5|Bessere Hälften

Sasha rannte mit genervtem Ton in der Stimme durch die Wohnung und suchte nach irgendetwas. Rey lag derweil mit verzweifeltem Gesichtsausdruck auf der Couch und beobachtete ihre beste Freundin mit halb geschlossenen Augen.

"Ich kann ihn nicht anrufen. Wir haben uns bisher nur einmal getroffen und auch wenn es nicht mal so schlecht gelaufen ist, kann ich doch nicht einfach erwarten, dass Aaron plötzlich alles stehen und liegen lässt, wenn ich rufe."

Rey fuhr sich schnaufend durch ihre blonden Haare und ihre Finger blieben in ein paar kleinen Knoten hängen.

"Ich bin mir ziemlich sicher, dass er genau das tun wird. Jetzt, wo er endlich eingesehen hat, dass du das Beste bist, was ihm jemals passieren wird, wäre er mächtig dämlich, wenn er nicht jede Gelegenheit nutzt, dich zu sehen. Ich wette, er wartet nur darauf, dass du dich meldest. Egal, was der Grund sein sollte."

Rey war sich da nicht so sicher. Vor allem aber hatte sie nicht vor, den Eindruck zu machen, dass sie Aaron nur für ihre Zwecke ausnutzte. Und sie erwartete auch gar nicht, dass er überhaupt etwas für sie tat. Soulmates hin oder her, sie waren Fremde.

"Kannst du mich nicht einfach ganz schnell beim Tierarzt absetzen? So ein großer Umweg kann das doch gar nicht sein."

Sasha grunzte leise und riss bei ihrer Suchaktion, nach was auch immer, einen Stapel Zeitungen von der Kommode. Rey dachte kurz nach, einen Kommentar abzulassen, dass sie das Durcheinander auch schön selbst wieder in Ordnung bringen sollte, ließ es aber stecken. Sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass Sasha sie fuhr.

Doch das änderte sich schneller als gedacht.

"Ich fahr dich nicht. Der Termin ist wichtig und wenn ich nicht bald die Unterlagen finde, komme ich ohnehin zu spät. Da ist kein Spielraum mehr für dich. Ich würde dir einfach raten, Aaron zu fragen."

Rey verfluchte sich und ihre Unfähigkeit, Kontakte aufzubauen und Freunde zu finden, die in solchen Situationen aushelfen könnten. Aber es hatte wohl auch keinen Zweck, sich stundenlang darüber zu ärgern, dass ihre Mitbewohnerin keine Zeit für sie hatte und ihre Katze seit drei Tagen nichts gefressen hatte.

"Und was ist, wenn er keine Zeit hat oder keine Lust?"

Sashas sture Fassade bröckelte nicht im Geringsten.
"Je länger du wartest und jammerst, desto weniger Zeit hast du, dir in so einem Fall Gedanken zu machen, wie du zum Arzt kommst. Ich würde mich also beeilen. Und kannst du mir zur Hölle nochmal sagen, wo ich die Briefumschläge hingelegt habe, die ich letzte Woche noch hier auf der Kommode hatte?"

Ein Seufzen war zu hören, dann setzte sich Rey langsam auf und drehte sich um, sodass sie sich über die Sofalehne hängen konnte. Ihre Augen durchsuchten flink das Apartment und als sie einen Haufen Papiere auf der Küchentheke erkannte, deutete sie mit einem türkis lackierten Finger dahin.

"Schonmal das da durchgeschaut?"

Sie beobachtete, wie Sasha zur offenen Wohnküche eilte und nach kurzem Blättern einen triumphierenden Ton ausstieß.

"Danke! Das bedeutet aber trotzdem nicht, dass ich dich fahre. Beweg endlich deinen Hintern und kümmre dich! Ich muss jetzt los."

Sasha stürmte mit großen Schritten zu Rey und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, dann drehte sie sich wieder um, schnappte sich ihre Tasche und verschwand in Windeseile durch die Wohnungstür. Damit verpuffte also Reys Chance und jegliches bisschen Hoffnung, was vielleicht doch noch heimlich in einer kleinen Ecke ihres Kopfes gehaust hatte.

Stöhnend warf sie sich wieder auf die weichen Polster der Couch und landete so, dass ihr Blick auf ihr Handy fiel. Langsam und auf ihrer Wange kauend, griff sie danach, entsperrte es und ging in ihre relativ mickrige Kontaktliste.

Abgesehen von ihrer Familie, einer Hand voll Leuten von Arbeit und Sasha und ihren paar Freunden besaß sie wirklich keinerlei Sozialleben. Nicht, dass es Rey störte. Würde sie es wollen, hätte sie es vielleicht schon geändert, oder sich wenigstens bemüht, die Situation aufzubessern. Aber das tat sie nicht.

