61 - Eskalation
Als sie aufwachte, fand sie sich eingehüllt in Wärme. Langsam und regelmäßig hörte Cress einen Herzschlag, direkt unter ihrem Ohr. Ein echtes Herz schlug dort, stark und ruhig. Keine Zahnräder. Keine Maschine könnte je so warm sein, sie so schläfrig machen, dass sie sich am liebsten gar nicht bewegt hätte. Vielleicht würde alles gut werden, wenn sie einfach hier liegen blieb und die Augen geschlossen hielt, obwohl sie die Wellen nicht mehr hören konnte. Cress war seit einer so langen Zeit nicht mehr so gehalten worden, dass sie ganz vergessen hatte, wie es sich anfühlte jemandem so nah zu sein. Sie schob es auf eben diese Tatsache, dass sie nicht sofort aufsprang und verschwand. Nur einen Moment länger im Dämmerschlaf auf der Brust des Sohnes ihres Erzfeindes liegen blieb.
Stimmen näherten sich, aber sie fühlte sich in ihrem Wärmekokon so sicher, dass sie keinen Muskel rührte. Etwas, das sie in den Außenbezirken den Kopf gekostet hätte. Doch nichts schien in diesem Moment weiter weg, als die Außenbezirke.
Die Schritte hielten inne und eine Frau lachte glockenhell auf. Julian bewegte sich, und brummte im Halbschlaf, während Cress langsam wieder in die reale Welt auftauchte. Sie blinzelte in das Morgenlicht, das durch die Bleiglaskuppel der Bibliothek fiel. Verschwommen nahm sie eine blaue Gestalt war. Ein blauer, spitzer Schuh kickte Julian in die Rippen, nicht fest, aber genug, um ihn fluchend in die Höhe fahren zu lassen.
„Na, wen haben wir denn da? Wenn das nicht mein Ehemann ist", grüßte Renée de Chirouelle-Avalinis den Kronprinzen, der sich mit finsterem Gesichtsausdruck die Seite rieb.
„Grobmotorikerin", knurrte er ihr entgegen und erntete ein weiteres Lachen.
Möglichst unauffällig entknotete Cress ihre Beine aus seinen, während Renées Blick zu ihr wanderte.
„Dich kenne ich noch gar nicht", sie beugte sich vor und streckte der Diebin formvollendet die Hand entgegen, „Renée de Chirouelle-Avalinis, zukünftige Königin der letzten Stadt, Ehefrau deines Kuschelgefährten."
„Hör' auf damit", verlangte Julian, während Cress verwirrt die Hand der Adligen schüttelte.
„Liliane van Laurence", murmelte sie in Richtung Boden, während ihr die Röte in die Wangen schoss.
„Jetzt schau, was du angerichtet hast", schalt Julian seine Ehefrau, „Sie nimmt dich ernst!"
Renée richtete sich wieder auf, sodass sie über Cress und dem Kronprinz thronte wie eine Göttin in blauem Taft. Sie feixte, während Julian und die Diebin auf die Beine kamen. Wenn Cress auch nur halb so zerzaust aussah wie er, dann konnte sie sich vorstellen, warum sie so ein amüsanter Anblick waren.
„Was machst du hier?", fragte Julian entnervt, „Ich habe dich noch nie in der Bibliothek gesehen. Du magst keine Bücher. Kannst du überhaupt Lesen?"
„Die Bibliothekarin kam zu mir und hat gefragt, was sie mit dir machen soll. Außerdem konnte ich es mir natürlich unmöglich entgehen lassen, dich zu demütigen."
„Das soll demütigen sein? Willst du Nachhilfe im Demütigen?"
„Nein, ich verzichte dankend. Ich betrinke mich einfach und mache sämtliche Beete mit deinen Lieblingsblumen kaputt."
Sie drückte ihm unsanft seine blaue Uniformjacke in den Arm.
„Ich dachte, wir hätten geklärt, dass das ein schrecklicher Unfall war", rief er ihr noch hinterher, als sie die Galerie hinunter schritt.
Sie zeigte ihm beide Mittelfinger, ohne sich umzudrehen, bevor sie um eine Ecke verschwand.
Julian lachte trocken, als er Cress Blick bemerkte.
„Sie weiß alles, Cress. Ihre Familie ist reicher als meine, was heißt, dass sie praktisch jeden im Palast bestechen kann."
