4|Emotionen und Gefühle

Rey trat paar Schritte nach hinten, strich sich mit der Hand eine Strähne aus dem Gesicht und betrachtete das Kunstwerk vor ihr. Die Stunden, die sie in das Bearbeiten der mannsgroßen Leinwand gesteckt hatte, schienen sich in ihren Augen gelohnt zu haben.

Zumindest war die Künstlerin vorerst zufrieden, wie sich die Farben mischten, Kontraste bildeten und die Kreation entstand, die sie so detailliert in ihrem Kopf erschaffen hatte. Sobald der letzte Schliff vollbracht wäre, könnte sie es zu der restlichen Sammlung stellen und sich einem neuen Projekt widmen.

Aber nun, nachdem sie den gesamten Morgen bis hinein in den Nachmittag gearbeitet hatte, würde sich Rey eine Pause gönnen. Sie wusch den Pinsel sorgfältig aus, legte ihn dann zur Seite und machte sich auf den Weg zur Stereoanlage, aus der ein klassisches Lied erklang. Mit der Zeit hatte Rey gelernt, dass sie am besten mit solchen Tönen arbeiten konnte, weil sie dann abschaltete und sich voll und ganz ihrer Arbeit zuwandte.

Auch heute war sie glücklich, wie die Musik sie beeinflusste – was für eine Wirkung sie hatte. Denn sobald alles verstummte und man nichts weiter in dem hellen Raum hörte, schossen unzählige Gedanken durch Reys Kopf und sie musste erstmal tief durchatmen, so überwältigt war sie.

Normalerweise gab es haufenweise Dinge, die ihre Gedanken plagten, ob es nun Sachen waren, die sie noch zu erledigen hatte, oder Probleme, denen sie sich stellen musste. Doch nun gab es nur Aaron, der sie beschäftigte.

Ihr Soulmate. Der Mann, der sie hatte stehen lassen und der trotz dessen ihr Herz innerhalb weniger Sekunden gestohlen hatte. Zumindest fühlte es sich derzeit so an, denn auch wenn Rey es vermied, Bitterkeit und Wut für Aaron und ihre Situation zu empfinden, konnte sie nicht leugnen, dass sich ihr Inneres anfühlte, als wäre jemand mit einem Mähdrescher über sie gefahren und hätte alles in Schutt und Asche verwandelt.

Aber die blonde Frau hielt sich zurück, hielt ihre Emotionen in Schach und versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Sie wusste, dass es noch zu früh war, sich in Trauer zu kleiden, denn sie konnte es spüren. Konnte ihn spüren und wusste, dass ihn Verwirrung, Zweifel und Angst auffraßen.

Rey würde Aaron Zeit geben, auch wenn es sie innerlich quälte, wie nichts anderes auf der Welt. Das Wissen, dass es nichts bringen würde, ihn zu seinem Schicksal zu drängen, wenn er es nicht wollte, hinterließ einen bitteren Geschmack in ihrem Mund. Aber Rey wusste, dass sie seine Entscheidung akzeptieren würde, egal wie sie ausfiel. Denn sie war sich sicher, dass sie lieber ihr Leben lang einen Teil von sich vermissen würde, anstatt ihrem Soulmate schaden zu wollen.

Sasha konnte das nicht verstehen. Sie versuchte Rey seit Tagen dazu zu bringen, nach einer Möglichkeit zu suchen, Kontakt aufzubauen und nicht aufzugeben. Doch sie ahnte nicht ansatzweise, was Rey fühlte. Denn egal wie oft die Künstlerin versuchte, typische Merkmale einer solchen Verbindung zu erklären, es war für jemanden, der nicht betroffen war, kaum möglich zu begreifen, was das alles bedeutete.

Rey hatte sich damit abgefunden, dass ihre Freunde und Familie nie die Ausmaße verstehen würden, genau wie sie akzeptiert hatte, dass Aaron Zeit brauchte, um all das in sich aufzunehmen und eine eigene Entscheidung zu treffen. Und aus diesem Grund hielt sie sich zurück und versuchte sich einzureden, dass sie einfach wieder zu dem Alltag zurückkehren würde, den sie vor dem Treffen mit Aaron geführt hatte.

Das mochte vielleicht nicht mehr so einfach sein, weil nun ständig dieses einzigartige Gesicht in ihren Träumen herumschwirrte, aber Rey war stark und sie wusste, dass sie es schaffen würde.

Mit einem leisen Seufzer griff sie nach ihrem Handy und suchte in ihren Kontakten nach ihrer Mitbewohnerin. Kurz darauf dröhnte ein bekanntes Tuten durch das Telefon und nach dem dritten Klingeln nahm Sasha ab.

