Kapitel 116 - Jonathan
Jonathans Hände zitterten, als er das Ortseingangsschild passierte. Zum zweiten Mal an diesem Tag fuhr er hier vorbei. Unwillkürlich wanderte sein Blick zum Haus von Sheilas Vater, doch es war alles dunkel. Nicht, dass Lisa wieder glaubte, er würde ohne Sheilas Zustimmung hier her kommen.
Er musste sich beherrschen, nicht das Gaspedal durchzutreten und viel zu schnell durch die kleine Ortschaft zu fahren. Endlich parkte er seinen Wagen an seinem gewohnten Platz am Straßenrand. Er sah zum Haus und genau in diesem Moment öffnete sich die Haustür einen winzigen Spalt. Sofort pochte ihm das Herz bis zum Hals, als er Sheilas Gesicht erkannte.
Hastig schnallte er sich ab, stieß die Autotür auf und rannte so schnell auf sie zu, wie er noch nie in seinem Leben gerannt war. Sie öffnete die Tür so weit, dass er sich gerade hereinzwängen konnte, dann umarmte er sie so fest, dass sie erschrocken quietschte. Er drängte sie weiter in den Flur hinein und spürte, wie sie fest die Arme um ihn schlang. Tränen rannen über seine Wangen und er schob mit dem Fuß die Tür zu. Es fühlte sich so schön an, sie einfach nur festzuhalten und so sehr wie sie sich an ihn klammerte, schien es ihr genau so zu gehen.
„Es tut mir alles so leid", murmelte er in ihr Haar und sie nickte an seiner Schulter.
„Mir tut es auch leid, dass ich so abweisend war. Ich...", setzte sie an, doch er löste sich von ihr und legte seinen Finger an ihre Lippen. Ihre Blick trafen sich und er spürte, wie alles in ihm anfing zu Kribbeln.
Kurzentschlossen legte er die Arme um ihre Taille und hob sie hoch. Sofort schlang sie die Beine um seine Hüfte und er trug sie die Treppe nach oben ins Schlafzimmer. Sie kicherte leise und sie schien seine Nähe zu genießen. Sanft setzte er sie auf dem Bett ab, doch er drückte sie sogleich an den Schultern in die Kissen. Sie zog ihn am Kragen mit sich und endlich berührten sich ihre Lippen.
Jonathan glaubte, sie schon ewig nicht mehr geküsst zu haben und er konnte nicht genug von ihr kriegen. Seine Hände wanderten ihren Körper entlang, doch sie hielt ihn zurück.
„Warte, ich will dich erst noch etwas fragen", sagte sie und er hielt inne. Sie schob ihn von sicher herunter, stand auf und zog sich ihr Schlafanzugoberteil über den Kopf. Sein Blick wanderte sofort ihren Körper auf und ab, blieb dann aber auf ihren Händen hängen, die sie schützend auf ihren Bauch gelegt hatte. Sofort zog er sie an der Hüfte näher zu sich, schob sanft ihre Hände weg und küsste sanft ihren Bauch.
Noch immer war es unbegreiflich, dass in ihr ein kleiner Mensch heranwuchs, den sie beide erschaffen hatten. Er spürte, wie sie den Atem anhielt, als seine Lippen sie berührten.
„Kannst du schon eine Veränderung sehen?", fragte sie dann und trat einen Schritt von ihm weg, damit er sie betrachten konnte. Sie drehte sich seitlich und tatsächlich wölbte sich ihr Bauch minimal.
„Wenn man es weiß und genau darauf achtet, kann man schon etwas sehen", antwortete er und streckte die Hand nach ihr aus. Sofort ergriff sie sie und setzte sich rittlings auf seinen Schoß. Sein Körper reagierte unweigerlich und er küsste ihren Hals. Sie schien es genau so sehr zu wollen wie er, denn sie zerrte an seinem T-Shirt, bis er die Arme hob und sie es ihm auszog. Ihre Hände wanderten genau an die Stelle, an dem sein Herz aufgeregt pochte.
