Kapitel 16 - Jonathan

Jonathan machte sich schon bettfertig, während Sheila noch mit ihrem Bruder redete. Obwohl es ihm gar nicht gefiel, in diese Sache mit reingezogen zu werden, hatte er sie nicht wieder wegschicken können. Wenn eine Vierzehnjährige ihre kleine Schwester mitnahm und von zu Hause weglief, dann musste es schon ein wirklich heftiger Streit gewesen sein. Er hoffte, dass Esra bald diesen Typen quitt wurde, denn offensichtlich war er nicht gut für sie. 

Jonathan fühlte sich unangenehm daran erinnert, in was für einer Situation Sheila gewesen war, als sie sich kennengelernt hatten. Auch sie war damals mit einem Typen zusammen gewesen, der gewalttätig ihr gegenüber war. Schnell verdrängte er den Gedanken daran, denn er würde nicht zulassen, dass Sheila sich je wieder in seine Nähe begab. Was im Moment noch leicht war, immerhin war er noch etwa ein Jahr im Gefängnis für das, was er ihr angetan hatte. Jonathan hoffte nur, dass er sie in Ruhe lassen würde, wenn er entlassen wurde. 

Er schüttelte den Kopf, wie um seine Gedanken zu sortieren und legte sich ins Bett. Keine fünf Sekunden später kam Sheila ins Schlafzimmer. Leise schloss sie die Tür und lehnte für einen Moment den Kopf dagegen. 

„Komm her", sagte er leise und streckte einen Arm nach ihr aus. Sofort lächelte sie und setzte sich auf die Bettkante auf ihre Seite des Bettes. Seine Fingerspitzen konnten so gerade ihren Rücken berühren und sanft strich er ihr darüber. 

Obwohl heute viel passiert war und er eigentlich müde war, spürte er, dass sein Körper auf sie reagierte. Sie hatten schon seit ein paar Tagen nicht mehr miteinander geschlafen, denn sein blöder Arzttermin hatte ihn ganz aus dem Konzept gebracht. 

Er spürte, wie sie unter seiner Berührung eine Gänsehaut bekam, doch schnell stand sie wieder auf und zog ihre Arbeitsklamotten aus, die sie noch immer trug. Unverhohlen beobachtete er sie und obwohl sie nun dreieinhalb Jahre ein Paar waren, konnte er sich an ihr nicht satt sehen. 

Sie bemerkte seinen Blick, als sie gerade nur in Unterwäsche vor dem Kleiderschrank stand und ein wenig verlegen lächelte sie ihn an. Er erwiderte es und streckte die Hand nach ihr aus. Sie verstand, was er wollte und sie kam so wie sie war zu ihm ins Bett. 

„Mein Bruder und die Kinder sind unten", bemerkte sie, doch Jonathan fing an, mit seinen Finger ihren Körper auf und ab zu wandern. 

„Wir sind leise", hauchte er an ihrem Hals, was sie zum Kichern brachte. Mit einer schnellen Bewegung drückte sie ihn in die weiche Matratze und setzte sich rittlings auf ihn. Jonathans Hirn setzte aus und er konnte nur noch an Sheilas weiche Haut unter seinen Fingern denken.

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Der nächste Morgen kam unerwartet plötzlich. Sheila hatte sich anscheinend einen Wecker auf mitten in der Nacht gestellt, denn er fühlte sich, als wäre er erst vor ein paar Minuten eingeschlafen. Er stöhnte und stupste sie unsanft an, damit sie endlich das nervenden Piepen verstummen ließ. Sie stellte den Wecker ab und schlug vorsichtig die Decke zurück. 

„Bleib noch was liegen", sagte sie leise, woraufhin er wieder die Augen schloss und sich umdrehte. Obwohl er am liebsten mit ihr aufgestanden wäre, um ihr mit dem Frühstück für Matthias und die Kinder zu helfen, würde er noch ein paar Minuten liegen bleiben. Vielleicht konnte er sie dazu überreden, sich auch noch einmal hinzulegen, wenn Matthias losgefahren war. 

Bei dem Gedanken daran, was sie letzte Nacht getan hatten, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er lauschte Sheila, wie sie sich etwas anzog und dann das Schlafzimmer verließ. Keine Sekunde später war er noch einmal eingeschlafen.

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Ein lautes Geräusch riss ihn aus dem Schlaf und erschrocken setzte er sich auf. Er brauchte einen Moment, bis er begriff, wo er war. Jonathan rieb sich den Schlaf aus dem Augen, doch da wurde die Schlafzimmertür aufgerissen. Duygu stand in der Tür, Panik im Blick. 

