Kapitel 22

Ich schaute ihn weiter stumm an. Unfähig irgendetwas zu sagen, beobachtete ich den vernarbten Jungen vor mir. Niemals hätte ich erträumen können, dass irgendwie mit einem Massenmörder befreundet bin. Niemals hätte ich gedacht, dass so was möglich sein könnte. Sie sind doch alle Psychopathen und haben nur das Morden im Kopf. Wahrscheinlich machen sie wirklich untereinander Wetten aus, wer am meisten Morde hat oder machen Battles, sowie die es im Radio gesagt hatten. Das könnte ich mir gut vorstellen. Sehr gut sogar. Vor allen bei Jane the Killer und... Und Jeff the Killer. Als ich seinen Namen dachte, lief es mir kalt über den Rücken und ich schüttelte meinen Kopf um auf andere Gedanken zu kommen, dabei achtete ich nicht auf Liu, der vor sich hin stotterte und das Kopfschütteln falsch interpretierte.

»Doch. Doch. In der Woche, in der du im Koma warst und fast gestorben bist, mordeten Jeff und Jane weiter, dabei änderte sich Jeffs Mordmuster etwas. Eigentlich nicht viel, außer dass er neben seinem Satz immer hinschreibt - ich zitiere –, wann wacht Beauty wieder aus ihrem Dornröschenschlaf auf? Bei Jane ist alles gleich geblieben. Sie schrieb immer mehr Drohungen an Jeff... Ich hab auch ein paar Bilder von den Leichen und den Botschaften der zweien... Ich dachte... Nun ja... Vielleicht würde es dich interessieren...«, gab er als Erklärung von sich und überreichte mir elf verschiedene Mappen. Sie waren alle in einem hellen Braunton gehalten und oben rechts am Rand standen immer die Namen der Opfer. Mit zitternden Händen nahm ich die Mappen an, immer noch unfähig irgendwas zu sagen. Ein Druck stieg in mir auf, der drohte mich zu zerquetschen. Das ist alles viel zu viel... Ich kann nicht... Ich... Ich brauche Luft... Meine Gedanken fingen an in meinem Kopf zu kreisen und meine Atmung sowie Herzschlag gingen immer schneller. Ich spürte die Panik in mir aufsteigen und mein Körper fühlte sich eng an, so als gäbe es keinen Platz mehr in ihm. Dieses Gefühl der Enge ließ sich auf meiner Lunge nieder und es fühlte sich an, als würde sie mich zerdrücken wollen.

Mein ganzer Körper fing unkontrolliert an zu zittern und meine Augen weiteten sich aus Panik. Die Akten vielen aus meiner Hand und die ganzen Blätter verteilten sich auf den Boden während Liu einfach da saß und mich kalt anblickte. Ich konnte auch für einen kurzen Moment, ein Grinsen auf seinen Lippen sehen, aber das nahm ich durch den Luftmangel und durch die steigende Panik nicht wahr. Mein Hals fühlte sich trocken an und verzweifelt versuchte ich meinen Mund aufzumachen, aber ich konnte trotz offener Mund nicht nach Luft schnappen. Die ganze Zeit über schaute ich Lius kalte grüne Augen, die seelenruhig das Geschehnis vor sich beobachten. Tränen sammelten sich in meinen Augen und bahnten sich einen Weg zum Boden. Liu... Liu, hilf mir... Bitte... Bitte!

Ich wollte schreien, aber es kam nichts aus dem Mund. Er stand offen ohne ein Ton von sich zu geben. Meine Sicht verschwamm durch den Luftmangel und ein Rauschen erfüllte meine Ohren. Liu saß immer noch regungslos da bis die Tür aufgerissen wurde und eine Krankenschwester rein gerannt kam um zu schauen was hier los war, erst da setzte er einen verwirrten Gesichtsausdruck auf und fing mit der Krankenschwester zu reden, aber ich konnte nicht verstehen was er sagte. Ich sah verschwommen wie er lautlos seinen Mund immer wieder öffnete und schloss. Irgendwann schickte die Krankenschwester Liu aus dem Krankenzimmer und kam zu mir. Sie fing auf mich einzureden und streichelte mir über meine Wangen. Ich verstand nichts und immer mehr Tränen rannten über meinen Wangen bis der Druck von mir abließ und ich wieder frei Atmen konnte.