„Und", sie suchte nach einer geeigneten Formulierung, während sie immer noch auf den Punkt starrten, an dem die zukünftige Königin der letzten Stadt verschwunden war, „wieso hat sie mich nicht umgebracht?"
Er schnaubte. „Wieso sollte sie? Das würde ja heißen, dass sie ihre Freiheiten auch einschränken müsste. Und falls es um unser kleines Geheimnis geht", er richtete seine Jacke, „dann kann ich dir versichern, dass selbst Renée keine Ahnung hat."
Unsere Blicke trafen sich und ein Schmunzeln breitete sich über sein Gesicht aus.
„Frühstück?", er bot ihr den Arm an.
Sie musste wirklich schrecklich aussehen, wenn ihr Anblick ihn so fröhlich stimmte.
Kopfschüttelnd hakte sie sich bei ihm unter.
Sie redeten nicht über die Simulation, nicht darüber, dass sie zusammen eingeschlafen waren, nicht darüber, dass sie geweint hatte. Noch nicht. Es war so viel einfacher, still zu sein, obwohl sie natürlich wusste, dass nichts war, wie vor dem Fall des Sterns.
„Kann ich dich etwas fragen?"
Julian sah von dem Kätzchen auf, überrascht, dass Cress ihn angesprochen hatte.
„Natürlich. Auf unangebrachte Fragen antworte ich besonders gerne."
„Witzig."
„Und auch sehr detailliert."
Sie ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und stellte ihre Teetasse zurück auf den Tisch, auf dem noch die Überreste ihres Frühstücks thronten.
„Weißt du etwas über diese Tattoos? Wir haben zwei, die sich so sehr ähneln, dass es kaum Zufall sein kann", sie deutete mit dem Kinn in Richtung seines Handgelenks, „Zwei Vögel. Mit blauer Tinte gestochen. Nicht identisch, weil sie sich ansehen. Ich habe es gesehen, als ich dich gerettet habe."
Sie hatte ihn schon lange fragen wollen. Doch wenn sie nicht gerade von irgendwelchen Klippen in den Tod sprang, war sie zu beschäftigt damit gewesen, dem größten Schauspiel des Jahrhunderts beizuwohnen.
Der Kronprinz hatte wohl etwas anderes erwartet, drehte aber seine linke Hand, sodass sie den dunkelblauen Vogel direkt über den Venen dort betrachten konnte.
„Ich weiß. Daran habe ich dich erkannt, als du zu mir gekommen bist", setzte er an, „Aber es ist nicht dasselbe."
„Nicht ganz", bestätigte sie.
Cress zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie aufstand, sich neben ihn setzte und ihre rechte Hand hob. Sie hielt ihren Unterarm neben seinen, nah genug, dass die feinen Härchen darauf kitzelten und senkte den Blick auf die Tinte unter ihrer Haut. Zwei Vögel, im gleichen Stil gezeichnet, aber nicht identisch. Die Köpfe zueinander gedreht, als ob sie sich ansehen würden.
Der Kronprinz starrte auf die beiden Tattoos hinab, die auf unerklärliche Weise zueinander passten.
Er schüttelte den Kopf.
„Das ist seltsam, Cress Cye. Du dürftest das gar nicht haben."
Sie blinzelte zu ihm hinauf.
„Wieso? Was ist das?"
„Ein Pigmentfehler, der entstanden ist, als man mir meine Farbe gab. Als Baby. Das passiert manchmal, ziemlich selten, um genau zu sein. Es wird als Omen für herausragende Taten gesehen. Für ein Herz, das die Welt verändern kann, oder so ähnlich."
Dieses Herz würde ich gerne noch einmal schlagen hören.
Sie starrte auf ihr eigenes Tattoo hinab und schob den Gedanken beiseite.
„Sicher, dass du es dir nicht im Vollrausch stechen gelassen hast?"
„Sicher, dass du es dir nicht im Vollrausch stechen lassen hast?"
„Ich glaub' das einfach nicht", murmelte Cress und fuhr fort, als sie der fragende Blick des Kronprinzen durchlöcherte, „Ich bin nicht blau. Ich war gelb, bevor ich farblos wurde. Und ich hatte dieses Tattoo schon immer. Meine Eltern haben mir erzählt, es käme von irgendwelchen Elfenküssen oder Koboldbissen."
Er kicherte und sie knuffte ihn in den Arm.
„Das ist nicht witzig. Ich glaube nicht, dass sie irgendeine Ahnung hatten, wo es herkam."
