Kapitel 32 - Jonathan

Jonathan wusste nicht, warum er so ausgetickt war. Er musste einfach weg von ihr, denn ihren vorwurfsvollen Blick hatte er nicht mehr ertragen. Er wusste, dass sie nicht wirklich sauer wegen diesem Kuss war. 

Das war es auch gar nicht, was ihn beschäftigte, sondern eher das, was Karima auf diesen verdammten Zettel geschrieben hatte. Nicht, dass er auch nur eine Sekunde lang daran dachte, dass er mit einer anderen als Sheila ein Kind haben wollte. Was ihn so fertig machte war die Erkenntnis, dass Sheila sich vielleicht eine Alternative suchen könnte, wenn er wirklich unfruchtbar war. 

Sie sagte zwar die ganze Zeit, dass sie ihn nicht verlassen würde, doch vielleicht würde er es tun müssen, um ihr nicht die Möglichkeit zu nehmen. Sicher, es gab auch noch andere Möglichkeiten, Adoption oder künstliche Befruchtung, doch das war doch dann nicht wirklich ihr Kind. 

Jonathan spürte, wie ihm wieder Tränen über die Wange liefen. Es hatte gut getan, mit Sheila über alles zu sprechen, doch er konnte ihr das doch nicht sagen. Sie würde durchdrehen. Er presste die Kiefer so fest zusammen, dass es wehtat und marschierte durch die Nacht. 

Bevor er sich bewusst wurde, wo er eigentlich hinlief, fand er sich am Eingang der Innenstadt des kleinen Ortes wieder, in dem er wohnte. Es war menschenleer, obwohl es Samstag Abend war. Oder Nacht. Er hatte keine Ahnung, wie spät es inzwischen war. 

Doch langsam beruhigte er sich und er konnte wieder einigermaßen klar denken. Für einen Moment schloss er die Augen und atmete tief durch. Er blickte die kleine Fußgängerzone entlang und sah hier und dort ein paar Lichter brennen. Ein paar Imbissbuden waren noch geöffnet und er beschloss einmal bis zum Ende der Ladenstraße zu gehen und sich dann wieder auf den Weg nach Hause zu machen. 

Hoffentlich flippte Sheila nicht vollkommen aus. Er zog sein Handy aus der Hosentasche und überlegte, ob er ihr eine Nachricht schreiben sollte. Er zögerte, denn vielleicht schlief sie schon. Außerdem würde es nicht mehr allzu lange dauern, bis er wieder zu Hause war. Er schob das Handy wieder zurück in die Tasche, dann schlenderte er bemüht langsam los und schaute sich die verschiedenen Schaufenster an. 

Nach einer Weile kam er zu einer Apotheke, die rund um die Uhr geöffnet hatte. Die Leuchtreklame über dem Eingang war so hellgrün, dass er die Augen zusammenkneifen musste. 

Auf einmal kam ihm ein Gedanke. Obwohl er sich sicher war, dass Sheila zu Hause einen Schwangerschaftstest hatte, könnte er ihr einen holen. Irgendwie hatte er auf einmal das drängende Gefühl, mit ihr einen Test zu machen. Kurz zuckte in ihm der Gedanke auf, dass er ja vielleicht positiv sein konnte, doch schnell verwarf er den Gedanken. Sonst wäre hinterher nur die Enttäuschung zu groß. 

Jonathan trat vor den Sensor der Schiebetür, die sich mit einem leisen Quietschen öffnete. Die Frau hinter der Kasse lächelte ihm freundlich zu. Er atmete tief durch, dann trat er in die Apotheke. 

„Hallo, wie kann ich helfen?", fragte die Frau und sah ihn freundlich an. Jonathan trat zu ihr an den Tresen und schluckte seine Angst herunter. 

„Ich brauche einen Schwangerschaftstest", sagte er und er sah, wie die Frau nickte. 

„Wir haben verschiedene Modelle...", fing sie an, doch er unterbrach sie. 

„Am besten einen, der auch frühe Schwangerschaften erkennt. Geben Sie mir einfach irgendeinen", sagte er unhöflicher als nötig, woraufhin die Frau in dem Raum hinter den Regalen mit den ausgestellten Medikamenten ging. Keine Minute später kam sie zurück und legte eine Packung vor ihm hin. Er bezahlte, wobei er krampfhaft mit der falschen Hand in seinem Portemonnaie herumkramte. Ohne ihre Verabschiedung zu erwidern ging er aus dem Geschäft und auf einmal spürte er, wie er rannte.

Erst vor seiner Haustür blieb er vollkommen außer Atem stehen und er stützte die Hände auf die Knie, bis er wieder zu Atem kam. Sein Blick wanderte nach links zur Garage, doch Sheilas Auto stand noch immer auf seinem Platz. Sie war also nicht weggefahren. 

Obwohl er langsam wieder zu Atem kam, pochte sein Herz noch immer wie verrückt. Er wusste nicht, was in letzter Zeit los war, doch diese Ungewissheit, wie es weiterging, machte ihn verrückt, sodass er am liebsten schreiend herumgerannt wäre. Sheila sagte ihm zwar die ganze Zeit, dass sie ihn nicht verlassen würde, egal was komme, doch er glaubte ihr nicht. Sie würde ihre Meinung ändern, sollte es wirklich nicht klappen, da war er sich sicher. 

