Kapitel 4

Den gesamten restlichen Tag über war Hizashi nicht von Shotas Seite gewichen, obwohl es keinerlei Veränderung seines Zustandes gegeben hatte. Auch die Polizei war keinen Schritt weitergekommen, und konnte noch nichts Weiteres in Erfahrung bringen. Wenn man außer Acht ließ, welchem Fall Eraserhead gemeinsam mit den Polizisten nachgegangen war, hätte man wirklich annehmen können, dass er normal schlief und endlich die Stunden nachholte, die er sonst immer zu lange wach blieb, oder Nemuri sich wieder einmal zu sehr über einen ihrer beiden Freunde geärgert hatte, dass sie ihn schlafen geschickt hatte. Das war immerhin schon das ein oder andere Mal passiert, vor allem nach Spieleabenden, die ein wenig ausgeartet waren. Kayama war einfach eine schlechte Verliererin und sobald Alkohol im Spiel war, lief meist alles aus dem Ruder, wenn sie nicht dabei war zu gewinnen.

Nur zu gerne wünschte Hizashi sich einen dieser Abende zurück. Viel lieber würde er mit den beiden bei einem Bier und einem Brett- oder Videospiel sitzen, darüber plaudernd was sie die letzten Tage so erlebt hatten, nur um sich dann darüber kaputt zu lachen, dass Shota nach zwei Gläsern schon keine geraden Sätze mehr zustande brachte. Nach dem dritten oder vierten Glas wurde der Dunkelhaarige dann meist so müde, dass sein Kopf schwer gegen Yamadas Schulter sank und er langsam wegdöste. Allein bei dem Gedanken daran, so etwas nie wieder erleben zu können, füllten seine grünen Augen sich mit Tränen.

Als er Schritte auf sich zukommen hörte, wischte er sich schnell übers Gesicht und sah auf. Ein kleines grauhaariges Mädchen kam, dicht gefolgt von Nemuri, auf ihn zu und lächelte breit. „Onkel Hizashi! Wir haben dir etwas mitgebracht!", verkündete das Kind freudig und deutete auf den Korb, den die Frau hinter ihr mit sich trug. Natürlich hatten auch die Schüler im ständig etwas zu essen angeboten, doch er hatte es immer dankend abgelehnt. Irgendwann hatten die Jugendlichen sogar angefangen ihren eigenen Gemeinschaftsraum zu meiden, um die beiden Lehrer alleine zu lassen, wofür Mic ihnen sehr dankbar war. Er ertrug es einfach nicht, ihr fröhliches Geplauder zu hören, obwohl die Schüler im Moment alles andere als gut gelaunt waren.

Nun bemühte er sich zu einem Lächeln, nur für Eri, damit das Mädchen nicht merkte, wie ernst die Lage sein könnte. „Das ist lieb von euch, danke!", meinte er freundlich und tätschelte dem Kind den Kopf, als sie vor ihm stand. Selbst wenn er auf dem Boden saß, war er immer noch groß genug, um ihren Scheitel zu erreichen. Dabei war sie schon etwas gewachsen seit sie bei ihnen lebte.

Aufmerksam musterten ihre roten Augen den schlafenden Mann. „Er schläft ganz friedlich", stellte sie fest und ging ein wenig näher ran, strich über seine Haare. Für gewöhnlich wachte er gleich auf, wenn sich etwas neben ihm bewegte, oder wenn man ihn berührte. Jetzt zuckte er jedoch nicht einmal mit einen Muskel. Dabei war es Eri ganz anders gewohnt, wenn sie nachts nicht schlafen konnte und unter seine Bettdecke huschte. „Das ist wie in diesem Märchen", meinte sie plötzlich, „wo die Prinzessin ganz lange schläft."

„Du meinst Dornröschen?", half Nemuri ihr etwas auf die Sprünge, als sie merkte, dass Eri nachdenklich die Stirn runzelte. Sofort nickte das Kind und beugte sich etwas nach vorne, um zur Überraschung der beiden Erwachsenen einen Kuss auf Aizawas Wange zu setzen. „Hm ... das wirkt nicht. Vielleicht sollte Deku es versuchen. Oder Lemillion! Irgendein Held eben. Wie in dem Märchen", schlug sie vor und wandte sich zu Midight und Mic um, die verwundert dreinblickten.

