𝟏𝟐.𝟏 | 𝐃𝐢𝐞 𝐁𝐥𝐢𝐧𝐝𝐡𝐞𝐢𝐭 𝐝𝐞𝐫 𝐇𝐞𝐢𝐥𝐢𝐠𝐞𝐧
✥ ✥ ✥
» Gleich dem Gott Belin, dem blinden Heiler der Blinden, verlor Sveti Anatol' sein Augenlicht. Damit, sagt man, öffnete sich ihm der unverstellte Blick in das Reich der Toten. «
- aus »Über das Leben der Zehn Heiligen Kresniki «
DIE LUFT in dem Antichambre war stickig und schwer, trotz des langsam fortschreitenden Herbstes, der Altingrad zunehmend häufiger in ein Nebelkleid hüllte.
Gestern während des Pferderennens war er besonders dicht erschienen; ein Trauerschleier über der Stadt, der der nur fragil aufrecht erhaltenen Normalität gerecht wurde. In seinem Schutz stürmten Politsija und Strazha seit Tagen tatsächliche und vermeintliche Schlupflöcher der Attentäter, hob dabei aber wohl eher die Nester unglücklicher kleiner Gauner aus.
Nicht einmal Lisitsyns Sieg auf seinem schönen Sharkolija hatte die Gemüter so recht aufzuheitern gewusst. Grund dafür mochte jedoch auch das wortlose Gespräch zwischen ihm und der Zarin gewesen sein, als sie ihm mit kühler Distanziertheit seinen Preis verliehen hatte. Was auch immer durch diese wenigen Blicke gesprochen worden war, Mikhail hatte sich als verbrecherischer Mitwisser und als Voyeur in einer zu intimen Szene gefühlt, für dessen Augen dies nicht bestimmt war. Ein fremder Eindringling, der unrechtmäßig einen stillen Tod störte.
Vielleicht war dieses drückende Gefühl jetzt lediglich seiner Nervosität darüber geschuldet, dass Mikhail nicht begriff, warum er überhaupt von der Zarin herbeordert worden war. Dass diese keine Eile empfand, ihn ins Bild zu setzen, sondern seit einer Stunde alleine mit vier schweigsamen Leibgardisten warten ließ, steigerte dieses Gefühl und die Sorge, dass ihn hinter diesen hohen Türen nichts Gutes erwarten konnte, ins Unermessliche.
Eine nagende Unruhe, wie vor der Schlacht, schoss es Draganov durch den Kopf. Doch das hier war schlimmer, denn dort wusste er vage, womit er rechnen musste.
Zum anderen wäre ihm der Himmel als wachsamer Beobachter allemal lieber gewesen als die Gesichter verschiedenster Ahnen, die ihn aus Gemälden oder den leeren Augen von Büsten aus allen Ecken des reich bemalten und verzierten Vorzimmers anstarrten.
Aleksandr IV „der Reformer" schien dabei in seinen feinen Zügen Mikhails eigenen leidenden Ausdruck zu spiegeln. Mit Ivana der Grausamen als Mutter hatte er aber vermutlich einen besseren Grund dafür. Derselbe, der dafür sorgte, dass sie zwischen den vielen prominenten Abbildern anderer Regentinnen fehlte.
Aus alter leidiger Gewohnheit zuckte seine Hand in seine Tasche. Dass ihre Leere seinen Brustkorb augenblicklich mit Enttäuschung füllte, ließ Mikhail sie umso energischer wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückführen.
Er musste an etwas anderes denke, nur nicht an die ihn anstarrenden Chervenkovs und diesen verfluchten Durst, der sich mit nichts stillen ließ! Sein Verstand klammerte sich an das erstbeste, das ihm Rettung versprach: Kalin Nikolajev, namentlich sein fragwürdiger Auftritt beim Fechten.
Irgendetwas stimmt mit dem Jungen nicht. Ich sollte Semjon schreiben ...
In diesem Moment schwang die große Tür bereits auf und ein livrierter Diener gewährte Mikhail Eintritt.
„Ihre Majestät die Zaritsa von Velija, Pshepkh von Aspravej wird Sie nun empfangen", verkündete er in einem dermaßen professionell-unbeteiligten Ton, dass viele andere seines Berufsstandes vor Neid erblasst wären.
Doch es war nicht die Zarin an ihrem niederen Schreibtisch, auf die der Blick des Polkovniks beim Durchschreiten der Tür unwillkürlich fiel, sondern Bajun, der hinter ihr wie ein dunkler Schatten thronte.
Im Grunde wusste niemand genau, welche Aufgabe er am Hof besaß. Offiziell nannte man ihn Höchsten Berater. Doch man munkelte, dass er ebenso eine Art Heiler war, der sich um alte Verletzungen des Zaren kümmerte, um die leidenden Nerven seiner Frau und ihr kränkelndes jüngstes Kind. Zweifellos hinterließ seine befremdliche Art bei jedem ein mulmiges Gefühl.
Unter Bajuns stechenden Blicken verbeugte sich Mikhail tief, hoffend, dass man ihm seine innere Unruhe nicht ansah.
„Eure Majestät, Ihr wünschtet mich zu sprechen?"
