Kapitel 121 - Sheila

Sheila küsste Jonathan zum Abschied und machte sich auf den Weg zur Probe. Sie sah im Rückspiegel, dass er ihr nachsah und winkte, bis die Straße eine Kurve machte und sie ihn nicht mehr sehen konnte. 

Sie würde sich noch immer am liebsten die Zunge abbeißen, dass ihr das mit Ville herausgerutscht war, doch er hatte ihr auch immer direkt alles verboten. Anders als bei Jonathan hatte sie es dann trotzdem getan, einfach nur um ihn zu ärgern. Aber das würde sie nicht tun. Allerdings würde sie Leonard vielleicht eine Nachricht schreiben und ihm absagen, immerhin hatte er sie nicht verärgert oder war gemein zu ihr gewesen. 

Sie hielt an einer roten Ampel und ihr Blick fiel auf ihre Handtasche auf dem Beifahrersitz, wo ihr Handy drin lag. Schnell warf sie einen Blick in den Rückspiegel, ob sie den Verkehr aufhalten würde, sollte sie verpassen, dass grün wurde, doch niemand stand hinter ihr. Sie zog ihr Handy heraus und tippte eine schnelle Nachricht an Leonard. 

„Es tut mir leid, ich kann nicht", schrieb sie nur, denn das würde ihm keinen Raum für Spekulationen lassen. Sie warf ihr Handy wieder zurück in ihre Handtasche und konzentrierte sich wieder auf die Straße, bis sie Matthias Wagen auf den Parkplatz des Varietés fuhr. 

Anscheinend war sie die erste, denn es war nur das Auto von André zu sehen. Sie holte noch einmal ihr Handy heraus und tippte eine Nachricht an Jonathan, dass sie gut angekommen war, dann las sie die Nachricht von Leonard. Natürlich hatte er ihr sofort geantwortet. 

„Musst du arbeiten? Wir könnten uns auch morgen sehen", schrieb er. Sheila seufzte. Offensichtlich hatte er den Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstanden oder er ignorierte ihn. Sie zögerte, ihm zu antworten, doch es kam ihr irgendwie auch gemein vor, ihm gar nicht mehr zu schreiben. 

„Ich bin auf der Arbeit. Aber ich meine damit, dass es generell keine gute Idee wäre, wenn wir uns treffen", schrieb sie und hoffte, dass er es nun endlich verstand. 

Sie klickte zurück auf die Übersicht und rief noch einmal den Chat mit ihrem Bruder auf. Eigentlich hatte sie ihm gestern Abend schreiben wollen, doch Jonathan hatte sie zu sehr abgelenkt. Sie hatte ihm schon vor eineinhalb Stunden geschrieben, doch er hatte ihre Nachricht noch nicht einmal gelesen. Vielleicht war er gerade in einem Gespräch mit seinem Arzt oder so etwas. Er würde sich bestimmt melden. 

Jonathan wünschte ihr viel Spaß, doch sie sah auch, dass Leonard erneut eine Nachricht schrieb. Musste der Kerl nicht arbeiten? 

Sheila stopfte ihr Handy zurück in ihre Tasche und stieg aus. Sie hatte keine Lust, länger mir Leonard zu diskutieren. Sie ging geradewegs durch den leeren Zuschauerraum und drückte die schwere, schwarze Metalltür auf, die zu dem Bereich hinter der Bühne führte. Es war ungewohnt still und mit einem ohrenbetäubenden Krachen fiel die Tür hinter ihr ins Schloss. Sie zuckte zusammen, denn normalerweise herrschte hier ein buntes Treiben, sodass ihr das Geräusch noch nie so laut vorgekommen war. 

Eilig ging sie zum Spindraum, doch als sie vor den Schränken aus Metall stand, fiel ihr auf, dass ihr Schlüssel noch in ihrer Arbeitshose steckte. Seufzend klemmte sie sich ihre Tasche unter den Arm und marschierte auf die Bühne, wo sie sich zur Probe treffen wollten. 

Sie ließ sich mitten darauf im Schneidersitz nieder und ließ den Blick durch den Zuschauerraum schweifen. Für einen Moment stellte sie sich vor, sie würde als Solotänzerin auf dieser Bühne stehen, umjubelt von hunderten von Leuten. Eine ganze Zeit lang war genau das ihr Traum gewesen, doch das Leben als Ballerina war hart. Sie musste zugeben, dass ihr ihr jetziger Job deutlich besser gefiel. Er war weniger stressig und auch die lockere Atmosphäre hier im Varieté tat ihr gut. 

