2|Reys Seelenpuzzle

Die Minuten vergingen einfach nicht. Zumindest sagte Sasha das ständig und fasste verzweifelt in ihre dunklen Locken. Sie schien aufgeregter zu sein, als Rey, die entschieden hatte, dass sie eine Beschäftigung brauchte und nicht einfach nur rumstehen und warten konnte.

Deshalb hatte sie sich kurzerhand entschieden, die ausgelegten Alben mit den verschiedenen Tattoo Skizzen und vollendeten Projekten anzuschauen. Sie hatte bereits festgestellt, dass es drei Tätowierer und einen Piercer im Beetle Ink gab. Alle drei Künstler hatten unterschiedliche Stile und Rey war von allen begeistert.

Zwar hatte sie selbst noch nie viel Interesse an Tattoos gehabt, aber die Leidenschaft zur Kunst machte es ihr ein leichtes, auch die Meisterwerke dieser Art des Körperschmuckes mit Faszination und vor allem Ehrfurcht zu betrachten. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie viel Selbstvertrauen man haben musste, um sich zu wagen, jemanden zu tätowieren.

Immerhin konnte man die Tinte nicht so einfach wieder loswerden und von vorne anfangen, war auch nicht möglich. Also musste der Künstler mit dem Gewissen arbeiten, dass der Kunde mit seinem Werk leben müsste. Wie auch immer er seine angefertigte Skizze umsetzte.

Rey, die an ihren eigenen Malereien ständig etwas verbessern wollte und oftmals nicht mal zu hundert Prozent mit den vollendeten Gemälden zufrieden war, wollte gar nicht wissen, wie es wäre, wenn sie jemandem ein Tattoo stechen müsste. Wahrscheinlich würde sie einfach mitten in der Session abbrechen, weil ihre Unsicherheiten wie nervige Plagegeister in ihrem Kopf herumschwirrten.

"Das habe ich vor zwei Jahren gestochen. Hat acht Stunden gedauert und danach war ich tot, aber es hat sich gelohnt." Der blonde Typ vom Stand deutete auf die Seite, die Rey gerade anschaute. Darauf war der Oberschenkel einer Frau zu sehen, auf dessen gereizter Haut der Kopf von Medusa zu sehen war. Die Schlangen sahen gefährlich realistisch aus und nicht nur die feinen Details, sondern auch alle Schattierungen wirkten perfekt.

Ein beeindruckter Ausdruck setzte sich auf Reys Gesicht fest und sie sah in das braungebrannte Gesicht des Mannes.
"Ich bin übrigens Nick. Meine Kollegin heißt Sam." Er nickte zu der Brünetten, mit der er vorhin geredet hatte. Sie unterhielt sich mittlerweile mit ein paar Schaulustigen.
"Und ich habe keine Ahnung, was ihr beiden mit Aaron vorhabt, aber bitte seid nett zu ihm. Er hat ein kleines, weiches Herz."

Reys Mundwinkel zuckten leicht nach oben und sie nahm die ausgestreckte Hand von Nick an.
"Rey. Und das da drüben ist Sasha", sie deutete zu ihrer besten Freundin, die ganz hibbelig war und ungeduldig zwischen den drei anderen Booths, die an Beetle Ink grenzten, hin und her lief, in der Hoffnung, dass so die Zeit schneller umging.

"Und von mir hast du nichts zu befürchten. Was sie angeht, kann ich allerdings nichts versprechen", witzelte Rey. Nick verzog zum Spaß sein Gesicht und nickte dann. Seine blauen Augen betrachteten Rey aufmerksam als sie sich wieder dem Album auf dem Tisch zuwandte. Ihre Gedanken blieben jedoch bei dem Namen hängen.

Aaron.

Ob er wirklich derjenige war, für den sie ihn hielten?

Rey wollte sich gar nicht ausmalen, wie deprimierend es sein würde, wenn sie sich umsonst Hoffnungen machte. Und noch weniger wollte sie mit der Vorstellung spielen, wie am Boden zerstört Sasha wäre. Sie investierte ihren ganzen Glauben in den Soulmate Kram und Rey müsste am Ende noch mit einem schlechten Gewissen umgehen, obwohl sie gar nichts daran ändern konnte, wenn es nur ein dummer Zufall mit dem Tattoo war.