Seine eigenen Augen flüchteten sich in die schützende Betrachtung des Audienzzimmers, das anders als die Hallen davor nicht velisch, sondern aspravisch eingerichtet war und dabei außergewöhnlich schlicht: Einige kunstvolle Waffen schmückten die weißgetünchten Wände und als Sitzgelegenheiten dienten niedere mit Teppichen bedeckte Sofa und Kissen. Beinahe hätte er dadurch erwartet die Zarin in ihrer heimatlichen Tracht vorzufinden.
„Ganz recht. Setzen Sie sich doch."
Draganov kam der Bitte mit der stumpfen Automatik eines Soldaten nach, der Befehl von seinem Vorgesetzen erhalten hatte.
„Ich habe Sie rufen lassen, um persönlich Ihren heldenhaften Einsatz bei ... der Parade zu honorieren", begann Setenay. Nur das winzigste Zögern in ihrer Stimme ließ vermuten, welche Bedeutung in diesem harmlosen Wort mitschwang.
Draganov gab sich die beste Mühe, seine Stirn sofort wieder zu glätten, als sich einige, verwirrte Falten hineingraben wollten. Heldenhafter Einsatz? Was hatte er schon getan als sich verwundet unter einen Karren zerren zu lassen, wo er das ganze Unglück in Bewusstlosigkeit zugebracht hatte?
Seine Irritation offenkundig spürend, hob sie ihre Mundwinkel zu der Andeutung eines Lächelns. „Ja. Ich wurde davon genau unterrichtet und natürlich habe ich keinesfalls vergessen, welchen Dienst Sie mir an diesem düsteren Tag erwiesen haben."
Kälte sickerte durch Mikhails Adern; eine böse Vorahnung, die er nicht recht zuordnen konnte, und das undurchschaubare Gesicht des Beraters bat ihm dabei keine Hilfestellung.
„Ihr Blut für die Krone zu opfern verdient natürlich einen Orden", erklärte die Zarin wie selbstverständlich, doch die Worte trafen Draganov einem Schlag ins Gesicht gleich.
Männer hatten tapfer gekämpft, gelitten, waren gestorben - seine Männer - und er, dem es nicht einmal gelungen war, einen lausigen Attentäter zu stoppen oder an der Seite eines seiner eigenen Regimente zu bleiben, sollte einen Orden erhalten?
„In Anbetracht der jüngsten Umstände ..."
Die Zarin nestelte nervös an ihrem Brillantencollier, das um ihren zarten Hals mehr wie eine schwere Kette schien denn Schmuck, und Mikhail fragte sich unwillkürlich, ob es der Gedanke an die Opfer oder Lisitsyns bevorstehender Abschied war, der sie zu der Geste bewegte.
Als sie nach Velija gekommen war, hatte jeder sie für ihre Schönheit bewundert; konkurrierend mit jener sonnengleichen der Urmutter der großen Helden Aspravejs, deren Namen sie trug. Wer besser hätte an die Seite des jungen Zaren gepasst, um die Verbundenheit ihrer beiden Länder zu verkünden?
Hübsch, das war Setenay auch heute noch, doch wenn Mikhail sich erlaubte hinter diese Fassade zu blicken - und für einen winzigen Moment tat er das -, dann sah er nichts als eine gebrochene Frau. Eine fragile Gefangene; bleich und schwach, beinahe erdrückt von den Juwelen und Stoffen an ihrem Körper, die den Glanz ersetzen sollten, der in ihren leeren Augen fehlte.
Selbst das Bisschen Heimat, das sich unwillig in die Räume des Zinoberpalastes nistete, wirkte mehr wie die traurige Replikation einer Vergangenheit, in der sie noch eine stolze Kriegerin gewesen war.
Setenay räusperte sich, den Blick wieder klar auf Mikhail richtend. „In Anbetracht der Umstände, dass nun einige Positionen unbesetzt sind, erachten wir es für angebracht, Ihnen die Führung über eine größere Einheit anzuvertrauen."
„Ich soll Generalleutnant Lisitsyns 1. Kavalleriedivision übernehmen, Eure Majestät?"
Draganovs Herz flatterte freudig, während er sich bereits dankend verneigte.
„Sie missverstehen mich", meinte sie, die Finger von der Kette zu ihrer Schreibfeder wandern, mit der sie sich im Reden nachdenklich über die Lippen strich. „Sie werden von General Dajkas Verletzung im Gemenge gehört haben. Nichts Drastisches, aber er hat gestern Abend seinen vermutlich längst überfälligen Ruhestand angekündigt."
Für den Bruchteil einer Sekunde mischte sich Belustigung in Setenays Stimme, als spräche sie verschwörerisch zu einem engen Freund über den General, den man beinahe wörtlich als Fossil bezeichnen konnte. Mikhail hatte, wider jede Logik, immer angenommen, dass Dajka selbst ihn noch überdauern würde und nicht einmal als Toter aus dem Sattel zu kriegen wäre.
„Ursprünglich wäre Generalleutnant Lisitsyn als Nachfolger vorgesehen gewesen, aber dieser hat andere wichtige Verpflichtungen. Also haben wir beschlossen, dass Sie in den Rang eines Generals erhoben werden, dessen Sie sich schon mehrfach als würdig erwiesen haben. Sie werden die Führung Dajkas Kavalleriekorps übernehmen."
Mikhails Herz setzte einen Schlag aus.