"Hey! Alles okay?" Ein Lächeln schlich sich auf Reys Gesicht, als sie die Besorgnis in der Stimme ihrer Freundin heraushörte und ein belustigtes Schnaufen entfloh ihrer Nase.
"Mir geht's gut, keine Sorge. Ich wollte nur fragen, ob ich was zu essen mitbringen soll. Ich mach gleich Feierabend und würde noch bei Joey's vorbeikommen."

"Du bist ein Engel. Wirklich! Schon der Gedanke, dass ich später noch Essen machen müsste, hat mir die Lust aufs Nachhause Gehen verdorben. Wenn du mich später suchst, ich bin der Zombie auf der Couch."

Sasha lachte, woraufhin auch Rey mit einstimmte und sich mental schon eine Notiz schrieb, was die Standard Bestellung ihrer Mitbewohnerin war.
"Alles klar. Dann sehen wir uns später", verabschiedete sich Rey grinsend und legte nach Sashas Antwort auf. Sie steckte ihr Handy in die Tasche ihrer Jeans-Latzhose und schnappte sich den kleinen Rucksack, den sie immer mit in ihr Atelier nahm. Mit einem letzten Blick durch den Raum versicherte sie sich, dass alles an Ort und Stelle war und auch nichts vergessen wurde.

Dann schloss Rey ab und machte sich gedankenverloren auf den Heimweg. Wie nicht anders zu erwarten, konnte sie sich nicht davon abhalten, Aaron im Geiste zu sehen und auch wenn ihr bewusst war, dass sie sich das Leben damit nicht vereinfachte, grübelte sie darüber, wie es wohl sein würde, wenn er hier bei ihr wäre.

Sie stellte sich vor, wie er seine große Hand um ihre Finger schloss und wie vollkommen und unbesiegbar sie sich fühlen würde. Nur zu gern hätte sie gewusst, ob auch Aaron darüber nachdachte, aber Gedankenlesen gehörte nicht zu den Dingen, die Seelenverwandte tun konnten und wenn Rey darüber nachdachte, war sie auch ganz erleichtert darüber.

Die Idee, dass jemand in ihren Kopf schauen und ihre Gedanken lesen konnte, hatte ihr schon immer Angst gemacht. Ein großer Grund, warum sie das erste Mal, als sie bewusst Gefühle eines anderen in sich spürte, alles andere als freudig reagiert hatte.

Damals war sie weinend in ihr Bett gekrochen und hatte mit aller Kraft versucht, an nichts zu denken. Die Panik, dass jemand hören konnte, was in ihr vorging, hatte sie überwältigt und drohte, sie zu verschlingen. Doch irgendwann, mit viel Zuspruch von ihren Eltern und eines Therapeuten, hatte sie sich beruhigt, nicht mal ansatzweise ahnend, worin all das Sonderbare führen würde.

Zu Reys persönlichem Glück war das Teilen von Emotionen und Gefühlen eines der ersten Sachen gewesen, die sie in ihrer jahrelangen Recherche über die Verbindung erfahren hatte. Und als sie den allgemeinen Schock und die Angst überwunden hatte, konnte sie sich nicht nur damit abfinden, dass dieser Teil ihrer Selbst niemals komplett verborgen und unantastbar sein würde. Sie hatte auch schnell begriffen, dass diese Eigenschaft sowohl Gutes als auch Schlechtes mit sich bringen konnte.

Es hatte nicht lange gedauert, da war sie fest entschlossen, sich niemals wieder schlecht zu fühlen. Reys Plan war gewesen, jegliche toxischen Emotionen hinter einer dicken Tür in ihrem Kopf einzusperren und nichts davon jemals wieder zu fühlen, damit auch ja kein Funke davon ihrem Soulmate schaden konnte.

Allerdings war der Schuss schneller als gedacht nach hinten los gegangen und sie musste sich eingestehen, dass ihr Vorhaben nicht so einfach durchzuführen war, wie anfangs gedacht. Denn Gefühle hatten ihre ganz eignen Regeln und Rey war nicht dazu bestimmt, sie in irgendeiner Form zu ändern.

Und so beschloss sie das Beste aus der Situation zu machen. Wenn sie schon nicht ihre unschönen Gefühle wegsperren konnte, dann würde sie wenigstens versuchen, ihre schönen Emotionen häufiger zu entfachen und hoffen, dass sie sie stärker durch das Band schicken konnte.

Ob sie jemals erfolgreich gewesen war, hatte sie niemals erfahren und falls Aaron niemals Kontakt zu ihr aufnahm, würde es wohl für alle Ewigkeit ein Mysterium bleiben.