Das Summen ihres Handys riss sie wieder zurück in die Realität. In der Hoffnung, dass es Matthias war, der ihr schrieb zog sie es heraus, doch sie wurde enttäuscht. Sie hatte gleich zwei Nachrichten von Leonard. 

„Ich kann dich ja verstehen, aber meinst du nicht, dass es nur fair wäre, wenn du mir wenigstens die Chance gibst, dir zu erklären, wie ich mich fühle?", war seine erste. Sheila verdrehte die Augen, doch dann las sie seine zweite Nachricht. 

„Übrigens finde ich schlechte Ideen ziemlich verlockend", las sie und tatsächlich zuckten ihre Mundwinkel. Sie mochte es nicht nur bei Jonathan, wenn er herumalberte, sondern auch bei Leonard. Auch wenn dieser es anders als Jonathan manchmal übertrieb. 

„Ich denke ich weiß, wie du dich fühlst und es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen", antwortete sie ihm knapp, stellte ihr Handy auf lautlos, schob es zurück in ihre Tasche und zog den Reißverschluss zu. 

Mit einer schwungvollen Bewegung ließ sie sie über den Parkettboden rutschen bis zum Rand der Bühne, wo sie liegen blieb. So würde sie nicht in Versuchung geraten, noch einmal auf ihr Handy zu sehen, während sie auf Daniel und Karim wartete. Allerdings sollten die beiden so langsam mal auftauchen, denn es musste schon nach zehn Uhr sein. Kaum dass sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, betrat Karim den Zuschauerraum. 

„Hi", rief er, hievte seine Tasche neben ihre und schwang sich dann mit einer eleganten Bewegung zu ihr auf die Bühne. 

„Hi", erwiderte sie, während Karim sich neben sie setzte. 

„Ist Daniel noch nicht da?", fragte er und zog besorgt eine Augenbraue hoch. Sheila schüttelte langsam den Kopf und stützte sich auf die Hände ab. 

„Merkwürdig. Er ist doch sonst auch immer pünktlich", bemerkte er, doch Sheila winkte ab. 

„Vielleicht ist viel Verkehr", versuchte sie ihn zu beschwichtigen, aber sofort drängte sich ihr der Gedanke auf, dass der Streit zwischen Miriam und ihm noch immer nicht ausgefochten sein konnte und er die Probe in dem Stress einfach vergessen hatte. Unweigerlich dachte sie an Karima. 

„Wie geht es deiner Schwester?", fragte sie und musterte Karim vorsichtig. Er schnaubte verächtlich. 

„Der ist nicht mehr zu helfen. Sie hat mich vorletzte Nacht vollkommen panisch angerufen, ich konnte sie gar nicht mehr beruhigen. Ich habe sie ins Krankenhaus gebracht, weil sie sie ausgerastet ist. Sie hat um sich geschlagen und solche Sachen. Als ich sie dann gestern Vormittag besuchen wollte, hatte sie sich schon selbst entlassen und war auf und davon. Ich bin zu ihr nach Hause gefahren, aber entweder war sie nicht da oder sie hat mir nicht aufgemacht", berichtete er überraschend ausführlich, doch dann fing er an, mit einem losen Faden an seinem T-Shirt herumzuspielen. 

Sheila schluckte, denn das würde doch genau passen. Sie zögerte, Karim von Miriams Geschichte zu erzählen, doch dann entschied sie sich dafür. Immerhin war auch er ehrlich zu ihr gewesen. 

„Ich habe gestern mitbekommen, wie Miriam und Daniel sich gestritten haben. Anscheinend war Karima hier und hat Miriam gesagt, dass sie mit Daniel geschlafen hätte. Ob es stimmt weiß ich nicht, aber Daniel wollte, dass ich ihm ein Alibi gebe und Miriam sage, dass wir gestern Probe hatten", berichtete sie und erschrocken riss Karim die Augen auf, dann vergrub er das Gesicht in den Händen. 

„Das darf doch alles nicht wahr sein", stöhnte er kopfschüttelnd. Sheila legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter, woraufhin er die Hände wieder von Gesicht nahm und sie ansah. 

„Ich weiß nicht, was ich noch mit ihr tun soll. Sie bringt mich auch in Schwierigkeiten, wenn sie die Beziehungen von Leuten kaputt machen will, die ich mag", seufzte er und Sheila wusste, was er meinte. 

„Mir ist klar, dass du nichts dafür kannst, was sie tut. Vielleicht kommt Daniel deswegen heute nicht", sagte sie, um ihn ein wenig von dem Thema abzulenken. Karim nickte langsam und stand auf. Er hielt ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. 