„Geht das denn?", stolperten die ersten, reichlich albernen Gedanken aus seinem Mund und er hätte sie gerne sofort zurückgenommen. Natürlich ging es, wenn Zar und Zarin es befahlen.
Im nächsten Augenblick wandelten sich Überraschen und peinliche Berührung auch schon zu Schrecken.
Ich habe das nicht verdient. Nicht so. Nicht als Belohnung für sein Schweigen oder schlimmer noch als Bestechung, um sich seine Diskretion auch weiterhin zu erkaufen.
Diese hässliche Wahrheit lag für ihn ganz offen in Setenays zartem Lächeln, im unruhigen Flackern ihrer Augen, in Bajuns starrer, weiser Miene - sie grinste ihm höhnisch aus jeder Ecke dieses Raums entgegen.
Verzweiflung und Wut kochten in seiner Magengrube. „Eure Majestät, was für eine unfassbare Ehre!", brachte Mikhail sich endlich dazu hölzern zu antworten, als die Nervosität der Zarin in blanke Verwirrung über seine Reaktion umzuschlagen drohte. „Doch sehe ich mich außer Stande, diese anzunehmen. Meiner Verpflichtungen an der Shchetkin-"
„Werden Sie dann freilich entbunden, wenn Sie das wünschen. Zumal Ihre Kapazitäten sich nun mehr auf diese Verbrecher konzentrieren werden und-"
Nun war es an der Zarin unterbrochen zu werden, denn die Tür schwang auf und ein wenig atemlos hastete Zinaïda in den Raum, nur um sogleich an der Schwelle innezuhalten.
Mikhail sprang auf die Beine.
„Tut mir leid, ich wusste nicht, dass ich störe ..."
„Ist es denn wichtig?", fragte Setenay, die den glänzenden Blick ihrer Tochter sofort aufgefangen hatte.
„Ja. Wenn ich Ihnen einen Moment Ihrer kostbaren Zeit rauben dürfte, Fürst Draganov?" Zinaïda schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln, unter dem Mikhail sich bereits wieder dem Vorzimmer zuwandte, um abermals dort - wer weiß wie lange - auf die Fortsetzung dieser Tortur zu warten. Eigentlich war er fast froh darüber. Er wollte, nein, musste hier raus.
„Oh, nein, nein, bleiben Sie nur", hielt die Zarewna ihn auf und zerschlug seine Hoffnungen. Dann, als wäre er gar nicht da, wandte sie sich an die Zarin.
„Ich möchte in die Stadt", verkündete sie schnörkellos.
„Wo-Wozu das dann?"
„Ganz Altingrad trauert, Eure Majestät" - nun, ganz so unbedeutend schien Draganovs Anwesenheit dann doch nicht, denn die Zarewna behielt den formellen Ton bei, den sie im Privaten sicherlich sofort abgelegt hätte - „jede Stunde findet ein Begräbnis statt, die Spitäler laufen über vor Verletzten und Sterbenden. Soldaten, die in meinem Regiment gedient haben. Ich denke, ein offizieller Besuch-"
Die Miene der Zarin verhärtete sich. „Nein."
Und nach einem Blick über ihre Schulter zu Bajun, der zwar schwieg doch auch ein wenig deutlicher Missfallen mit dem Vorschlag zu Gesichte trug und damit ihre Meinung bestätigte, setzte sie strenger ein „Kommt nicht in Frage" nach.
Zinaïda runzelte die Stirn. „Was für eine Schutzpatronin wäre ich für diese Männer, wenn ich nicht einmal ihren Einsatz würdige?"
„Ich", meldete sich der Berater nun endlich mit seiner samtigen Stimme, die auf Mikhails Körper eine Gänsehaut verbreitete, zu Wort, „halte es für zu gefährlich. Man hat kürzlich erst versucht, Euch zu ermorden."
Wieder glaubte Mikhail in eine Szene getreten zu sein, in die er eigentlich nicht gehörte und bemühte sich dementsprechend, ihr so schnell wie möglich zu entkommen. Nach einem peinlich berührten Räuspern wollte er sich empfehlen.
„Gewiss, gewiss", erwiderte die Zarin, deren Aufmerksamkeit er bereits verloren hatte.
Von einer Übelkeit befallen, die sich grausam durch seine Gedärme fraß, flüchtete er mehr als den Raum nur zu verlassen, zurück zu den starrenden Blicken vergangener Herrscher und Herrscherinnen.
„Was denken Sie, Polkovnik?", ertönte die Stimme der Zarewna hinter ihm. Er hatte noch nicht einmal bemerkt, dass sie mit ihm den Raum verlassen hatte.
Mikhail schluckte all den Zorn und die Enttäuschung in seinem Inneren hinunter und wandte sich zu ihr um. „Worüber, Eure Hoheit?"
„Wie all das geschehen konnte. Hunderte Menschen haben unermüdlich daran gearbeitet, dass nicht das Geringste falsch verlaufen kann. Nichts davon konnte diese Katastrophe verhindern." Bei ihren letzten Worten begann ihre rosige Unterlippe leicht zu zittern.
Erst jetzt bemerkte Mikhail, dass sie immer noch Weiß trug. Die Farbe der Trauer. Passend dazu war selbst ihr dunkles Haar nur lose zusammengehalten.