Zwar war sie weder schüchtern noch verklemmt und kam an sich auch gut mit Menschen (sogar Fremden) aus, aber sie sah gar keinen Sinn darin, sich mit so vielen anderen abzugeben. Ihr Leben war genau richtig, so wie es jetzt war. Je weniger Leute man kannte, desto weniger Stress und Drama würde man mitbekommen.

Aber einen Freund oder eine Freundin, die sie nun anrufen und um einen Gefallen hätte bitten können, wären tatsächlich von Vorteil gewesen.

Doch das Leben war eben nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen und so biss sie widerwillig in den sauren Apfel.
Sie wusste, dass sie es wie beim Abreißen eines Pflasters tun musste, denn je mehr Zeit sie sich zum Überdenken gab, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht anrief, weil ihre Angst sie davon abhielt. Also klickte sie mit einer schnellen Bewegung auf den Anrufbutton und gab sich keine Chance, länger auf das Display zu starren.

Die Luft anhaltend, ließ sie das Tuten ertönen und wartete ungeduldig und mit einem Kribbeln im Bauch auf die Abnahme. Glücklicherweise dauerte es nicht allzu lange und dann ertönte auch schon eine etwas atemlose Stimme.

"Rey!"

"Aaron!" Mit einem Ruck setzte sie sich kerzengerade hin und fing nach zwei Sekunden an, ihren Körper rastlos zu bewegen, als stände er gnadenlos unter Strom.

"Ist alles in Ordnung?" Rey fühlte sich augenblicklich ein bisschen besser, als sie hörte, dass er so besorgt um sie war und ein Lächeln breitete sich auf ihren rosa Lippen aus. Sie strich sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht, weil sie sie an der Wange kitzelte und sprach dann.

"Ja. Ja, alles ist gut. Ich hoffe, ich störe nicht?"

Ein Klirren war am anderen Ende zu hören und Rey zuckte leicht zusammen, doch Aaron übertönte die Geräusche schnell mit einem lauten: "Nein! Gar nicht! Es ist schön, deine Stimme zu hören."

Wieso auch immer, beschlich Rey das Gefühl, dass Aaron seine Worte augenblicklich bereute und deshalb eine Grimasse zog, doch das war nur eine Vermutung. Sie kannte ihren Seelenverwandten vielleicht auf einem Gefühlsspektrum ganz gut, aber in Echt waren sie sich eineinhalb Mal begegnet. Ganz sicher nicht die Zeitspanne, die es brauchte, um die Macken und Angewohnheiten des anderen zu studieren.

Rey lachte leise und versuchte sich so zu positionieren, dass sie bequem lag. Doch es machte sie immens nervös mit Aaron zu sprechen, sodass sie einfach nicht zum Stillsitzen kam.

"Ich weiß, dass der Anruf mehr als unerwartet kommt. Glaub mir, wenn ich jemand anderen kennen würde, hätte ich da angerufen." Rey lächelte, nur um einen Moment später zu realisieren, dass man ihre Worte falsch aufschnappen konnte.

Also fügte sie schnell hinzu: "Nicht, dass das heißen soll, dass ich dich nicht gerne anrufe. Ich meine, wir kennen uns zwar gar nicht und du musst jetzt nicht denken, dass ich dich ständig anrufen werde, weil mir was auf der Seele brennt. Es ist nur... Soulmates. Wir sind Soulmates. Und ich habe keine Freunde oder Bekannte, die ich momentan um einen Gefallen bitten kann. Deshalb warst du meine einzige Lösung."

Rey war sich zwar vor wenigen Sekunden noch nicht sicher gewesen, ob sich Aaron bei seinen Worten unwohl gefühlt hatte, aber sie war sich nun mehr als bewusst, wie blöd sie ihr eigenes Brabbeln gerade fand. Deshalb verzog sie gequält ihr Gesicht und schlug sich stumm fluchend eine Hand gegen die Stirn.

„Ist schon gut." Aarons Stimme war sanft und verbreitete augenblicklich eine Ruhe in Rey. Da sie genau wusste, wie es sich anfühlte, wenn sie Aarons Emotionen spürte, wusste sie, dass das nicht die Nebenwirkung von seinen starken Gefühlen war. Es war ganz einfach der Ton seiner Stimme, der Rey runterfahren ließ, stellte sie erstaunt fest.

„Tut mir leid. Ich stecke gerade einfach in einer Pattsituation und Sasha hat mich halb dazu gezwungen, dich anzurufen. Ich wollte dich einfach nicht stören und ich erwarte nicht, dass du mir hilfst. Fühl dich keinesfalls dazu genötigt, mir zu helfen. Ich dachte nur, Fragen schadet nicht. Aber ich meine es ernst, du kannst Nein sagen und es wäre auch kein Problem."

