▶Das entflammte Licht in mir
Zeit ist das Kostbarste, das existiert.
17:21 Noch 20 Minuten
Jeder Schritt fühlt sich schon an wie eine Erlösung. Jeder unnötige Atemzug ist mir eine Last. Alleine aufgrund dieser einen Erinnerung, die mich nicht loslassen will. Viel zu oft sehe ich diese schreckliche Handlung vor mir. Etwas, was mich zerstört hatte. Ich versuche immer wieder die Erinnerung zu verdrängen, aber sie hat sich buchstäblich in meinen Kopf eingebrannt, sodass sie mich gerade bei jedem Schritt begleitet und mich mal wieder einholt. Die Stimme meines Vaters hallt in mir laut wider: „Ständig machst du nur Fehler." Bei diesen Worten schweifte sein Blick zu meinem leicht gewölbten Bauch. „Ein Kind von diesem Bastard. Das können wir echt nicht gebrauchen. Er wird nicht für dich da sein, um sich um ein anstrengendes Baby zu kümmern. So ist er eben." Ich wusste nicht mehr, was mich damals mehr schockierte. Die Tatsache, dass mein Vater mich vor Zorn bebend, wie schon all die Jahren immer öfter, anfing auf mich einzuschlagen oder dass er seine ganze Wut auf meinen Bauch konzentrierte. Ich konnte mich nicht wehren. Wie den auch? Meine Schreie waren voller Verzweiflung. „Nein. Dad. Tu das nicht." Die Antwort auf meine Schluchzer waren nur weitere Schläge. Warum nur musste er alles in meinen Leben kontrollieren? Er war nicht der einzige mit seelischen Schmerzen. Zumindest war ich diejenige, die alleine nur mit einem Vater voller Wut auf mich aufgewachsen war. Warum nur? Ich konnte doch nichts dafür, dass seine geliebte Ehefrau durch die Geburt gestorben war. Mein Vater ging zu weit. Der Schmerz überwältigte mich und ich krümmte mich zusammen. Meine Tränen tränkten schon nach wenigen Minuten den Boden. Entsetzt fiel mir auf, wie entschlossen mein Vater vorging. Er hörte nicht auf, mich zu schlagen. Mein Keuchen und die verzweifelten Schluchzer durchdrangen die Stille zwischen den Schlägen. „Nein... Nicht." Nur noch ein Beben, ein Flüstern. Mein Körper vor Angst erstarrt. „Schwach. Du bist einfach so schwach" Hämisches Lachen. Weitere Schläge. Dunkelheit nagte an mir. Mein Blickfeld verringerte sich und alles verschwamm in Schwärze. Als ich wieder zu Bewusstsein kam, konnte ich mich kaum bewegen. Mein ganzer Oberkörper war blau und tat höllisch weh. Mein Vater stand neben mir. Sein Blick strahlte voller Missbildung, jedoch blitzte etwas in seinen Augen auf, dass ich nicht ganz zuordnen konnte. Spott? Siegesgewissheit? Seine Stimme durchschnitt die Stille und durchbohrte mich: „Es ist tot." Ich zerbrach. Mein Herz zersplitterte und wurde nie mehr zusammengefügt. Aus meiner Kehle entwich ein verzweifelter Schluchzer.
Ich hasse ihn. Ich hasse ihn so sehr. Sobald ich Glück oder Liebe fühle, zerstört er es. Also warum weiter danach suchen und es wieder verlieren? Inzwischen sind all die Tränen versiegt. Der Schmerz jedoch soll endlich verschwinden. Die kalte Luft umspielt sanft mein Gesicht, als ich aus dieser traumatischen Erinnerung auftauche. Ich sehe mein Ziel klar vor mir, und komme mit jedem entschlossenen Schritt näher. Endlich. Raus aus dieser Qual. Weg mit dem Schmerz und dieser zerstörenden Vergangenheit.
17:31 Noch 10 Minuten
Mein Blick ist nach unten auf den schmalen Pfad gerichtet, als die tiefe Stimme meines Vaters mit einem oft gehörten Satz durch meinen Kopf dringt: „Wer braucht schon jemanden wie dich?" Immer wieder dasselbe. Und es wird einfach nicht besser. Deshalb ist das hier die einzige Lösung. Der Pfad macht eine Biegung, die in den naheliegenden Wald führt. Ich wende mich von ihm ab und gehe quer über die Wiese, bis ich zu einem Gleis gelang, das nach einer Kurve gerade an mir vorbeiläuft. Die Sonne beginnt schon unterzugehen, weshalb ich - genau wie der Zugfahrer dann - geblendet werde. Perfekt. Alles genauso wie geplant. Ich schließe meine Augen, atme tief durch und wärme mein Gesicht in der Sonne. Eine leise nicht zuordenbare warme Stimme beendet meinen stillen Abschied. „Denkst du wirklich, dass du hiermit das Richtige tust? Dass du deine Freiheit bekommst?" Ich blinzle und versuche in dem gleißenden Licht der Sonne eine Person auszumachen. Ich kann nur einen schemenhaften Schatten erkennen. Ein tiefer Seufzer entweicht meiner Kehle. „Immer wieder habe ich mir vorgestellt einen besseren Weg zu finden, aber den gibt es nicht. Jeder Weg endet mal und bei meinen geht es nun mal nicht weiter." Ein leises Lachen kommt von der anderen Seite. „Du denkst das also wirklich. Und du hast dich so darin verstrickt, dass du da nicht mehr rauskommen willst."
Ihre Worte. Ihr Lachen. Sie entflammen etwas in mir. Den Zorn. „Was weißt du denn schon über mein Leben? Warum sollst du denn wissen, wer ich bin?", zische ich der Gestalt zu, die man nicht wirklich erkennen kann. Nur Schemen. „Warum zeigst du dich nicht?", schreie ich sie an. Diese bewegt sich jedoch nicht von der Stelle. "Ich werde gesehen, wann ich es will. Und gehört, wenn man mich braucht."