Er neigte ergeben das Haupt, eine Geste die mehr seine Unbehaglichkeit verbergen sollte.
„Dafür bin ich wohl nicht der richtige Ansprechpartner. Polizeiminister Zatsepin kann Euch darüber bestimmt wertvollere Auskunft geben."
Zinaïdas kleine Nase kräuselte sich in einem Ausdruck, den Draganov als Abneigung deutete, ohne zu wissen wogegen genau. „Daran zweifle ich nicht. Im Moment frage ich allerdings Sie."
Ihn beschlich das unangenehme Gefühl, dass sie das nur tat, weil ihr Gespräch mit dem Oberhaupt der Strazha ähnlich erfolgreich gewesen wie jenes eben zuvor und jetzt aus ihm Informationen pressen wollte, die man von ihr fernhielt. Zum Glück konnte er ihr diese vermutlich nicht geben, dennoch fühlte sich das hier falsch an.
Warum wurde er nur immer in die Konflikte dieser Familie gezogen?
„Wir haben die Rebellen wohl unterschätzt, Eure Hoheit. Sie müssen sich lange und gut vorbereitet haben. Vielleicht wurde jemand bestochen oder getäuscht. Geschickt genutzt kann sogar die kleinste Lücke in einem nahezu perfekten System fatal werden", sprach Mikhail das Naheliegende aus, um nur irgendetwas zu sagen. Schließlich konnte er der Zarewna schwer eine Antwort verweigern.
Deren blaue Augen nahmen einen nachdenklichen Ausdruck an, während sie sachte, mehr zu sich selbst, nickte.
„Natürlich werde ich alles in meiner Macht Stehende dazu beitragen, dass dieses Verbrechen aufgeklärt und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden", schob er noch schnell nach, als ihm bewusst wurde, dass dieser über alle verhängte Generalverdacht auch zwangsläufig auf seine eigenen Männer nicht das beste Licht warf.
„Und der Besuch der Krankenhäuser? Wie stünden Sie dazu?", wechselte sie jedoch schnell das Thema.
„Ich denke, darüber steht mir kein Urteil-"
Zinaïda ließ ihn nicht einmal zum Ende kommen; ihre erhobene Hand ließ ihn verstummen. „Ich wünsche es zu hören, also steht es Ihnen nicht nur zu, es ist Pflicht."
Nichts an ihr erinnerte an das ausgelassene Mädchen, das Lisitsyn freudig in die Arme gesprungen war, selbst, wenn in ihren Iriden immer noch die Andeutung eines schelmischen Funkelns lag, das ihrer Autorität ein wenig Härte nahm. Doch vornehmlich war ihr Auftreten verblüffend ernst. Das einer jungen Zarin vielmehr als das einer Zesarewna.
Draganov kam nicht umhin, sie dafür zu bewundern. Was taten andere Velier nach ihrer Vesina-Feier? Das Erwachsensein im Nachtleben Altingrads feiern, vermutlich, oder wie ihr Bruder Vasilij, der nur wenige Jahre jünger war, mit nichts als übersteigertem Stolz zu paradieren. Was hatte er schon in ihrem Alter getan?
Unschuldige Leben zerstört und mit Taugenichtsen wie Bjalski gespielt und gesoffen, dachte er bitter. Dafür, dass er so erpicht darauf gewesen war, seine noch recht neue Uniform zu verdienen, indem er etwas Gutes für Velija tat, war er unfassbar schnell dabei gewesen, sie zu beschmutzen.
Unter dem Blick ihrer intelligenten Saphiraugen spürte Mikhail die Anspannung in seinem kerzengeraden Rücken steigen.
„Ist mir die Frage gestattet, welche Bedeutung meine Gedanken dazu haben, Eure Hoheit?", fragte er, sich Zeit erkaufend, fast hoffend, dass irgendjemand dieses Gespräch unterbrechen würde. Wenn ihn dieser Tag eines gelehrt hatte, dann dass er sich nicht noch einmal in Angelegenheiten der Chervenkovs, die seine unmittelbaren Pflichten überschritten, ziehen lassen würde. Nicht einmal, wenn eine lebende Heilige ihn darum bat.
Das bittersüße Lächeln, das Zinaïdas Mundwinkel wölbte, traf ihn unvorbereitet; ein Blick hinter die Fassaden. „Freunde sind ein unbezahlbares Gut, Gospodin Polkovnik. Graf Lisitsyn ist einer und er scheint Sie als Freund sehr zu schätzen, also möchte ich es auch."
Draganov schluckte hart.
„Nun, ich denke, dass es zu gefährlich ist", setzte er vorsichtig an, fuhr jedoch schneller fort, als die Zarewna ein leises Zischen ausstieß. „Aber auch eine kluge Idee. Das Volk braucht Hoffnung, Lisitsyns ... meine Männer neuen Mut. Nach diesem Attentat entkräftet nichts diese Verbrecher mehr als ihnen diese Dinge durch Sveta Zinaïda wiederzugeben. Es wäre politisch ein geschickter Schachzug."
„Ein geschickter Schachzug?", wiederholte Zinaïda dünn und in ihr Gesicht trat ein Ausdruck ehrlicher Enttäuschung, der unmissverständlich zeigte, dass etwas an seiner Antwort falsch gewesen war.
