8: Wish You Were Here*
„Diese Stadt ist einfach der Wahnsinn.“
Da musste ich Jane zu stimmen. Stockholm war einer der schönsten Städte die ich je gesehen hatte, und das wollte etwas heißen, da ich schon weit herum gekommen war. Die Architektur war wunderschön, die Straßen waren sauber, grüne Bäume und Pflanzen säumten die (funkelnden blauen) Kanäle und der ganze Platz war voller Farbe.
Es war gut wieder draußen zu sein, nachdem wir eine Stunde im Vasa Museum gewesen waren. Der verdammte Ort roch nach Konservierungsmittel oder was auch immer sie verwendeten, um das Jahrhunderte alte Wikingerschiff 'Die Vasa' am Zerfallen zu hindern. Eine ziemlich lustige Geschichte ging sogar mit dem Schiff einher, eine, die die meisten anderen meiner Chormitglieder zum Kichern brachte.
Der König von Schweden, hatte offenbar den Bau der Vasa finanziert, und sie sank innerhalb der ersten Meile ihrer Jungfernfahrt. Das Wasser war an der Stelle offensichtlich noch flach genug, so das die Spitze des Mastes, immer noch in der Luft stand. Und dem König war das so peinlich, das er sie hat absägen lassen, damit sie niemand mehr sah und sich daran erinnerte, was für ein Idiot er war. Das fand ich besonders amüsant.
„In Ordnung, zusammen. Wartet bitte einfach ein bisschen, während ich die Dinge mit dem Manager kläre.“ Mr. Faulkner sah uns bittend an und bat uns im stillen, keinen Unfug anzustellen, während er uns seinen Rücken zuwandte. Er war damit beschäftigt, den Gruppenpreis für den Fahrradverleih, in diesem kleinen Laden am Rande einer der Kanäle, zu verhandeln.
Ich ließ mich auf einer Bank in der Nähe, unter einen großen, schattigen Baum nieder. Ein paar kleine Boote fuhren auf dem Kanal vorbei und ich beobachtete sie mit schwachem Interesse. Mein Verstand war mehr mit Gedanken an meine Familie beschäftigt. So viel Spaß ich auch hatte, ein kleiner Teil von mir vermisste sie immer noch, vor allem meinen Bruder.
Da er an der Stanford war und ich in Massachusetts lebte, sah ich ihn nicht all zu häufig im Jahr. Er kam natürlich Weihnachten nach Hause, aber es war einfach nicht dasselbe. Es ist schwierig sich an die Abwesenheit von jemanden zu gewöhnen, von dem man es gewohnt war, ihm immer da zu haben.
Eden und Jane setzten sich neben mich auf die Bank. Gemeinsam beobachteten wir ein paar der weniger reifen Jungs auf unserer Reise, die ein spontanes Spiel von: 'Ich-versteck-mich-oben-in-den-Bäumen-und-bewerfe-wahllos-Passanten-mit-Wasserbomben-und-schau-ob-sie-es-merken.' gestartet hatten. Ich hatte allerdings keine Ahnung, wo sie die Wasserbomben so kurzfristig herbekommen hatten. Ich musste jedoch lachen, als sich einer von ihnen dazu entschied, seine nasse Waffe, auf dem Kopf des ständig anwesenden Miststücks, Georgiana, fallen zu lassen.
„ABWURF!“ schrie er, als der Ballon auf sie hinunter stürzte und ihr kleines, hauchdünnes Outfit durchnässte, und es nahezu durchsichtig machte. Das Miststück stand einfach nur ein oder zwei Minuten so da, und sah geschockt aus. Dann stieß sie einen wütenden Urschrei aus, warf ihren üblichen Sinn für Anstand beiseite, und begann Stöcke in den Baum zu werfen, in dem der Täter versteckt saß. Meine Klassenkameraden waren einfach so unterhaltsam.
„Popcorn?“ fragte Jane und hielt mir eine imaginäre Tüte hin. Ich tat so, als würde ich den Inhalt genießen.
„Genießt ihr die Show, Ladies?“ fragte Luke und setzte sich neben Jane.
