Kapitel 25 - Sheila
Als Sheila Karims Wagen neben ihrem stehen sah, fiel ihr wieder ein, dass er heute Geburtstag hatte. Da er nicht mehr an seinem Auto war, beeilte sie sich, nach drinnen zu gehen. Vielleicht würde sie ihn im Spindraum erwischen. Gerade als sie die Tür zu diesem öffnete, kam er heraus und beinahe wären sie ineinander gelaufen.
„Oh, hallo", sagte er und setzte ein Lächeln auf. Sheila erwiderte es, dann breitete sie die Arme aus.
„Herzlichen Glückwunsch", sagte sie und er drückte sie kurz.
„Danke", murmelte er an ihrem Ohr, doch als er sie wieder losließ, zuckte er zusammen.
„Was ist denn mit deinem Gesicht passiert?", fragte er besorgt und musterte sie aufmerksam. Offensichtlich hatte ihre Schminkaktion kaum etwas gebracht, wenn es ihm so schnell auffiel. Sie seufzte und winkte ab.
„Lange Geschichte", sagte sie, denn eigentlich hatte sie keine Lust, ihm zu erzählen, wie es dazu gekommen war. Sie ging an Karim vorbei zu ihrem Spind und schloss ihre Tasche ein, doch als sie den Raum verlassen wollte, versperrte er ihr den Weg.
„War das dein Mann?", fragte er todernst. Sheila musste lachen.
„Nein, auf keinen Fall. Er könnte keiner Fliege etwas zu leide tun. Ich... ach, es war eine eine doofe Situation. Die Ex von meinem Bruder hat im Moment Stress mit einem Typen, der ihr verbieten will, dass mein Bruder die Kinder sieht. Ich wollte ihn ablenken, damit wir sie an ihm vorbei zu uns ins Haus ziehen können, da hat er mir eine geknallt", berichtete sie dann doch und Karims Kinnlade fiel mit jedem Wort weiter nach unten.
„Wie bitte?", fragte er, als würde er nicht glauben, was sie gerade erzählt hatte.
„Ist halb so schlimm", sagte sie, doch er musterte sie weiter eindringlich.
„Guck mich nicht so an. Sie ist rein gekommen und er war draußen, also hat mein Plan funktioniert", rechtfertigte sie sich, doch Karim schüttelte langsam den Kopf.
„War es auch geplant, dass er dich verprügelt?", fragte er, was Sheila schnauben ließ.
„Er hat mich nur einmal geschlagen. Aber ist jetzt auch egal. Musst du nicht arbeiten?", fragte sie. Karim grummelte, doch dann ließ er sie allein. Sie strich ihr Hemd glatt, dann machte sie sich auf den Weg in den Fundus.
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Obwohl sie heute alleine Schicht hatte und sich nicht wirklich mit jemandem unterhalten konnte, verging die Zeit schnell. Das war der Vorteil, wenn man allein Schicht hatte, die Zeit verging schneller.
Sheila wollte sich gerade auf den Weg zu ihrem Spind machen, als jemand ihren Namen rief. Sie wandte sich um und sah in das freundliche Gesicht von ihrem Chef André. Er gehörte zu dem Typ Mensch, den man einfach sympathisch finden musste.
„Ja?", fragte sie und ging ihm ein Stück entgegen. Als sie vor ihm stehen blieb, entging ihr nicht, dass er ihr Gesicht skeptisch betrachtete, doch er sagte nichts dazu.
„Karim hatte eine Idee für die Mitarbeiter-Vorführung", sagte er dann und Sheila nickte begeistert. Erst da fiel ihr wieder ein, dass Karim vorgeschlagen hatte, André darauf anzusprechen.
„Okay", sagte sie, als er nicht weitersprach.
„Er wollte eine Art Sketch aufführen, vielleicht auch mit Musik. Du kannst nicht zufällig ein Instrument spielen?", fragte er sie und seine Augen leuchteten.
„Vorausgesetzt, du willst wieder mitmachen?", fügte er noch hinzu, doch schnell nickte Sheila. Sie hatte bisher immer mitgemacht und es hatte auch immer ziemlich viel Spaß gemacht, einen kleinen Auftritt zu planen. Denn seit sie in ihrem ersten Jahr mit Karim und noch ein paar anderen einen Stepptanz auf die Beine gestellt hatte, erwarteten alle irgendwie, dass sie wieder die Leitung übernahm.