„Verzeiht, Eure Hoheit, ich wollte nicht ..." Doch was sollte ihm schon geschehen? Dass man ihm seinen neugewonnenen Posten wieder wegnahm? Sollten sie doch. Mit Lügen und Heuchelei beschmutzt, wollte der Polkovnik ihn nicht.
Diese Gleichgültigkeit hinderte jedoch die Reue nicht, Einzug in sein Herz zu halten. Nicht aus Sorge, was das für seine Stellung bedeutete, sondern schlicht für das Bild, das die Zarewna von ihm besaß. Er wollte nicht, dass sie schlecht von ihm dachte.
„Nein, nein. Ich habe um Ihre ehrliche Meinung gebeten", erwiderte Zinaïda kühl. „Es ist nicht Ihre Verantwortung, dass ich dabei eine andere Antwort gewünscht hätte. Bogovi s vami."
Mikhail schien es, als habe er mit seinen profanen Worten tatsächlich etwas Heiliges gestört.
Doch die Zarewna war keine Heilige. Sie war bloß ein Mensch, den man in die unmögliche Lage gebracht hatte, eine sein zu müssen. Es war eine, der niemand gerecht werden konnte. Am allerwenigsten ein Herrscher.
Einige wenige hatten bereits eines begriffen, was niemand sonst - nicht einmal Mikhail - auch nur zu denken wagte: Letztlich tat sie für ihre Anhänger nicht viel mehr als die toten Heiligen. Sie schenkte Hoffnung. Doch diese füllte keine hunderten leeren Mägen, wärmte keine gefrorenen Glieder und heilte keine Krankheiten und Wunden.
Sie war ein schwacher, kleiner Trost für das große Leid des Landes.
Vor Mikhail tat sich der Schlund in das Reich der Schlange auf. Hätte er es nicht besser gewusst, so hätte selbst Mikhail Draganov diesem Irrglauben leicht folgen können. Vielleicht waren die tiefsten und dunkelsten Winkel des Grom-Gefängnisses auch tatsächlich der Vorhof zur Unterwelt.
Der imposante, backsteinerne Gebäudekomplex, der in seiner Form Peruns Donnerzeichen glich und sich damit seinen Namen verdient hatte, schien von außen nicht das, was man als bedrohlich erachtet hätte. Man sah ihm jedenfalls seine Geschichte als frühere Residenz des Fürsten von Altingrad, noch lange bevor die Stadt diesen Namen erhalten hatte, so sehr an, um darin etwas Lauschigeres zu erwarten als einen Kerker, der auch Räumlichkeiten wie diese sein Eigen nennen durfte.
Hier unten, wo kein Tageslicht jemals die Steinwände berührt hatte, wurde das sanfte Rauschen der Altinitsa zum düsteren, dumpfen Geräusch eines Untiers, das sich an die Mauern schmiegte und mit Überflutung drohte, und ihr Duft zu einer modrigen, sich in alle Ritzen fressende Feuchtigkeit. Dennoch wuchs nirgendwo Moos oder Schimmel, als wollten nicht einmal sie an diesem Ort verweilen.
Ich auch nicht, dachte Mikhail. Nur blieb ihm keine andere Wahl. Generalfeldmarschall Wiewórka persönlich hatte ihm naheleget, dass die Ermittlungen zu den Verbrechen am Tag des Friedens auch seine Verantwortung waren, was so viel hieß als dass er es ihm unmissverständlich befohlen hatte.
Ursprünglich wäre diese Aufgabe wohl Lisitsyn zugekommen. Eben jenem, dem Draganov verdankte, hier zu sein, auch wenn er offiziell bis jetzt weder Orden noch neuen Rang trug.
Lisitsyn, Lisitsyn ... Zur Schlange mit Lisitsyn! Beinahe hätte er die Worte zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen ausgestoßen, als er die enge Treppe hinunterschritt.
Dass schon so mancher Wärter und Häftling bei großem Aufruhr gestürzt und sich an den alten, unebenen Stufen den Schädel aufgeschlagen hatte, wirkte augenblicklich weniger wie ein albernes Gerücht. Bei manchem Schritt schienen ihm selbst die Lampen, die tückische Schatten in das Gemäuer zeichneten, mehr ein Hindernis denn eine Hilfe.
Einmal trat der Polkovnik fast ins Leere.
Es hatte wohl seine Gründe, warum nur die niedrigsten, gefährlichsten Verbrecher hier unten festgehalten wurden ...
Endlich am Ende der Treppe angekommen rückte er seine Uniform zurecht und sog tief die abgestandene Luft ein. Er würde da reingehen, dem Verhör beiwohnen und einen Bericht schreiben, der Wiewórka zufriedenstellen würde. Im Grunde wurde nach seiner Anwesenheit nur dafür verlangt: Um ein prüfendes Auge der Armee zu sein.
Alles andere würden Strazha und eine Einheit der Kresniknina erledigen.
„Gospodin Polkovnik?", fragte der Wärter, der Mikhail hierher begleitet hatte, als er immer noch keine Anstalten machte, die Zelle zu betreten. „Sie werden bereits erwartet."
„Natürlich." Draganov räusperte sich. „Öffnen Sie die Tür."
