Kapitel 10 - Jonathan
Als Jonathan am nächsten Morgen aufwachte, wusste er erst nicht so recht, wo er war und wie er hier her gekommen war. Sobald er ein wenig den Kopf hob, dröhnte und pochte ein rasender Schmerz in ihm.
Langsam kamen die Erinnerungen des vergangen Abends wieder und ihm stieg abermals die Galle hoch. Er konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal so sehr betrunken gewesen war.
In Zeitlupe setzte er sich auf und sah sich um. Er hatte anscheinend bei Leonard auf dem Sofa geschlafen und war nicht mit Sheila mitgefahren. War sie überhaupt hier gewesen, um ihn abzuholen? Er wusste es nicht mehr genau und Panik überfiel ihn. Wenn sie ihn so gesehen hatte, wäre sie bestimmt wütend auf ihn.
Jonathan sah sich nach seinem Handy um und fand es schließlich neben dem Sofa auf dem Boden, doch als er auf den Knopf drückte, rührte sich nichts. Offensichtlich war der Akku leer. Er ließ es neben sich auf das Sofa fallen und stand dann mit einem Ächzen auf. Er fühlte sich miserabel und sein erster Gang führte ihn zum Waschbecken ins Bad, um sich eine Ladung Wasser ins Gesicht zu spritzen. Am liebsten hätte er geduscht, doch er würde seine verschwitzten Klamotten wieder anziehen müssen. Stattdessen spritzte er sich noch mehr Wasser ins Gesicht und trank dann in langen Zügen das kalte Wasser aus seiner hohlen Hand. Augenblicklich fühlte er sich ein wenig besser, doch sein Kopf tat noch immer höllisch weh.
Gerade als er zurück ins Wohnzimmer gehen wollte, hörte er die Arbeitszimmertür aufgehen. Früher hatte er in diesem Zimmer sein Studio gehabt, doch Leonard nutzte es nun als Arbeitszimmer. Mit verschränkten Armen erschien dieser im Türrahmen und sah ihn vorwurfsvoll an. Er trug eine Jogginghose, dazu ein weißes Hemd mit Krawatte, was ziemlich bescheuert aussah.
„Guck nicht so, manche Menschen müssen arbeiten. Sei froh, dass ich heute Home Office habe, dann kann ich dich in der Mittagspause nach Hause fahren", begrüßte er ihn, allerdings war sein Gesicht nicht belustigt, wie es sonst meistens war. Sofort fühlte er sich schuldig, dass er ihn extra fahren wollte.
„Ach, musst du nicht. Ich rufe Sheila an", sagte Jonathan, doch Leonards strenger Blick ließ ihn verstummen.
„Sie wollte dich gestern abholen, aber du hast gar nicht richtig auf sie reagiert. Ich würde mir eine gute Entschuldigung einfallen lassen", erwiderte Leonard. Jonathan schluckte. Sein Kopf dröhnte und er konnte noch nicht wirklich klar denken, doch er an Sheilas Stelle wäre ganz schön wütend.
„Okay", sagte Jonathan nur, denn auf eine Diskussion hatte er im Moment gar keine Lust. Plötzlich fiel ihm etwas ein.
„Meinst du, ich könnte dein Ladekabel benutzen?", fragte er, woraufhin Leonard die Augen verdrehte, doch dann ging er an ihm vorbei und holte sein Kabel aus dem Schlafzimmer.
„Ruh dich noch eine Stunde aus, dann können wir los", sagte er dann und verschwand wieder in seinem Arbeitszimmer. Es war merkwürdig, wenn Leonard nicht gut gelaunt herumalberte. Offensichtlich hatte er gestern irgendetwas Dummes gesagt oder getan.
Mit einem mulmigen Gefühl und einer bösen Vorahnung ging er in die Küche, stöpselte dort sein Handy ein und schaltete es wieder an. Zu seiner Überraschung hatte er keine Nachricht von Sheila, noch nicht einmal eine wütende, dass sie enttäuscht von ihm war. Er schluckte, denn selbst eine wütende Nachricht wäre ihm lieber als gar keine. Kurzentschlossen tippte er eine an sie.
„Hey, tut mir leid, dass ich so neben der Spur war. Leonard macht in einer Stunde Mittagspause, da bringt er mich schnell nach Hause. Wie war die Arbeit gestern?", schrieb er mit zitternden Fingern.
Während er auf eine Antwort wartete, ging er zum Kühlschrank und öffnete ihn. Doch nach nur einer Sekunde schloss er ihn wieder und machte sich stattdessen einen Kaffee. Leonard würde nichts dagegen haben und er würde ihm hoffentlich ein wenig von seinem Kater befreien. Nachdem er die Tasse mit verlockend duftendem Kaffee aus der Maschine nahm, warf er wieder einen Blick auf sein Handy.
„Wir reden später", hatte Sheila geantwortet. Sein Herz rutschte ihm in die Hose. Sie war sowieso schon genervt von ihm, weil er in den letzten Wochen so sehr mit dem Gedanken an die Möglichkeit unfruchtbar zu sein, beschäftigt war. Vielleicht könnte er Leonard überzeugen, noch kurz am Blumenladen zu halten, als kleine Wiedergutmachung.
Jonathan nahm einen Schluck von seinem Kaffee und verbrannte sich zu allem Übel auch noch die Zunge. Kurz überlegte er, ihr noch etwas zurück zu schreiben, doch er wollte sie auch nicht nerven. Beziehungsweise nicht mehr als bisher sowieso schon. Doch bevor er sich daran hindern konnte, öffnete er wieder das Nachrichtenprogramm und tippte eine Nachricht an sie.
„Ich liebe dich", schrieb er, dazu noch ein Herzchensmiley. Er sah, dass Sheila die Nachricht gelesen hatte, aber er bekam keine Antwort mehr. Er zwang sich zur Ruhe und er hoffte, dass die Stunde die er noch warten musste, schnell vorbei gehen würde. Er setzte sich mit seinem Kaffee auf das Sofa, schloss die Augen und wartete.
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