Kayama konnte nicht anders, als leise zu glucksen. „Aber Eri, in dem Märchen geht es um den Kuss der wahren Liebe, und nicht darum, dass einfach ein Held jemand x-beliebigen wach küsst." Auch wenn es ein sehr witziges Bild abgeben würde, wenn einer der Schüler ihn per Kuss wach bekommen würde. Es wäre zumindest eine sehr große Überraschung.

„Aussehen tut er ja wie Schneewittchen. So blass und mit den dunklen Haaren ... hat die nicht auch geschlafen?", fragte Eri nach und legte den Kopf schief, während sie ihren Blick wieder Aizawa zugewandt hatte und ihn musterte. Haut so weiß wie Schnee, Haar so schwarz wie Ebenholz. Nur die Lippen waren nicht blutrot, sondern auch eher blass. Doch ansonsten hatte Eraserhead ganz klar etwas von Schneewittchen, wenn man Eri fragte.

Erneut kicherte Nemuri leise. „Hörst du, Hizashi! Shota ist eine Disney Prinzessin und hat es uns nie erzählt!", scherzte sie darauf los und begann endlich ein paar Sandwiches aus dem Korb zu nehmen, um dem Blonden eines davon zu reichen, der ihr allerdings einen vernichtenden Blick zu warf. „Komm schon, versuch ein bisschen positiv zu denken. Zumindest solange Eri hier ist", flüsterte sie ihm mahnend ins Ohr und wandte sich dann mit einem freundlichen Lächeln an das Mädchen, das sich zu ihnen umgewandt hatte, „Schneewittchen hat nicht wirklich geschlafen, sie hatte ein Stück Apfel im Mund und ... ähm ... ja, sie hat geschlafen." Als der Frau bewusst wurde, dass sie sich vorgenommen hatte, solche Dinge nicht in der Gegenwart des Mädchens auszusprechen, schaffte sie es gerade noch so sich rauszureden. Auch wenn das Märchen am Ende gut ausging, wollte sie das Wort tot nicht in den Mund nehmen.

Lustlos begann Hizashi an dem Brot herum zu kauen, und sah zu Aizawa. Es war wirklich albern, nun mit diesen Vergleichen anzufangen, doch wenn es dem Kind dabei half, die Situation zu verarbeiten, würde er zumindest kein böses Wort darüber verlieren. Die kleine hatte schon genug mitgemacht und brauchte nicht noch ein weiteres Trauma. „Und wie ist Schneewittchen wieder aufgewacht?", wollte Eri neugierig wissen und sah den Blonden an, der sich im nächsten Augenblick an einem Bissen verschluckte. „Auch durch den Kuss der wahren Liebe", erklärte er, nachdem er sich nach einem kleinen Hustenanfall wieder gefangen hatte.

„Wieso müssen in diesen Märchen immer alle wachgeküsst werden?", fragte das Mädchen nun ziemlich neugierig, „macht ihr das auch? Alle küssen um sie zu retten? Mich hat keiner geküsst!" Die plötzliche Feststellung traf sie hart. Entsetzt riss sie die Augen und den Mund auf. „Bin ich dann gar nicht gerettet worden?"

„Was? Nein! Oh Eri!", versuchte Nemuri sofort das Mädchen davon abzuhalten in Tränen auszubrechen, „diese Märchen sind uralt, damals gab es noch keine richtigen Helden und alles war viel einfacher. Das Frauenbild war auch furchtbar mies dargestellt. Es sind nur Geschichten, nichts weiter. Natürlich wurdest du gerettet!" Sofort erhob sich Kayama wieder vom Boden, auf dem sie sich zuvor nieder gelassen hatte, um das Mädchen zu drücken. Außerdem setzte sie ihr ein Küsschen auf die Wange. „Siehst du, jetzt bist du auch geküsst! Aber du warst schon zuvor gerettet."

Eri schien ein bisschen beruhigter zu sein, sah noch einmal zu Shota, und dann zu Hizashi, ehe sie ihm auch ein Küsschen auf die Wange setzte. Verwundert sah der Blonde sie an und griff mit der Han nach der leicht feuchten Stelle. „Wofür war das denn jetzt?", fragte er verwirrt.

„Du siehst so traurig aus", meinte Eri nur und zuckte mit den Schultern, „er schläft doch nur." Breit grinsend sah sie ihn an, was Hizashis Herz einen schmerzhaften Stich verpasste. Kurz versuchte er ihr Lächeln zu erwidern, ehe er aufsprang. „Ich muss kurz ins Badezimmer", entschuldigte er sich und eilte davon.

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