„Natürlich mache ich wieder mit. Und zu deiner Frage, ich kann ein bisschen Klavier spielen", sagte sie und spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Es war ihr peinlich, doch sie wusste, dass sie besser spielen konnte, als nur ein bisschen. Jonathan hatte ihr nicht erst ein Mal bewundernd zugehört.
„Perfekt!", rief André aus und klatschte in die Hände.
„Montag um elf ist eine kurze Besprechung, da sprechen wir auch darüber", sagte er und Sheila nickte. Zwar ärgerte es sie ein bisschen, dass sie an ihrem freien Tag nur für eine Besprechung zur Arbeit musste, doch sie freute sich auch auf die Mitarbeiter-Vorführung.
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Eine halbe Stunde später fuhr sie in die Einfahrt vor ihrer Garage. Im Wohnzimmer brannte Licht und sie hoffte, dass Jonathan noch wach war und mit ihr reden würde.
Sie war zum Zerreißen gespannt, wie es bei Esras Wohnung gewesen war. Sie ging zur Tür und warf einen Blick ins Wohnzimmer, doch es war leer. Gerade als sie in ihrer Handtasche nach ihrem Schlüssel suchte, wurde die Tür geöffnet. Sie zuckte zusammen, denn sie hatte nicht erwartet, dass Jonathan ihr die Tür öffnen würde.
„Hey", sagte sie, dann stand sie ein wenig unschlüssig auf der Türschwelle. Jonathans Gesicht war ausdruckslos, doch in seinen Augen sah sie, dass er nicht mehr so schlecht gelaunt war wie vorhin.
„Darf ich dir einen Kuss geben?", fragte er und wiederholte damit ihre Frage von heute Nachmittag, als er zuerst nicht mit ihr reden wollte und er Leonard vorgeschickt hatte, um sie loszuwerden.
„Du musst nicht fragen", sagte sie und trat näher an ihn heran. Erst da fiel ihr auf, dass er eine Hand hinter seinem Rücken versteckte. Hatte er etwa eine Überraschung für sie? Sheila legte ihm die Hände an die Taille und schmiegte sich an ihn, dann hielt sie ihm die Lippen entgegen, woraufhin er sie so sanft küsste, dass ihre Knie weich wurden.
Als er sich von ihr löste, hielt er die Hand noch immer hinter dem Rücken, doch er trat einen Schritt beiseite, damit sie hereinkommen konnte. Sie ging näher als nötig an ihm vorbei, doch sie wollte jede Sekunde genießen, die er nicht schlecht gelaunt war.
Sie stieg aus ihren Schuhen und ließ ihre Handtasche auf den Boden gleiten. Jonathan schloss inzwischen die Tür, doch er schien darum bemüht zu sein, dass sie seine Hand oder das, was er darin hielt, nicht sah.
„Was hast du da hinter dem Rücken?", fragte sie ihn, doch er senkte verlegen den Blick und sie sah, wie seine Wangen rot wurden.
„Die Rache dafür, dass ich zugelassen habe, dass dieser verrückte Typ dich umhaut. Oder eher die Quittung dafür, dass ich nicht so gut im Prügeln bin", sagte er, dann nahm er seine Hand vom Rücken und hielt sie ihr hin. Sheila sog scharf die Luft ein, denn seine Hand steckte in einem dicken, weißen Gipsverband.
„Was hast du denn gemacht?", rief sie entsetzt aus und nahm seine verletzte Hand vorsichtig in ihre. Jonathan zuckte die Schultern, doch dann legte er seine gesunde Hand an ihre Hüfte und führte sie ins Wohnzimmer.
Sheila ließ sich auf dem Sofa nieder, doch sie sah ihn fragend an. Sie wollte wissen, was mit seiner Hand passiert war. Hatte er diesem Schrank von einem Typen etwa eine reingehauen?
„Was ist passiert?", fragte sie und ihr Blick fiel wieder auf seine Hand. Jonathan seufzte, bevor er ihr direkt in die Augen sah.