„Früher oder später werden wir es erfahren", er lehnte sich zurück, „Ich habe May die Vögel gezeichnet. Wenn sie nichts herausfindet, dann wird es niemand."
Mit gerunzelter Stirn streckte Cress eine Hand aus und kraulte das Kätzchen zwischen den Ohren.
„Deswegen habe ich dich gerettet. Wegen dem Tattoo. Weil ich dachte, dass du vielleicht eine Erklärung dafür hast", gab sie zu.
„Hättest du es mal lieber sein gelassen, dann hättest du jetzt weniger Probleme am Hals."
Sie hob die Augenbrauen.
"Willst du danke sagen?"
Er lächelte in sich hinein, während sie ihre Gedanken und Gefühle sortierte.
"Wenn du in irgendeiner Gasse verblutet wärst, dann hätte ich das alles nie gesehen."
Den Kern. Den Fall des Sterns. Die Welt vor dem großen Krieg.
Sie hatte es nicht ausgesprochen, aber die Stimmung war trotzdem verändert. Ernster.
„War es das wert?", fragte er dann ruhig.
„Ich würde es noch einmal genau so machen."
Sie schwiegen, während sich zwei Kätzchen durch das Zimmer jagten.
„Danke, Cress Cye."
„Danke, Julian d'Alessandrini-Casanera."
„War das jetzt so schwer?"
„Ach sei doch leise."
Sie spielten Darts und Cress gewann haushoch. Julian war fast schon übermütig vor guter Laune, energiegeladen, wie seine Kätzchen, die in regelmäßigen Abständen zwischen ihren Beinen hindurch schlüpften.
„Wenn ich du wäre, würde ich mein ganzes Leben in Simulationen verbringen", Cress zielte, warf und traf.
„Glaub' nicht, ich hätte es nicht versucht", antwortete der Kronprinz und warf. Er traf den dritten Ring von außen, „Aber irgendwann muss man wieder zurück. Und das tut mehr weh, als einfach hier zu bleiben."
Sie sahen sich an und Cress versuchte immer noch, die seltsamen Dinge einzuordnen, die hier zwischen den Zeilen passierten. Sie vertraute ihm immer noch nicht. Doch sie begann, ihn zu verstehen. Besser, als ihr lieb war.
Er warf und verfehlte die Zielscheibe.
Sie schmunzelte milde.
„Wenn ich trinke, treffe ich besser", bemerkte Julian.
„Aber natürlich."
Sie warf einen mäßig überzeugten Blick zu ihm hinauf.
„Du könntest es ja überprüfen", schlug er mit einem schiefen Grinsen vor. Sie tätschelte seinen Wurfarm.
„Oder auch nicht."
Er reagierte so stark auf ihre Berührung, dass sie fasziniert innehielt. Sein ganzer Körper schien sich anzuspannen. Julian hielt die Luft an. Nur, weil ihre Finger federleicht über seinen Arm gestrichen hatten. Er wich ihrem Blick nicht aus, als sie aufsah, anscheinend selbst überrascht, aber nicht beschämt.
„Oh", murmelte sie. Oh.
Julian räusperte sich.
„Du musst noch deinen letzten Pfeil werfen", sie wich zurück und er hielt ihr den Pfeil hin.
„Du hast sowieso gewonnen. Nüchtern habe ich keine Chance."
Sie warf daneben, was Julian sehr lustig fand.
Cress war sich nicht sicher was mit ihr geschah. Denn sie hatte eine Beziehung aus ironischen Gesprächen, verdrehten Beleidigungen und dem Anblick einer toten Welt zum Kronprinzen der letzten Stadt aufgebaut. Sie bekam mehr und mehr das Gefühl, dass sie sich zu weit geöffnet hatte, hatte ihn zu viel von sich sehen ließ. Die Angst, dass sie sich zu weit fallen gelassen hatte, war nun ihr permanenter Begleiter. Wieso war es plötzlich so leicht, sich in seiner Gegenwart zu entspannen und alle Vorsicht schleifen zu lassen? Er ging vor ihr den Gang hinunter, wie ein blauer Scherenschnitt. Der Erstgeborene des Königs. Der Thronfolger der letzten Stadt. Ein blauer Prinz, dessen Macht sich über alle zivilisierten Bezirke dieser Stadt bis hin zur Mauer erstreckte. Der Idealist, der einen Haufen Verbrecher gerettet hatte. Der junge Mann, der ohne mit der Wimper zu zucken eine Farblose zum Fall des Sterns und in eine vergangene Welt mitgenommen hatte. Der erzitterte, wenn sie seinen Arm streifte.
