Kapitel 30 - Jonathan

Jonathan spürte, wie der Alkohol auf ihn wirkte. Zwar hatte er nicht wirklich viel getrunken, doch die Stimmung war gut und sie lachten viel. Zum Glück hatte Karima ihn und Sheila weitestgehend in Ruhe gelassen und sie hatten sich auch noch mit den anderen Gästen unterhalten. Jonathan fand sie deutlich netter als Karima. Nicht, dass sie unhöflich gewesen wäre, doch irgendwie war sie komisch. 

Sheila klammerte sich die ganze Zeit an seinem Arm fest und ohne es wirklich zu wollen wanderte sein Blick immer wieder ihren Körper entlang. Sie trug eine enge Jeans und ein einfaches, schwarzes T-Shirt mit einer lila Feder drauf, doch immer wenn sie sich nach vorn beugte, um ihr Getränk vom Tisch zu nehmen, konnte er ihn ihren Ausschnitt sehen. 

Jonathan spürte, dass es schon spät sein musste, doch er fand es ganz schön hier. Die ersten Gäste verabschiedeten sich und er warf einen fragenden Blick zu Sheila, ob sie auch gehen wollte. Eigentlich wurde ihnen die Entscheidung abgenommen, denn alle anderen verabschiedeten sich auch. 

Mühsam erhob er sich von diesem unerwartet bequemen Sofa aus Paletten und reichte Karim die Hand. Er war wirklich nett und er konnte verstehen, dass Sheila ihn mochte. 

„Danke, dass ihr da wart", sagte Karim, als er sie und die anderen in den Flur brachte. Sheila umarmte ihn kurz zum Abschied, dann wandten sie sich zum Gehen. Hinter ihnen war nur Karima und Jonathan fühlte sich ein wenig unbehaglich, sie im Rücken zu haben, doch er versuchte, sie zu ignorieren. Auch wenn es ihm schwerfiel, denn er spürte ihren Blick auf sich. 

Er legte den Arm um Sheilas Schultern, die ihn kurzerhand zur Treppe zog, als die anderen sich in den Aufzug gequetscht hatten. Karima folgte ihnen, doch wahrscheinlich hatte sie ebenfalls einfach keine Lust, auf den Aufzug zu warten. 

Wieder hielt Jonathan Sheila unten die Haustür auf und sie lächelte ihm im Vorbeigehen zu. Da Karima direkt hinter ihr nach draußen ging, hielt er ihr auch die Tür auf, wenn auch nur aus reiner Höflichkeit. Sheila wartete draußen auf ihn, wahrscheinlich wollte sie seine Hand nehmen. Oder sie wusste nicht mehr, in welcher Richtung ihr Auto stand, das konnte auch sein. Er grinste in sich hinein, denn wäre er nicht dabei gewesen, hätte sie mit Sicherheit schon einige Male mehr oder weniger verzweifelt nach ihrem Auto gesucht. 

Karima schien unendlich langsam durch die Tür zu gehen, bis sie schließlich vor ihm stehen blieb und ihm genau in die Augen sah. Dann ging es ganz schnell. 

Bevor er reagieren konnte, spürte er ihre Lippen auf seinen. Es war ein schneller Kuss und er hatte ihn nicht erwidert, dennoch war es ein Kuss. Karima schob ihm einen kleinen Zettel in die Hosentasche, dann zwinkerte sie ihm zu und schlenderte an Sheila vorbei, als wäre nichts gewesen. 

Panisch sah er zu Sheila, die Karima mit offenem Mund hinterhersah. Jonathan ließ die Tür zufallen, griff nach Sheilas Hand und zog sie in die entgegengesetzte Richtung, obwohl sie eigentlich in die gleiche Richtung mussten, wie Karima. 

Hoffentlich würde sie kein Drama daraus machen. Er wusste nicht, wie sie auf so etwas reagierte, denn seit er sie kannte, war es noch nie vorgekommen, dass sich eine andere Frau in irgendeiner Weise für ihn interessiert hätte. 

Nachdem sie ein paar Meter schweigend gegangen waren, blieb Sheila abrupt stehen, stemmte die Hände in die Hüften und sah ihn zornesfunkelnd an. 