„Er hat Esras Wohnung verwüstet und saß seelenruhig auf dem Sofa. Er hat uns verspottet und eine blöde Bemerkung über dich gemacht, da habe ich ihm ins Gesicht geschlagen. Zwei Mal", berichtete er und Sheila sah, dass sich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete. Ungläubig sah sie ihn an, denn eigentlich war Jonathan ganz und gar nicht der Typ, der Leute schlug.
„Und dann?", wollte sie wissen, woraufhin sein Lächeln noch breiter weiter.
„Er ist gegangen. Matthias und Jonas haben noch geholfen, die Wohnung in Ordnung zu bringen, aber Leonard hat mich ins Krankenhaus gefahren", fuhr er fort.
„Was ist mit deiner Hand?", wollte sie wissen, doch er winkte ab.
„Ein Mittelhandknochen ist gebrochen", berichtete er und Sheila schlug sich die Hand vor den Mund.
„Oh nein", sagte sie und schnell umarmte sie ihn. Es war schon schlimm genug, dass er sich die Hand gebrochen hatte, doch für ihn war es doppelt schlimm, denn er würde nicht arbeiten können, so lange es nicht verheilt war.
„Aber du hast ihn dazu gebracht, dass er abhaut", flüsterte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Schulter. Obwohl er verletzt war und es nie richtig war, jemanden zu schlagen, war sie stolz auf ihn, dass er derjenige war, der ihn vertrieben hatte.
„Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Immerhin hat er dich ausgeknockt", sagte er und lehnte seinen Kopf an ihren.
„Er hat mich nicht ausgeknockt", widersprach sie, doch sie musste zugeben, dass sie kurz Angst bekommen hatte, als sie nur noch gedämpft gehört hatte.
„Doch, ich habe mir wirklich Sorgen gemacht, als du nicht so richtig auf mich reagiert hast", sagte er und seine Stimme klang voller Sorge.
„Ist auch egal. Jetzt ist alles wieder in Ordnung und du hast mich gerächt", sagte sie stolz und küsste ihn auf die Wange. Sheila war unendlich froh, dass er nicht abweisend war und sogar mit ihr redete. Wäre er wieder so kalt gewesen, hätte sie sich ernsthafte Sorgen um ihre Ehe gemacht.
„Tut mir leid", nuschelte er nach einer Weile und senkte den Blick auf seinen Schoß. Sheilas Herz fing auf einmal an, schneller zu schlagen.
„Was denn?", fragte sie, denn obwohl er sich daneben benommen hatte, war sie nicht wütend auf ihn.
„Alles. Dass ich nicht mit dir geredet habe. Ich habe mich irgendwie in mir selbst vergraben und das hat alles nur noch schlimmer gemacht", sagte er leise und Sheila merkte, dass es ihm schwerfiel. Sie legte ihre Hand auf seine Brust und spürte, dass sein Herz genau so schnell schlug wie ihres. Hoffentlich redete er sich nun endlich alles von der Seele, was ihn bedrückte.
„Willst du mir erzählen, was dich so bedrückt?", fragte sie vorsichtig, denn sie hatte Angst, dass seine Stimmung jeden Moment wieder umschlug und er sie hier allein sitzen lassen würde. Doch er nickte langsam. Er atmete tief durch, dann sah er sie gequält an.
„Irgendwie kann ich in der letzten Zeit nur noch das Schlechte und die kleinen Fehler sehen", fing er an und Sheila nickte. Sie wusste, wie er sich fühlte, denn ihr selbst war es auch mal so gegangen. Sie beschloss, ihn erst einmal erzählen zu lassen, denn er hatte schon seit Wochen nicht mehr ehrlich über seine Gefühle geredet.
„Es hat angefangen, als mir klar wurde, dass du einfach nicht schwanger wirst. Jeden Monat habe ich gehofft, dass deine Periode ausbleibt, aber es hat einfach nie funktioniert. Ich weiß, dass es bescheuert ist, aber ich fühle mich irgendwie wie ein Versager. Mir ist klar, dass ich nichts daran ändern kann, sollte ich wirklich...unfruchtbar sein, aber ich komme mir vor wie ein Trottel, dass es einfach nicht klappt", erzählte er.
Sheila schluckte eine Erwiderung herunter, denn sie hatten schon mehr als einmal darüber gesprochen. Stattdessen strich sie ihm sanft über den Arm. Er seufzte noch einmal, dann verzog er wieder gequält das Gesicht. Sheila wartete gespannt, denn sie wusste, dass da noch mehr war. Doch er schwieg.
