Kapitel 118 - Jonathan

Jonathan lauschte dem Tuten des Telefons, doch wie erwartet meldete seine Mutter sich ziemlich schnell. 

„Ich bin's", meldete er sich und seine Mutter atmete erleichtert auf. 

„Gott sei Dank meldest du dich. Wir haben deinen Zettel gefunden", seufzte sie und es war eindeutig, dass sie eine Erklärung von ihm wollte. 

„Tut mir leid, dass ich so überstürzt gefahren bin, aber Sheila hat mich angerufen und gebeten, zu ihr nach Hause zu kommen", erklärte er und hoffte, dass sie ihn verstehen konnte. Sie machte eine Zustimmendes Geräusch, doch dann schlug sie einen ernsteren Ton an. 

„Und was bedeutet das jetzt? Seid ihr wieder zusammen?", fragte sie. Jonathan durchfuhr ein Schock. 

„Wir waren doch nicht getrennt! Ich brauchte nur etwas Zeit für mich, das war alles", sagte er, doch ganz so einfach war es wohl nicht gewesen. 

„Ist ja gut. Aber es ist alles in Ordnung zwischen euch?", fragte sie nun etwas einfühlsamer. 

„Ja, es ist alles in Ordnung. Sie ist gerade auf der Arbeit und ich sollte mich auch gleich mal wieder ins Studio bewegen", sagte er, doch seine Mutter schnalzte mit der Zunge. 

„Es ist ja schön, dass ihr euch wieder vertagen habt, aber meinst du nicht, dass du zu früh zu ihr zurückgefahren bist?", fragte sie. Jonathan schüttelte den Kopf, obwohl sie es nicht sehen konnte. 

„Nein, es war genau der richtige Zeitpunkt. Sie ist schwanger und ich sollte sie nicht länger allein lassen", sagte er bestimmt. Für einen Moment schwieg seine Mutter. 

„Das ist sehr vernünftig von dir", erwiderte sie und tatsächlich fühlte er sich ein wenig stolz auf sich selbst. 

„Ich will einfach für sie da sein. Aber danke noch mal, dass ich bei euch unter kommen konnte", fuhr er fort. 

„Kein Problem. Du bist immer willkommen. Ihr beide", sagte seine Mutter und er musste unwillkürlich lächeln. Das war das Schöne an Eltern – sie standen immer hinter einem. 

„Vielleicht können wir ja bald noch mal zu Besuch kommen", schlug er vor und begeistert bejahte sie. 

„Das wäre schön. Aber ich will dich nicht von der Arbeit abhalten. Wir telefonieren demnächst noch mal", sagte sie, dann verabschiedeten sie sich. Jonathan schob sein Handy in seine Hosentasche und ging anschließend zum Studio. 

Er würde heute wirklich etwas arbeiten müssen und vielleicht konnte er nachher beim Arzt anrufen, ob er den Gips nicht schon früher abnehmen lassen konnte. Zwar bemerkte er ihn kaum noch, doch manchmal nervte er schon noch. 

Er betrat das Studio und setzte sich auf seinen Drehstuhl. Es war hier so vertraut, denn er hatte hier schon sehr viel Zeit verbracht. Doch am schönsten war die Zeit, die er hier mit Sheila verbracht hatte. Wenn sie gemeinsam gesungen oder sie ihm etwas auf dem Klavier vorgespielt hatte. Eigentlich war er der Meinung, dass jeder gut im Klavierspielen werden konnte, wenn man nur genug übte, aber bei Sheila fühlte er sich immer wie verzaubert. Ihre Art zu spielen ließ ihn dahinschmelzen. 

Jonathan zwang sich, Sheila zumindest für den Moment aus seinen Gedanken zu verbannen und wandte sich seinem Computer zu. Er klickte sich durch seine Mails und dann durch die sozialen Medien. Laura hatte tatsächlich nicht übertrieben. Zwar hatte seine letzte Veröffentlichung nur ein Bruchteil an Klicks im Vergleich zu seinen erfolgreichsten Covern, doch es gab keinen Grund sich zu beschweren. 

Sein Blick wanderte durch die Kommentare und wie immer hinterließ er hier und da eine Antwort. Sie waren durchgehend positiv. Oder zumindest nicht negativ. Das war wirklich selten. Er brauchte eine ganze Weile, bis er sich all die Reaktionen angesehen hatte und fühlte sich danach gleich viel besser. Das hätte er schon früher machen sollen. 

