Kapitel 13 - Sheila
Sheila fläzte sich auf dem Sofa im Wohnzimmer herum und starrte auf ihr Handy. Im Hintergrund lief der Fernseher, doch sie achtete nicht wirklich darauf. Jonathan arbeitete schon seit heute Morgen, sodass sie sich irgendwie allein die Zeit vertreiben musste.
Karim hatte ihr heute Morgen seine Adresse geschickt und neugierig tippte sie sie in Maps ein. Er wohnte ganz in der Nähe vom Varieté, sodass sie am Samstag einen nicht allzu langen Weg hatten. Krampfhaft überlegte sie, was sie ihm vielleicht schenken könnte, denn eigentlich kannte sie ihn nicht wirklich gut. Vielleicht sollte sie einfach einen Kuchen backen oder so etwas. Damit konnte man doch nichts falsch machen und sie würde nicht mit leeren Händen dastehen.
Sie musste heute und morgen erst wieder abends arbeiten, sodass sie tagsüber eigentlich etwas hätte unternehmen können. Doch da Jonathan sich anscheinend vorgenommen hatte, den ganzen Tag in seinem Studio zu bleiben, hatte sie bisher nur herumgelegen.
Langsam bekam sie Hunger und sie beschloss, sich etwas zu kochen. Jonathan könnte dann später essen, wenn er fertig mit der Arbeit war.
Gerade als sie sich mühsam erhob, um in die Küche zu gehen, klingelte ihr Handy. Neugierig warf sie einen Blick darauf und zu ihrer Überraschung war es Matthias, der sie anrief. Eigentlich war er zu dieser Zeit immer auf der Arbeit. Ihr fiel wieder ein, was Lisa gestern über ihn und Esra erzählt hatte und dass er vielleicht jemanden zum Reden brauchen könnte. Eilig nahm sie das Gespräch an.
„Hey, alles in Ordnung?", begrüßte sie ihn, doch als Antwort bekam sie nur ein verächtliches Schnauben.
„Was ist los?", wollte sie wissen und augenblicklich wurde ihr ein wenig mulmig zumute. Ihr Bruder neigte dazu, aus allem ein Drama zu machen.
„Kann ich vorbei kommen? Ich fahre gerade von der Arbeit los", fragte er dann und schnell stimmte sie zu. Es war ungewöhnlich, dass er an einem Donnerstag schon gegen Mittag Feierabend machte.
„Ich muss aber um fünf bei der Arbeit sein", sagte sie noch, doch er brummelte nur etwas Unverständliches.
„Willst du reden?", fragte sie, doch wieder brummte er nur etwas, das nach „Weiß nicht" klang.
„Willst du was essen? Ich wollte gerade kochen", fragte sie weiter, doch bevor er antwortete, hörte sie, wie eine Autotür zugeschlagen wurde. Offensichtlich war er gerade in sein Auto gestiegen.
„Wieso nicht. Es geht um Esra", rückte er dann doch mit der Sprache raus, obwohl Sheila es sich schon gedacht hatte.
„Lisa hat gestern erzählt, dass ihr Streit hattet", gab sie zurück. Sie wollte nicht unbedingt erzählen, dass sie ihr deutlich mehr verraten hatte, denn hinterher wurde er noch wütend auf Lisa.
„So kann man es auch nennen. Aber ich fahre mal los. Bin so in zwanzig Minuten da", sagte Matthias, dann beendete er das Gespräch. Sheila verzog das Gesicht. Offensichtlich hatte er schlechte Laune und wollte all seinen Frust bei ihr abladen. Besser bei ihr als bei Jonas, der es dann hinterher noch irgendwie in den falschen Hals bekam und dann wieder einen Streit anfing. Was Esra betraf war er noch immer ein wenig empfindlich.
Sheila legte ihr Handy auf den kleinen Wohnzimmertisch und begab sich nun endlich in die Küche. Sie beschloss Nudeln mit Fertigsoße zu machen, das ging schnell und würde fertig sein, bis Matthias ankam.
Ihre Gedanken wanderten immer wieder zu ihrem Bruder und Esra. Sheila hatte sich eine Zeit lang öfter mit Esra getroffen und sie hatte ihr gestanden, dass sie noch immer Gefühle für Matthias hatte. Offensichtlich war das nun nicht mehr so, wenn sie einen neuen Freund hatte.
Obwohl Matthias ziemlich gemein zu ihr gewesen war, als Duygu noch klein war, hatte sie sie ihm nie vorenthalten. Immer wenn Matthias sie sehen wollte – was in den ersten Jahren nicht wirklich oft war – durfte er sie sehen. Als sie sich dann auf einen regelmäßigen Besuchsplan geeinigt hatten, sorgte sie penibel dafür, dass Matthias sich daran hielt. Sie war nicht der Typ dafür, ihre Kinder ihren Vater nicht mehr sehen zu lassen, auch wenn sie und Matthias sich eine Zeit lang gar nicht gut verstanden hatten. Sheila spürte, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Hoffentlich würde Matthias ihr gleich mehr erzählen.