"Du wirst mir nicht verraten, was Sache ist, nicht wahr?"
Reys Augen huschten kurz zu Nick, der sie mit verschränkten Armen anstarrte und für einen Moment dachte sie darüber nach, ob es so schlimm wäre, ihm alles grob zu erklären.
Doch dann schüttelte sie den Kopf, ein entschuldigendes Lächeln auf den Lippen.
Falls sich wirklich etwas aus der Situation ergeben würde, wäre er ja live dabei, und bekäme alles mit.

Und außerdem bestanden die Möglichkeiten, dass Nick genauso aufgeregt und enthusiastisch reagieren würde, wie Sasha, oder aber er wusste nicht mal, dass Soulmates existierten und wollte plötzlich alles über das Thema wissen. Beides waren Dinge, auf die Rey verzichten konnte.

Sashas Nervosität reichte allemal für sie alle aus und bis manche die ganze Thematik des Soulmate Krams begriffen, verging schon die ein oder andere Stunde. Und weil Rey zuversichtlich war, dass sie nicht mehr eine halbe Ewigkeit auf Nicks Freund warten mussten, ersparte sie sich den Zeitvertreib.

An sich war es nichts allzu Kompliziertes, wenn man sich einmal damit auseinandergesetzt hatte. Und das Erklären lief auch immer ziemlich schnell ab, allerdings schienen die meisten einfach nicht akzeptieren zu können, dass es tatsächlich möglich war, mit einem anderen Menschen auf eine unerklärliche Weise verbunden zu sein.

Rey nahm es niemandem übel, immerhin hatte auch keiner aus ihrem Umfeld einen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass es so ein Phänomen gab. Das war, bis Rey eines Tages plötzlich zwei Worte in ihrer linken Armbeuge stehen hatte und die selbst nach exzessivem Schrubben nicht verschwanden. Ihre Familie hatte ihr erst nicht abgekauft, dass plötzlich ein Tattoo wie aus dem Nichts auf Reys Haut aufgetaucht war und sie hatte drei Wochen Hausarrest verpasst bekommen.

Aber irgendwann erschienen mehr und mehr Tattoos und während ihre Familie verzweifelt versuchte, ihr die Flausen aus dem Kopf zu treiben, vermutete Rey ganz einfach, dass sie alle verrückt wurden.

Es brauchte erst tiefere Recherche, um hinter das Geheimnis der mysteriösen Tattoos zu kommen. Aber während danach endlich alle wussten, dass sie ein Teil dieser seltenen Erscheinung war, wusste doch keiner, was genau das bedeutete und wie sie mit der Situation umzugehen hatten.

Es dauerte im Endeffekt knapp zwei Jahre, bis das Thema Soulmates nichts Besonderes mehr im Haushalt der Elliots und deren Bekanntschaft war. Und Rey hatte noch einige Zeit länger benötigt, um wirklich alles bisher Erforschte oder Übermittelte über diese Verbindung herauszufinden. Doch nun war sie gebildet, hatte ihr Schicksal angenommen und hoffte einfach darauf, dass Aaron bald auftauchte, damit die Wartezeit endlich um war und sich raustellte, ob er der Richtige war.

"Ich halte es nicht mehr aus. Vielleicht sollten wir doch nochmal ein bisschen rumlaufen und später wiederkommen." Sasha lehnte sich genervt und erschöpft gegen Reys Schulter und suchte vergeblich nach Trost. "Was zur Hölle macht der Kerl denn solange?"

Nick zuckte unschuldig mit den Schultern, um zu zeigen, dass er nicht an der Verzögerung schuld war.
"Er wollte Essen holen gehen. Aber vielleicht hat er sich ja verlaufen."

Sasha seufzte dramatisch und dachte wahrscheinlich darüber nach, einfach selbst auf die Suche zu gehen, doch das war gar nicht nötig. Denn als hätte man ihr Flehen endlich erhört, stieß Nick einen triumphierenden Ton aus und rief dann laut: "Da ist er ja!"

In einem Bruchteil einer Sekunde, schossen die Köpfe der Mädchen in die Richtung, in die der Blick des Tätowierers ging und sie suchten akribisch nach jemandem, der auf sie zu kam. Da sie auf einer Messe waren, stellte sich das als gar nicht so leicht raus.

