▶Paralyse - bewegungsunfähig, ungeeignet, ausgeschlossen
Du willst mir sagen, dass es einen freien Willen für alle Menschen gibt? Dass jeder die gleichen Chancen auf ein gutes Leben hat? Warum ist das nur so unglaubwürdig? Du lebst vielleicht einfach in einer reichen Gesellschaftschicht, hast eine gut bezahlte Arbeit und musst dich um wenig kümmern. Während ich für mein Leben kämpfe. Dafür, dass ich Möglichkeiten wie du bekomme, die man mir verwehrt. Stell dir mal vor, du wärst ich. Ich stecke fest. Eingeengt in meinem Rollstuhl. Warum ich nicht laufe? Weil ich meine Beine nicht mehr fühlen kann. Als wären sie weg. Nie da gewesen. Wie ist denn das Gefühl, gehen zu können? Wegzurennen von all dem Bösen? Das kann ich mir nicht mehr vorstellen. Mein Leben wird erschwert durch das Querschnittssyndrom ab dem Wirbel L2, weshalb meine Beine gelähmt sind und nicht funktionieren. Es ist schon Ironie des Schicksals, wie mir das überhaupt passiert ist. Wie jeder normale Bürger wollte ich einen Job, um genug Geld für das Leben zu bekommen. Also machte ich mich auf den Weg zum Bewerbungsgespräch, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Einen neuen Abschnitt hatte ich auch tatsächlich angefangen. Leider aber auf einer ganz anderen Weise. Anstatt, dass ich als Arzthelferin eingestellt wurde, fand ich mich in einem Krankenhaus wieder. Nicht neben dem Patienten, sondern als er selbst. Man erzählte mir, dass ein betrunkener, viel zu schneller Motorradfahrer mich angefahren hatte, als ich über die Straße ging, während meine Gedanken schon weit weg beim anstehenden Gespräch waren. Nach dem Aufprall folgten Schmerzen, die mich quälten. Bis ich bemerkte, dass ich meine untere Körperhälfte nicht spürte. Da waren die anderen Schmerzen vergessen und ab da brach eine tiefe Verzweiflung über mich ein. Erzähl mir nicht, dass Menschen mit einer Behinderung gleichbehandelt werden oder die gleichen Möglichkeiten im Leben haben. Allein schon Firmen rollstuhlgerecht auszubauen wäre doch zu aufwendig und zu teuer. Und ganz zu schweigen von anderen Benachteiligten, wie den tauben und stummen Menschen. Sie sind körperlich gesehen genauso gut wie die anderen und trotzdem verlieren sie Chancen, die gesunde Menschen hätten? Diese werden einfach alle den Behinderten weggenommen. Was, wenn es der Traumjob einer stummen Person wäre, Schauspieler zu werden? Und dann wird sie abgelehnt, weil sie nicht spricht? Ernsthaft? So schlimm, die Rolle im Skript etwas abzuändern? Der schauspielerische Ausdruck ist ja trotzdem da, auch wenn man nicht dazu sprechen kann. Entweder man bringt die Person auch als eine stumme Person in den Film, wo sie sich dann mithilfe beschriebener Notizblätter unterhält, oder man lässt mithilfe eines Synchronsprechers die Stimme zu der Lippenbewegung hinzufügen. Aufwendig? Ja, aber trotzdem werden dadurch Behinderte, wie hier die stumme Person, nicht gleich abgelehnt und benachteiligt. Nur weil du normal bist und ein gutes Leben führst, heißt dies nicht das wir das auch können. Also ermögliche auch die Freuden und Erfolge im Leben für diese Personengruppe. Ein wichtiger Schritt dafür wäre auch sich entsprechend vor behinderten Personen zu verhalten. Einfach mal Hilfe anbieten, statt sie anzustarren und versuchen die Situation möglichst normal anzunehmen. Beispielsweise sich einfach mit gehörlosen Personen per Zettel und Stift unterhalten, statt eine Lüge dahinter zu suchen. Jeden Tag versuche ich zu verstehen, wieso mein Leben durch einen Rollstuhl symbolisiert wird. Warum manche Menschen so oberflächlich und abwertend denken. Schwierig genug ist es schon für mich ein Vorstellungsgespräch zu bekommen. Ich werde oft schon aussortiert, aufgrund meines Bewerbungsschreibens. Dort erkennt man natürlich meine fehlende Fähigkeit zu gehen. Bei neuen Bewerbungen für einen Job bemerke ich den abwertenden Blick der Arbeitgeber. Ich kann förmlich ihre Gedanken sehen: „Sie sitzt im Rollstuhl. Eine Frau und dann auch noch ohne funktionierende Beine. Wie will sie den effektiv und viel arbeiten?" Das würde sich für diese nicht lohnen. Die Arbeitgeber sollten zumindest den Lohn für die Behinderten nicht kürzen, nur weil sie finden, dass die geringere Arbeitsfähigkeit sich nicht so gut auszahlt. Wenn man also weniger arbeitet, macht es Sinn, weniger Geld für diese schwächere Arbeitskraft auszugeben. Natürlich würde das geheim bleiben, es soll ja keiner was von der Diskriminierung mitbekommen. Dabei wäre es doch einfach dies für beeinträchtigen Personen zu ändern. Damit auch Behinderte angenommen werden, könnten ja die Arbeitgeber für jede Einstellung eine Prämie bekommen. Dadurch verlieren sie kein Geld, wegen der etwas anderen und langsameren Arbeitsweise. Anderseits wäre es auch möglich ein gewisses Verhältnis für die Einstellung von Behinderten vorzuschreiben. Dadurch müsste bei jeder Bewerbungsphase eine gewisse Anzahl an Personen mit Beeinträchtigungen genommen werden. Die Menschen sollen nicht schon im Vorhinein verurteilt werden. Auch wenn diese im Rollstuhl, wie ich, verbannt sind oder anderseits „Mängel" aufweisen, können wir genauso einige Jobs ausführen. Natürlich macht es weniger Sinn eine Arbeit zu machen, wo man in dem Bereich aktiv sein muss, der bei einem eingeschränkt ist. Aber das ist ja kein Grund seine Möglichkeiten nicht auszuschöpfen und dort zu sein, wo es einem auch gut möglich ist. Auch das gesellschaftliche Leben ist einfach unglaublich schwer und eingeschränkt. Ich kann nicht einfach an allen Aktivitäten teilnehmen. Mal ein Besuch in das alte Theater. Schwierig, wenn es dort nicht für Rollstühle ausgebaut wurde. In der Stadt shoppen gehen und danach noch einen Cappuccino trinken. Möglich und doch sehr anstrengend. Nicht in jedem Kaufhaus gibt es auch Aufzüge, um in die unterschiedlichen Etagen zu gelangen. Klamotten anprobieren ist auch nicht einfach und macht somit keinen Spaß mehr. Das Café auf der Terrasse nur über eine Treppe erreichbar. All meine Interessen von früher sind so schwer auszuführen. Es wird Zeit in Bereichen wie Arbeit und Gesellschaft immer mehr auch für beeinträchtigte Menschen Möglichkeiten zu schaffen. Wir sind genauso Menschen wie ihr. Lasst nicht zu, dass dies missverstanden werden könnte, sondern akzeptiert uns. So wie wir sind. Verdammt. Ich stecke hier fest. Und keiner hilft mir aufzustehen. Keiner reicht mir seine Hand, um mich zu retten.
{Juli 2021}
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