Das Rauschen verschwand von meinen Ohren und ich hörte wie die beruhigende und sanfte Stimme der schwarzhaarigen Krankenschwester auf mich einredete. Ich blickte ihr genauer ins Gesicht und erkannte zwei schwarze Augenpaare und an manchen Stellen weiße Haut, der Rest war wahrscheinlich mit Puder oder ähnliches verdeckt worden. Jane... Jane... Immer wieder kam der Gedanke und meine Augen blieben vor Panik immer noch offen stehen.

»Beruhig dich. Wir wollen ja nicht, dass du jetzt schon stirbst, schließlich bist du mir eine sehr große Hilfe. «, meinte sie und grinste arrogant.

»Jane.«, kam es nur als ein Flüstern über meinen Mund. »Jane... Aber...« Sie legte ihre Hand auf meinen Mund und blickte von mir auf den Boden.

»Eigentlich wollte ich, dass Liu dir die Akten gibt und das du uns weitere Hinweise geben könntest da ich weiß, dass du besser als dieser Kommissar, wie auch immer er heißt, bist.«, meinte Jane ruhig und entfernte ihre Hand vor meinen Mund, welcher mittlerweile es geschafft hatte, sich zu schließen. Sie machte sich gemütlich auf den Stuhl, auf den Liu vorher saß und schaute mich ausdruckslos ins Gesicht. Kein Maske... Sie hat wieder keine Maske auf., bemerkte ich, als ich ihr lange ins Gesicht schaute bevor ich sie von oben bis unten betrachtete. Sie trug das typische Krankenschwesternoutfit mit schwarzen High Heels.

»Und wie gefallen dir meine neuen High Heels? Hab ich mir neu gekauft.«, meinte sie gelassen, als sie meinen Blick bemerkte, der auf den Schuhen klebte. Ich blickte auf und drückte mich weiter ins weiße Kissen.

»Warum hat diese Idiot eigentlich kein Licht angemacht?«, murrte Jane nach einer Zeit als sie bemerkte, dass ich ihr nicht antworten werde. Elegant stand sie auf und betätigte den Lichtschalter, welcher sich direkt neben der Tür auf der rechten Seite befand. Das Licht durchflutete den dunklen Raum und vertreib die Schatten der Nacht. Da es so hell und plötzlich kam, schloss ich meine Augen und bemerkte nicht, wie sich Jane vor mein Bett stehen blieb.

»So erbärmlich, wie du da an den Geräten hängst. Mindestens noch eine Woche würdest du hier im Krankenhaus bleiben bevor du entlassen wirst. Mindestens eine Woche muss ich darauf warten, bis du mir tatkräftige Hinweise über Jeffs Aufenthalt geben kannst.«, meinte Jane genervt und ich hörte wie sie ihre Fingernägel im Takt gegen das eiserne Gerüst vom Bett schlug. Ich öffnete vorsichtig meine Augen um sie an das Licht zu gewöhnen, was eine Weile dauerte bevor ich direkt zu Jane blickte, welche aus dem Fenster schaute.

»Aber du könntest doch auch durch diese Akten etwas in Erfahrung bringen oder?«, meinte sie und wandte sich wieder zu mir. Wieso will sie, dass ich ihr helfe?, fragte ich mich als ich endlich wieder klare Gedanken fassen konnte. Wieso sollte ich ihr überhaupt helfen? Was würde das mir bringen? Ich meine sie ist eine Mörderin und als ob sie mich nach dem wir Jeff gefangen haben am Leben lassen würde.

»Wieso... Wieso sollte ich dir helfen?«, fragte ich sie und meine Stimme hörte sich kratzig an, da ich immer noch nichts getrunken hatte. Sie grinste in sich hinein, als sie meine Frage hörte und kam auf mich zu. Dieses Mal setzte sie sich nicht auf den Stuhl sondern auf das Krankenbett und schaute mich mit ihren schwarzen Augen durch dringlich an.