Kopfschüttelnd saß er da und fühlte sie, als wäre er im Traum. Noch vor einer Woche war er so frustriert gewesen, dass es nicht so lief wie er es wollte und hatte deswegen seine Ehe aufs Spiel gesetzt und nun, eine Woche später, lief es sogar besser als er einkalkuliert hatte. Naja, vielleicht hatte er nicht seine Ehe aufs Spiel gesetzt, denn er war sich ziemlich sicher, dass Sheila genau so wie er nicht ernsthaft über eine Trennung nachgedacht hatte. Zwar hatten sie sich ziemlich gemeine Dinge an den Kopf geworfen, doch niemals würde er ohne sie sein wollen. 

Beinahe wünschte er sich, dass es so wie vor einer Woche geblieben wäre, denn dann hätte er dieses ganze Theater nicht umsonst veranstaltet. Aber vielleicht war es notwendig gewesen, um das zu erkennen. Dass es nämlich genau das war: Theater. 

Jonathan merkte, wie er schon wieder mit den Gedanken abdriftete und zwang sich wieder zur Konzentration. Er druckte sich einen Kalender aus dem Internet aus und plante möglichst detailliert, was er wann machen wollte. Durch das Gespräch mit Laura hatte er Mut gefasst, sich weiter auszuprobieren, gleichzeitig sollte er dafür sorgen, dass er seine Fans zufriedenstellte. Auch wenn es berechnend klang, das war es nun mal, was ihm Geld einbrachte. 

Er tüftelte noch eine ganze Weile daran, bis ihn das Summen seines Handy zusammenzucken ließ. Schnell warf er einen Blick darauf und las Sheilas Namen auf dem Display. Gleichzeitig bemerkte er, dass es schon kurz nach fünf war und sie gerade Feierabend haben musste. Er nahm das Handy in die Hand und drückte auf den grünen Hörer. 

„Du glaubst nicht, was passiert ist", platzte sie heraus, bevor er auch nur eine Begrüßung hatte aussprechen können. Er grinste, doch gleichzeitig bereitete ihm ihr wütender Ton ein Unbehagen, das ihm gar nicht gefiel. 

„Was ist denn?", fragte er vorsichtig, doch sie schnaubte nur, dann wurde eine Autotür zugeschlagen. War es so wichtig, dass sie ihn angerufen hatte, bevor sie überhaupt im Auto saß? 

„Du erinnerst dich doch an Daniel, mit dem ich zusammen die Mitarbeiter-Vorführung mache, oder?", plapperte sie aufgeregt los. 

„Seine Freundin arbeitet doch auch bei uns und ich habe durch Zufall mitbekommen, wie die beiden sich gestritten haben. Ich sollte sie dann aus der Toilette holen, wo sie sich eingeschlossen hat und da erzählt sie mir, dass Karima behauptet, dass sie mit Daniel geschlafen hat", berichtete sie so schnell, dass er erst gar nicht begriff, was sie da sagte. Er blinzelte ein paar Mal verwirrt und nur nach und nach ergaben ihre Worte einen Sinn. 

Unschöne Erinnerungen blitzten vor seinem inneren Auge auf und langsam formte sich in ihm eine Erklärung für Karimas merkwürdiges Verhalten. Vielleicht hatte sie ihm nur deswegen versichert, dass sie ihn in Ruhe ließ, weil sie ein neues Opfer gefunden hatte. Eine neue Beziehung, die sie zerstören konnte. 

„Sie ist einfach nur krank", murmelte er und hörte, wie Sheila tief ein und ausatmete. 

„Allerdings bin ich mir gar nicht so sicher, ob sie bei Daniel gelogen hat. Er wollte nämlich, dass ich Miriam sage, dass wir heute Vormittag Probe hatten. Als Alibi", fuhr sie fort und Jonathan schluckte schwer. Für sich selbst konnte er sich nicht vorstellen, sich mit Karima einzulassen, doch vielleicht war sie genau Daniels Typ und er war deswegen darauf angesprungen. Doch ihm stand es nicht zu, sich ein Urteil über ihn zu bilden, immerhin kannte er ihn gar nicht. 