Ohne die kleine Lampe, von der er sich unwillkürlich fragte, ob sie immer brannte oder nur während des Verhörs, wäre der winzige Raum wohl in erstickender Dunkelheit versunken. Keine angenehme Vorstellung. Doch etwas anderes erhaschte seine Aufmerksamkeit sogleich - etwas wesentlich Unangenehmeres.
Sich von einer auf einem Stuhl festgebundenen Silhouette abwendend, richtete sich eine junge Frau zu ihrer vollen Größe auf und durchbohrte Draganov mit anklagenden Blicken.
Zatsepina. Natürlich musste sie es sein.
„Sie haben mich lange warten lassen, Polkovnik", begrüßte sie ihn trocken und nicht im Geringsten versuchend, die Missbilligung aus ihrer Stimme fernzuhalten.
In diesem muffeligen Loch wirkte sie mit ihrer edlen Uniform, dem kunstvoll hochgesteckten Haar und rot gefärbten Lippen unfassbar deplatziert. Aber wohl nicht viel mehr als Mikhail in seiner Husarenkleidung selbst.
Hinter ihnen schloss sich die Tür.
„Verzeihen Sie, Gospodichna Kapitan, der Weg hier hinunter ist recht ... langwierig."
Das war nicht einmal gelogen. Im Nachhinein war er sich nicht mehr sicher, wie viele Wachposten er in der letzten halben Stunde passiert hatte. Zu viele. Und jeder nahm seine Arbeit ganz genau.
Dennoch konnte er sich die kleine Spitze nicht verkneifen, auf die hin Ergena die Lippen verzog.
„Nun, wo Sie jetzt endlich da sind, können wir doch anfangen, oder?"
Mikhail antwortete nicht, sondern besah sich die Gefangene, an der sich offensichtlich bereits mehr als eine Person ausgetobt haben musste. Im Moment hätte er nicht darauf gewettet, dass sie überhaupt bei Bewusstsein war. Rozálias gesamte fahle Haut schien eine Geschichte des Terrors zu erzählen: notdürftig verbundene Wunden, im mickrigen Lampenlicht fast schwarz anmutende Hämatome und ein rotes Geflecht wie von feinen Ästen.
Blitze, schoss es ihm durch den Kopf.
Mitleid wand sich in seiner Magengrube, doch er ließ es sich nicht darin einnisten. Immerhin war diese Frau keine Unschuldige. Auch wenn das im Augenblick schwer vorstellbar war, hatte er hier die Erdbeschwörerin vor sich, die unzählige seiner Männer getötet hatte und beinahe auch ihn selbst. Und die Zarewna.
Aber kann so etwas jemals richtig sein?, wollte sich ihm die Frage aufdrängen, egal wie sehr er sich Rozálias Vorgehen in der Dubravskaja in Erinnerung rief.
Bei der Vorstellung, dass all dieser Stein ihr zu einer Waffe werden könnte, schauderte Mikhail. Plötzlich schien ihm die beengte Zelle mehr wie sein eigenes tödliches Gefängnis als das ihre.
„Keine Sorgen. Ihre Fesseln sind aus Dukhonium", erklärte Zatsepina, die seine Gedanken zu seiner Schande gelesen haben musste.
„Sie meinen die, die Sie ihr gerade abnehmen?"
Ohne in ihrer Bewegung zu zögern, löste die Kapitan die wohl nur auf den ersten Blick gewöhnlichen Ketten.
„Glauben Sie mir, sie ist nicht im Zustand, eine Gefahr darzustellen. Für meine Zwecke ist das Zeug allerdings hinderlich."
Ihre Zwecke?
„Hat sie etwas gesagt, das uns weiterbringt?"
„Wollen Sie das nicht lieber mich fragen, wenn Sie schon hier sind?", fragte die Ved'ma, den Kopf nun ein wenig anhebend, um ihn schiefzulegen. Von ihrer Stimme war mehr übrig als ein widerliches Kratzen, wie Eisen auf Eisen.
Mikhail klopfte gegen die Zellentür, um nur eine Sekunde später einem verdutzen Wärter ins Gesicht zu sehen, der sich wundern musste, ob er denn schon wieder gehen wollte oder etwas vorgefallen war.
„Lassen Sie Wasser für die Gefangene holen", befahl Draganov bloß, ohne jede weitere Erklärung.
„Wa ... Äh, ja, ... Wasser, sehr wohl", stammelte der Mann.
Hinter dem Polkovnik erklang ein raues, schabendes Geräusch, das er erst für ein Husten hätte halten wollen, sich aber als trauriger Schatten eines Lachen herausstellte. Es richtete ihm die Nackenhaare auf.
„Na, das sind ja ganz neue Töne. Jetzt wo ihrs mit dem verrückten Folterknecht probiert habt, schickt ihr einen Heiligen, der mich einlullen soll, was?"
„Kein Heiliger", erwiderte Mikhail nur nüchtern. Leider. Allerdings war deren Position auch nicht immer beneidenswert. „Aber, wenn Sie uns nicht die Wahrheit sagen, sollten Sie besser gleich zu ihnen beten."
Rozália schüttelte den Kopf, das verfilzte Nest von Haaren über ihre Schulter werfend. „Ich habe alles gesagt, was ich weiß. Ein bisschen Wasser wird daran nichts ändern."