»Schätzchen, ist das nicht offensichtlich? Du willst Jeff los werden und sein "Spiel" entkommen. Ich will Jeff los werden und Liu will ihn los werden. Also warum solltest du mir nicht helfen? Ich würde dich vor Jeffs "Spiel" so gut es geht beschützen und Liu würde dir helfen Hinweise zu Jeffs Aufenthalt zu finden.«, meinte sie gelassen und wartete meine Reaktion ab, welche sich als Verwunderung heraus stellte. Liu will Jeff auch los werden? Ich dachte immer, dass er ihn lieben würde und nach ihm suchen würde um wieder mit ihm zusammen sein zu können. Also, warum behauptet sie, dass er ihn auch los werden wollte? Ist das eine Masche? Soll ich drauf eingehen? Ich würde jedenfalls etwas vor Jeff geschützt und könnte ihn einbuchten... Ich könnte mich für Gina rächen, welche durch ihn starb. Er war schuld an ihrem Tod also... Ich war innerlich hin und her gerissen und wusste nicht, wie ich antworten konnte und während ich mit mir selbst stritt, sammelte Jane alle Blätter wieder ein und steckte sie in die richtigen Ordner, welche sie dann auf den kleinen Nachttisch legte.

»Noch eine Frage.«, meinte ich entschlossen und wartete auf ein Zeichen von Jane, welches mir sagte, dass sie zuhören würde. »Wieso trägst du keine Maske?« Ich weiß, dass ich eigentlich viele andere Sachen fragen könnte, aber ich wollte es unbedingt wissen. Ich wollte wenigstens auf eine Frage eine Antwort haben auch wenn sich jetzt wieder neue Fragen bildeten.

»Das kam etwas unerwartet.«, gab Jane zu, aber beantwortete ohne zu murren meine Frage. »Ich trage keine Maske mehr wegen Jeff. Es war vor kurzen, bevor ich und Jeff hier unseren ersten Mord begangen, bevor ich dich als ältere Dame warnte... Nun ja... Ich war wieder mal auf der Suche nach ihm und traf Liu, welcher sich dazu bereit erklärte mir zu helfen. Er sagte, er wüsste wo Jeff sich gerade aufhalten würde und er würde in die Stadt als Kommissar arbeiten. Ich fand es verwirrend, dass er ausgerechnet als Kommissar dort arbeite, aber ich wusste, dass ich daraus auch meine Vorteile ziehen könnte. Also folgte ich Liu zu der besagten Stadt. Dort trafen wir auch zufällig auf Jeff. Ich verwickelte ihn in einen Kampf und viel blöd auf einen der vielen Steine, welche in der verlassenen Fabrik standen und meine Maske zersprang. Jeff lachte mich aus und ich wurde wütend, aber bevor ich ihn noch mal angreifen konnte, kam die Polizei und so musste ich mit meiner zerbrochenen Maske fliehen. Ich holte mir daraufhin einfach schwarze Kontaktlinsen und schwarzen Lippenstift...« Ich hörte auf ihr zuzuhören, denn die Erwähnung von der verlassenen Fabrik ließ mich stutzig zu machen.

»Ich helfe euch und ich will, dass du nicht nur mich sondern auch Lily vor Jeff beschützt.«, meinte ich entschlossen und griff nach den Akten. Jane stoppte und blickte mich siegessicher an.

»Keine Sorge. Jeff tut kleinen Kindern nichts an, auf jeden Fall kleinen Kindern, die eine Verbindung mit seinen nächsten Opfer haben.«, meinte sie nur triumphierend und stand auf. »Ich habe noch was zu erledigen. Liu wird derweil bei dir bleiben und alle Informationen, die du herausfindest, mir übermitteln. Ich freue mich auf eine gute Zusammenarbeit, aber es kann auch dazu kommen, dass du Menschen töten musst.« Damit verschwand sie aus dem Zimmer und löschte das Licht. Ich blieb alleine mit meinen Gedanken in dem stillen Zimmer zurück. Immer wieder dachte ich an die verlassene Fabrik und ich wusste, dass es irgendwas mit auf sich hatte. Wenn ich hier rauskomme, dann werde ich als allererstes zu dieser Fabrik gehen., dachte ich entschlossen und blickte mit einem siegreichen Grinsen an die Decke. Ich werde mich für dich rächen, Gina.

In der Nacht wusste ich noch nicht worein ich mich geritten hatte. Ich wusste damals noch nicht, dass es erst der Beginn des Spieles war und dass Jane, Jeff, Liu und ich die Spielfiguren waren. Spielfiguren zu einem Spiel das keine Regeln hatte.




Lied: Yellow Flicker Beat ~ Lorde



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