Rey bekam fast gar nichts von dem zehnminütigen Schlendern bis zur Bahnhaltestelle mit, weil sie so in Gedanken und Erinnerungen versunken war. Erst als sie beinahe mit dem Rollator einer älteren Dame zusammenstieß und sich mehrfach entschuldigen musste, schien sie wieder zu sich zu kommen.

Ein Blick zur Anzeige über ihrem Kopf, ließ sie wissen, dass sie noch sieben Minuten warten musste, bis die Straßenbahn vor ihr zum Halt kommen würde, deshalb holte Rey ihr Handy raus und checkte träge ihr E-Mail-Postfach.

Sie wollte gerade in den Spam-Ordner wechseln, um zu überprüfen, dass auch nichts Wichtiges verloren ging, da poppte eine Nachricht im oberen Bereich des Displays auf. Das erste, was Rey erkannte, war eine fremde Nummer. Sie wusste direkt, dass sie die Person nicht kannte, weil sie alle Nummern einspeicherte.

Früher hatte sie immer gedacht, dass jeder normale Mensch genau das tun würde, aber dann hatte sie Sasha kennengelernt, die nur dann jemanden in ihren Kontakten speicherte, wenn sie mehr als drei Tage am Stück mit der Person schrieb und Rey stellte seitdem alles für sie 'Normale' in Frage.

Neugierig tippte sie auf die Nachricht, beinahe mit der Befürchtung, dass es doch nur ein neues Tarif-Angebot war. Doch dann las sie ein Wort, welches sicherlich keine Massen-Werbung von einem Unternehmen war.

Hey

Rey zögerte einen Moment, nicht genau wissend, was sie mit der Nachricht anfangen sollte. Dann tat sie das wahrscheinlich Sinnvollste und schrieb zurück.

Hi. Wer ist das?

Sie biss sich auf die Unterlippe und fing an, darauf herumzulaufen, während sie auf eine Antwort wartete. Zum Glück musste sie das gar nicht lange. Aber in den paaren Sekunden machte sie sich trotzdem einen Kopf, wer zur Hölle ihre Nummer haben könnte.

Normalerweise lief es immer so ab, dass sie ihre Nummer rausgab und innerhalb weniger Sekunden eine Test-Nachricht bekam, damit beide Parteien sicher sein konnten, dass der Nummer Tausch geklappt hatte.

Doch als sie die Antwort sah, wurde ihr einiges klar.

Aaron

Reys Herz setzte einen Moment aus und schlug dann doppelt so schnell weiter. Mit diesem einen Wort spürte sie, wie ihre Hände begannen, zu schwitzen und augenblicklich jede Faser in ihrem Körper bereit war, alles zu tun. Eine beinahe schmerzhafte Gänsehaut zog sich über ihre Arme und Beine und eine Horde Elefanten schien plötzlich durch ihren Magen zu trampeln.

Hart schluckend, zwang sie ihre zitternden Finger eine ordentliche Nachricht zurück zu schreiben. Doch bevor sie hätte absenden können, erschien bereits etwas Neues von Aaron.

Können wir uns treffen?

Ein überraschter Ton entfloh Reys Kehle und beinahe hätte sie sich an ihrem eigenen Atem verschluckt, doch sie versuchte sich zusammen zu reißen und einen kühlen Kopf zu bewahren.
Zwar hatte sie nicht ansatzweise mit dieser Wendung gerechnet und eine leichte Überforderung drohte sich in ihr auszubreiten, doch sie wusste, dass das vielleicht eine einmalige Chance war und sie sie keinesfalls vermasseln durfte.

Ja klar, sehr gerne.

Mit klopfendem Herzen wartete Rey erneut ungeduldig auf eine Antwort und als sie für einen kleinen Moment nach oben schaute, um ihre Umgebung zu studieren, stellte sie mit Entsetzen fest, dass ihre Bahn gerade vor ihrer Nase davonfuhr.

Sie stieß einen unzufriedenen Laut aus, konzentrierte sich dann aber wieder auf ihr Handy. Die nächste Bahn würde es auch tun.

Im Café am Park in einer halben Stunde?

Für einen Moment realisierte die Blondine nicht, was die Worte bedeuteten, doch als ihr klar wurde, dass Aaron vorhatte, sich noch heute zu treffen, wurde ihr für einen Moment heiß und kalt zugleich. Ihr Kopf war plötzlich mit allerlei Dingen gefüllt, wie etwa die Frage, ob sie überhaupt bereit für ein erneutes Treffen war.

Doch sie schob all die Zweifel zur Seite. Natürlich war sie bereit ihren Soulmate noch einmal zu sehen. In den letzten Tagen hätte Rey nichts lieber gemacht, als das. Also schrieb sie eine kurze Antwort, in der sie zustimmte und lief dann mit schnellen Schritten los.