„Du musst ganz schnell runter kommen!", rief sie und stürzte zu ihm ins Schlafzimmer. Sofort war er hellwach und zog sich in Windeseile ein Jogginghose und ein T-Shirt an. 

„Was ist passiert?", fragte er und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Tränen rannen ihr die Wangen herunter und sie hatte sichtlich Angst. Da hörte er von unten laute Stimmen. Panisch griff Duygu seine Hand und zog ihn nach unten. Er ahnte das Schlimmste. Esra hatte ihrem Freund gesagt, wo sie wohnten und sie stand mit ihrem Typen vor der Tür. So musste es sein. 

Jonathan rannte die Treppe nach unten, sein Herz pochte wie verrückt, denn er spürte, dass es gleich ziemlichen Ärger geben würde. Unten an der Tür sah sie Sheila stehen, die gerade den Schlüssel im Schloss herumdrehte und sich mit vor Angst geweiteten Augen mit dem Rücken gegen die Tür lehnte. Matthias stand ein paar Schritte entfernt, die weinende Aaliyah auf dem Arm. 

„Was ist los?", fragte er, doch eine Weile sahen sie ihn nur an. 

„Esra und ihr Typ sind draußen und wollen die Kinder mitnehmen", erklärte Matthias schließlich und streckte den Arm nach Duygu aus, die mit schnellen Schritten zu ihm rannte und sie an ihn klammerte. Jonathan sah zu Sheila, denn er hatte keine Ahnung, was er nun tun sollte. Durch das milchige Glas der Haustür sah er, dass jemand vor der Tür stand und klopfte. Es musste Esra sein, denn ihre kleine Gestalt mit den dunklen Locken war deutlich zu erkennen. 

„Mach bitte auf", flehte sie, doch Sheila rührte sich nicht, sondern sie sah nur Jonathan an. Ihm war klar, dass sie wollte, dass er die Tür aufmachte. Er ging die letzten Schritte die Treppe nach unten und schob sie zur Seite, dann sah er aus dem Augenwinkel, wie Matthias mit seinen Töchtern bis ans Ende des Flurs gingen. 

Jonathan öffnete die Tür ein kleines Stück und blockierte sie mit Fuß, sodass Esra sie nicht ganz so leicht würde aufstoßen können. Als er sie sah, zuckte er zusammen. Sie sah absolut fertig aus, die Wangen gerötet und ihre Augen schwammen in Tränen. Sein Blick wanderte hinter sie und er erkannte einen Mann etwa in seinem Alter, der lässig an ein schwarzen Auto am Straßenrand gelehnt stand. Er beobachtete Esra scharf und als sich ihre Blicke für eine Sekunde trafen, lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter. Dieser Kerl löste in ihm allein beim Anblick ein ungutes Gefühl aus. Jonathan riss den Blick von ihm und sah wieder zu Esra. 

„Ich... kann ich die beiden mitnehmen? Sie müssen wieder nach Hause", flüsterte sie und Jonathan hatte keine Ahnung, wie er reagieren sollte. Er hatte keine Erfahrung mit solchen Situationen. Hilfesuchend warf er einen Blick zu Matthias, der den Kopf schüttelte. Bevor er etwas sagen konnte, drängte Sheila sich an ihm vorbei und zog Esra an den Schultern ins Haus. 

„Hey!", schrie der Typ am Auto und mit einem Satz sprang er über das Blumenbeet und stand genau hinter Esra. 

„Du gehst nicht da rein", befahl er und packte Esra hart an der Schulter. Sie zuckte unter seinem Griff zusammen, doch sie blieb im Türrahmen stehen. Jonathan sah, wie Sheila ihn anfunkelte. Oh nein. 

Er fasste Sheila am Arm und flehte sie stumm an, ihn nicht zu provozieren und den Mund zu halten. Noch vor einer Minute hatte sie Angst gehabt, doch nun war anscheinend ihr Beschützerinstinkt geweckt worden und sie wurde mit jeder Sekunde mutiger. 

„Sheila", warnte er sie, aber sie machte sich schon von ihm los. 

„Doch kommt sie", sagte sie zu diesem Typen, der nur frech grinste. Er war ziemlich groß und breit und er erinnerte Jonathan an einen Türsteher. Sein schwarzes Haar war mit viel zu viel Gel nach hinten gekämmt und er hatte etwas Schmieriges an sich. Jonathan griff wieder nach Sheilas Arm, denn egal was sie vorhatte, es konnte nichts Gutes sein. 