Rey biss sich auf ihre Unterlippe und wartete gespannt auf Aarons Antwort. Viel weniger, weil sie wissen wollte, was er sagte. Sie sehnte sich eher einfach nach seiner Stimme, auch wenn sie erst kurz zuvor durch das Handy in ihr Ohr getragen wurde.

Sie fragte sich, ob es allen Seelenverwandten so ging und konnte sich nicht erinnern, jemals etwas darüber gelesen zu haben. Aber Rey war sich sicher, dass sie bereits süchtig nach diesem tätowierten Mann war und das, nachdem er ihr lediglich kleinste Bröckchen von sich gegeben hatte.
Ob sich so Drogenabhängige fühlten?

Rey wusste es nicht, aber sie vermutete, dass ihre Welt zerbrechen würde, falls sich Aaron irgendwann von ihr abwandte. Zwar hatte sie sich einreden wollen, dass sie ihm die Entscheidung freistellen und die ganze Thematik nicht aufzwingen würde, allerdings bezweifelte Rey, dass sie nach dieser unschuldigen Kostprobe des Verbundenseins jemals wieder ohne überleben könnte.

Als Aaron einen Laut von sich gab, der ihr zeigen sollte, fortzufahren, atmete Rey tief durch, um sich zu sammeln und sprach dann weiter.

„Meine Katze ist krank. Oder zumindest denke ich, dass es so ist. Und deshalb habe ich einen Termin beim Tierarzt ausgemacht. Aber Sasha kann mich nicht hinbringen und es ist quasi am anderen Ende der Stadt. Und wie bereits erwähnt, habe ich keine Freunde oder so, an die ich mich wenden kann. Deshalb musst du mich gerade aushalten. Ich wollte fragen, ob du mir den Gefallen tun könntest und mich zum Arzt bringen würdest."

Wieder weigerte sich Rey's Körper zu atmen, in der Angst, dass das leise Einziehen und Ausstoßen der Luft eine Antwort übertönen würde. Und sie fragte sich, warum sie sich so vor seiner Antwort fürchtete. Mehr als Nein sagen, konnte Aaron nicht und sie hatte genügend Verstand, um eine Absage nicht automatisch als Ablehnung gegen sie selbst zu interpretieren. Und trotzdem hoffte sie inständig, dass er zusagen würde.

-

Aaron schaute sich das Gebäude an, in dem Rey zu leben schien. Es war ein Wohnhaus aus hellen Backsteinen, die Fenster waren schwarz gerahmt, genau wie das schmiedeeiserne Geländer der kleinen Treppe, die zur dunkelgrünen Eingangstür führte.

Vom Fußweg aus führte eine weitere kleine Treppe in den untersten Teil des Hauses und Aaron erkannte von weitem ein wild blinkendes Neon Schild, was darauf hinwies, dass dort ein kleines Restaurant geöffnet hatte. Er war sich nicht sicher woran es lag, aber das Gebäude passte zu Rey. Er würde niemals leugnen, dass sie hier wohnte. Und für einen Augenblick stellte er sich die Frage, ob sie auch zu seinem eigenen Haus passte, bevor er den Gedanken schnell wieder verwarf.

Die Realität von Seelenverwandten war ihm immer noch nicht ganz geheuer. Vor allem, weil er sich ständig fragte, ob solche Gedanken, wie dieser gerade eben, ihn auch aufsuchen würden, wenn Rey und er nicht auf magische Art und Weise miteinander verbunden waren.
Machte ihn die Verbindung zu einem schnulzigen Trottel, der von nun an die Welt mit rosaroter Brille sehen würde? Er hoffte es nicht. Nicht nur, weil er Angst hatte, dass er seine Prinzipien vergessen würde und zu einem von Liebe besudelten Roboter mutierte. Aaron wünschte sich einfach, dass Rey und alles, was ihn zu ihr zog, echt war.

Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so gefühlt zu haben, wie er es derzeit tat und er war sich ziemlich sicher, dass es schon nach so kurzer Zeit zu einer Erfahrung geworden war, die er gegen nichts auf der Welt eintauschen würde. Also hielt er einfach hoffnungsvoll daran fest, dass all dies kein Traum war, aus dem er jeden Moment mit einem Schreck aufwachen würde.