Er drehte sich nach der Diebin um und sagte amüsiert:
„Ich habe immer das Gefühl, du erstichst mich gleich, wenn du mich so anstarrst."
Sie schüttelte nur den Kopf.
„Was für ein Plan, den Kronprinzen auf einem Gang in seinem eigenen Palast erstechen. "
„Das ist schon vielen Kronprinzen passiert."
Er schritt neben ihr her, die Hände hinter dem Rücken gefaltete und die wachen, meerblauen Augen auf seine Umgebung gerichtet. Sie waren auf dem Weg zu den Gärten, denn jetzt, verkleidet als Adlige, konnte Cress sich einigermaßen frei im Palast bewegen. Zumindest mit Julian, dessen weibliche Begleitung anscheinend oft genug wechselte, um ihre Anwesenheit zu verschleiern. Eine leises Klingen tönte aus Julians Tasche. Er zog einen winzigen, Bildschirm hervor und gab ein paar Befehle ein, ohne seinen Schritt zu verlangsamen. Erst, als er die Nachricht las, hielt er inne.
„May meinte, sie hat etwas gefunden", er drehte ihr den Bildschirm zu, sodass sie die elegante Zeichnung der beiden Vögel betrachten konnte, die er angefertigt hatte. Sie blieben mitten auf einer Treppe stehen, während das Abendlicht durch die hohen Fenster fiel. Cress stand eine Stufe höher als Julian und war trotzdem noch deutlich kleiner.
Die Zeichnung des Vogels auf der Innenseite ihres Handgelenks fing an zu kribbeln.
„Aber sie weiß noch nichts Genaues", hängte er an, „Sie hat ein altes Mosaik gefunden, das ähnliche Formen zeigt. Vielleicht kann sie Rückschlüsse auf die Pigmentfehler oder Künstlerfamilien ziehen."
Cress nickte.
Dieses Geheimnis hatte sie ein Leben lang begleitet. Es wäre unglaublich, endlich zu verstehen, wieso sie dieses Tattoo auf der Haut trug. Wieso es dem des Kronprinzen so unverschämt ähnlich war.
„Vielleicht wolltest du ja unbedingt beim Darts gewinnen, hast deswegen zu viel getrunken und es dir dann stechen lassen", spekulierte sie.
Er schnaubte. „Selbst, wenn es so wäre, würde May das herausfinden."
Sie wandten beide den Kopf, als Stimmen die Treppe hinaufkamen. Jemand hatte die gläsernen Flügeltüren zu den Gärten geöffnet. Cress versteifte sich.
Dominique d'Alessandrini-Casanera, ihr Ehemann und ein Sternenprediger mit langen, weißen, zurückgebunden Haaren, betraten die Eingangshalle, in die sie gerade hinunterstiegen.
Julians Arm legte sich beiläufig um Cress Taille, damit er sie eine Stufe tiefer ziehen konnte. Seine Nähe ließ ihren ganzen Körper kribbeln, als ob sie sich einen Sonnenbrand geholt hätte.
„Sie haben uns gesehen", murmelte er ungehalten, und setzte sein strahlendstes Lächeln auf.
„Verdammt", flüsterte sie zurück und fing ebenfalls an so breit zu lächeln, dass ihre Wangen schmerzten.
„Bruder", begrüßte Dominique Julian kühl, „Lady van Laurence", sie nickte in Cress Richtung.
„Dominique. Du siehst wunderbar aus, wie immer", erwiderte Julian und nickte den Männern knapp zu. Der Weiße kam Cress aus irgendeinem Grund bekannt vor. Wahrscheinlich war er ein höhergestelltes Mitglied des Ordens und deswegen öfter auf diesen Gängen unterwegs.
„Lady van Laurence. Darf ich bekannt machen", Dominiques Ehemann mit den Kristallaugen streckte eine seiner großen Hände in Richtung des Sternenpredigers.
„Ascob Silencia. Sohn der Dreizehn", stellte er seinen Begleiter vor.
Der Sternenprediger reichte Cress die Hand.
Er war groß, breitschultrig wie ein Bär und hatte die verstörend weißen Augen, die typisch für den Orden waren. Gutaussehend, aber auf eine grobe Weise. Er starrte sie so unverhohlen an, dass Cress sich fühlte, wie ein Ausstellungsstück.
„Es ist mir eine Freude, Lady van Laurence", sagte der Silberne.