„Und wer will mich davon abhalten, es zu verhindern? Die halbe Portion da?", lachte er und machte eine verächtliche Kopfbewegung in Jonathans Richtung. Seine Hände fingen an zu schwitzen, denn er würde niemals gegen diesen Kerl gewinnen, selbst wenn er Übung im Prügeln hätte. Normalerweise war das der späteste Zeitpunkt, an dem er gegangen wäre, doch ihm war ganz und gar nicht wohl dabei, Esra mit ihm allein zu lassen. 

„Esra, willst du kurz reinkommen?", fragte er nun direkt sie und sie sah ihn so entsetzt an, als wäre es etwas Schlimmes, dass er mit ihr sprach. Sie starrte ihn nur an, sie sagte allerdings nichts. Er sah, dass Sheila Esra am Arm weiter hinein zog und dann ging alles ganz schnell. 

Der Typ riss Esra an der Schulter mit einer solchen Wucht nach hinten, dass sie die kleine Stufe hinunter stolperte und im Blumenbeet landete. Da Sheila sie festgehalten hatte, kippte auch sie nach vorn und fiel unsanft auf die Knie. Jonathan war sofort bei ihr und half ihr auf, doch gerade als sie sich wieder aufrichten wollte, holte der Typ mit dem Fuß aus, als wollte er sie mit voller Wucht treten. Sheila schrie, genau wie er und auf einmal stand auch noch Matthias neben ihm, der den Typen wegschubste, allerdings mit wenig Erfolg. Doch er hatte ihn so lange abgelenkt, dass er und Sheila wieder auf die Beine kamen. Sheila schniefte leise und er schob sie beschützend hinter sich, woraufhin sie sich an seinem T-Shirt festklammerte. Esra lag noch immer im Blumenbeet und weinte stumm. Jonathan wünschte, dieser Typ würde endlich abhauen, damit ihr jemand aufhelfen konnte. 

„Bring die Kinder raus oder es knallt", sagte dieser neue Freund von ihr drohend zu Matthias, der jedoch die Arme vor der Brust verschränkte und ihn trotzig ansah. Jonathan bekam augenblicklich Angst um ihn. Nicht, dass er ein Schwächling war, aber dieser andere Kerl war einfach riesig. 

„Nein, sie haben Angst vor dir und sie können so lange bei mir bleiben, wie sie wollen", sagte Matthias mit unerwartet fester Stimme und trat tatsächlich noch einen Schritt auf ihn zu. Wieder lachte der Kerl, doch dann wandte er sich Esra zu und sah von oben auf sie herab. 

„Steh auf und klär das", befahl er. Mühsam rappelte sie sich auf, wobei er ihr kein bisschen half. Was für ein Arschloch, immerhin war sie nur wegen ihm gestürzt. 

„Ich gehe kurz nach drinnen. Ich komme gleich wieder", sagte sie so leise, dass es kaum zu hören war. Augenblicklich traten Jonathan, Sheila und Matthias zurück in den Flur, um sie herein zu lassen. Jonathan griff nach der Türklinke, denn sobald Esra drinnen war, würde er sie zuschlagen und ihn aussperren. 

„Du gehst nicht zu ihnen rein, denn dann lassen sie dich nicht wieder raus", sagte Esras Freund in bestimmtem Ton und Jonathan hörte, wie Sheila neben ihm schnaubte. Er griff nach ihrer Hand, damit sie nichts sagte, doch der Kerl sah sie schon herausfordernd an. 

„Willst du was sagen?", fragte er sie mit bedrohlicher Stimme, woraufhin Jonathan sie wieder hinter sich schob. Hoffentlich hielt sie den Mund. Esra stand wie ein Häufchen Elend auf der Stufe vor der Haustür, den Blick auf den Boden gerichtet. Jonathan spürte, wie Sheila sich an ihm vorbei drängte und einen Schritt auf den Kerl zu machte. Im Vergleich zu ihm wirkte sie wie ein kleines Kind, obwohl sie beinahe so groß war wie Jonathan selbst. Er griff wieder nach ihrem Arm, doch sie machte sich los und warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Offensichtlich hatte sie etwas vor, doch er hatte keine Ahnung, was. Panik überkam ihn, denn er wollte nicht, dass sie mit ihm redete. 

„Sheila", sagte er leise, doch sie ignorierte ihn. Sie trat noch einen Schritt näher an ihn heran, sodass sie genau zwischen Esra und diesem Kerl stand. Plötzlich begriff er, was sie vorhatte. Sie wollte sich selbst als Puffer benutzen, damit er nicht an Esra herankam, wenn sie nach drinnen ging. Jonathan schluckte. 

„Es gibt da so einiges, was ich sagen will", fing sie ihr Ablenkungsmanöver an. Der Typ verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie belustigt an. 