„Wir sollten trotzdem schon einmal anfangen. Er kann ja mit einsteigen, wenn er kommt. Wenn nicht, können wir unsere Parts üben", sagte er bestimmt und Sheila nickte. Er hatte recht, sie sollten die verbleibende Zeit nutzen. Sie ergriff seine Hand und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen, dann verschwand er im Technikraum und schaltete die Musik ein.

Eineinhalb später ließ Sheila sich völlig erschöpft auf den Boden sinken. Sie legte sich auf den Rücken und streckte alle Viere von sich und wartete, bis ihr Atem sich wieder beruhigte. Karim schaltete sie Musik aus und legte sich neben sie. 

„Das war gut", sagte er außer Atem und hielt ihr die Hand für ein High-Five hin. Sheila schlug ein und spürte, dass sie dieses Mal etwas wirklich Gutes auf die Beine stellen würden. Daniel war nicht mehr aufgetaucht, doch sie hatten sich davon nicht die gute Laune vermiesen lassen. Es hatte Spaß gemacht, mit Karim zu tanzen und sich von ihm durch die Luft wirbeln zu lassen und für einen Moment hatte sie so alles um sich herum vergessen. Sie wusste, dass es Karim genau so gegangen war, denn seine Augen hatten die ganze Zeit geglänzt.

 Schon nach zwei Minuten stand er jedoch wieder auf und ging zum Rand der Bühne, wo er seine Tasche abgestellt hatte. Sheila setzte sich auf und beobachtete ihn, wie er aus seiner Tasche eine Flasche Wasser holte und sie fast in einem Zug austrank. 

„Ich muss mich umziehen, ich habe heute Nachmittagsdienst", sagte er und hängte sich seine Tasche über die Schulter. 

„Ich fahre noch mal nach Hause, ich muss erst heute Abend ran", erwiderte sie und erhob sich mühsam. Mit Sicherheit würde sie morgen Muskelkater haben. 

„Vielleicht sehen wir uns dann noch nachher. Hat Spaß gemacht", sagte er und Sheila nickte. 

„Wann ist die nächste Probe?", fragte sie und er schien einen Moment zu überlegen. 

„Wie wäre es nächsten Montag? Meine alten Knochen brauchen ein paar Tage Erholung", lachte er. 

„Okay, Montag klingt gut", erwiderte sie und machte sich eine Notiz in ihrem imaginären Terminkalender. Sie winkte Karim zum Abschied, der in Richtung Spindraum verschwand. 

Sie schnappte sich ihre Tasche und machte sich auf den Weg zum Auto. Sie freute sich schon auf Jonathan, denn noch immer kam es ihr vor wie ein Traum, dass er wieder zurück war. Auch wenn er nur zwei Nächte nicht bei ihr gewesen war, fühlte es sich viel länger an. 

Sie verließ das Varieté und kramte in ihrer Handtasche nach dem Autoschlüssel, als jemand sie am Arm packte. Sie zuckte zusammen und ließ den Autoschlüssel, den sie gerade gefunden hatte, in den Kies fallen. Derjenige, der sie noch immer am Arm festhielt bückte sich danach und reichte ihn ihr. Sie schluckte schwer, als sie erkannte wer es war. 

„Ich wusste gar nicht, dass du so unhöflich bist und versuchst, mich abzuwimmeln", sagte Leonard. Sheila sah zu ihm auf und erkannte Schmerz in seinen Augen. Sie trat einen Schritt zurück und zwang ihn so, ihren Arm loszulassen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, doch am liebsten wäre sie einfach davon gelaufen. 

„Komm, setzen wir uns kurz ins Auto", sagte er sanft, legte den Arm um ihre Mitte und schob sie in Richtung der geparkten Autos. Sie ließ es zu, denn obwohl sie Jonathan versprochen hatte, sich nicht mit ihm zu treffen, fand sie es nun doch merkwürdig, ihn einfach stehen zu lassen. Immerhin hatte er sie oft getröstet und ihr bei ihrem Unfall geholfen, als Jonathan nicht für sie da gewesen war. 

Leonard führte sie zu seinem Auto und öffnete die Beifahrertür für sie. Seufzend stieg sie ein und wartete, bis er um das Auto herumgelaufen war und sich auf den Fahrersitz gesetzt hatte. Mit einem lauten Knall zog er die Tür zu, dann sah er sie von der Seite an. Zwar hatte er alles andere als ein einschüchterndes Gesicht, er sah eher aus wie ein Teddybär, doch allein seine Größe schüchterte sie in diesem Moment ein. Vorsichtig sah sie zu ihm und erkannte Qual in seinem Blick. 