„Hast du für ihn gelogen?", fragte er dann, was sie schnell verneinte. 

„Auch wenn es mir für Miriam leidtut, ich wollte mich da nicht einmischen", sagte sie, doch Jonathan lachte leise in sich hinein. Normalweise war sie ziemlich gut darin, sich bei anderen einzumischen. Zumindest wenn es um Johnny, Matthias oder sonst irgendwen aus ihrem engeren Bekanntenkreis ging. 

„Warum lachst du so blöd?", fragte sie, doch ihre Stimme klang ebenfalls belustigt. 

„Ach, ich weiß auch nicht", gab er zurück und fühlte sich seit Langem endlich wieder locker und entspannt. 

„Wie auch immer. Ich mache mich jetzt auf den Rückweg und bringe was zu Essen mit. Irgendwelche Wünsche?", fragte sie. 

„Nur einen", sprach er aus, bevor er es zurückhalten konnte. 

„Was denn?", fragte sie nach und das Grinsen in seinem Gesicht wurde breiter. 

„Komm schnell wieder, damit wir noch etwas Zeit zu zweit haben, bevor Jonas kommt", lachte er, gleichzeitig wurden seine Wangen heiß. Sheila gluckste, doch dann verabschiedete sie sich und sie beendeten das Gespräch. 

Jonathan legte das Handy zur Seite, dann streckte er sich und beschloss, dass er für heute genug gearbeitet hatte. Er fuhr seinen Computer herunter und ging mit steifen Gliedern zurück nach Hause. 

Gerade als er die Haustür hinter sich geschlossen hatte, fing es an zu schütten. Besorgt warf er einen Blick auf den dunklen Himmel und machte sich sofort Sorgen um Sheila. Es war gefährlich, bei so starkem Regen Auto zu fahren. Vor allem weil sie nur das Auto von ihrem Bruder hatte, das alles andere als verkehrssicher schien. Wie er es noch einmal durch den TÜV bekommen hatte war ihm noch immer ein Rätsel. 

Vorsichtshalber schaltete er an seinem Handy den Ton an. Gerade als er es zurück in seine Hosentasche schieben wollte, gab es ein Pling von sich. Er hatte eine Nachricht bekommen, doch nicht von Sheila, sondern von Leonard. Mit einem Seufzen ließ er sich auf das Sofa fallen, dann klickte er die Nachricht an. 

„Hi! Ich wollte nur mal fragen, wie es so bei dir steht. Was ist mit dir und Sheila? Habt ihr euch wieder vertragen? Melde dich doch mal, ich würde dir gern erklären, was passiert ist", schrieb er, doch Jonathan beschloss, den letzten Teil seiner Nachricht einfach zu ignorieren. Sheila hatte es ihm bereits gebeichtet und er glaubte ihr. Da musste er nicht noch einmal daran erinnert werden. 

„Bei uns ist wieder alles in Ordnung. Ich war zwei Tage bei meinen Eltern, aber wir haben uns ausgesprochen und ich bin seit heute Nacht wieder zurück. Wie geht es dir?", antwortete er, obwohl er eigentlich nicht wirklich Lust hatte, sich mit ihm auseinander zu setzen. Er war noch immer wütend auf ihn, dass er sich nicht an sein Versprechen gehalten hatte, sich von Sheila fernzuhalten. Keine Minute später kam eine Antwort. 

„Ich bin froh, dass bei euch alles in Ordnung ist. Da ist mein schlechtes Gewissen ein bisschen beruhigt. Es tut mir wirklich leid, dass ich sie berührt habe, das war falsch", schrieb er und Jonathan verdrehte sie Augen. 

„Ich will nicht darüber reden", antwortete er, dann legte er das Handy neben sich auf die Armlehne und schaltete den Fernseher ein. Eine Weile zappte er durch die Programme und blieb schließlich bei irgendeiner amerikanischen Trash-Sendung hängen, die Sheila mit Sicherheit gefallen hatte. Vielleicht war er inzwischen so sehr daran gewöhnt, dass sie sich so etwas ansah, dass es ihm unterbewusst fehlte. Doch nach zehn Minuten glaubte er, dass sein Hirn schmolz, also schaltete er auf irgendetwas anderes und und versuchte so die Zeit totzuschlagen, bis Sheila nach Hause kam. 

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