Zumindest galt das für Sasha. Rey konzentrierte sich nur auf ein Gesicht. Als ob sie von einem Magneten angezogen wurde, landete ihre Aufmerksamkeit auf einer ganz bestimmten Person. Sie stach nicht auffällig aus der Masse raus, aber für Rey war es als hätte sie ihr ganzes Leben lang durch Milchglas geschaut und würde nun das erste Mal klar sehen können.
Es war beinahe so, als gebe es nichts und niemand anderes mehr außer den Mann, der sich durch die Messebesucher drängelte.

Seine Schultern waren breit und muskulös, die dunklen Haare waren am Anfang des Tages sicherlich gestylt gewesen, mittlerweile hingen aber ein paar Strähnen in seine Stirn und in seinen Händen balancierte er fünf Hot Dogs.

Rey konnte ihre Augen gar nicht mehr von seiner Erscheinung nehmen. Es war so, als ob er sie in seinen Bann gezogen hatte, ohne es überhaupt zu bemerken. Und anscheinend sah er Sasha und sie wirklich nicht. Denn sein Interesse galt einzig und allein Nick.

"Sorry, die Schlangen waren abnormal lang und an manchen Stellen ist einfach kein Durchkommen", sagte er an den Tätowierer gerichtet und reichte ihm ein Hot Dog. Er nickte Sam kurz zu, die immer noch mit ein paar Leuten quatschte und ab und an auf verschiedene ausgelegte Motive zeigte. Dann verschwand er schnell hinter dem Stand.

Sasha, welche mittlerweile auch endlich herausgefunden hatte, dass der Neuankömmling Nicks Freund zu sein schien, bekam ihren Mund gar nicht mehr zu. Und weil sie nicht wusste, wie sie ihre Emotionen rauslassen konnte, ohne die ganze Halle zusammenzuschreien, kniff sie sich selbst in den Arm.

"Dieser gutaussehende Kerl war Aaron. Ich denke, er kommt auch gleich wieder vor, er verteilt nur kurz hinten das Essen. Da sitzt der Rest vom Team."

Nick realisierte erst nach seinem Satz, wie entgeistert die beiden Mädchen vor ihm standen, wahrscheinlich nicht einmal an seinen Worten interessiert, und er lehnte sich zögerlich zu ihnen.
"Alles okay? Muss ich mir Sorgen machen? Einen Krankenwagen rufen oder so?"

Rey fasste sich als erstes und räusperte sich. Dann schüttelte sie schnell den Kopf und versuchte mit zitternden Mundwinkeln ein Lächeln zu zaubern.

"Alles bestens." Ihre Stimme klang selbst in ihren eigenen Ohren mickrig und dünn und das schien Nick nicht gerade zu beruhigen. Er zog seine Augenbrauen zusammen und sah alles andere als überzeugt aus.
"Du bist ein bisschen blass um die Nase... willst du dich setzen? Ich kann auch die Sanitäter rufen. Die können dich vielleicht eher versorgen."

Rey lehnte dankend ab und versuchte sich zu beruhigen, doch ihr Inneres tobte wie die wilde See und ihr Herz wummerte in ihrer Brust, als würde es Anlauf nehmen und jeden Moment aus ihr herausspringen.

Es gab nicht viel, was sie nun noch überzeugen konnte, dass Nicks Kumpel nicht ihr Soulmate war. Ihr Körper schien sich bereits entschieden zu haben und wenn sie in sich hineinhorchte, konnte sie fühlen, wie die verstreuten Puzzleteile ihrer Seele langsam begonnen, an Ort und Stelle zu rücken. Es war so, als würden sie spüren, dass das finale Stück gleich mit voller Wucht in ihre Welt prallte und alles bereitete sich darauf vor, endlich zu einem vollendeten Meisterwerk zu werden.

Als Aaron wieder mit leeren Händen aus dem abgeschotteten Bereich zurückkam, fixierte er sich direkt auf Nick, und schenkte den Menschen auf der anderen Seite des Tisches kein Fünkchen Beachtung. Anscheinend war er wirklich nicht sonderlich an den Zuschauern interessiert.

Rey hatte währenddessen die Luft angehalten. Als sie ihn nun von Nahem betrachten konnte, machten ihre Knie Anstalten, jeden Moment unter ihrem Gewicht einzuknicken. Alles in ihrem Körper schrie nach Aarons Beachtung und Rey hatte Mühe, nicht einfach aus purer Verzweiflung und Sehnsucht in Tränen auszubrechen.