Immer wieder sah er ihr glückliches Gesicht vor sich, wie sie das erste Mal ohne zu verhüten miteinander geschlafen hatten. Jonathan vertrieb das quälende Bild aus seinen Gedanken, kramte in seiner Hosentasche nach ihrem Haustürschlüssel und schloss auf. 

Im Flur war alles dunkel und auch aus dem Wohnzimmer schien kein Licht zu dringen. Trotzdem schlich er ins Wohnzimmer, doch sie war nicht hier. Er ging nach oben und machte einen großen Schritt über die Stufe, die knarzte. Sollte sie schlafen, wollte er sie nicht wecken. 

Noch immer hielt er den Schwangerschaftstest in der Hand und er schien eine Tonne zu wiegen. Er erinnerte sich, wie sie schon einmal ganz am Anfang ihrer Versuche einen Test gemacht hatte, der jedoch negativ war. Er war sich nicht ganz sicher, ob sie danach noch einmal einen ohne ihn gemacht hatte. Wenn, dann hatte sie es für sich behalten. 

Etwas unschlüssig stand er vor der Schlafzimmertür und lauschte. Doch er konnte kein Geräusch von drinnen hören. Langsam drückte er die Klinke herunter und ging ins Schlafzimmer. Es war dunkel, nur ein wenig Mondlicht fiel durch den winzigen Schlitz im Rollo. In der Dunkelheit erkannte er nur Schemen, doch im Bett erkannte er einen riesigen Berg aus Decken, unter dem bestimmt Sheila lag. Er ging zu seiner Seite des Bettes, versteckte den gekauften Schwangerschaftstest in der Schublade in seinem Nachttisch und setzte sich vorsichtig aufs Bett. 

Sofort regte Sheila sich, doch er schaffte es nicht, sie anzusehen. Jonathan stand wieder auf, stieg aus seiner Jeans und seinem T-Shirt, dann legte er sich in sein Bett. Als er an dem Deckenberg zog, um sich eine davon herunterzuziehen, knipste Sheila das Licht an. 

Er erstarrte in seiner Bewegung und fühlte sich seltsam ertappt. Er konnte nicht anders, als Sheila anzustarren. Ihre Augen waren gerötet und geschwollen, so als hätte sie lange geweint. Sie schob ihm eine Decke zu, doch sie sah ihn die ganze Zeit an. Jonathan legte die Decke über sich, dann erwiderte er stumm ihren Blick. Er wollte ihr erklären, warum er weggelaufen war, aber er konnte es nicht. Es klang doch bescheuert, wenn er ihr erklärte, dass er das alles nicht mehr aushielt. 

„Du bist wieder gekommen", durchbrach sie plötzlich die Stille und er hörte den Vorwurf deutlich. 

„Ja", erwiderte er leise und erschrak vor seiner eigenen Stimme. 

„Warum?", fragte sie dann und augenblicklich fühlte er sich schlecht. 

„Soll ich wieder gehen?", fragte er verunsichert, was sie zum Stöhnen brachte. Sie schlug die Decke zurück, hob seine an und rutschte ganz nah an ihn heran. Er ließ es zu, obwohl sein Gewissen ihn beinahe umbrachte. Er war einfach nicht gut genug für sie. 

Sheila legte ihre Hand an seine Brust und schmiegte sich an ihn. Sein Herz blieb für einen Moment stehen, doch schnell fing er sich. 

„Ich will, dass du bei mir bleibst. Aber du musst mit mir darüber reden, was in dir vorgeht. Du kannst nicht einfach weglaufen", sagte sie, dann spürte er ihre Hand an seiner Wange. 

„Tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist", sagte er und er spürte, wie sie einmal nickte. 

„Ich wünsche mir, dass wieder alles so ist wie vorher. Dass du wieder fröhlich bist", sagte sie dann. Er schluckte. Er wünschte sich das auch, aber es war wirklich schwierig. Es lag nur an ihm, das war ihm klar. 

„Ich bemühe mich. Aber...", setzte er an und dachte an den Test, der in seiner Schublade lag. Irgendwie hatte sie heute Nachmittag, als alles in Ordnung zwischen ihnen war, einen Funken Hoffnung in ihm gesät. 

„Aber?", hakte sie nach und er spürte, wie sie den Atem anhielt. Jonathan spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. Er wollte Gewissheit. 

„Kann ich dich etwas fragen?", hörte er sich dann sagen und neugierig sah sie ihn an. 

„Klar", sagte sie betont lässig, was ihn tatsächlich für eine Sekunde grinsen ließ. Für einen Moment schloss er die Augen, doch dann drehte er sich um und holte die Packung aus der Schublade. Als Sheila erkannte, was es war, sog sie scharf die Luft ein. 

„Kannst du mit mir den Test machen?", fragte er dann, doch Sheila runzelte die Stirn. 

„Wir sollten warten, bis meine Periode...", setzte sie an, doch er unterbrach sie. 

„Bitte", flehte er, doch sie seufzte. 

„Ich hatte erst vor drei Wochen meine Periode. Wahrscheinlich ist der Test noch gar nicht aussagekräftig", erklärte sie, doch Jonathan schluckte. Sie hatten in den letzten zwei Wochen mehr als einmal miteinander geschlafen und er hatte im Internet nachgelesen, dass die Tests bereits schon so früh anschlagen konnten. 

„Bitte", wiederholte er, dieses Mal drängender. Sie sah ihn noch ein paar Sekunden zweifelnd an, doch dann nickte sie. 

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