Aarons Augen fokussierten sich wieder auf den Eingang des Gebäudes, denn die Tür wurde gerade geöffnet und eine blonde Gestalt huschte in sein Blickfeld. Ohne es wirklich beeinflussen zu können, spannte sich sein ganzer Körper an und er konnte sein Herz laut pochen hören. Leise fluchend, schüttelte er seinen Kopf und fuhr sich mit der Hand durch seine kurzen Haarstoppeln. Was machte diese Frau nur mit ihm, wenn selbst ihr bloßer Anblick zu einem halben Kreislaufkollaps führte?

Ihr spontaner Anruf hatte bereits dazu geführt, dass seine ganze Welt für mehrere Sekunden stehen geblieben war. Zwar hatte er sich insgeheim erhofft, dass Rey sich bei ihm melden würde (er selbst konnte einfach keinen plausiblen Grund finden, um sie anzurufen), aber als sie es schließlich getan hatte, war er genauso vorbereitet gewesen, wie davor. Überhaupt nicht.

Doch irgendwie hatte er es geschafft, zur ihm gesandten Adresse zu fahren und das, ohne einen Unfall zu bauen. Zwar waren seine Gedanken überall gewesen, nur nicht auf dem Straßenverkehr, und die zwei Mal, die er wahrscheinlich geblitzt wurde, waren eher unerfreulich, aber er würde es verkraften.

Alles was in diesem Moment zählte, war die junge Frau, die vergeblich versuchte eine Transportbox mit so wenig Turbulenzen wie möglich zu seinem Auto zu verfrachten. Und als er sie dabei beobachtete, verstummte jeder noch so penetranten Zweifel in ihm, der versuchte, ihn vor ihr zu schützen. Denn Rey verschlug ihm nicht nur die Sprache, sie schien auch alles in und um ihn herum zum Verstummen zu bringen.

Als er zu sah, wie sie ihm entgegen stolperte, stieß er sich schnell von seinem Wagen ab und wollte bereits auf sie zu stürzen, doch genau in dem Moment blickte sie auf und strahlte ihn mit dem wunderschönsten Lächeln der ganzen Welt an.

Sein Körper schloss sich seinen Gedanken an und er war sich fast sicher, dass jeglicher Nerv in ihm einen Kurzschluss hatte, sodass ihm nichts anderes übrigblieb, als auf der Stelle zu erstarren.

Ob es für immer so sein würde, wenn sich ihre Blicke trafen? Dieses Gefühl, welches ihn übermannte, als ob jemand einen Schwarm Bienen in seinem Bauch losgelassen hatte, der nun aus ihm herauswollte?

Er wusste es nicht, konnte nicht einmal sagen, ob ihn dieses Kribbeln störte oder ob er nicht genug davon bekomme konnte, immerhin schien es mit Rey zu kommen. Aaron wusste nur mit absoluter Sicherheit, dass er nie genug von ihrem Strahlen bekommen würde. Es mochte zwar etwas so Fremdes in seinem Leben sein, etwas so Seltenes, dass er sich nicht erinnern konnte, wann er das letzte Mal sowas Wunderbares zu Gesicht bekommen hatte, aber er konnte ganz klar einschätzen, dass es ein Geschenk war.

Wie auch immer er das verdient hatte, er konnte sich immerhin eingestehen, dass er dankbar dafür war. Egal, wie lange das hielt, was Rey und ihn verband, er würde es schätzen, so gut er konnte.

"Hi!" Rey kam vor ihm zum Stehen und grinste ihn schüchtern an. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihr Pferdeschwanz zerzaust und halb aus dem Haargummi gerutscht, doch das machte sie nur noch attraktiver in seinen Augen. Es war sowieso fraglich, ob sie etwas mit sich Anstellen könnte, was ihn nicht zum Innehalten brachte.

Aaron räusperte sich nach ein paar Sekunden des Schweigens und kam sich mächtig blöd vor, als keine Worte seine Kehle verlassen wollten. Doch Rey bekam davon entweder nichts mit oder entschied, die Situation selbst in die Hand zu nehmen. Er war darüber mehr als nur erleichtert.

"Ich hoffe wirklich, dass ich dich von nichts Wichtigem abgehalten habe. Ich hätte sicherlich auch irgendeine andere Möglichkeit gefunden."

"Ach was, ich saß eh nur zuhause rum, ist kein Problem." Aaron hatte nicht vor, ihr jemals zu gestehen, dass er ganz sicher nicht einfach nur in seinem Garten rumgelungert hatte. Er konnte sich bereits vorstellen, welche komischen Blicke er von seinen Kollegen zugeworfen bekommen hatte als er alles stehen und liegen gelassen hatte und in Windeseile verschwunden war.