Der Grund dafür war nicht einzig und allein die pure Anwesenheit von Aaron. Es lag auch daran, dass Rey nun ohne Probleme die verschlungenen Tattoos an seinem Hals und Nacken sehen konnte, genau wie die an seinen durchtrainierten Armen. Und mit einer Mischung aus Erleichterung und vollkommener Panik, stellte sie fest, dass sie ihr nicht einfach nur wage bekannt vorkamen. Sie war sich sicher, dass ihr Körper genau die gleichen Tattoos trug.

"Wo bleiben eigentlich die Getränke?" Nicks Stimme riss Rey aus ihrer Gefühlsachterbahn und der Trance, die sie umgeben hatte. Allerdings verließen ihre Augen nicht ein einziges Mal ihren Soulmate.

"Du kennst doch Fynn. Er rennt an drei Mädels vorbei und bekommt im nächsten Augenblick fünf Nummern hinterhergeworfen. Das lässt er sich nicht entgehen."

Rey schoss durch den Kopf, dass es womöglich gruselig war, wie sehr sie an Aarons Lippen hing, aber sie konnte nicht anders. Seine Stimme verzauberte sie, genau wie alles andere an ihm.

"Ich wusste, dass es eine schlechte Idee war, ausgerechnet ihn los zu schicken. Wenn wir Glück haben, bekommen wir dann in drei Stunden unsere Erfrischung." Nick lachte und verdrehte die Augen, dann biss er von seinem Hot Dog ab.

"Ach ja, fast hätte ich's vergessen. Diese beiden bezaubernden Damen hier, wollen mit dir reden oder irgendwas anderes anstellen. Sie haben es mir nicht direkt verraten." Der Tätowierer deutete mit seinem Kinn zu Sasha und Rey und versuchte im nächsten Moment eine abstürzende Gurke zu fangen.

Rey wäre beinahe entfallen, dass Sasha neben ihr stand. Sie war für ihre Verhältnisse unnormal still und die Blondine schaute sie kurz von der Seite an, um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich noch da war. Sasha war praktisch zu einer Salzsäule erstarrt. Wahrscheinlich hatte sie ebenfalls gesehen, dass Aaron die identischen Tattoos wie Rey besaß und kam nicht mehr aus dem Staunen raus. Rey konnte ihre Reaktion nachvollziehen, konnte sich aber nicht länger um ihre Freundin kümmern, denn sie spürte einen brennenden Blick auf sich.

Reflexartig schoss ihr Kopf zurück und sie fand Aaron.

Es dauerte keinen Atemzug, da kreuzten sich ihre Blicke und Reys Herz barst in tausend Teile, nur um einen Moment später mit solcher Wucht wieder zusammen zu kommen, dass es ihr den Verstand raubte.

Sie fragte sich, ob Aaron dasselbe empfand, ob er auch fühlte, als würde ein Käfig, der ihn sein Leben lang gefangen gehalten hatte, endlich zersprungen war und er nun frei seine Flügel ausstrecken konnte.

Seinem schockierten Blick nach zu urteilen, spürte er auf jeden Fall etwas.

Rey beobachtete, wie er seine Schultern straffte und langsam aus dem Booth trat. Er machte erst Halt, als er nur noch eine Armeslänge von ihr entfernt war und seine Augen, die grau waren, wie Rey feststellte, waren nun ausschließlich auf sie fixiert.

Jede Faser in ihrem Körper kribbelte, als würden tausende Ameisen über ihre Haut krabbeln, und alles, was sie tun wollte, war ihre Hand auszustrecken um Aaron zu berühren. Doch genau in dem Moment, in dem ihre Finger zuckten, runzelte er seine Stirn und schüttelte kaum merklich seinen Kopf, als müsste er sich zurück in die Realität holen.

Eine Sekunde später räusperte er sich und drehte sich mit einem kurzen Zögern zu Sasha, die sich noch immer keinen Millimeter gerührt hatte.
"Hi, ich bin Aaron. Nick sagte, ich könnte euch irgendwie helfen?" Er streckte seine tätowierte Hand aus und Rey knuffte ihre beste Freundin schnell mit dem Ellenbogen, als die nicht reagierte. Erst dann schüttelte sie seine Hand und Aaron drehte sich wieder zu Rey.