Seine Worte zuckten durch ihren Körper wie ein Blitz.
Sie starrten sich an, fassungslos, geschockt und bemüht das vor dem jeweils anderen zu verbergen.
Natürlich kannte Cress diesen Mann. Er hatte ihr sämtliche Mörder des farblosen Bezirks auf den Hals gehetzt. Er war schuld daran, dass sie in diesem Schlamassel feststeckte.
Ihr Auftraggeber hatte einen festen Händedruck. Er roch immer noch nach Jasmin, genau wie in der Nacht, in der sie sich das erste Mal begegnet waren.
Ascob Silencia hatte die Diebin sofort erkannt, da sie keine Plasmamaske trug, um ihre Gesichtszüge zu verwischen. Wieso auch? Niemand im Kern würde sie erkennen.
Niemand, außer dem Sternenprediger, dem sie gegenüberstand. Ein Sternenprediger, der sich in das RedLipRoulette gewagt hatte, um ihr einen Auftrag zukommen zu lassen, der schon drei ihrer Bekannten das Leben gekostet hatte.
Sie schüttelten sich immer noch die Hände.
Wie lange taten sie das schon?
Cress spürte Julians Blick auf ihrem Gesicht.
„Eine Freude, ganz recht", grüßte sie mit einer Stimme wie Eiswasser.
Sie trennten sich wieder. Dominique sah Cress seltsam an, während ihr Mann einmal mehr nichts Außergewöhnliches bemerkt hatte.
Ascob Silencia, dachte die Diebin, du elender Mistkerl.
Doch mehr als Lächeln konnte sie sich nicht erlauben. Ihm war das Lächeln dagegen längst vergangen. Anscheinend hatte die Anwesenheit einer Farblosen im Kernbezirk und das auch noch an der Seite des Kronprinzen, seine Zunge vorübergehend gelähmt.
„Auf dem Panoramabalkon werden Cocktails gereicht. Begleitet uns doch", schlug Dominiques Ehemann – Walter, so hieß er – vor.
Julian antwortete mit einem langgezogenen „Ja", ohne seinen Blick von Cress abzuwenden.
Er hatte genug Zeit mit ihr verbracht, um zu wissen, dass gerade irgendetwas schief ging.
„Wir kommen in einer Minute nach", sagte er und legte einmal mehr völlig selbstverständlich einen Arm um ihre Taille.
Ascob Silencias Blick brannte wie weißglühender Draht.
Er wandte sich ab, zu verstört, um Cress noch ein freundliches Nicken zu schenken.
Die Adligen verschwanden die Treppe hinauf.
Cress bekam einen Lachanfall, der sie so sehr schüttelte, dass Julian zuerst dachte, sie hätte einen epileptischen Anfall.
„Hast du sein Gesicht gesehen?", fragte sie ihn, mit Lachtränen in den Augen.
Julian blinzelte nur, während er sie davon abhielt in den hohen Schuhen umzukippen. Ihre Körper passten so perfekt zueinander, wie ihre schlechten Witze.
„Woher kennst du Ascob Silencia? Und wieso ist das so lustig?", fragte er in einer Mischung aus Misstrauen und Besorgnis.
Cress schüttelte den Kopf. „Das ist gar nicht lustig. Ich habe nur Panik."
„Und warum?"
Sie atmete zitternd ein.
„Er war es. Er hat mich beauftragt. Für ihn habe ich das Schwert gestohlen."
Etwas wie Angst flutete Julians Augen, als er verstand.
„Er weiß, dass du farblos bist", flüsterte er.
Sie musste nicht einmal nicken. Er fluchte, löste die Arme von ihrem Rücken.
„Ich kümmere mich darum", versprach der Kronprinz. Er umfasste ihren Kiefer mit der linken Hand, sodass sie ihm in die ernsten Augen sehen musste, „Ich lasse nicht zu, dass der Orden herausfindet, wer du bist. Ich verspreche es."
Der Kronprinz ließ sie los, wartete noch auf ihre Zustimmung und verschwand dann mit fliegender Jacke die Treppe hinauf.
Cress stieß die gläsernen Flügeltüren auf, weil sie keine Luft mehr bekam.
Schmetterlinge stoben auf, als sie sich gegen die Wand sinken ließ.
Sie war so gut wie tot. Wie konnte Julian genug gegen den Sternenprediger in der Hand haben, um ihn dazu zu bewegen, dieses Geheimnis für sich zu behalten?
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