„Ach ja?", sagte er, doch Sheila baute sich vor ihm auf. 

„Du kannst ihr nicht einfach befehlen, was sie zu tun hat und was nicht", fing sie an und Jonathan bemerkte, dass Esra einen winzigen Schritt weiter in Richtung Haustür machte. Kaum merklich streckte er die Hand nach ihr aus, um sie schnell reinzuziehen. 

„Sie ist meine Freundin, ich kann mit ihr reden, wie ich will", widersprach er und für eine Sekunde wanderte sein Blick zu Esra. Jonathans Herz pochte ihm bis zum Hals. Hoffentlich bemerkte er nicht, dass Esra näher zur Tür gegangen war. 

„Nein kannst du nicht! Sie kann machen, was sie will und niemand kann es ihr verbieten. Außerdem solltest du mal aus deinem Umgangston arbeiten", plapperte Sheila drauf los und setzte auch noch ein hämisches Grinsen auf. Jonathan hoffte, dass Esra gleich herein kommen würde, damit Sheila ihn nicht weiter provozieren musste. Doch offensichtlich hatte sie ihn verärgert, denn er kam einen Schritt näher auf sie zu und er fixierte sie mit funkelnden Augen. 

„Anscheinend stehst du ja auch Weicheier. Ich bin ein richtiger Mann und habe meine Freundin im Griff", sagte er und obwohl Jonathan wusste, dass er ein Idiot war, ärgerte er sich darüber. Er sollte eigentlich an ihrer Stelle vor ihm stehen und ihn ablenken. Sheila lachte leise in sich hinein. 

„Du machst ihr Angst, deswegen ist sie noch bei dir. Matthias hat sie wenigstens gut behandelt, im Vergleich zu dir", spottete sie und obwohl es nicht ganz die Wahrheit war, verfehlte es seine Wirkung nicht. Der Kerl zog die Augenbrauen zusammen. 

„Ich behandele sie gut. Und ich versuche, ihre Kinder noch auf die richtige Bahn zu kriegen. Als ich gehört habe, dass sie bei Schwuchteln das Wochenende verbringen sollen...", sagte er, doch anstatt seinen Satz zu beenden, kam er drohend noch einen Schritt auf Sheila zu. Wieder lachte sie, dieses Mal lauter und voller Verachtung. 

„Wenigstens haben die Kinder keine Angst vor ihnen und sie lernen sich zu benehmen. Anscheinend hast du das verpasst", sagte sie und das Gesicht ihres Gegenübers verzerrte sich vor Wut. 

„Was hast du gesagt? Du meinst, die Kinder wären bei denen besser aufgehoben als bei mir?", fragte er und er schien Sheila mit seinem Blick zu durchdringen. Doch sie hielt ihm Stand. Jonathan zupfte an Esras Ärmel, denn würde sie nicht gleich reinkommen, würde Sheila in ernste Schwierigkeiten geraten. Esra begriff es offensichtlich, denn mit einem einzigen Satz sprang sie in den Flur und Jonathan zog sie hinter sich. Der Kerl warf einen geschockten Blick zu Jonathan, der nun auch dem Arm nach Sheila ausstreckte. Langsam ging sich rückwärts zu ihm, doch noch bevor sie die Haustür erreichte, wandte der Typ sich wieder ihr zu. 

„Du hast mich abgelenkt", sagte er drohend, aber Sheila antwortete ihm nicht und ging noch einen Schritt weiter nach hinten. Jonathan umfasste ihre Hand und zog sie weiter in Richtung Eingang, doch auf einmal schien Sheila wirklich Angst zu bekommen. Noch vor einer Minute war sie so mutig gewesen, doch nun fing ihre Hand an zu zittern und ihr schlotterten die Knie. Offensichtlich bemerkte der Typ es auch, der er grinste hämisch. 

„Du bist gar nicht so mutig, wie du tust. Aber du hast mich verarscht und das macht mich wütend", spuckte er aus und trat so schnell auf sie zu, dass sie zusammenzuckte. Jonathan riss an ihrer Hand, doch er war zu langsam. Der Typ hatte so schnell ausgeholt, dass er nicht hatte reagieren können. Sheila schrie, dann lag sie auf dem Boden und hielt sich die Wange. 

Jonathan handelte instinktiv. Er umfasste ihre Taille und zog sie so schnell ins Haus, wo Matthias die Tür so schnell zuknallte, dass er den Lufthauch im Gesicht spürte. Sheila saß auf dem Boden, mit dem Rücken an der Tür gelehnt und sie schluchzte leise. 

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