Schnaubend drehe ich mein Kopf von ihr weg. Mein Blick schweift zu Uhr. Ich hatte alles genau geplant. Das wird mir keiner zerstören.
6 Minuten noch. Dann ist alles vorbei.
„Du kannst mich nicht einfach ignorieren, Süße", dringt die sanfte Stimme zu mir durch. „Versuchen kann man es ja", spotte ich. „Du musst dieses Wrack in dir loswerden. Du solltest wissen, dass es viele Menschen wie dich gibt. Verzweiflung und Einsamkeit bringt sie alle um den Verstand. Aber für was wurde ihnen dann das Leben überhaupt geschenkt? Damit sie es wegwerfen? Damit sie es viel zu früh wieder aufgeben? Nein. Jeder Mensch ist auf seiner Art stark. Jeder muss durch vieles durch. Aber es ist wichtig zu wissen, dass es auch schöne Momente im Leben gibt, die du finden musst."
Ich ziehe meine Augenbrauen ungläubig nach oben. "Wie soll ich den gut leben, wenn das nur so aussieht wie bis jetzt? Alles, was ich geliebt habe, ist weg." „Du sprichst aus Verzweiflung. Siehst nur einen kleinen Teil der Welt. Weißt du, mit der Zeit heilen seelische Wunden, aber die tödlichen körperlichen werden nicht verschwinden, wenn du es in der nächsten Sekunde bereust. Glaub mir, das, was du dadurch bekommst, ist keine Freiheit. Sondern du fliehst. Du läufst einfach weg, wenn es schwer wird, anstatt dich zu stellen und zu kämpfen." Ihre Worte lassen meine eindringlichen Gedanken langsam zu Ruhe kommen. Was wen sie Recht hat? Habe ich doch noch eine Chance auf ein angenehmes Leben?
„Warum sollte ich die Hoffnung suchen? Was wenn ich sie nicht finde und in ein noch tieferes Loch als jetzt falle? Ich könnte das einfach nicht eintragen." Darauf antwortet die Frau mit ruhiger Stimme: „Vielleicht verstehst du es jetzt noch nicht. Aber irgendwann wirst du dies tun. Glaub mir, treffe jetzt nicht die falsche Entscheidung, wenn da noch Licht in dir ist, dass entflammt werden kann und die innere Dunkelheit vertreibt." Niemals hat sich jemand so um mein Wohlergehen gekümmert. So mütterlich. Und voller Wärme. Was, wenn sie recht hat und ich das einfach nicht erkennen konnte, weil ich so in meinem dunklen Denken verstrickt war?
Noch 1 Minute.
„Du denkst wirklich, ich soll mich durchkämpfen und ein neues Leben, was mir gefällt, finden. Wie soll ich denn das schaffen?" In ihrer Stimme nehme ich einen Hauch von Erleichterung und Hoffnung war: "Du musst kämpfen und an dich glauben. Finde das strahlende Licht in dir und vertreibe damit die Dunkelheit. Reise deine Mauern ein und befreie dich aus deinen Problemen. Es hilft, wenn du an eine Sache denkst, die dich glücklich macht. Halte dich daran fest. Sei stark." Kämpfen? Das habe ich schon seit Jahren aufgegeben. Eine Träne verlässt meine Augen, die ich zornig wegschiebe. Aber diese Frau... irgendwie erweckt sie in mir den Wunsch mal ein angenehmes Leben zu führen. Weit weg von dem Einfluss meines Vaters. Was macht mich denn überhaupt glücklich? Liebe und Zuneigung. An diesen muss ich mich festhalten, auch wenn beides mir zurzeit fehlt und ich sie wieder suchen muss. Ich brauche die Hoffnung ein Leben mit neuen Leuten an einem anderen Ort ohne den Einfluss meiner Vergangenheit zu beginnen. Den Schmerz überwinden und sich neu verlieben. Kämpfen. Daran muss ich mich festhalten. Das Geräusch eines sich nähernden Zugs holt mich zurück in die Realität. Mein Blick fällt auf das Gleis und ich mache automatisch einen Schritt auf dieses zu, genau wie ich es die ganze Zeit mir vorgestellt hatte. Ein Plan, der entstand, um auch durchgeführt zu werden. Denn was, wenn ich nicht das finden kann, was ich suche? Wenn ich es nicht schaffe? „Nicht... Mein Kind." Durch das leise Flüstern schweifen meine Augen zu der schemenhaften Person und bleiben auf ihr haften. Die letzten zwei Worte sind kaum hörbar, ich kann sie jedoch trotzdem wahrnehmen. Mein Atem stockt. „Sei stark." Das waren ihre Worte. Sie hat Recht. Ich darf mich nicht aufgeben. Ich muss meine Gedanken unter Kontrolle bringen, und konzentriere mich nur auf die Gestalt. "Mam?" frage ich leise. Sie tritt ein Schritt nach vorne und lächelt mir voller Liebe zu. Ihr ganzer Körper ist in Licht gehüllt, aber ich erkenne die Gestalt einer Frau, die aussieht wie ich in einigen Jahren. Gebannt von dem, was ich sehe, bemerke ich kaum das Geschehen vor mir. Ich kann jedoch die Vibration des Gleises spüren, als der Zug um die Kurve biegt und nah an mir vorbeirauscht. Durch den entstehenden Luftzug schließen sich reflexartig meine Augenlider. Als ich meine Augen wieder öffne, ist meine Mutter verschwunden.
Die Zeit, sie ist abgelaufen.
[erster Entwurf der Geschichte: Mai 2020]
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