„Jonathan meinte, dass zwischen euch wieder alles in Ordnung ist", setzte er an und Sheila spürte, wie sie langsam nickte. Leonard atmete geräuschvoll aus und rieb sich die Schläfe, doch dann schwieg er. Sheila schluckte, denn sie wollte das alles schnell hinter sich bringen. 

„Du wolltest mir etwas sagen, also... raus damit", sagte sie und versuchte ein Lächeln, das ihr jedoch gründlich misslang. Leonard drehte sich zu ihr und beugte sich näher zu ihr, dann suchte er ihren Blick. Als er ihn fand sah Sheila sofort wieder weg. Es war merkwürdig, denn obwohl sie bisher kein Problem gehabt hatte, ihm in die Augen zu sehen, schaffte sie es nicht. 

Schon seit sie sich kannten hatte er Gefühle für sie, das wusste sie, doch er hatte nie eine ernste Sache daraus gemacht. Nun schien er es jedoch vollkommen ernst zu meinen und glaubte womöglich noch, dass er eine Chance bei ihr hätte. 

„Seit wann kannst du mich nicht mehr ansehen?", fragte er verletzt und Sheila zuckte nur die Schultern. 

„Am Samstag", setzte er erneut an, doch dann machte er keinen Anstalten, weiter zu sprechen. Sheila hatte ihren Blick starr auf ihre Hände gerichtet. 

„Jetzt sieh mich endlich mal an. Ich bin es doch", sagte er und bevor Sheila Zeit hatte zu reagieren legte er ihr eine Hand an die Wange und drehte ihren Kopf herum. Ihre Haut brannte unter seiner Berührung und sie musste sofort an Jonathan denken. Er würde sauer sein, wenn er davon erfuhr. Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen und da ließ er seine Hand wieder sinken. 

„Am Samstag hast du zugelassen, dass ich... ich meine, wenn er nicht aufgetaucht wäre, hättest du mich geküsst", sagte er, doch Sheila schüttelte den Kopf. Allerdings sie war sich sicher, dass ihre Augen sie verrieten. Sie wusste nicht, was sie getan hätte und was nicht. Sie war verwirrt von dem ganzen Streit mit Jonathan und der Gewissheit, dass sie schwanger war. 

„Du lügst", stellte er fest und sie sah, wie seine Lippe anfing zu zittern. Sie schluckte den Kloß in ihrer Kehle hinunter, dann rutschte sie unruhig auf dem Sitz hin und her. 

„Es ist ja jetzt auch egal. Wir haben uns wieder vertragen und alles ist wieder wie früher", sagte sie beinahe trotzig, doch Leonard lachte leise. 

„Ich habe gehört, was er zu dir gesagt hat, bevor er gegangen ist. Du bist schwanger und er glaubt, dass er nicht der Vater ist", sagte er und sofort schossen Sheila Tränen in die Augen. Warum erinnerte er sie daran? 

„Er hat es nur gesagt, damit ich ihn gehen lasse. Er weiß, dass er der Vater ist", widersprach sie und wischte sich schnell die Tränen weg. Leonards Hand zuckte und sie war sich sicher, dass er ihre Tränen mir dem Finger auffangen wollte, doch er hielt sich zurück. 

„Und das verzeihst du ihm einfach so? Das war ziemlich gemein", sagte er tonlos, doch nun war Sheilas es, die leise lachte. 

„Er verzeiht mir ja auch, dass ich zugelassen habe, dass du mich anfasst", gab sie zurück und war sich durchaus darüber bewusst, dass es ihn verletzen würde. Er stieß ein ersticktes Geräusch aus, trotzdem rutschte er noch näher an sie heran. 

„Tu nicht so, als hättest du das nicht gewollt. Du hättest direkt Nein sagen können, aber du wolltest es genau so wie ich", sagte er lauter als erwartet und Sheila zuckte unwillkürlich zusammen. 

„Was spielt das für eine Rolle? Es war ein Fehler und wird nicht noch einmal vorkommen", sagte sie und legte die Hand an den Türgriff. Sie wollte weg hier und nicht mehr daran erinnert werden, dass sie für einen kurzen Moment verwirrt gewesen war. 