„Natürlich!“ ich deutete auf Gerogiana, die die Stöcke aufgegeben hatte und stattdessen nun Steine warf. „Kostenlose Unterhaltung!“
Jane erhob sich ein wenig und setzte sich dann auf den Schoß, eines sehr zufriedenen Lukes. Er nutze die Gelegenheit, um an ihren Hals zu saugen. Offenbar waren sie jetzt zusammen. Entweder das, oder sie waren, um es unglaublich krass zu sagen 'Fuck-Buddies'.
„Nehmt euch ein Zimmer, Leute.“ scherzte Kurt und setzte sich hinter mich. Jane zeigte ihn nur den Mittelfinger.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder auf das Schauspiel unter den Baum. Georgiana wurde von ihrem Freund, Giles, zurück gehalten, während der Klang vom hemmungslosen Lachen, von den versteckten Zweigen über ihnen, hinunter wehte. Das Miststück krallte sich in den Baum, wie eine Katze in ihren Kratzbaum.
„Ich kicherte. „Platz, Mieze.“
Kurt legte seinen Kopf auf meine Schulter und beobachtete wie sich die Szene entfaltete. „Denkst du, wir sollten ein Beruhigungsmittel für sie holen?“
Da ich mich etwas unwohl fühlte, zuckte ich mit den Schultern, so das sein Kopf wieder verschwand. „Wäre keine schlechte Idee.“
Er wollte gerade antworten, als ich buchstäblich von der Glocke gerettet wurde. Mr. Faulkner klingelte mit der Glocke auf seinem Fahrrad, um unsere Aufmerksamkeit wieder einmal zu erlangen. Es funktionierte nicht. Er entschied sich stattdessen, sich laut zu räuspern. Das funktionierte aber auch nicht. Schließlich entschied er sich dafür, seine Geheimwaffe einzusetzen.
„HEY!“ schrie er mit einer so lauten Stimme, das Lama Bauern in Süden Perus sogar aufgeschaut haben mussten.
„Glaubst du, das haben sie gehört?“ witzelte ich sarkastisch zu niemand bestimmten.
Kurt schnaubte. „Meine taube Tante in Omaha hat das sogar gehört.“
„Den Satz hast du ja so was von aus Disturbia geklaut.“ beschuldigte ich ihn.
Er grinste. „Schuldig im Sinne der Anklage.“
„Mr. Matthews, Ms. Leisch.“ erklang die etwas amüsierte Stimme unseres Dirigenten. „Wenn sie mit flirten fertig sind, habe ich eine Ankündigung zu machen.“
Mein Gesicht wurde Rot wie eine Tomate, ebenso wie Kurts. Meine Füße wurden plötzlich ganz interessant, und ich begann sie aufmerksam zu studieren. Ohne meine Verlegenheit zu bemerken, fuhr Mr. Faulkner fort, und war blind gegenüber der Tatsache, dass der Hinterreifen des Fahrrads, auf dem er Hockte, rapide an Luft verlor. „Alles ist geklärt. Also, wenn ihr euch alle jeweils ein Fahrrad von dem Stand dort vorne holen würdet. Wir machen eine Fahrt um den Kanal.“
Es gab vereinzeltes Augenrollen und Stöhnlaute. Mr. Faulkner entließ die Proteste mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Oh, hört auf herum zu jammern! Wir werden eine Menge Spaß haben.“
Mit einem letzten Furz-artigen Klag des Luftverlusts, gab sein Reifen auf.
—————-
Eine halbe Stunde, einen Ersatzgummi und einen neuen Reifen später, saß unsere Gruppe auf den Fahrrädern, und war bereit für eine schöne Fahrt entlang des Kanals.
„Erinnert mich nochmal daran, was war der Zweck gleich noch, hiervon?“ fragte Jane, nachdem sie sich einen besonders schwierigen kleinen Hügel hinauf gekämpft hatte.
„Um die landschaftliche Schönheit zu begutachten?“ bot Eden an.
Jane schaute lediglich finster drein.
„So ein Scheiß!“ brummte Brigid, die bereits in Schweiß ausgebrochen war.
Ich zuckte mit den Schultern. Ich hatte nicht ganz so viel Mühe mit meinen Durchhaltevermögen, wie meine Freunde.
Obwohl ich keineswegs die sportlichste Person hier war (das wäre wohl Carey Harris, der schon vor langer Zeit an uns vorbeigefahren war, der blöde Angeber), genoss ich es, auf dem Fahrrad zu fahren.