Es war schließlich kein Geheimnis, dass Aaron keine Verpflichtungen wie eine Familie hatte, für die er pünktlich Feierabend machen musste. Er schuftete sich nicht selten halb zu Tode, schob Überstunden, die eigentlich nicht nötig waren und war immer derjenige, der abschloss. Er hatte aufgehört, zu zählen, wie oft er anderen erklärte, dass ihn seine nicht existente Work-Life-Balance nicht störte und dass er gerne alles so schnell, wie möglich erledigte. Zufriedene Kunden hin oder her, Aaron bekam grundsätzlich eine Runde Kopfschütteln und keinerlei Verständnis von seinen Kollegen ab, doch es war ihm egal.

Umso verwunderlicher musste also sein hastiger Abschied gewesen sein, aber das hatte ihn nicht weiter gekümmert. Rey war seine Priorität gewesen und für etwas anderes war keine Zeit geblieben.

"Ich kann dir nicht genug danken, ehrlich. Du hast was gut bei mir." Rey lächelte ihn dankbar an und seine Lippen verzogen sich automatisch, als ob sie ihn mit guter Laune und Dankbarkeit angesteckt hatte.
"Es ist wirklich kein Problem. Hier, lass mich dir helfen."

Mit schnellen Bewegungen öffnete er die Beifahrertür und Rey grinste bis über beide Ohren.
"Ein richtiger Gentleman, vielen Dank!" Sie schlängelte sich an ihm vorbei und Aaron hätte schwören können, dass sein Herz für einen Moment aussetzte als er ihren süßen Duft einatmete. Ob es ihr Parfüm oder ein Shampoo war, oder vielleicht ihr ganz persönlicher Geruch, es war ihm egal. Er wusste nur, dass er noch nie etwas Besseres gerochen hatte. Nicht mal Lavinia's Zimtschnecken kamen dagegen an und das sagte einiges.

Als Rey auf ihrem Sitz Platz genommen, ihren Gurt angelegt und die Transportbox so günstig wie möglich auf ihrem Schoß positioniert hatte, schüttelte sich Aaron schnell aus seiner Starre. Er wollte nicht komisch rüberkommen. Gott, alles nur nicht das! Und er vermutete, dass es ziemlich eigenartig wirkte, wie er dastand und sich nicht bewegte, während er mit glitzernden Augen auf Rey starrte. Also schloss er eilig die Wagentür und lief mit wenigen großem Schritten zur Fahrerseite.

Nach wenigen Sekunden war auch er sicher auf seinem Sitz platziert und als er sich anschnallte, warf er einen schnellen Seitenblick zu Rey, die bereits ihre Augen auf ihn geheftet hatte. Ihr schüchternes Lächeln und wie sie die Haarsträhnen hastig hinter ihr Ohr schob, gefielen Aaron und er unterdrückte ein Grinsen. Wenn das so weiter ging, würde er in einer Pfütze enden, weil sie ihn zum Schmelzen brachte.

"Das ist übrigens Winnie. Sie macht das Leben ihrer Mum seit ein paar Tagen zur Hölle, weil sie nichts essen will." Rey drehte die Transportbox so, dass Aaron durch das Gitter schauen konnte und seine Augen fanden ohne Schwierigkeiten das kleine Fellknäuel, welches sich dahinter versteckte. Er beugte sich automatisch näher, um einen besseren Blick zu haben und als zwei neugierige Augen zurück starrten, lächelte er.

"Hi Winnie, schön dich kennen zu lernen." Seine Hand ausgestreckt, ließ er seine Finger über das kühle Metall der Tür gleiten, als ob er die Katze streicheln könnte. Erst als er sich wieder Rey widmete und er sah, wie sie ihre Lippen zusammenpresste, als ob sie ihr eigenes Lächeln unterdrücken musste, zog er sich wieder zurück. Räuspernd ließ er seinen Wagen zum Leben erwachen und schaute ein letztes Mal zu seiner Beifahrerin.

"Wohin soll's denn gehen?" Rey schien erst dann zu bemerken, dass sie ihm noch keine Adresse genannt hatte und fing an mit hastigen Bewegungen nach ihrem Handy zu kramen. Als sie es gefunden hatte und kurz darauf herumwischte, las sie erfolgreich eine Anschrift vor. Aaron ließ seinen Wagen mit einem Brummen zum Leben erwachen und reihte sich in den trägen Verkehr ein.

"Dr. Becks ist die beste Tierärztin der Welt, zumindest kann ich das anhand der letzten drei Jahre bezeugen. Es ist zwar sehr ungünstig, dass sie gefühlt am anderen Ende der Stadt ist, aber was tut man nicht alles für seine Vierbeiner..." Rey schaute lächelnd durch die Löcher in der Box auf Winnie nieder und Aaron runzelte überrascht seine Stirn.

"Dr. Medina Becks?" Auf seine zögerliche Frage hin, schaute Rey wieder auf, ihr Gesicht deutliche Verwunderung spiegelnd.
"Ja genau, du kennst sie?"