„Sie hat dich geküsst", stellte sie fest, doch es klang eher wie ein Vorwurf. Jonathan zuckte die Schultern, denn es hatte ihm nichts bedeutet. Er kannte sie ja gar nicht. Sheila schnaubte. Sie streckte den Arm aus und griff in seine Hosentasche. Sie kramte den Zettel heraus, den Karima ihm hineingesteckt hatte und faltete ihn auseinander. Sie schien darauf etwas zu lesen, dann schnaubte sie wieder. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, dann knüllte sie den Zettel in der Faust zusammen und warf ihn ihm gegen die Brust. Jonathan beobachtete, wie die Papierkugel auf den Boden fiel und ein paar Zentimeter davon rollte. Sheila stapfte davon, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Jonathan ließ die Nachricht, wo sie war und lief ihr hinterher. 

„Warte", sagte er und schon nach ein paar Schritten hatte er sie eingeholt. Er hielt sie am Arm fest, doch sie machte sich von ihm los.

„Hey, jetzt bleib doch mal stehen", sagte er und griff wieder nach ihrem Arm, dieses Mal fester, sodass sie nicht weitergehen konnte. 

„Was stand auf dem Zettel?", fragte er, denn offensichtlich war das der Teil gewesen, der Sheila am meisten gestört hatte. Denn erst als sie ihn gelesen hatte, war sie so wütend geworden. Sicher hatte sie der Kuss auch gestört, aber das war eher ein unerwarteter Überfall gewesen. 

Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht, doch dann hob sie den Blick und sah ihn mit schmerzerfüllten Augen an. 

„Warum redest du mit irgendwelchen fremden Leuten darüber?", wollte sie wissen, doch er hatte keinen blassen Schimmer, was sie meinte. Verwirrt sah er sie an. 

„Was meinst du? Sie hat mich die ganze Zeit mit Fragen gelöchert", verteidigte er sich, denn ihm fiel nichts ein, was er ihr verraten hatte, das Sheila so aufbrachte. Sie schnaubte verächtlich, sah ihm jedoch weiterhin tief in die Augen. Das war doch ein gutes Zeichen, oder? 

„Auf dem Zettel stand ihre Nummer. Darunter folgendes: Melde dich, mit mir klappt es auch mit dem Kinderkriegen", sagte sie, wobei ihre Stimme brach. 

Jonathan glaubte, er würde in einen Abgrund fallen. Er hatte sich noch schlecht dabei gefühlt, als sie ihn ausgefragt hatte, ob er und Sheila planten, ein Kind zu bekommen. 

„Ich... ich habe es ihr nicht direkt gesagt. Sie hat mich ausgefragt und dann eins und eins zusammenzählt", verteidigte er sich, doch Sheila schüttelte nur den Kopf. 

„Das ist privat und geht niemanden etwas an", flüsterte sie auf einmal ganz leise, dann wandte sie sich um. Beinahe gemütlich schlenderte sie los, offensichtlich wollte sie nicht vor ihm weglaufen. Jonathan atmete einmal tief durch. Sheila war wütend, okay, aber sie schien ihn nicht vor die Tür setzen zu wollen. 

„Wir müssen in die andere Richtung", rief er ihr hinterher und er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sheila blieb stehen und warf ihm einen skeptischen Blick über die Schulter zu. Sie weinte zum Glück nicht mehr. 

„Echt?", fragte sie ungläubig. Jonathan kicherte. 

„Ja, echt", erwiderte er und streckte die Hand in ihre Richtung. Sie seufzte, dann drehte sie sich wieder um und ging zu ihm. Sie nahm seine Hand, was ihn ziemlich erleichterte. Sie hatten sich doch gerade erst wieder vertragen, da wollte er nicht schon wieder mit ihr streiten. 

„Hör auf so doof zu grinsen. Irgendwann hätte ich schon bemerkt, dass ich in die falsche Richtung gegangen bin", grummelte sie, was ihn nur noch mehr zum Lachen brachte. Sie stimmte mit ein, doch dann schlug sie ihm nicht ganz sanft gegen den Arm. 

„Hör auf, mich auszulachen! Ich bin sauer auf dich. Sie hat dich einfach geküsst, obwohl ich daneben stand. Eigentlich bist du mir fremd gegangen", sagte sie, doch er wusste, dass sie es nicht wirklich ernst meinte. 

„Sie hat mich überfallen, ich bin doch nicht fremdgegangen", erwiderte er und stupste sie mit der Hüfte an. Sie kicherte wieder. 

„Doch bist du und ich glaube, das musst du gleich wieder gut machen", sagte sie, löste ihre Hand aus seiner und schob sie ihm in die hintere Hosentasche. 

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