„Und was beschäftigt dich noch?", fragte sie leise und erschrocken riss er die Augen auf, so als hätte er nicht erwartet, dass es ihr auffallen würde. Doch dann sank er in sich zusammen.
„Es ist wegen der Arbeit. Es läuft beschissen", sagte er und Sheila runzelte die Stirn. Zwar hatte sie nicht wirklich viel Zeit damit verbracht, seine Videos zu verfolgen, immerhin zeigte er sie ihr immer, bevor er sie hochlud, doch ehrlich gesagt hatte sie nicht damit gerechnet.
„Was meinst du damit?", fragte sie, doch bevor er antwortete, rückte er seine Mütze zurecht.
„Ich habe in den letzten beiden Monaten gerade mal etwas mehr als tausend Euro verdient", sagte er dann und sah sie an, als erwartete er eine Ohrfeige. Sheila schluckte. Bisher hatte er eigentlich ziemlich gut verdient.
„Jeder hat mal einen schlechten Monat, mach dich deswegen doch nicht verrückt", versucht sie ihn aufzumuntern, aber es war vergeblich.
„Es ist nur, weil ich in den letzten beiden Monaten nur eigene Sachen veröffentlicht habe", setzte er an, doch Sheila unterbrach ihn.
„Und die waren gut", sagte sie und meinte es durchaus ernst.
„Bringt mir nur nicht viel, wenn nur du das so siehst", gab er verbittert zurück und schnaubte. Sheila dachte daran zurück, wie aufgeregt er war, als er sich dazu entschieden hatte, sich mehr auf seine eigene Musik zu konzentrieren.
„Das wird schon noch", sagte sie, doch er schüttelte den Kopf.
„Ich hätte bei den Covern bleiben sollen. Die haben wenigstens Geld gebracht", sagte er und Sheila spürte, dass er unzufrieden deswegen war.
„Es gibt doch nicht nur das eine oder das andere. Vielleicht kannst du ja beides machen. Ein eigenes Lied und ein Cover", schlug sie vor, obwohl sie keine Ahnung hatte, wie seine Arbeit ablief. Er seufzte und winkte ab.
„Ist ja auch egal. Aber es gibt da noch etwas, das mich ärgert", fuhr er fort und Sheila sah ihn wieder neugierig an.
„Ich habe das Gefühl, dass ich dich nicht beschützen kann. Dass ich ein schlechter Mann für dich bin", sagte er und Sheila spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen. Sie setzte zu einer Erwiderung an, doch er hob die Finger, was sie zum Schweigen brachte.
„Und weil ich mir wegen diesen ganzen Sachen viel zu viele Sorgen mache, bist du unglücklich und das macht mich am meisten kaputt. Dass ich dich nicht glücklich machen kann", sagte er, dann sah er sie an, als erwartete er, dass sie ihn auslachte.
„Und jetzt kannst du dich über mich lustig machen", seufzte er, lehnte sich in die Kissen zurück und schloss die Augen. Sheila lachte tatsächlich, doch nicht, weil sie seine Sorgen lächerlich fand, sondern weil sie unendlich glücklich war, dass er sich ihr endlich anvertraut hatte. Mit einer schnellen Bewegung setzte sie sich rittlings auf seinen Schoß und schlang die Arme um seinen Hals. Jonathan stieß einen überraschten Laut aus.
„Ich liebe dich so sehr. Bitte rede mit mir, wenn du dir über solche Sachen so viele Gedanken machen musst. Für mich bist du der beste Mann, den ich mir vorstellen kann. Egal, ob du nun viel Geld verdienst oder nicht. Oder ob wir Kinder bekommen können oder nicht. Hauptsache ist, dass du bei mir bist", sagte sie und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Doch jedes ihrer Worte stimmte. Genau so fühlte sie und sie wünschte sich, dass auch Jonathan endlich wieder lächeln konnte. Sie spürte, wie auch er seine Arme um sie legte.
„Womit habe ich dich nur verdient?", murmelte er an ihrem Hals, doch sie brachte ihn mit einem Kuss zum Schweigen.
„Kommst du mit mir ins Bett?", fragte sie leise in sein Ohr, woraufhin er seine Hand an ihrem Rücken nach unten wandern ließ.
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