„Ich liebe dich", flüsterte sie, dann legte sie ihre freie Hand an seine Wange und sah ihm direkt in die Augen.
„Ich liebe dich auch", hauchte er und zog sie wieder zu einem Kuss zu sich.
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Als Jonathan von einem nervtötenden Piepen geweckt wurde, befürchtete er, das alles nur geträumt zu haben. Schnell schlug er die Augen auf und das erste was er sah war Sheilas friedliches Gesicht.
Ihr Wecker klingelte, doch sie schien es nicht zu hören. Er beugte sich über sie hinweg und schaltete das blöde Ding aus, dann ließ er sich wieder in die Kissen fallen. Er war noch viel zu müde, doch Sheila neben ihm regte sich. Schnell legte er den Arm um sie, damit sie nicht aufstand. Er spürte, wie sie näher an ihn heran rutschte und sich an ihn schmiegte. Jonathan presste ihr einen Kuss aufs Haar und streichelte sanft über ihren Bauch.
„Ich dachte, ich hätte das alles nur geträumt", murmelte sie verschlafen und er musste grinsen.
„Ich auch", stimmte er zu, was sie zum Kichern brachte.
„Vielleicht träumen wir noch immer", sagte sie und malte mit dem Finger Muster auf seine Brust.
„Ist ein ziemlich schöner Traum", gab er zurück, doch dann löste sie sich von ihm und setzte sich auf. Er streckte die Hand nach ihr aus, doch er konnte sie nicht mehr erreichen.
„Komm wieder her", flehte er, doch sie streckte sich und stand auf.
„Ich muss mich fertig machen", sagte sie und Jonathan warf einen Blick auf die Uhr.
„Du hast doch noch genug Zeit", sagte er, denn es war erst Viertel vor neun. Sheila ging zum Schrank und nahm sich eine Jogginghose und ein einfaches T-Shirt heraus.
„Wir treffen uns um zehn zur Probe für die Mitarbeiter-Vorführung", erklärte sie und warf ihm über die Schulter ein Lächeln zu. Er stöhnte, denn er wollte viel lieber, dass sie bei ihm blieb.
„Wann kommst du zurück?", fragte er, doch sie sah ihn entschuldigend an.
„Ich muss um zwölf arbeiten und um sieben Uhr heute Abend kommt Jonas vorbei. Er wollte ein bisschen quatschen", sagte sie und obwohl Jonathan bei der Aussicht auf einen Tag ganz allein Magenschmerzen bekam, nickte er.
„Okay", erwiderte er und Sheila sah ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an, als hätte sie eine andere Reaktion erwartet.
„Ich dachte, ich bringe uns was zu Essen mit, wenn ich nach Hause komme. Willst du auch was?", fragte sie und schnell nickte er.
„Klar, wieso denn nicht? Wenn ihr beide mich heute Abend dabei haben wollt", antwortete er, doch Sheila zuckte die Schultern.
„Wenn er mit mir allein reden will, wird er es schon sagen. Was machst du denn dann heute?", fragte sie, woraufhin er grinste.
„Erst einmal schlafe ich aus. In den letzten beiden Nächten habe ich alles andere als gut geschlafen. Dann sollte ich mich noch mal ins Studio begeben und etwas arbeiten", sagte er, denn anders als vor seiner Abreise bereitete ihm der Gedanke ans Arbeiten keine Bauchschmerzen mehr. Er würde erst einmal nachsehen, ob Laura recht hatte, dass sein neues Lied besser ankam, als er vermutet hatte. Dann würde er sich um seine sozialen Medien kümmern, denn es war absolut nicht gut, wenn er sich ganz zurück zog. Wenn er dann noch Zeit hatte, konnte er sich an einen Zeitplan machen. Plötzlich war er doch recht motiviert, doch zunächst würde er schlafen.
„Klingt nach einem ziemlich guten Plan", erwiderte Sheila, warf ihm noch eine Kusshand zu, dann verschwand sie ins Bad. Jonathan streckte sich, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte an die Decke. Er lauschte den Geräuschen im Bad, doch dann vibrierte etwas auf seinem Nachttisch und ließ ihn zusammenzucken.