Aaron dachte einen Augenblick nach, bog auf eine Seitenstraße ab und schüttelte leicht seinen Kopf. Das durfte doch nicht wahr sein!

"Könnte man so sagen. Ich kenne sie seit ein paar Jahren, sie behandelt meinen Hund Cheddar."

Rey gab einen undeutbaren Ton von sich und Aaron warf einen besorgten Blick zu ihr, für den Fall, dass sie sich verschluckt hatte und eine helfende Hand benötigte. Doch Rey schaute ihn nur ungläubig an, ihre blauen Augen weit aufgerissen, genau wie ihr Mund.

"Du willst mir also sagen, dass wir seit mehreren Jahren dieselbe Tierärztin besuchen?"
"Gehören solche Zufälle normalerweise nicht zu dem ganzen Seelenverwandtschaftszeug dazu?", fragte Aaron neugierig, auch wenn er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.

"Unser Leben wird nicht durch unsere Verbindung bestimmt. Zufall bleibt Zufall. Zumindest konnte bisher niemand das Gegenteil beweisen, auch wenn es einige Menschen gibt, die davon sprechen, dass das Schicksal Soulmates ganz sicher zusammenführt. Aber das ist ziemlich einfach zu widerlegen, es gibt viele Paare, die es nie zueinander schaffen, die sich niemals finden und aufeinandertreffen. Zwar hofft jeder darauf, dass man über seine eigenen Wege zu seinem Partner findet, aber nichts ist garantiert." Rey nickte in Aarons Augenwinkel, als ob sie ihre Theorien für sich selbst bestätigte, bevor sie zu ihm sah und fortfuhr.

"Meine beste Freundin hat nie eine Gelegenheit ausgelassen, um mich aus dem Haus zu schleifen, für den Fall, dass mein Soulmate plötzlich auf der Straße stehen würde und wir zusammen knallen. Und mein Standardspruch war immer, dass es passieren würde, wenn es soweit war. Aber das was da gesprochen hat, ist mehr Hoffnung und Trost, als alles andere. Ich konnte mir zwar immer sicher sein, dass da draußen jemand herumläuft, der sich ständig tätowieren lässt, aber die Person nicht zu finden, ist trotzdem eine bohrende Angst, ein ständiger Begleiter, mit dem man in solch einer Situation lebt."

Als Rey ihren Satz beendete, brach eine tiefe Stille zwischen ihnen aus und Aaron begann, nachzudenken. Ihm wurde klar, welche schweren Steine Rey jahrelang mit sich herumgeschleppt hatte. Bürden vom Schicksal auferlegt, die sie mit sich tragen musste, während er nicht einmal wusste, dass sein Gegenstück in der Welt herumirrte, ständig auf der Suche nach ihm.

Ein nagendes Monster begann sich einen Weg durch seine Gedanken zu fressen, eine Schuld, von der Aaron wusste, sie nie begleichen zu können. Und es brauchte nur wenige Sekunden, bevor sich seine Augenbrauen zusammenzogen und die Schuld in tiefe Wut umschwenkte.

Wie konnte es sein, dass jemand so reines wie Rey mit solchen Lasten leben musste, mit der Angst, niemals die eine Person zu finden, die sie ihr Leben lang prägte? Was wäre passiert, wenn sie sich nicht auf der Messe begegnet wären, wenn er ihr niemals über den Weg gelaufen wäre? Wenn er keinen Kumpel gehabt hätte, der ihm den Rücken stärkte, ohne darum gebeten werden zu müssen?

"Es ist nicht deine Schuld und ich kann dir auch nicht sagen, wen man für solche Dinge verantwortlichen machen kann." Für eine Sekunde fragte sich Aaron, ob sie seine Gedanken lesen konnte und er sah sie in der nächsten überrascht an. Dann erinnerte er sich an die emotionale Verbindung, von der Rey erzählt hatte.

"Es ist eine kuriose Sache und zu wenig erforscht, um dir alle Antworten auf alle Fragen zu geben. Ich habe vor langer Zeit aufgehört, nach einem Sündenbock zu suchen, denn es bringt nichts. Das Leben ist, wie es ist. Menschen werden krank, sterben zu früh und werden von tragischen Schicksalsschlägen getroffen, wen kann man dafür verantwortlich machen? Ich konnte mich immer glücklich schätzen, dass nichts davon auf mich zutraf, stattdessen habe ich eine bessere Hälfte bekommen und das ist doch eindeutig besser, oder nicht?"

Aaron setzte dazu an, zu protestieren, denn er wusste ganz genau, dass er sicher nicht Rey's 'bessere Hälfte' war, doch als sie ihre Hand auf seinen Oberarm legte und kurz zudrückte, verstummte jegliches Wort auf seiner Zunge.