Sie starrte ihn mit derselben Intensität wie zuvor an, doch seine Augen wirkten kühler, ohne viele Emotionen. Das galt zumindest, bis er seine Hand auch ihr reichte. Sobald Reys Fingerkuppen gegen Aarons strichen, schien ein Feuer in ihm zu entfachen und ihre federleichte Berührung verursachte in Rey den Drang, ihn nie wieder loszulassen.

Sein Gesicht verschwamm zu einer Maske aus purem Wunder und ohne, dass es Aaron bewusst war, zog er Rey näher zu sich, sodass sie ihr Kinn heben musste, um weiter in seine glänzenden Augen blicken zu können.

Sie fragte sich, was gerade in seinem Kopf ablief, wie er sie vor sich stehen sah und ob es vergleichbar mit dem war, was ihren Körper befallen hatte. In ihr schwirrten plötzlich tausende Fragen und Rey konnte kaum abwarten, alle Antworten darauf zu bekommen und an Aarons Lippen zu hängen, während er Geschichten über sein Leben und seine Tattoos erzählte.

Doch ihre Gedanken wurden unterbrochen und die Blase, in der sich die beiden befanden platzte. Denn Nicks kratzige Stimme zog sie zurück in die Realität und aus der Position, in der sie wahrscheinlich noch Ewigkeiten hätten verharren können.
"Kennt ihr euch irgendwie? Oder habe ich was verpasst?"

Als wäre der Bann gebrochen, zog sich Aaron schnell wieder zurück. Die Verwirrung war nun mehr als deutlich auf seinem Gesicht zu erkennen und Rey schaute kurz auf den Boden, als sie genau das gleiche Gefühl übermannte.

"Ich denke nicht, dass wir uns schonmal getroffen haben."

Rey setzte augenblicklich dazu an, etwas auf Aarons Worte zu erwidern, doch ein Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet und sie begann, nervös ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen zu verlagern.

"Natürlich kennen wir Aaron nicht. Sonst würden wir uns gerade nicht in dieser Situation befinden."

Es war Sasha, die anscheinend endlich wiedererwacht war und das Wort ergriff. Die beiden Männer trugen nun beide äußerst irritierte Ausdrücke auf ihren Gesichtern, als Reys Freundin auf Aaron zuging und ihn ausführlich von oben bis unten betrachtete. Dann klatschte der Lockenkopf mit einem breiten Grinsen in die Hände und nickte Rey zu.

"Also ich verstehe grade gar nichts. Wollt ihr uns mal aufklären?" Nick, der sein Hotdog mittlerweile verputzt hatte, stemmte seine Arme auf die Tischplatte und ließ seine Augen zwischen ihnen allen hin und her schweifen.

Rey suchte in Sashas Gesicht nach einer Antwort, doch die machte nur eine Geste, als wolle sie sagen, dass es Reys Moment der Wahrheit war und sie den nächsten Schritt machen musste. Und Rey wusste das auch selbst. Deshalb atmete sie einmal tief durch und zog dann langsam den warmen Schal um ihren Hals weg.

Für ein paar Sekunden lang reagierte niemand, denn es war nicht klar, was diese winzige Geste vollbracht haben sollte. Doch dann fielen alle Augen auf ihren offenbarten Hals. Die Zeit schien plötzlich gähnend langsam zu vergehen und fast stehen zu bleiben, als niemand auch nur mit der Wimper zuckte. Und Rey schoss kurz der absurde, aber beängstigende Gedanke durch den Kopf, dass ihre Tattoos plötzlich verschwunden waren.

Doch dann stieß Nick einen Pfiff aus und Rey sah das als Zeichen, dass die Tinte in Form einer bedrohlichen Kobra noch immer auf der Haut ihres Halses zu sehen war und wohl einen vertrauten Anblick für die beiden Männer darstellte.
"Heilige Maria Mutter Gottes!"

Rey achtete gar nicht auf Nicks überraschten Ruf oder Sashas Kichern, denn das einzige, was zählte, war Aaron, der wie angewurzelt dastand. Sie suchte nach einem Anhaltspunkt in seinem Gesicht, der ihr zeigen würde, wie er die Neuigkeiten aufnahm. Doch seine Aufmerksamkeit schien einzig und allein den Tattoos auf Reys Haut gewidmet zu sein.