„Warte", flehte Leonard, doch er hielt sie nicht auf, als sie ausstieg und die Tür hinter sich zuknallte. Sie ballte die Fäuste und ging in Richtung ihres Autos, doch aus dem Augenwinkel sah sie, wie Leonard ihr hinterherkam. Sie beschleunigte ihre Schritte, aber er hatte sie schon nach ein paar Schritten eingeholt. Er hielt sie an der Schulter fest und lief um sie herum, sodass er ihr den Weg versperrte. 

„Lass mich gehen", sagte sie, doch ihre Stimme klang weniger energisch, als sie es geplant hatte. 

„Ich habe dir noch nicht gesagt, was ich dir schon eine ganze Weile sagen will", sagte er und legte seine Hände auf ihre Schultern. Sheila schluckte, denn ihr war klar, was jetzt kam. Obwohl sie seine Gefühle nicht erwiderte, pochte ihr das Herz bis zum Hals. Sie schloss die Augen und wartete, dass er es endlich sagte, damit sie gehen konnte. Doch er schwieg und sie spürte, wie seine Hände ihren Hals entlang wanderten, bis er sie um ihr Gesicht legte. Blitzartig zuckten Erinnerungen an vergangen Samstag in ihr auf und sie schaffte es nicht, sie zurückzudrängen. 

„Sieh mich an", bat er und sie spürte seinen Atem auf ihrer Wange. Unwillkürlich streckte sie die Hand aus, um ihn auf Abstand zu halten, doch schon nach ein paar Zentimetern traf sie auf seinen Oberkörper. Trotz ihres Drucks, den sie mit ihrer Hand gegen ihn ausübte, wich er keinen Zentimeter zurück. 

„Mach die Augen auf", bettelte er beinahe und endlich schaffte sie es, ihn anzusehen. Ihr Blick fiel auf ihre Hand auf seiner Brust, dann hob er ihren Kopf an, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte. Wieder rannen ihr Tränen über die Wangen und dieses Mal fing er sie tatsächlich auf. 

„Sag es einfach, damit wir diese Sache hinter uns bringen können", sagte sie, woraufhin ihm nun auch Tränen in die Augen traten. Seine Lippe zitterte, doch er führte seine Mund näher an ihr Ohr. Sheila presste die Lippen aufeinander und sie fing an, am ganzen Körper zu zittern. 

Sie wusste nicht, warum er eine solche Reaktion in ihr auslöste, wahrscheinlich weil sie Angst hatte, wie Jonathan reagieren würde, wenn er davon erfuhr. Sie flehte innerlich, dass er nicht ausflippen und wieder verschwinden würde, doch dann hätte sie sich das alles ganz allein zuzuschreiben. Es wäre ihre Schuld. Sie hätte Leonard schon viel früher abweisen sollen, doch nun stand sie hier nur wenige Zentimeter von ihm entfernt. Sie ließ ihre Hand sinken, denn ihr schwacher Abwehrversuch brachte überhaupt nichts. Leonard legte die Lippen an ihr Ohr, dann flüsterte er die Worte, die sie erwartet und doch gefürchtet hatte. 

„Ich liebe dich. Und das auch schon ziemlich lange."

Eine ganze Minute stand Sheila einfach nur reglos da, unfähig, mit ihren Gefühlen umzugehen. Zwar liebte sie ihn nicht so, wie er es offensichtlich tat, doch kalt ließen sie seine Worte nicht. Er war für sie da gewesen und hatte ihr mehr als einmal tröstende Worte geschenkt. Sie schloss wieder die Augen, um die sich aufdrängenden Tränen zurückzuhalten und spürte, wie Leonards Hände sich bewegten. Er ließ sie über ihre Schultern ihre Arme entlanggleiten, bis er sie schließlich an ihre Taille legte. Sein Atem beschleunigte sich und Sheila legte wieder die Hand an seine Brust, um ihn wegzuschieben. 

„Ich würde dich gern küssen", flüsterte er und endlich reagierte sie. Sie stieß ihn mit voller Kraft gegen die Brust, sodass er strauchelte. 

„Hör auf damit", sagte sie, wischte sich die Tränen vom Gesicht und ließ ihn stehen. Sie rannte zu Matthias Auto und startete den Motor, doch sie war zu langsam. Leonard stellte sich einfach vor das Auto, sodass sie nicht aus der Parklücke fahren konnte. Sie drückte auf die Hupe, aber er bewegte sich nicht. 

„Warum verzeihst du ihm einfach alles?", rief er über den Motorenlärm hinweg, doch Sheila antwortete nicht. Sie spielte mit dem Gas und hupte noch einmal und endlich trat er zur Seite. Sie fuhr so schnell los, dass der Kies unter ihren Reifen davonflog, aber sie musste nur weg hier. 

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