Zwar konnte sie nun glücklich sein, dass sie nicht in ihre Bahn gestiegen war und somit in die entgegengesetzte Richtung des Treffpunktes fuhr. Allerdings neutralisierte sich das Glück, wenn sie die Tatsache betrachtete, dass sie eindeutig mehr als eine halbe Stunde bis zum Park brauchen würde.

Doch das hielt Rey nicht auf und sie überlegte beim Laufen, welcher Weg sie am schnellsten zum Café bringen würde. Auch wenn sie zu spät käme, hätte sie dann immerhin ihr Bestes gegeben.

-

Aaron tippte ungeduldig mit seinen Fingern auf seinem Oberschenkel herum und ließ seine Augen suchend durch die Gegend schweifend, als ob er Rey zwischen den anderen Menschen in dem kleinen Café plötzlich entdecken würde.

Langsam machte sich ein ungutes Gefühl in ihm breit. Er wartete schon seit über einer dreiviertel Stunde und mit jeder Sekunde, die verging, ohne, dass die blonde Frau auftauchte, auf die er fast schon sehnsüchtig wartete, stiegen Zweifel und Ängste in ihm auf.

Was war, wenn Rey ihre Meinung geändert hatte und doch nichts mit ihm zu tun haben wollte? Oder vielleicht hatte sie sich nur einen Witz erlaubt, als sie zu dem Treffen zugesagt hatte und lachte sich nun irgendwo eins ins Fäustchen, weil er so naiv daran glaubte, dass sie kam.

Nervös fuhr er sich durch die kurzen Stoppeln auf seinem Kopf und warf das gefühlt hundertste Mal einen Blick auf seine Uhr. Langsam dachte er ernsthaft darüber nach, zu gehen und nie wieder zurück zu blicken. Er hatte anscheinend seine Chance mit Rey verspielt.

Seufzend setzte er dazu an, aufzustehen, doch plötzlich machte sich in ihm eine unerklärliche Erleichterung breit und seine Augen schossen zur Tür des Cafés.

Und dort stand sie.

Reys Haare waren in einem Dutt zusammengebunden, aber fast die Hälfte ihrer blonden Strähnen war inzwischen rausgerutscht. Ihr Wangen waren gerötet und sie sah aus, als wäre sie einen Marathon gerannt. Doch Aaron nahm nichts davon wirklich wahr.

Er konnte nur zu ihr starren, denn es war fast so, als würde ein helles Licht aus ihrem Inneren strahlen und ihn wie magisch anziehen.

Er fragte sich, ob er dasselbe gesehen hätte, wenn er auf der Messe nicht wie ein Feigling davongerannt wäre, doch bevor er weiter darüber nachgrübeln konnte, trafen Reys blaue Augen auf seine und alles in ihm verstummte.

Für eine Sekunde schien alles stillzustehen und das zusammengewürfelte Brummen der Café Gäste war kaum noch zu hören.

Und dann lächelte Rey.

Wäre Aaron beim Anblick ihrer leuchtenden Aura an einem Herzinfarkt gestorben, hätte ihr sanfter Blick ihn mit Sicherheit wieder zum Leben erweckt, da war er sich sicher. Sein Herz schien so laut und schnell in seiner Brust zu pochen, dass er Angst bekam, jemand an den umliegenden Tischen könnte ihn hören.

Doch sein Hirn glich kurz darauf wieder einer kahlen Wüste, als sich Rey einen Weg zu dem runden Tischchen bahnte, an dem Aaron sich vor fast einer Stunde platziert hatte. Er beobachtete aufmerksam, wie sie einem Kellner auswich und kurz wartete, als ein älterer Herr seinen Stuhl in ihren Weg schob, um aufzustehen. Dann kam sie näher und schließlich stand sie vor ihm.

Die ganze Zeit, die er hier gesessen hatte, war Aaron vorgekommen, wie eine halbe Ewigkeit und das hatte er genutzt, um sich auf genau diese Situation vorzubereiten und sich zurechtzulegen, wie er handeln und was er sagen würde.
Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass Reys Anblick ihn so sprachlos machen würde.

Etwas unbeholfen und mehr als nur überfordert, stand Aaron schließlich mit leicht zitternden Knien auf. Was genau er damit bezwecken wollte, war ihm nicht ganz klar, aber es war bereits zu spät.

"Hey" er hoffte inständig, dass Rey nicht hören konnte, wie nervös er war. Doch falls sie es tat, dann ließ sie es sich nicht anmerken, sondern lächelte einfach noch breiter. Wenn er nicht aufpasste, würde er den heutigen Tag in Reys Präsenz womöglich nicht überleben, schoss es Aaron durch den Kopf.