„Links von dir.“
Ich fuhr nach rechts, als jemand an mir vorbeifuhr. Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, das dieser jemand Kurt war. Er sah ebenfalls so aus, als wäre er nicht im geringsten von unserer Fahrt erschöpft. Es war für seine starken Ruderer-Beine ein leichtes, die Pedale auf und abzutreten. Als mir dieser Gedanke in den Sinn kam, schaute ich sofort automatisch auf besagte Beine. Nur einer dieser Autopilot-Reaktionen, ihr wisst schon!
Ich hatte nicht vor, weiter hinzuschauen. Aber glaubt mir, wenn ihr gesehen hättet, was ich gesehen habe, würdet ihr auch weiter hinsehen. Die Muskeln in Kurts Beine wechselten von straff, während er das Pedal nach unten trat und angespannt, wenn er sie anhob; straff, wo ich die Kontur jeder Sehne sehen konnte, die sich unter seinem Fleisch zusammenzog, angespannt, wo das Anziehen seines Beines an den Muskeln in seinen Hintern und seinen Rücken zog, und sie hervorhoben. Es war ein erstaunlicher und unvergesslicher Anblick. Ich dankte Gott dafür, das er Shorts trug.
Mir wurde erst klar, das ich starrte, anstatt darauf acht zugeben wohin ich fuhr, nachdem mein Vorderrad gegen eine Baum-Wurzel fuhr und aufhörte sich vorwärts zu bewegen. Nun, ich bin keine Physik-Expertin (genau genommen mochte ich das Fach überhaupt nicht), aber ich wusste genug über Trägheit, um zu wissen, das mein Körper nicht einfach mit dem Fahrrad anhalten würde. Dinge in Bewegung, blieben in Bewegung, wisst ihr? Ja, genau das. Natürlich war es genau das, was passierte.
Ich stieß einen entsetzten Schrei aus, dem unmittelbar danach ein gedämpftes 'Oomph!' folgte. Ich flog über das Lenkrad meines Rades und machte eine wunderschöne Gesichtslandung auf dem Weg. Es gab zwei ähnliche Schreie hinter mir, als Jane und Eden so stark wie sie konnten bremsten, um nicht über mich hin drüber zu fahren. Unnötig zu sagen, das ich dankbar dafür war.
Eden hüpfte sofort von ihrem Fahrrad, um mich zu 'untersuchen'. „Lotte, alles in Ordnung?“ Sie berührte sanft meine Schulter. Ich stützte mich auf einen Ellbogen ab, um sie anzusehen und spuckte dabei einen Mund voller Dreck aus.
Ein besorgt aussehender Kurt, der sein Fahrrad etwa zehn Meter vor mir fallen gelassen hatte, kam zurück gerannt. „Geht's ihr gut?“
Ich funkelte ihn nur wütend an. „Einfach wunderbar!“
„Dein Gesicht ist überall ganz voller Dreck.“ bemerkte er. Ich wischte ihn hastig weg und wollte dann aufstehen, um mein umgefallenes Fahrrad aufzuheben. Als ich jedoch auf meinen rechten Fuß auftrat, begann mein Knöchel mit der Art von Schmerz zu pochen, der, während er Glücklicherweise darauf hinwies nicht gebrochen zu sein, definitiv bedeutete, das ich ihn mir verstaucht oder mir das verdammte Ding zumindest verdreht hatte.
„Scheiße.“ Schrie ich, als ich wieder zu Boden fiel. Ich neigte dazu ins Deutsche zu wechseln, wenn ich wirklich wütend war oder Schmerzen hatte. Das war auf jeden Fall einer dieser Zeiten.
„Was ist los, süße?“ fragte Jane, sofort an meiner Seite.
Eden runzelte nachdenklich die Stirn. „Ist es dein Knöchel?“
Ich nickte. „Ja, ich glaub ich hab ihn mir verstaucht oder so was.“
„Ich werde Mr. Faulkner Bescheid sagen gehen.“ sagte Jane und eilte davon.
„Lass mich ihn mal sehen.“ sagte Kurt leise. „Erste-Hilfe Ausbildung, erinnerst du dich?“ fügte er hinzu, als ich ihn skeptisch ansah.