Zwanzig Minuten später trug sie gerade das Essen zum Tisch, als sie einen Schlüssel in der Haustür hörte. Matthias und auch ihr Vater hatten einen Schlüssel zu ihrem Haus, falls mal irgendetwas sein sollte.
„Ich bin in der Küche!", rief sie ihm zu und holte noch Besteck aus der Schublade und platzierte es neben die zwei Teller auf dem Tisch. Matthias kam herein und murmelte etwas, das wohl ein Gruß sein sollte.
Bei seinem Anblick zuckte Sheila zusammen. Er sah ganz und gar nicht gut aus. Sein Gesicht war blass und er wirkte seltsam erschöpft. Sheila ging zu ihm und umarmte ihn, doch er erwiderte die Umarmung kaum. Als sie ihn wieder losließ, sank er auf dem Stuhl in sich zusammen. Er stützte den Kopf in die Hände und stöhnte. Sheila setzte sich ebenfalls und lud ihm etwas zu Essen auf den Teller.
Matthias brauchte meistens eine Weile, bis er sich öffnete und über alles sprach. Wenn er es dann aber tat, redete er ohne Punkt und Komma. Wie erwartet aßen sie schweigend und während sie die Teller in die Küche brachte, hörte sie am Scharren des Stuhls, dass Matthias aufstand. Sie ging zurück ins Wohnzimmer, wo er sich inzwischen aufs Sofa gesetzt hatte. Sein Blick war starr in die Leere gerichtet, so als würde er mit den Gedanken ganz wo anders sein. Sie setzte sich neben ihn und musterte ihn.
„Was ist passiert?", fragte sie nach einer gefühlten Ewigkeit, in der er weiterhin Löcher in die Luft gestarrt hatte. Mit einem resignierten Seufzer wandte er sich ihr zu und fing an, an einem losen Faden am Saum seines T-Shirts herumzuspielen. Sheila wartete geduldig, bis er anfing zu sprechen.
„Esra hat einen neuen Freund", fing er an.
„Okay", sagte sie, als er wieder in Schweigen verfallen war.
„Und ich mag ihn nicht. Er kontrolliert sie und...", setzte er an, doch dann brach er ab und ihm rann tatsächlich eine Träne über die Wange. Augenblicklich spürte sie den Drang, ihn fest zu umarmen. Sie mochte es nicht, wenn er so litt.
„Er will nicht, dass ich die Kinder übers Wochenende bei mir habe. Er meint, dass ich mich nicht um sie kümmern könnte und sie besser in einer richtigen Familie aufgehoben wären", fuhr er dann fort. Sheila schluckte. Esra und Matthias waren nie wirklich lange ein Paar gewesen. Sie war seine erste Freundin, doch als sie nach ein paar Monaten schwanger geworden war, hatte er Schluss mit ihr gemacht. Als Duygu neun oder zehn war, hatten sie es noch einmal miteinander versucht, doch länger als ein Jahr hatte es auch beim zweiten Versuch nicht gehalten.
„Aber du bist nun mal der Vater und ihr habt das gemeinsame Sorgerecht. Er kann es dir nicht verbieten", sagte sie, doch er schnaubte verächtlich.
„Wir haben nie schriftlich festgehalten, wie wir es und teilen. Es war alles nur eine mündliche Vereinbarung und bisher hat es doch gut geklappt. Aber jetzt schleppt sie diesen Typen an, der ihr irgendetwas vorschreiben will", redete er sich in Rage und sein Gesicht verzerrte sich vor Wut.
„Trotzdem hast du das Recht, die beiden zu sehen. Rede doch noch einmal mit ihr", schlug sie vor, aber Matthias winkte ab.
„Das habe ich doch versucht, aber sie blockt alles ab. Ich kann mich noch nicht einmal mehr normal mit ihr unterhalten. Anscheinend darf sie das nicht", sagte er und zog dabei missbilligend die Augenbrauen hoch.
„Was findet sie dann an diesem Typen?", fragte sie, denn eigentlich war Esra eine toughe, unabhängige Frau. Sie war schlagfertig und frech, was sie immer sehr an ihr gemocht hatte. Es passte gar nicht zu ihr, dass sie sich so von einem Typen unterbuttern ließ.
„Ich habe keine Ahnung. Er ist anscheinend schon bei ihr eingezogen und sie meint, dass die Mädchen...", setzte er an, doch er stockte.
„Dass sie was?", hakte sie nach, doch bevor Matthias antwortete, fuhr er sich mit der Hand durch die dunklen Haare.