"Ich sehe es einfach so: Ich habe dich gefunden und solange du mich willst, werde ich an deiner Seite sein."

Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und als Aaron an einer roten Ampel zum Stehen kam, drehte er seinen Kopf in ihre Richtung, um ihr Gesicht zu studieren. Ihr Lächeln war kaum merklich verrutscht und er fragte sich, welche Gefühle sie gerade vor ihm verbarg. Doch im Gegensatz zu Rey, konnte er keine Verbindung zwischen ihren Emotionen finden. Es enttäuschte ihn ein wenig.

"Was wäre passiert, wenn ich nicht zurückgekommen wäre, nachdem ich vor dir geflohen bin? Denkst du, es wäre schlimmer gewesen, mit dem Wissen zu leben, dass dich dein Seelenverwandter im Stich gelassen hat? Schlimmer, als mich niemals getroffen zu haben?"

Rey runzelte ihre Stirn und wandte sich ein wenig ab, als sie darüber nachdachte. Aaron gab ihr die Zeit und als er wieder losfuhr, ertönte ihre Stimme.

"Vielleicht, ich weiß es nicht. Ich habe immer versucht, mich daran zu halten, meine Hoffnungen im Rahmen zu halten. Ich bin nicht täglich mit der Annahme aufgewacht, dich endlich zu treffen, weil ich festgestellt habe, dass das nicht gesund für mich war. Die Enttäuschung überwiegt letztendlich immer, das darf man nie vergessen. Vielleicht wäre es anders, wenn ich aufwachen würde und wüsste, wer du bist. Oder es würde mich mehr zerfressen, weil ich eine Kostprobe hatte und nie wieder etwas von dir bekommen würde. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht und ich finde es schwer, darüber zu spekulieren. Da ist eine Menge Kopfsache dabei und ein Haufen Gefühle und Mysterien, die dir niemand erklären kann. Jeder Mensch ist am Ende anders, deshalb kann man Soulmates auch so schlecht studieren. Es gibt nicht zweimal dieselben Verbindungen auf der Welt, also wer kann schon beweisen, dass ich genauso reagieren würde, wie jemand anderes, der niemals seinen Seelenverwandten trifft?"

Aaron nickte, auch wenn sein Inneres weiter brodelte. Letztendlich war es ihm egal, wie sich andere in Rey's Lage fühlten, aber der Gedanke, dass sie wegen ihm zerbrach, wegen ihrer Verbindung zu ihm, würde ihn wohl noch eine ganze Weile verfolgen.

"Ist es immer so, dass eine Partei mehr spürt, als die andere? Würde es dich mehr zerstören, wenn wir getrennte Wege gehen, als mich?" Aaron war froh, dass er Auto fuhr, denn er war sich nicht sicher, ob er mutig genug wäre, ihr die Fragen direkt ins Gesicht zu stellen. Die gesamte Thematik war so interessant und machte ihn neugierig, aber gleichzeitig hatte er solchen Respekt davor. Es war lächerlich, aber er hatte Angst, dass er sich durch seine Unwissenheit bloßstellte. Rey schien von seiner Sorge allerdings nichts mitzubekommen, denn sie erklärte alles, ohne einen Hauch von Spott in der Stimme und wirkte auch kein bisschen genervt.

"Anfangs ist das nicht sonderlich überraschend, wenn derjenige, der bereits über Soulmates Bescheid weiß, mehr fühlt. An sich kann ich mir auch vorstellen, dass du nicht weniger empfindest, als ich. Aber ich kann bestimmte Dinge besser interpretieren und steuern, ich hatte Jahre, um mich damit auseinander zu setzen, zu lernen und zu üben. Du wurdest von einer Sekunde auf die andere damit überrumpelt."

Rey hielt kurz inne und Aaron vermutete, dass sie ihre Gedanken sammelte. Er konnte es ihr nicht verübeln, immerhin bombardierte er sie mit einer tiefgründigen Frage nach der anderen. Er schätzte, keiner von ihnen hatte damit gerechnet, dass die Autofahrt zum Tierarzt eine solche Wendung einnehmen würde. Aber er war froh, mehr zu lernen und zu verstehen.