"Hi. Tut mir echt, dass es so lange gedauert hat. Ich habe irgendwie verpeilt, dass hierher auch Bahnen fahren und bin stattdessen durch die halbe Stadt gerannt. Und ich kann nur sagen, dass meine Ausdauer... nicht die beste ist. Ich hätte einfach schreiben sollen, aber wenn eine Sache in meinem Leben schief geht, läuft meistens alles aus dem Ruder."

Rey lachte verlegen und versuchte vergebens ein paar der wilden Haarsträhnen in Ordnung zu bringen, die wahrscheinlich in all der Eile aus ihrer ursprünglichen Form gerutscht waren. Aaron betrachtete sie aufmerksam und hätte sich am liebsten selbst in sein Hinterteil getreten. Wieso hatte er auch festgelegt, dass sie sich eine halbe Stunde nach seiner Nachricht treffen würden?

Er hätte bedenken müssen, dass sie vielleicht beschäftigt war, oder sich womöglich nicht mal in der Stadt aufhielt. Wegen ihm hatte sie sich beeilt und während das an sich nichts Dramatisches darstellte, schweiften Aarons Gedanken automatisch, ohne dass er es hätte steuern oder aufhalten können, in dunklere Richtungen. Sein Hirn zeigte ihm Bilder von Rey, wie sie über Straßen rannte, ohne kommende Autos zu bemerken...

Doch glücklicherweise wurde er nicht in diese Fantasien gezogen, da Rey ihre Hand ausstreckte und sachte über seine Finger strich.

Geschockt schaute er zu ihr und als sie seinen Blick bemerkte, ließ sie ihn schnell wieder los und ließ sich mit einem kleinen, beinahe schüchternen Schmunzeln auf dem Stuhl nieder, dem er gegenübergesessen hatte.

Nach einem kurzen Zögern, ließ sich auch Aaron wieder auf seinem Platz nieder, konnte aber nicht aufhören, Rey anzustarren, als wäre sie nicht von dieser Welt. Sie musste seinen Blick bemerkt haben, denn sie schaute ihn etwas unsicher an und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her.

"Ich hoffe, du bist hier aus freien Stücken und nicht, weil dich jemand gezwungen hat", brach sie schließlich die Stille zwischen ihnen. Aaron räusperte sich und schüttelte schnell den Kopf.
"Nein, nein. Ich wollte dich treffen. Ich meine, Nick hätte mich wahrscheinlich auch irgendwann dazu gezwungen, aber ich schätze, ich habe noch früh genug die richtige Entscheidung getroffen."

Er fuhr sich wieder über seine kurzen Haare und bemerkte schnell, wie sich Reys Augen auf den Teil seines Kopfes fokussierten und sie sich auf die Lippe biss. Sie sagte jedoch nichts dazu und konzertierte sich schnell wieder auf sein Gesicht, was ihm persönlich lieber war.

"Das alles muss absolut komisch für dich sein. Und ich will dir auf jeden Fall sagen, dass es mir leidtut, dass das letztens alles so plötzlich passiert ist. Du musst dich unglaublich überrumpelt gefühlt haben, ich kann es mir gar nicht vorstellen, da bin ich mir sicher. Aber ich verurteile keine deiner Reaktionen oder Entscheidungen."

Rey schien es nicht lassen zu können, oder sie bemerkte nicht einmal, was sie tat. Aber erneut legte sie ihre Finger über Aarons. Dieses Mal zog sie sie allerdings nicht weg, als er nach unten blickte und seine Augen neugierig über die Tattoos glitten, die auch seine eigenen Hände bedeckten.

"Wenn du Zeit brauchst, um das alles zu verarbeiten, oder wenn du... dich dazu entscheidest, dass das alles nichts für dich ist..., dass ich nichts für dich bin, dann werde ich das hinnehmen und du musst dich dafür nicht schlecht fühlen. Auf gar keinen Fall. Mein Ziel war es, irgendwann meinen Soulmate zu finden und das habe ich getan. Also können wir all das auch einfach hinter uns lassen, wenn du das willst."

Aaron runzelte während Reys Monolog seine Stirn. Er kannte sich mit der ganzen Thematik nicht aus, hatte noch nie etwas davon gehört und war sich bis vor ein paar Stunden nicht mal sicher, ob er was damit zu tun haben wollte oder dem überhaupt Glauben schenken sollte.
Doch als er hörte, dass Rey es akzeptieren würde, wenn er die scheinbare Verbindung zwischen ihnen zurückwies, rührte etwas in ihm.

Er war sich nicht einmal sicher, was es war, aber Aaron wusste genau, dass es kein Gefühl war, was er gerne spüren wollte. Demnach handelte er aus purem Reflex, als er seine Hände Reys Fingern entzog und sie stattdessen um ihre schloss.

