch er konnte es auch nicht abstellen. Zum gefühlt hundertsten Mal sah er den Arzt vor sich, wie er ihm mitteilte, dass er keine Kinder bekommen konnte. Es fühlte sich schrecklich an und am liebsten hätte er laut losgeschrien. 

Sheila schien das alles viel lockerer zu nehmen. Nicht nur, dass sie seelenruhig schlummerte, sondern sie hatte ihm versichert, dass schon alles in Ordnung sein würde. Doch sollte wirklich alles in Ordnung sein, warum wurde sie dann einfach nicht schwanger? 

Er biss sich auf die Lippe, um die Tränen zurückzuhalten. Er musste stark sein und konnte nicht ständig Trübsal blasen, denn er wusste, dass Sheila das nervte. Bei dem Gedanken daran, dass er noch ein paar Tage warten musste, bis er endlich mit Gewissheit wusste, was los war, wurde ihm übel. 

Sheila hatte ihm zwar versichert, dass sie ihn trotzdem liebte, aber gleichzeitig hatte er in der Zeit, in der er sie nun kannte viel zu oft mit ihren kleinen Halbgeschwistern und ihrer Nichte spielen sehen. Sie schien aufzublühen und als sie ihm peinlich berührt gesagt hatte, dass sie sich auch ein Kind wünschte, hatte er sofort zugestimmt, es zu probieren. 

Eigentlich war es bereits vor ihrer Reise gewesen, doch sie hatten sich darauf geeinigt, erst nach ihrer Rückkehr nicht mehr zu verhüten. Würde sie unterwegs schwanger werden, wäre das nun wirklich nicht ideal. Doch seit dem versuchten sie es vergeblich. 

Jonathan schaltete den Fernseher aus und kniff fest die Augen zusammen. Er sollte Sheila wecken, damit sie nach oben ins Bett gehen konnten, immerhin mussten sie beide morgen arbeiten. Obwohl sie wirklich süß aussah, wie sie mit leicht geöffnetem Mund dalag, rüttelte er sanft an ihrer Schulter. Mit einem erschrockenen Geräusch fuhr sie hoch. 

„Komm, gehen wir nach oben", flüsterte er leise, woraufhin sie etwas Unverständliches murmelte. Langsam streckte und erhob sie sich, dann griff sie nach seiner Hand und zog ihn auf die Füße. 

„Du bist ganz schön schnell eingeschlafen", neckte er sie, während er hinter ihr her die Treppe nach oben ging. Sie warf ihm einen beinahe schüchternen Blick über die Schulter zu und kicherte verlegen.

„Es war ein anstrengender Tag", sagte sie nur, öffnete die Schlafzimmertür und ließ sich mit ihren Klamotten bäuchlings aufs Bett fallen. Offensichtlich war sie wirklich müde. Jonathan grinste und betrachtete sie eine Weile, wie sie quer über beide Matratzen ausgestreckt lag. 

Noch immer bekam er Schmetterlinge im Bauch, wenn er sie sah. Ihr langes Haar trug sie noch immer pink gefärbt, genau so trug sie es schon, seit sie sich kennengelernt hatten. Ihr rundes Gesicht sah einfach nur perfekt aus und er hätte sie einfach nur stundenlang ansehen können. Nur mühsam gelang es ihm, sich von ihrem Anblick loszureißen. 

Er schlüpfte schnell aus seiner Jeans und seinem Pulli, dann griff er nach seinem T-Shirt, das er immer zu Schlafen trug. Erst als er zum Bett ging, fiel ihm auf, dass nun sie es war, die ihn beobachtete. Verschmitzt grinste sie ihn an und unwillkürlich erwiderte er es. 

„Rutsch mal", forderte er sie auf, doch sie bewegte sich keinen Zentimeter. 

„Erst, wenn du mir versprichst, wieder fröhlicher zu sein", sagte sie und er war sich nicht ganz sicher, wie ernst sie es meinte. Sicherlich war er in den letzten Tagen etwas angespannt, doch es war auch ein ernstes Thema und er war wegen dem Arzttermin ganz schön nervös gewesen. Ihr Blick war musternd, doch es war eindeutig, dass sie eine Erwiderung erwartete. 

„Versprochen", sagte er und hob eine Hand wie zum Schwur. Sie kicherte, doch dann rollte sie sich auf ihre Seite des Bettes, von wo aus sie sich schließlich aufsetzte und anfing, sich aus ihren Klamotten zu pellen. 

Er wusste nicht so recht, wie er sich fühlen sollte, denn obwohl ein Grinsen auf ihrem Gesicht gelegen hatte, war ihr Blick ernst gewesen. Geduldig wartete er, bis sie sich ihren Schlafanzug angezogen hatte. 

„Ich gehe mir die Zähne putzen", sagte sie schließlich und ließ ihn stehen. Er beeilte sich, ihr hinterher zu gehen und irgendwie hatte er auf einmal das Gefühl, dass sie etwas bedrückte. Er lehnte sich im Bad in den Türrahmen und beobachtete sie im Spiegel über dem Waschbecken, wie sie sich die Zähne putzte. 