"Was deine zweite Frage betrifft... Nehmen wir an, du hättest dich entschieden, dass du mir keine Chance gibst, dir die Soulmate Sache zu erklären und stattdessen wärst du geflohen und hättest nie wieder zurückgeblickt; ich bin mir ziemlich sicher, dass es mich stärker getroffen hätte. Aus demselben Grund, wieso ich unsere Verbindung wahrscheinlich stärker spüre, als du. Selbst ohne ständige Erwartungen, war mir fast mein halbes Leben lang mehr oder weniger bewusst, dass da draußen jemand ist, der perfekt auf mich abgestimmt ist. Was für mich jahrelanges Hinarbeiten auf den einen Moment war, ist für dich eine flüchtige, sehr verwirrende Erfahrung gewesen. Selbst wenn unser Treffen ein Trigger gewesen wäre, würdest du wohl nicht wissen, was mit dir geschieht, oder wie du damit umgehen müsstest.

Wenn du entscheidest, dass sich unsere Wege trennen, nachdem ich dir einige Dinge erklärt habe, oder wann immer du denkst, dass es dir reicht... nun ja, ich denke, es kommt ganz darauf an, wie sehr du dich auf die Sache einlässt. Vielleicht würde es dich auch kein bisschen stören, das kann ich dir nicht genau sagen, solange es nicht passiert ist. Es ist reine Theorie und eine Menge Vermutungen, die ich anstelle."

Aaron entging nicht, dass Rey nur Anspielungen darauf machte, dass sich ihre Wege seinetwegen trennen würden. Kein einziges Mal hatte sie erwähnt, dass sie womöglich keine Lust mehr auf ihn haben und ihn links liegen lassen würde.

Er fragte sich augenblicklich, ob sie so wenig Vertrauen in ihn besaß oder ob er den Anschein machte, das Bedürfnis zu haben, sich so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen. Doch dann erinnerte er sich an seinen dramatischen Abgang nach ihrem ersten Zusammentreffen und sein kindisches Verhalten danach, bevor er sich bei Rey gemeldet hatte und er konnte es ihr nicht wirklich verübeln.

"Ich habe nicht vor, nochmal abzuhauen." Seine Worte waren ernst gemeint, auch wenn er sich nicht sicher war, was die Zukunft mit sich brachte. Das alles war zweifellos angsteinflößend und passierte in so kurzer Zeit, dass sein Kopf panisch danach bat, sich allem Stück für Stück anzunehmen, anstatt Kopfüber in das Chaos einzutauschen. Aber Rey machte es ihm unglaublich schwer, sie auf Armeslänge zu halten, um alles langsam anzugehen, denn Aaron wollte mehr.

Und er wollte Rey nicht noch einmal im Stich lassen.

"Hör mal, ich erzähle dir nicht davon, um dich auf ewig an mich zu binden. Für mich ist das auch alles neu, ich weiß nicht, was auf uns beide zukommt, dafür reichen zahllose Bücher und Interneteinträge nicht aus. Aber ich will, dass du weißt, dass du mit mir immer eine freie Wahl haben wirst. Ich will dich zu nichts drängen, dich nicht manipulieren, an etwas festzuhalten, was für dich nicht das Richtige ist. Wenn du sagst, es reicht dir, dann bleib nicht bei mir, weil du ein schlechtes Gewissen haben wirst, wenn ich es nicht verkrafte."

Aaron's Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als er Rey's Stimme so flehend hörte und er riskierte einen Blick in ihre Richtung. Das Herz rutschte ihm, wenn möglich noch tiefer in die Hose, als er ihre großen Augen und die deutlich nach unten gebogenen Mundwinkel erkannte. Er befürchtete, dass sie jede Sekunde in Tränen ausbrach und der bloße Gedanke daran, schmerzte ihn.

Er war noch nie so froh, direkt in die Schlange einer roten Ampel zu fahren, wie in diesem Moment, denn es gab ihm genug Zeit, sich erneut zu seiner Beifahrerin – seiner Seelenverwandten - zu drehen. Er zögerte nicht, als er seine Hand nach ihr ausstreckte und ihre Wange gegen seine Finger schmiegte. Es gab nichts, was er jemals mit mehr Überzeugung getan hatte und als er das Glitzern in Reys Augen zurückkehren sah, wusste er zwei Dinge.

Nummer eins: Er würde Berge verschieben und durch Ozeane schwimmen, nur um diese Sterne zu Gesicht zu bekommen.

Nummer zwei: Sein Herz, seine Seele, ja vielleicht sein ganzes Dasein war bereit, sich Rey hinzugeben und nichts würde ihn mehr davon abhalten.  


Ich beehre euch am Ende des Jahres doch noch mit einem Kapitel, welches schon seit Wochen fertig aber unüberarbeitet bei mir lag. Ich hoffe, es gefällt euch und ihr kommt gut ins neue Jahr. Stellt euch nicht zu viele Vorsätze, immerhin seid ihr hier, so falsch könnt ihr euer Leben nicht führen... hoffe ich doch :) 
Also schön, bis nächstes Jahr meine Lieben!

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