Augenblicklich verstummte die junge Frau und schaute ihn mit großen Augen an.
"Ich weiß nichts über diesen Soulmate Kram, aber ich... würde gerne lernen, wenn das okay ist?"

Auf seine zögerliche Frage hin, nickte Rey und ihre Mundwinkel zogen sich nach oben.

"Ich werde mein Bestes geben, dir alles zu erklären. Natürlich Stück für Stück, ich will dich nicht nochmal davonjagen", witzelte sie und beobachtete, wie Aarons Daumen über ihren rechten Handrücken streichelte.

In Reaktion zu ihren Worten, spannte er sich augenblicklich an und ein schlechtes Gewissen machte sich in Aaron breit. Er wollte gar nicht wissen, wie sich Rey in den letzten Tagen gefühlt haben musste. Immerhin hatte sie gedacht, sie habe ihren Seelengefährten gefunden und gerade dann war er weggerannt, wie ein Idiot.

"Du musst dich nicht schlecht fühlen. Wer weiß, wie ich reagiert hätte, wenn jemand dahergelaufen kommt, mit den gleichen Tattoos und alles und dann von einer schicksalshaften Verbindung spricht. Wahrscheinlich wäre ich auch um mein Leben gerannt."

Aaron schaute Rey aufmerksam an und schnaufte leise durch seine Nase. Es war komisch, dass sie ihn so gut lesen konnte und er fragte sich, ob das irgendwas mit dem Band zutun haben könnte. Und trotz der Tatsache, dass Rey ihm gegenübersaß und ganz offensichtlich mehr wusste, als er, musste er sich überwinden, eine Frage zu formulieren.

Irgendwie wollte ein Teil von ihm noch nicht daran glauben, dass ausgerechnet diese Frau zu ihm gehören sollte. Sie schienen auf den ersten Blick so gegensätzlich zu sein, dass es Aaron schwerfiel, das einfach hinnehmen zu können.

Er selbst sah sich als gebrochener Mann, geschunden und zerstört von seiner Vergangenheit, die ihn ständig einzuholen schien. Und Rey, die nun vor ihm saß, ihn anlächelte und nicht einmal zu wissen schien, dass ihr Farbspritzer an Haut und Haar klebten, erschien Aaron wie eine sanfte Blume im lauen Sommerwind.

"Wie kannst du wissen, wie ich mich fühle?", fragte er letztendlich. Seine Augen wanderten nun rastlos auf jeder freigelegten Stelle Haut umher, da er fürs Erste ihrem Blick ausweichen wollte und zudem mehr und mehr fasziniert war, wie seine Tattoos an ihrer zierlichen Figur wirkten.

"Oh, nun ja. Das ist eine Fähigkeit, die Soulmates haben." Aaron blickte perplex auf.
"Keine Sorge, ich lese nicht deine Gedanken, oder so. Ich spüre nur... naja, dich. Wenn du besonders stark fühlst, spüre ich es, als wären es meine eigenen Emotionen, nur nicht so überwältigend. Und ich kann mittlerweile auseinanderhalten, was deine und was meine eigenen Gefühle sind. Früher war das schwieriger. Es ist aber ganz einfach zu erklären. Wenn du gestresst bist, merke ich das oder wenn du dich unwohl oder traurig fühlst, wird das auf mich übertragen. Genauso gut könnte ich es fühlen, wenn du übermäßiges Glück empfindest. Theoretisch kann jegliche Empfindung von dir auf mich übertragen werden, meistens abhängig vom Stärkegrad der Emotion."

Aaron blinzelte überrascht und lehnte sich ein wenig in seinem Stuhl zurück, als hätte ihm diese Tatsache eine reingehauen.

"Seit wann... spürst du mich schon?"
Rey dachte kurz nach und zuckte dann mit den Schultern, als würde es für sie nicht von großer Bedeutung sein.
"Ich bin mir nicht sicher. Es ist möglich, dass ich es schon längere Zeit getan habe und es einfach nicht einordnen konnte, aber das erste Mal, woran ich mich erinnern kann, war als ich 12 war, denke ich. Ich konnte es damals nicht verstehen, erst als ich später in das ganze Thema eingestiegen bin. Ich weiß noch, dass ich einen super Tag hatte, glücklich war, Spaß hatte und plötzlich war es, als wäre ein Schalter umgelegt worden und ich war absolut wütend auf alles und jeden. Das ist die erste Erinnerung, die ich an so ein Ereignis habe."

Rey lachte leise bei der Erinnerung. Ganz im Gegensatz zu Aaron, dem ganz sicher nicht nach Lachen zu Mute war. Der Gedanke, dass Rey bereits als Kind Emotionen gespürt hatte, die nicht ihr, sondern ihm gehört hatten, machte ihn alles andere als glücklich.