„Sie sehen, womit wir hier arbeiten", mischte sich Ergena seufzend ein. „Ich konnte sie zwischen allen wüsten Beschimpfungen zu einem Geständnis bewegen. Aber sie beharrt darauf, dass sie alleine gearbeitet hat."
„Und die Schützen?", fragte Mikhail, während er das Wasser von einem immer noch irritierten Wärter entgegennahm. Vorsichtig setzte er die Feldflasche an die Lippen der Gefesselten und ließ sie einige gierige Schlucke trinken.
Erst die Kapitan, die ihre Haare umfasste und sie davon wegzog, stoppte sie. „Genug jetzt. Wir wollen Antworten."
Rozália runzelte die Stirn. „Ich weiß von keinen Schützen."
„Sie wollen uns also weis machen, dass an diesem Tag ganz zufällig mehrere Menschen beschlossen haben, den Zar zu töten?", fragte Mikhail mit hochgezogener Augenbraue.
So gut es ihr möglich war, zuckte sie mit den Schultern. „Würde mich nicht überraschen. Der Zar hat so viele Feinde wie es Gründe gibt, ihn zur Schlange zu befördern."
Der Knall einer Ohrfeige hallte von den Wänden wider, gefolgt von einigen Flüchen der Kapitan auf Kartal.
Als Rozálias Kopf wieder auf ihre Brust sank, schimmerte Blut zwischen ihren bleichen Lippen.
Mikhail erlaubte sich nur kurz, den Mund zu verziehen. Ihm waren solche Methoden nicht neu; er selbst hatte davon schon Gebrauch machen müssen. Doch zu sagen, dass er sich jemals daran gewöhnt hätte, wäre eine Lüge gewesen. Nicht einmal, wenn es sich dabei um Mörder handelte.
„Ihr glaubt, wir sind nur eine Handvoll lausiger Rebellen. Aber wir sind überall in dieser Stadt", stieß Rozália aus, Blut und Speichel auf Mikhails Uniform spritzend. Es schien auf dem dunklen Rot fast zu verschwinden.
„Wir?"
„Die, die die Wahrheit erkannt haben."
„Die Iskra?", hakte Mikhail nach, doch daraufhin hob sie nur trotzig das Kinn.
Ergena schüttelte den Kopf. „Es reicht mit den Spielchen. Das gleiche habe ich die letzten Tage hundertmal gehört. Was wir brauchen sind echte Antworten. Wenn Sie also erlauben ..."
Draganov trat instinktiv einen Schritt zurück, um Zatsepina mehr Platz zu machen und bereute es sofort. Jegliche Arroganz fiel von Rozália ab. Das Glitzern, das in ihre Augen trat, wie er erkannte, war echte Angst. Angst, vor dem, was jetzt folgen würde, und wozu es sie führen könnte.
Doch sie war nicht groß genug, um Ergena aufzuhalten. Sie redete nicht, sondern ließ es geschehen.
Und Mikhail blieb nichts als sich dieses grausame Schauspiel anzusehen: Ergena ließ Phantome des Schmerzes ihre Krallen und Zähne in die Frau schlagen, die keine Spuren hinterließen außer einen sich windenden Körper. Am liebsten hätte er sich abgewandt, die Hände gegen die Ohren gepresst, um die gellenden Schreie ausblenden zu können.
Doch er tat nichts dergleichen. Er sah bloß zu, bis Rozália zitternden und nach Atem ringend vor ihnen zusammengekauert auf dem eisigen Boden lag. Ihre Lider zuckten panisch, als würden immer noch irgendwelche unsichtbaren Kräfte ihren Körper beherrschen, und mit jedem Herzschlag schien ihre Panik dabei zu steigen.
„Me-Meine Augen ... Was habt ihr getan?" Rozálias Lippen bebten so sehr, dass sie kaum verständliche Worte formen konnten und Mikhail traf die schreckliche Realisation im selben Moment, in dem sie ein raues „Sv-Sevta Iskra ... steh mir bei ..." schluchzte, dessen Verzweiflung bis in seine Seele schnitt.
Die flackernden Augen, die ihn fixieren wollten, sahen ihn nicht.
Ein eisiger Schauer rann Draganovs Wirbelsäule hinab. Ja, er hatte immer gewusst, dass Zatsepina gefährlich war - mächtig -, aber diese Macht zu sehen war etwas anderes.
Bei Kresnik und allen Heiligen!
„Ich will Namen hören. Wer war mit dir dort?", fragte Ergena kühl. „Dann darfst du deine Freunde und Altingrad vielleicht noch einmal sehen."
Die Gefangene verfiel in ein stetiges, unverständliches Gemurmel. Gebete.
Langsam beugte die Kapitan sich näher zu ihr herab, mit ihren Lippen ihr Ohr streifend. „Rede oder ich nehme dir noch viel mehr als dein Augenlicht. Ich könnte mit deinen Fingern anfangen. Einen Nerv nach dem anderen. Was denkst du, wie viel wert wäre deine Magie dann noch? Danach arbeite ich mich deine Arme hoch ... und setze meine Arbeit bei deinen Füßen und Beinen fort, hinauf bis zu deinen Ohren und deiner Zunge, bis dir nichts mehr bleibt als dein eigener Verstand."
Gefangen im eigenen, tauben Körper - konnte die Kresnitsa so etwas wirklich tun?