„Er hat etwas dagegen, dass sie... Ich meine er hat etwas dagegen, dass Jonas mit dabei ist. Er meint, dass das kein Umgang für Kinder wäre", sagte er auf einmal leise und Sheila spürte, dass er verletzt war. Skeptisch runzelte sie die Stirn. Sie wusste, was dieser Kerl meinte. Anscheinend hatte er ein Problem damit, dass Matthias mit einem Mann zusammen war. Sie erinnerte sich noch daran, wie Matthias ihr erzählt hatte, dass er etwas mit einem Mann hatte. Niemand hatte daraus eine große Sache gemacht und niemand hatte ein Problem mit Jonas. Sheila war sogar froh, dass Matthias ihn hatte, denn sie mochte ihn und sie spürte, dass er ihn glücklich machte. Außerdem war Oskar, ihr Nachbar und schon seit der ersten Klasse Matthias bester Kumpel, ebenfalls mit einem Mann verheiratet.
„Aber Aaliyah ist doch mit ihm aufgewachsen, sie kennt es doch gar nicht anders. Und Duygu kommt doch auch gut mit Jonas zurecht", sagte sie, woraufhin Matthias nickte.
„Stimmt. Manchmal glaube ich, dass er sich mehr auf die Wochenenden freut als ich. Er ist ja im Prinzip ihr Stiefvater und er kümmert sich genauso um sie wie ich, wenn sie bei uns sind", erklärte Matthias, obwohl Sheila das wusste eigentlich. Jonas hatte ihn kennengelernt, als Esra gerade mit Aaliyah schwanger war. Er hatte sie also seit ihrer Geburt mit aufgezogen und die Kleine hatte eine wirklich enge Bindung zu ihm. Sheila hatte sogar schon ein paar Mal gehört, wie sie Jonas Papi genannt hatte.
„Was willst du jetzt machen? Soll ich mal versuchen, mit ihr zu reden?", fragte sie, doch Matthias zuckte die Schultern.
„Du kannst es versuchen, aber ich glaube nicht, dass es etwas bringt. Sie darf anscheinend mit niemandem mehr reden. Ich bekomme einfach nicht in meinen Kopf, was sie mit so einem Typen will. Ich habe mich schon gefragt, ob er irgendetwas gegen sie in der Hand hat, aber ich wüsste nicht was", fuhr er fort und wieder strich er sich mit der Hand durch die Haare, die nun schon ganz verstrubbelt waren.
„Ich rede mal mit ihr. Vielleicht schafft Papa es auch, zu ihr durchzudringen. Sie hat doch schon oft mit ihm über ihre Probleme geredet", schlug sie vor, doch wieder zuckte er nur die Schultern.
„Soll ich sie gleich mal anrufen? Bist du dieses Wochenende dran?", fragte sie und griff nach ihrem Handy, das auf dem Tisch lag. Matthias riss die Augen auf und sah sie ein wenig panisch an.
„Ja, ich bin dran. Gestern war ich wie immer bei ihr zu Hause. Oder viel mehr bei ihr vor der Tür. Sie hat mich nicht rein gelassen. Sie hat die Tür nur einen winzigen Spalt aufgemacht und ich habe gehört, wie dieser Typ ihr gesagt hat, was sie sagen soll. Ich hatte keine Chance, sie hat mich nicht reingelassen. Als ich zum Auto gegangen bin, standen die Mädchen oben auf dem Balkon, Aaliyah hat geweint. Ich habe versucht, mit ihnen zu reden, aber Esra hat es bemerkt und sie rein geholt", berichtete er und schüttelte er den Kopf, als könnte er nicht glauben, dass das wirklich passiert war.
„Ich rufe sie an. Was soll ich sagen?", wollte sie wissen, während sie schon ihre Nummer wählte.
„Vielleicht fragst du sie, ob alles in Ordnung ist und wie es ihr geht. Wenn du direkt nach den Kindern fragst, weiß sie, dass du nur wegen mir anrufst", antwortete er und Sheila nickte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als es tutete. Schnell stellte sie noch auf Lautsprecher, damit Matthias mithören konnte. Er blickte genau so gespannt auf ihr Handy wie sie selbst. Unendlich lange tutete es und als sie glaubte, dass sich niemand mehr melden würde, erklang eine tiefe Männerstimme.
„Wer ist da?", fragte er unfreundlich. Da Sheila die Stimme nicht kannte und es eindeutig nicht Esra war, vermutete sie, dass es ihr neuer Freund war.
„Ich wollte mit Esra sprechen", sagte sie und eine ganze Weile blieb es stumm am anderen Ende der Leitung.
„Sie hat keine Zeit", sagte er und legte einfach auf. Sheila starrte noch einen Moment auf ihr Handy, dann sah sie zu Matthias.
„Hab ich doch gesagt. Sie darf noch nicht einmal mehr an ihr Handy gehen", sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen. Sheila schluckte. An was für einen Typen war sie da nur geraten?
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