Sie beachtete ihn nicht, bis er ebenfalls ans Waschbecken kam und nach seiner Zahnbürste griff. Sie machte ihm Platz, doch schnell spuckte sie aus, wischte sich den Mund ab und nahm dann den Platz am Türrahmen ein und beobachtete ihn genau so, wie er es vor wenigen Augenblicken getan hatte. Es fühlte sich merkwürdig an, von ihr so gemustert zu werden, doch er zwang sich, sich fertig die Zähne zu putzen. Erst dann drehte er sich zu ihr um. Sofort wanderte ihr Blick auf den Boden. 

„Ist alles in Ordnung?", wollte er wissen und legte ihr eine Hand an die Wange. Augenblicklich schmiegte sie ihre Wange an seine Hand. 

„Sag du es mir", erwiderte sie und einen Moment lang war er verwirrt. 

„Wie...", setzte er an, doch bevor er irgendetwas Sinnvolles sagen konnte, hob sie ruckartig den Blick und sah ihm genau in die Augen. Ihre braunen, großen Augen ließen ihn noch immer dahinschmelzen und er musste sich zusammenreißen, immerhin schien sie etwas zu stören. 

„Du machst dir viel zu viele Gedanken wegen dieser Sache, dass du alles um dich herum vergisst", sagte sie in einem unfreundlicheren Ton, als er erwartet hatte. Sofort hatte er ein schlechtes Gewissen, obwohl er nicht so recht wusste, was sie meinte.

„Wegen dieser Sache?", wiederholte er verbittert, denn so wie sie es sagte, klang es wie etwas Harmloses, etwas Nebensächliches. Sie seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich meine nur...", setzte sie an, doch sie unterbrach sich. Neugierig sah er sie an und wartete, bis sie sich gesammelt hatte. 

„Du glaubst, dass die Welt untergeht, sollten wir kein Kind bekommen können. Falls es so ist, dann ist es eben so. Das ändert doch nichts daran, dass ich glücklich mit dir bin. Aber für dich ändert das offensichtlich einiges", sagte sie dann und jedes ihrer Worte fühlte sich an, als würde sie ihm ein Messer in die Brust rammen. Er wusste ja selbst nicht, warum er so empfindlich war, aber es war immerhin ein sensibles Thema. 

„Du fragst mich ständig, ob ich dich noch liebe", redete sie sich auf einmal in Rage und sein Herz sank ihm in die Hose. Störte es sie, dass er sie das oft fragte? Sein Atem stockte, doch ihm wollte keine Erwiderung über die Lippen kommen. 

„Aber ist dir aufgefallen, dass du mir schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesagt hast, dass du mich liebst?", fragte sie in ruhigerem Ton und ihr Blick wanderte auf den Boden. Kurz dachte er über ihre Worte nach. Wollte sie ihm sagen, dass er ihr das Gefühl gab, sie nicht zu lieben? Schnell legte er ihr einen Finger unters Kinn und zwang sie so, ihn wieder anzusehen. 

„Ich liebe dich, das weißt du. Ich habe nur Angst, dich zu verlieren, wenn das Ergebnis...", setzte er an, doch ihr strenger Blick ließ ihn verstummen. 

„Hör endlich auf damit, langsam wird es lächerlich", fuhr sie ihn an, dann wandte sie sich ohne ein weiteres Wort ab und ließ ihn im Bad stehen. 

Er glaubte, eine Schockwelle wäre durch ihn gefahren. Benahm er sich wirklich lächerlich? Sie musste doch verstehen, dass er sich Sorgen machte und Angst hatte, sie zu verlieren. Wie von selbst setzten sich seine Füße in Bewegung und er folgte ihr ins Schlafzimmer. 

Sie lag bereits im Bett, die Decke bis unters Kinn hochgezogen und die Augen fest zusammengekniffen. Wortlos legte er sich neben sie und tastete mit der Hand über die Matratze, bis er ihren Nacken erreichte. Sanft fing er an, ihn zu massieren. 

„Tut mir leid", flüsterte er so leise, dass er befürchtete, sie hätte es nicht gehört. Doch nach ein paar Sekunden drehte sie sich mit einem Seufzen zu ihm um. 

„Ich kann dich ja verstehen, dass du nervös bist. Aber mach dich deswegen nicht verrückt. Ich werde dich nicht verlassen, egal wie das Ergebnis ausfällt. In der letzten Woche hast du mich das glaube ich zwanzig Mal gefragt, aber nie hast du mir gesagt, dass du genau so fühlst wie ich", fasste sie noch einmal zusammen und wieder spürte er einen Stich im Herz. 

„Du hast ja recht. Ich bin wohl etwas durch den Wind", gab er zu, woraufhin sie erneut seufzte. 

„Wie auch immer. Lass uns schlafen, du musst morgen früh aufstehen", sagte sie dann und drehte ihm wieder den Rücken zu. Offensichtlich war sie sauer auf ihn, dass er sich so viele Gedanken machte. Doch wo er nun darüber nachdachte hatte er ihr wirklich schon länger nicht mehr gezeigt, dass er sie über alles liebte. Er nahm sich vor, das ab sofort zu ändern. 

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