„Vergib mir ...", wimmerte Rozália. Ihre blinden Augen weinten stille Tränen, als bereite ihr jedes einzelne Wort grausamere Schmerzen als Ergenas Folter. „Ich ...Ich kenne ihre echten Namen nicht ... Das tut niemand. Der, der mich begleitet hat, war Stribog. Und ... Und der Schütze Tsokov."
Götternamen und die von Freidenkern also?
Draganov ging neben ihr auf die Knie. „Wer hat das alles geplant? Irgendjemand muss bei euch doch an der Spitze stehen."
„Prizrak."
„Der Geist?" Er sog scharf die Luft ein. „Etwa derselbe, der ..."
„Ich weiß es nicht. Ist nicht so als gäbe es auf den Namen ein Patent."
Dieser Anflug von bitterem Humor traf irgendetwas in Mikhails Innerem, auch, wenn er nicht recht einzuordnen wusste, ob er seine Bewunderung für diese Frau weckte oder bloß Entsetzen.
„Wo trefft ihr euch?", fragte Ergena.
Fahrig wischte sich die Erdbeschwörerin das Gemisch aus Schweiß, Tränen und Blut aus dem Gesicht und verteilte es dabei nur noch sichtbarer auf ihren Wangen. Jede Silbe kam mit einem angestrengt rasselnden Atemzug über Rozálias trockene Lippen, als könnte es ihr letztes sein, bevor sie in eine Ohnmacht glitt.
„Da ... ist eine verlassene Druckerei im Rattenviertel."
Draganov und die Kresnitsa wechselten einen Blick und zum ersten Mal schienen sie sich einig zu sein: Eine Sackgasse. Vermutlich verriet sie das bloß mit der Gewissheit, dass von dort mittlerweile alle Beweise verschwunden waren. Jedenfalls wenn ihre Kumpanen nicht völlige Dummköpfe waren.
„Genug. Ich habe genug gehört", unterbrach Mikhail diese Farce mit flauem Magen. „Wir haben alle Informationen, die wir brauchen", schob er schnell nach, als Zatsepina eine Augenbraue hochzog.
„Ausnahmsweise sind wir einer Meinung. Mehr werden wir heute wohl nicht von ihr erfahren."
„Meine Augen ... werden sie ...", flüsterte Rozália.
„Woher soll ich das wissen?", erwiderte die Kresnitsa. „Das war mein erster Versuch."
Energischer noch als zuvor schlug Mikhail mit der Faust gegen die Zellentür, als sich Rozálias bebende Finger in seinen Ärmel gruben.
Sie war mühsam zu ihm gekrochen und starrte ihn nun aus leeren Augen an. Auf erschreckende Weise erinnerte sie ihn an Sevti Anatol'. Eine blinde Heilige, die als Bettlerin kniete, doch aus deren Blicken ein strenges Urteil sprach.
„Sie waren dort, nicht wahr? Bei der Parade ... "
Der Polkovnik hielt inne.
„Sie wurden getroffen. Eigentlich hätte ich Sie für tot gehalten. Sie waren doch bei den Soldaten, die mich mit ihren albernen Waffen aufhalten wollten? Wie viele von ihnen musstet ihr beerdigen?"
Dreißig, pochte die Antwort in seinem Hinterkopf. An diesem Tag hatten sie insgesamt dreißig Männer - arglose Frischlinge, die das ganze Leben noch vor sich hatten, wie erfahrene, zähe Kerle kurz vor dem Ruhestand - an eine kleine Bande Verbrecher verloren. Und du hättest einer davon sein sollen, statt sie im Stich zu lassen.
Von der Hälfte von ihnen war kaum noch etwas geblieben, das ihre Familien begraben hätte können. So etwas geschah auf dem Schlachtfeld. Nicht hier. Nicht in Altingrad.
Keinen dieser Gedanken sprach er jedoch aus, sondern schwieg eisern, während der Zorn in ihm kochte.
„Ich schwöre Ihnen eines, Polkovnik", flüsterte Rozália. „Jedes ihrer Opfer und alle, die noch kommen, werden völlig sinnlos gewesen sein. Blut verschwendet an eine Krone, die fallen wird."
Seine Hände ballten sich zu Fäusten, nach seinem Pallasch gierend, um den glühenden Hass aus dem ermatteten Grün ihrer Augen zu verbannen.
Das ist genau das, was sie möchte. Rozália Vardas wollte ihn dazu zwingen, sie zum Schweigen zu bringen, damit ihr Leid hier endete und kein weiterer Verrat ihren Mund verlassen könnte.
Ruckartig riss Mikhail sich von ihr los und verließ beinahe fluchtartig die Zelle.
Hinter ihm wurde die Lampe gelöscht.
Zatsepina zuckte mit den Schultern, als sie Mikhails Blick auffing. „Was? Sie wird das Licht kaum noch brauchen, oder?"
_____________________
Wieder mal hatte Zina einen kleinen Auftritt (und ein Gif, in dem sie ein side eye geben darf), von dem es bald ein paar mehr geben wird. Was denkt ihr bisher von ihr?
Wohin führt wohl die Suche nach Prizrak? Und wer könnte das sein?
Und ja...ich lenke gerade hier mit Fragen ab, mich für die letzte extrem lange Updatepause zu entschuldigen, die hoffentlich bald kürzer werden
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top