Langsam, fast als würde er sich einem wilden Tier nähern, streckte er seinen Arm aus und nahm erneut Reys Hand. Dieses Mal betrachtete er die schwarze Tinte, die sich wie ein exaktes Abbild seiner eigenen Tattoos unter ihrer Haut verbreitet hatte. Sein Daumen strich vorsichtig über die kunstvollen Striche und Rey stellte fest, wie rau und schwielig er auf ihrem Handrücken war.

"Was bedeutet das?" Aarons Stimme war leise und Rey fand es bewundernswert, dass Nick genug gehört hatte, um antworten zu können.
"Ihr seid Soulmates, Alter!"

Die stahlgrauen Augen schossen zu dem Tätowierer, der das Pärchen mit Neugierde und Verblüffung zugleich beobachtete.
"Was?"

Rey, der seit Aarons Ankunft die Worte im Halse stecken geblieben waren, riss sich endlich zusammen und fing an, mit leicht zitternder Stimme, zu reden: "Wir sind Soulmates. Also füreinander bestimmt, wenn man so will. Deshalb die identischen Tattoos."

Rey wusste nun also, dass Aaron anscheinend keine Ahnung von dieser wundersamen Erscheinung und somit ihrer gemeinsamen Verbindung hatte. Und einerseits fiel damit ein riesiger Stein von ihrem Herzen, aber eine neue Last bildete sich umgehend. Denn in ihrem Inneren konnte Rey eine tiefe Unsicherheit und Verwirrung spüren und sie war sich ziemlich sicher, dass es sich dabei nicht um ihre eigenen Gefühle handelte.

Zögerlich und rein aus Reflex handelnd, hob sie ihre Hand und strich ihm die Haare aus dem Gesicht, als würde die Geste ihm irgendwie Trost spenden können. Und für einen Moment schien sich wieder eine Blase um sie zu bilden und das gesamte Getümmel, welches eh schon keine Beachtung mehr von ihr bekam, verschwand komplett um die beiden.

Doch die Ruhe hielt nur kurz an, denn während Rey die weichen Haare zwischen ihre Finger gleiten ließ, bildete sich zwischen Aarons Augenbraue eine tiefe Falte und in den nächsten Sekunden, hatte er nicht nur ihr Handgelenk gepackt, sondern war auch einen Schritt zurück getreten.

Wie aus einem Traum herausgerissen, sah Rey ihren Soulmate an und ein dicker, fetter Kloß setzte sich in ihrem Hals fest, als sie den Ausdruck auf seinem Gesicht erkannte. Er stieß sich kopfschüttelnd von ihr fort und trat weiter weg.

"Wir sind keine Soulmates! Bullshit! Was auch immer das hier für ein Witz sein soll, er ist nicht lustig."

Hätte man Rey noch vor wenigen Minuten gefragt, was der schlimmste Schmerz war, den sie je erlebt hatte, dann hätte sie geantwortet, dass sie sich an die meisten Schmerzen nicht erinnern konnte, aber es wohl der gewesen war, als sie sich in der Grundschule den Ellenbogen gebrochen hatte.

Doch wenn die Frage nun gestellt werden würde, wäre es das unerträgliche Gefühl gewesen, was sich nun langsam und qualvoll in ihren Adern ausbreitete und ihr die Tränen in die Augen trieb.

Mit verschwommener Sicht, konnte sie erkennen, wie Aaron – ihr Soulmate – sich umdrehte und zwischen den Menschenmassen der Messe verschwand. Und sie fühlte sich, als hätte man ihr Seelenpuzzle nicht einfach nur auseinandergerissen, sondern es zur Sicherheit verbrannt, damit sie nie wieder ein Fünkchen Hoffnung hatte, dass es reparabel war.

Rey fühlte sich hilflos und alleine, selbst als sie Sashas Arme um sich spürte und wage mitbekam, dass sie beruhigend auf sie einredete. Aber nicht einmal ihre beste Freundin konnte ihr nun helfen, denn ihr Soulmate hatte sie zurückgelassen.

Aaron hatte in der kurzen Zeit, die sie sich kannten, nicht nur ihr Herz gestohlen, sondern es auch skrupellos gebrochen. Und Rey hatte das Gefühl, nie wieder glücklich zu werden. 



Ich weiß nicht, ob es gut war. Ich weiß nur, dass es schwer war, es zu schreiben.
Ich hoffe es hat euch gefallen.

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