Die Tatsache, dass er damals höchstwahrscheinlich niemals schöne Gefühle gehabt hatte und Rey somit anscheinend nur schlechte Schwingungen durch das Band abbekam, drehten ihm den Magen um.

Jahrelang hatte er sich eingeredet, dass es besser war, alles in sich rein zu fressen und alles für sich zu behalten, weil so niemand Schaden davontragen würde. Und nun offenbarte es sich Aaron, dass er all die Zeit alles mit Rey geteilt hatte, die am anderen Ende gesessen hatte, ohne verstehen zu können, was es mit der Wut und der Angst auf sich hatte

Aaron ließ Reys Hände augenblicklich los, als hätten sie ihn plötzlich verbrannt und am liebsten wäre er direkt aufgesprungen und gerannt. Doch der rationelle Teil seines Gewissens hielt ihn davon ab und befahl ihm stattdessen, tief durchzuatmen. Er würde es mit Sicherheit bereuen, wenn er Rey noch ein weiteres Mal alleine zurückließ.

"Ich habe was Falsches gesagt." Es war eine Feststellung, keine Frage.

Rey seufzte leise und ein kurzer Blick zu ihr genügte, um Aaron etwas runterfahren zu lassen.

Mit gesenktem Blick pulte Rey an ihrer mit Farbe besudelten Latzhose herum und schloss für einen Moment die Augen. Keine Sekunde später überkam Aaron eine seichte Welle von Ruhe, die zwar seine eigenen Emotionen nicht überrannte, aber definitiv abschwächte.

Reys blaue Augen lagen kurz auf ihm, als würde sie analysieren, ob er immer noch dabei war, aus seiner Haut zu fahren und reflexartig versuchte Aaron entspannt wirken zu wollen. Es verwirrte ihn, wieso er die junge Frau nicht sorgen wollte, aber sie ließ ihm keine Zeit, darüber nachzudenken.

"Ich hoffe, du denkst nicht, dass ich versuche, deine Gefühle zu manipulieren. Das ist auf gar keinen Fall, was ich tun will! Ich mag es nur nicht, wenn Leute aufgebracht sind. In solchen Momenten handelt man immer impulsiv und ... naja, ich finde, man kann Dinge besser erfassen, wenn man einen kühlen Kopf bewahrt."

Aaron kam es fast vor, als hätte seine Panik, oder was auch immer ihn da überkommen hatte, Rey ein wenig eingeschüchtert. Allerdings dachte er dieses Mal dreifach darüber nach, ob er sich nun schlecht fühlen sollte. Immerhin würde das wieder auf sie übertragen werden. Etwas, was er keines Falls wollte,

"Ich will nicht, dass du denkst, dass du nie wieder wütend, traurig oder frustriert sein kannst, nur weil ich es möglicherweise abbekomme. Glaub mir, ich halte lieber die volle Bandbreite aus, als dass ich irgendwann erleben will, wie zu viel in deinem Inneren angestaut wurde und du daran zerbrichst."

Rey spielte unsicher lächelnd mit ihren eigenen Fingern.
"Vielleicht war das nicht der beste Einstieg in die ganze Soulmate Thematik. Ich hätte mit was anderem anfangen sollen, tut mir leid. Aber bitte, versuch nicht irgendwelche Gefühle meinetwegen zurück zu halten. Vielleicht ist dir die Idee von der Verbindung nicht Recht und das kann ich verstehen, aber dann vergessen wir einfach von dem Teil des Bands. Ich werde es nicht nochmal ansprechen. Versprochen."

Wieder knotete sich etwas in Aaron zusammen, als er Reys entschuldigenden Blick sah. Und wieder fragte er sich, warum ausgerechnet sie eine Seelenverbindung mit ihm hatte. Nichts, was er bisher getan hatte, war auch nur ansatzweise eine Tat gewesen, die etwas Gutes für Rey darstellte.

Er fühlte, als ob es seine Aufgabe als ihr Soulmate war, sie zu beschützen und ihr ein schönes Leben zu garantieren, stattdessen hatte er sie zurückgelassen und nun brachte er sie dazu, ihre Handlungen und Worte in Frage zu stellen. Und sich selbst zog er zu allem Überfluss ebenfalls in ein Loch aus Selbstmitleid und Ärger.

Es war nun er, der seufzte und da es für den Augenblick richtig erschien, sprang Aaron über seinen tiefschwarzen Schatten und fragte: "Wieso kann ich dich nicht fühlen?"

Blaue Augen blitzten ihn erfreut an, als würde es sie beruhigen, dass er nachfragte, doch er konnte sehen, dass sich Rey plötzlich ein wenig zurückhielt, als wäre sie unsicher, wie sie sich in seiner Umgebung verhalten sollte. Eine Feststellung, die ihm, warum auch immer, nicht sonderlich gut gefiel.