Er warf einen Blick zur Seite und sah Sheilas Handy, das auf seinem Nachttisch lag. Jemand rief sie an und ohne es wirklich zu wollen las er den Namen auf dem Display. Es war Karim. Ohne lange nachzudenken nahm er ihr Handy, stand auf und ging damit zum Bad. Inzwischen hatte Karim aufgelegt, doch Jonathan klopfte an die Badezimmertür. Sheila öffnete sie und sah ihn fragend an, die Zahnbürste noch in der Hand. Jonathan hielt ihr ihr Handy hin.
„Karim hat angerufen", sagte er und Sheila spuckte die Zahnpasta ins Waschbecken und spülte sich den Mund aus.
„Bist du drangegangen?", fragte sie, während sie sich die Hände an ihrer Hose trockenwischte. Jonathan schüttelte den Kopf, dann nahm sie das Handy entgegen.
„Ich rufe ihn kurz zurück, vielleicht will er die Probe verschieben", sagte sie, schob sich an ihm vorbei und setzte sich auf ihren Lesesessel. Jonathan lehnte sich mit der Schulter an den Türrahmen und beobachtete sie. Tatsächlich würde es ihn freuen, wenn er die Probe absagte, denn dann könnte Sheila wieder zu ihm ins Bett kommen.
„Hi, du hattest angerufen?", hörte er Sheila sagen und er wandte den Blick auf den Boden. Es war unhöflich, ihr beim Telefonat zuzuhören, doch er blieb trotzdem, wo er war. Irgendwie interessierte es ihn, was sie mit Karim besprach. Sie lauschte eine ganze Weile.
„Oh, okay. Dann...", stammelte sie, verstummte und lauschte wieder.
„Sag ruhig Bescheid, wenn es morgen nicht klappt. Bis dann und gute Besserung", sagte sie und beendete das Gespräch. Sheila hob den Blick und sah ihn geschockt an und sofort wusste er, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
„Alles okay?", fragte er und ging zu dem anderen Sessel. Sheila wartete, bis er sich gesetzt hatte, dann griff sie nach seiner Hand. Jonathan verschränkte seine Finger mit ihren und strich ihr sanft mit dem Daumen über den Handrücken. Sheila seufzte, doch sie schien zu zögern.
„Was ist denn?", hakte er nach, nun doch neugierig, was los war.
„Es geht um Karima. Sie hatte irgendwie einen Nervenzusammenbruch und ist jetzt im Krankenhaus. Karim kümmert sich heute noch um sie und er hat gefragt, ob wir die Probe auf morgen verschieben können", erklärte sie, wobei ihre Lippe anfing zu zittern. Jonathan versteifte sich, denn er selbst hatte diese ganze Sache mit Karima schon beinahe vergessen.
„Oh... naja, sie schien ja ein wenig... labil zu sein", sagte er schulterzuckend und Sheila nickte. Dennoch sah sie ihn vorwurfsvoll an und ihm war sofort klar, was sie dachte.
„Ich habe nichts damit zu tun. Wir haben uns nur unterhalten und geklärt, dass es mit uns nichts wird. Sie wirkte ganz normal und gefasst", verteidigte er sich, doch Sheila sah ihn noch einen Moment kritisch an. Obwohl Jonathan bewusst war, dass er Karimas Gefühle verletzt hatte, wollte er sich diesen Schuh nicht anziehen. Abwehrend hob er die Hände und stand auf, doch Sheila hielt ihm am Arm fest.
„Das sollte kein Vorwurf sein. Wahrscheinlich bin ich einfach noch etwas empfindlich, was sie angeht", sagte sie. Jonathan seufzte wieder, doch dann nickte er und setzte sich wieder neben sie in den Sessel.