Seufzend nickte ich. Kurt rollte behutsam mein Hosenbein nach oben, und legte den verletzten Knöchel frei, der sich, tatsächlich rötlich verfärbt hatte und anfing anzuschwellen. Ich zuckte zusammen, als Kurt ihn berührte, obwohl seine Berührung die leichteste war, die ich je gespürt hatte.
„Oh, ja.“ sagte er. „Definitiv verstaucht. Du musst da schnell etwas Eis drauf legen.“
„Nun, Dr. Kurt.“ begann ich sarkastisch. „Sofern du keinen magischen Gefrierschrank in deinen Shorts versteckt hast, habe ich keine Ahnung, wo wir das Herbekommen sollen.“
Er nickte und nahm auf was ich sagte. Ich war um ehrlich zu sein irgendwie verärgert darüber, das er nicht lachte oder zumindest die Augen wegen meiner Bemerkung verdrehte. Nein, er musste jetzt total ernst werden, gerade wenn ich etwas Amüsantes brauchte, um mich von meinen Schmerzen abzulenken. Blöder Idiot.
Plötzlich, hob mich besagter Idiot vorsichtig hoch in seine Arme.
„Hey!“ schrie ich. „Was machst du denn?“
„Ich werde dich zurück zum Hotel tragen. Es ist nur ein paar Blocks von hier entfernt.“
„Lass mich runter, du großer Neandertaler.“ Ich schlug ihn mit meiner Faust gegen die Brust. Er schaute mich nur an, als wäre ich verrückt.
„Auf dem Knöchel? Ich denke nicht. Eden,“ sagte er und wandte sich zu an meine angeblich besten Freundin, die zuließ, das ich von einem Höhlenmensch getragen wurde. „Kümmerst du dich um unsere Fahrräder und alles?“
Sie nickte. „Natürlich, ich glaube Jane hat unseren Zimmerschlüssel, aber sie ist schon weg. Kannst du Lotte so lange mit in dein Zimmer nehmen, bis wir zurück kommen?“ Ich bemerkte ein hinterlistiges, kleines Grinsen auf ihrem Gesicht.
'Verräter.' dachte ich bei mir und funkelte sie böse an.
„Sicher.“ antwortete Kurt. „Ich werde sie auf meinem Bett absetzen und etwas Eis auf ihren Knöchel legen.“
„Hört auf so zu reden, als wäre ich nicht da!“ rief ich verärgert. Die beiden entschieden sich dafür, mich zu ignorieren. Kurt drehte sich um und machte sich auf den Weg zum Hotel und trug mich wie eine Braut.
„Was in aller Welt ist in dich gefahren, mich zurück zum Hotel zu tragen?“ fragte ich.
Er schaute mir in die Augen und grinste dann. „Ist das nicht das, was Freunde tun?“ erwiderte er, und betonte das Wort, wozu unsere Beziehung zueinander angeblich geworden war.
„Das ist es, wenn deine Freunde Höhlenmenschen sind.“ spottete ich.
—————-
Eine Stunde später, lag ich auf Kurts Bett, mein Kopf mit Kissen gestützt, mein Knöchel von Eis umringt und ein Buch (Die Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang von Goethe, wenn ihr es unbedingt wissen müsst) in meinen Händen. Kurt saß ein wenig weiter weg in einem Stuhl, und las ebenfalls, warf aber gelegentlich einen Blick zu mir, aka seiner 'Patientin', hinüber, als ob ich explodieren würde.
Seine Besorgnis fing mir wirklich langsam an, auf die Nerven zu gehen, als das Telefon klingelte, und dafür Sorgte das er fast aus seiner eigenen Haut fuhr.
„Hallo?“ antwortete er, als er sich wieder genug gesammelt hatte, um den Hörer abzunehmen. Pause und ein breites Grinsen breitete sich auf Kurts Gesicht aus.
„Hey! Ich kann nicht glauben das du mich hier anrufst! Wie hast du mich gefunden?“ erneute Pause. „Doch das weiß ich. Sie ist hier bei mir.“
Ich schaute auf. Kurt und seine geheimnisvolle Person redeten über mich?