"Theoretisch solltest du es können. Gerade eben habe ich dir meine Energie zugesendet und du hast sie bekommen, also ist die Verbindung an deiner Stelle nicht defekt. Aber ich vermute, da du bis heute nichts davon wusstest, hast du noch nicht das Bewusstsein für meine Emotionen erlangt. Mit ein wenig Zeit und Übung sollte das aber funktionieren. Natürlich musst du es nicht probieren. Das alles kann sehr überwältigend sein."

"Wie kann man es üben?"
Als Rey ihn anlächelte, als hätte ihr das größte Kompliment aller Zeiten gemacht, fühlte sich Aaron besser. Viel besser. Anscheinend hatte er seine Chance mit ihr noch nicht zerstört.

"Als erstes musst du die Verbindung zwischen uns finden. Ich persönlich stelle es mir wie ein dünnes, silbernes Band vor, was in mir verankert ist und in ein Meer aus unendlicher Nacht verschwindet. Das ist aber nur meine Fantasie. Vielleicht ist es für dich eine dicke Stahlkette oder vielleicht auch eine Tür, durch die du gehen musst. Was immer dir gefällt."

Aaron hing an Reys Lippen, als würde sie ihm gerade verraten, wie man das Heilmittel für Krebs finden konnte. Zwar flößte dieser kleine Teil ihrer mysteriösen Verbindung ihm bereits mehr als nur Respekt ein, aber es tröstete ihn auf eine Art und Weise, dass er wusste, dass Rey anscheinend schon seit Jahren mit all dem lebte und sie trotzdem die junge Frau war, die er nun gespannt anschauen konnte. Er fragte sich nur, woher sie all das wusste, aber entschied, diese Frage für später aufzuheben.

"Mittlerweile muss ich mich nicht anstrengen oder mich konzentrieren, um deine starken Schwingungen abzubekommen. Aber ganz am Anfang, als ich ausprobiert habe, wie alles funktioniert, musste ich immer meine Ruhe haben. Dann habe ich mir vorgestellt, dass die Emotionen, die ich ab und zu abbekam über das silberne Band transportiert wurden. Also habe ich in mich rein gehorcht und das Band geschnappt. Und Schritt für Schritt bin ich daran entlang gehangelt in die Dunkelheit hinein, bis ich irgendwann am anderen Ende ankam und-"

Ein Handy klingelte laut und schreckte die beiden auf. Ein paar Café Gäste drehten sich suchend nach dem Ruhestörer um und Rey schnappte mit entschuldigendem Blick ihr Handy aus dem kleinen Rucksack und nahm den Anruf schnell an.

"Hi Sash, was gibt's?"

Aaron bemerkte, wie Rey ihre Stirn runzelte und einen Moment später huschte ein Blick der Erkenntnis über ihr Gesicht und ein undefinierbarer Ton entkam ihrem Mund.

"Oh Mist! Das habe ich voll vergessen! Oh nein, das tut mir leid. Nein. Ja, ich bring was mit, versprochen. Ich beeile mich!"

Nach ein paar weiteren Sekunden legte sie auf und ihr leidender Blick traf Aaron.

"Es tut mir so leid, aber meine Mitbewohnerin hat Hunger und ich hatte ihr gesagt, dass ich ihr Essen mitbringe. Und in dem ganzen Trubel habe ich es absolut verpeilt. Wie vorhin erwähnt: Geht eine Sache in meinem Leben schief, ist der restliche Tag für mich gelaufen. Jedenfalls bringt sie mich um, wenn ich nicht meinen Hintern mit Essen zu ihr bewege und zwar schleunigst."

Ihre flehenden Augen konnten dummerweise nicht das dumpfe Gefühl in Aarons Brust verschwinden lassen und auch nicht die plötzliche Enttäuschung, die in ihm aufstieg. Aber Aaron hatte wahrscheinlich eh schon genug von Reys Zeit in Anspruch genommen. Deshalb nickte er mit einem Versuch, seine Lippen zu einem Lächeln zu bewegen.

"Wir sehen uns bald wieder, oder?"

Rey hielt kurz in ihrer Bewegung inne, sodass sie in einer unangenehmen Zwischenform von Sitzen und Stehen verharrte, dann grinste sie förmlich von einem Ohr zum anderen.
"Solange du mich nicht wegschickst oder mit deinen langen Beinen vor mir davonrennst, wirst du mich ab sofort sicher nicht mehr so schnell los."




it sucks a lot. i dont like it. i really dont. but idk what to change.
so here u have 5k words worth of nothing lmao.

tell me if you know why it sucks, pls. thx.




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