„Zu recht. Das war absolut nicht in Ordnung, was ich zugelassen habe", sagte er und kaum dass er es ausgesprochen hatte, fühlte er, wie eine Tonne Ballast von ihm abfiel, derer er sich zuvor gar nicht bewusst gewesen war. Sheila atmete beherrscht ein und aus und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
„Schon okay. Wir haben beide Fehler gemacht. Wobei ich glaube, dass ich niemals zugelassen hätte, dass Leonard mir so nahe kommt, wenn zwischen uns alles in Ordnung gewesen wäre", sagte sie und er konnte ihr das schlechte Gewissen anhören.
Seine Brust zog sich zusammen und sah wieder das Bild vor sich, wie Sheila und Leonard ziemlich nah beieinander auf der Treppe saßen und sie seine Hand nach unten schob. Er schluckte schwer, doch es kam ihm gar nicht mehr so schlimm vor. Vielleicht weil er noch viel zu glücklich darüber war, dass Sheila ihn schon früher wieder bei sich haben wollte.
„Wahrscheinlich hast du recht. Allerdings...", setzte er an, unterbrach sich aber. Er wollte ihr nicht drohen, doch ihr sollte bewusst sein, dass er vor allem Leonard nicht mehr allein mit ihr lassen würde. Denn er hatte sich an sie herangemacht, obwohl er versprochen hatte, es nicht zu tun.
„Allerdings was?", hakte sie nach und sah ihn neugierig an.
„Ich will nicht, dass so etwas noch mal passiert", sagte er und sie nickte.
„Ich auch nicht", gab sie ernst zurück und ihm war klar, dass sie nicht nur die Sache mit Leonard meinte, sondern auch seine Fehler. Eine Weile schwiegen sie, doch dann stupste Sheila ihn an der Schulter an.
„Lust auf ein Frühstück bevor du schlafen gehst?", fragte sie und schnell nickte er. Tatsächlich war er nun gar nicht mehr müde und er erhob sich, noch immer ihre Hand haltend.
„Hast du deinen Eltern Bescheid gesagt, dass du mitten in der Nacht verschwunden bist? Nicht dass sie sich Sorgen machen", sagte sie und zog ihn die Treppe nach unten. Jonathan biss sich auf die Lippe, denn daran hatte er gar nicht gedacht. Zwar hatte er ihnen einen Zettel hingelegt, doch vielleicht sollte er sie noch einmal anrufen und alles erklären.
„Ich rufe sie an, wenn du bei der Arbeit bist", sagte er und sie nickte.
Sie gingen in die Küche und Sheila schaltete den Backofen ein, während er Aufbackbrötchen aus dem Eisfach holte.
„Übrigens war Lisa gestern hier, als ich deine Druse hergebracht habe. Sie war gar nicht glücklich darüber, mich zu sehen", berichtete er und musste an ihr wütendes Gesicht denken, als er ihr die Tür geöffnet hatte. Erschrocken sah Sheila ihn an.
„Was hat sie gesagt?", fragte sie eindringlich, doch Jonathan winkte ab.
„Sie meinte, ich würde dich verwirren und soll das lassen", fasste er zusammen, doch Sheila seufzte und kratzte sich am Kopf.
„Ich war bis heute Nacht auch noch verwirrt, aber da ist mit irgendwie klar geworden, dass du mir auch fehlst. Ich habe mir gesagt, dass ich darauf vertrauen muss, dass du einschätzen kannst, ob du dich besser fühlst oder nicht", erklärte sie und er nickte.
„Als du mir geschrieben hast, dass ich mich nicht mehr bei dir melden soll, bin ich fast durchgedreht. Ich hatte für einen Moment Panik, dass ich gar nicht mehr wiederkommen darf", sagte er und unwillkürlich wanderte sein Blick zu ihrem Bauch. Sheila schluckte und senkte den Blick. Schnell trat er zu ihr und legte die Arme um sie.
„Hey, mach dir keine Gedanken. Es ist doch alles gut, oder?", fragte er und legte ihr einen Finger unters Kinn, damit sie ihn ansehen musste. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen, dann nickte sie.
„Ja, es ist alles gut", stimmte sie zu und beugte sich vor, um ihn zu küssen.
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