„Natürlich! Ich rede dann später noch was mit dir, okay?“ Kurt hielt mir den Hörer hin. „Es ist deine Mutter.“
Unglaublich verwirrt darüber, warum meine Mutter Kurts Zimmer anrufen würde, nahm ich den Hörer entgegen und hielt ihn an mein Ohr. „Mama?“
„Liebes! Es ist so schön deine Stimme zu hören! Ich hab versucht dein Zimmer anzurufen, aber du warst nicht da.“ Ihr Stimme nahm plötzlich einen anzüglichen Klang an. „Also, warum bist du in Kurts Zimmer?“
Ich rümpfte meine Nase wegen der versteckten Andeutung. „Mama, ich bin nur hier, weil ich keinen Schlüssel für mein Zimmer habe. Du weiß, das ich nie was mit Kurt machen würde. Er ist...Kurt.“
Zu sagen, das Kurt uninteressiert an einem Gespräch war, das offenbar (wenn man von dem einzigen Wort ausging das er verstand, seinen Namen) so viel mit ihm zu tun hatte, wäre völlig falsch. Er saß in seinen Stuhl, beobachtete mich mit großen Interesse und fragte sich wahrscheinlich, was für gemeine Dinge ich über ihn sagte. Entweder das, oder er dachte irgendwie, ich pries seine zahlreichen Tugenden. Wie ich Kurt kannte, war es wohl vermutlich letzteres. Arroganter Arsch.
Oh, Moment Mal, ich sollte doch versuchen seine Freundin zu sein. Mein Fehler. Die Stimme meiner Mutter riss mich aus meinen Gedanken über Kurts Innenleben.
„Man weiß nie, in wem man sich verlieben wird...“
In Ordnung
Ew
„Ach, Mama.“ schrie ich, was dafür Sorgte, das Kurt seine Augen überrascht aufriss. „Sag das NIE WIEDER! Ich kann nicht mehr mit dir reden.“
Ich warf prompt den Hörer auf die andere Seite des Bettes. Kurt hob eine Augenbraue und ging um ihn aufzuheben.
„Mutti?“ fragte er. „Bist du noch da?“ Stille. „Ja, sie sitzt mit verschränkten Armen da und sieht wegen irgendetwas sauer aus.“
Ich schaute sauer zu ihm.
„Klar, ich werde es ihr sagen.“ er hielt seine Hand über die Sprechmuschel. „Lotte, deine Mutter sagt das du irgendetwas verleugnest, aber sie liebt dich trotzdem.“
Ich verdrehte die Augen. „Sag ihr, das sie Wahnvorstellungen hat, aber ich sie trotzdem liebe.“ Ich und verleugnen. Pft. Ja klar.
Kurt nahm seine Hand wieder weg und sagte: „Mutti? Lotte sagt, das du Wahnvorstellungen hast, sie dich aber trotzdem liebt.“ Er schaute zu mir hinüber. „Sie lacht, nur falls du es wissen willst.“
Ich kicherte. Meine Mutter war eine Spinnerin, aber eine sehr liebenswerte Spinnerin, auch wenn sie es genoss sich ein wenig zu viel in mein Privatleben einzumischen.
„Ja, bis jetzt läuft alles ganz gut.“ fuhr Kurt fort und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. „Stockholm ist wirklich schön.“ Pause. „Ach wirklich?“ Pause. „Ja, sie sind immer nett. Ich liebe sie.“ Pause. „Ja, ihr geht’s gut. Obwohl, sie sich heute Nachmittag den Knöchel verletzt hat.“
Ich schmollte, weil sie schon wieder über mich redeten.
„Eigentlich hat sie das nicht. Jedenfalls nicht seit Sonntag. Wir haben einen Waffenstillstand vereinbart.“ Kurt hielt den Hörer ungefähr eine Armlänge von ihm weg, als meine Mutter quietschte.
„Ja, ich weiß. Das Ende der Welt, nicht wahr?“ erneute Stille und Kurt fuhr sich mit einer Hand durch seine Haare. „Ist das nicht ein wenig vorschnell?“ Pause. „Na ja, ja, aber...“ Pause und Kurt zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wenn ich Glück habe. Das hoffe ich jedenfalls.“ Pause. „Das werde ich nicht, versprochen.“ Pause. „Ich werde es ihr sagen.“ Pause. „Ich liebe dich auch, Mutti.“
Kurt legte den Hörer wieder auf und richtete seine Aufmerksamkeit auf mich. „Deine Mutter sagt, sie liebt dich. Sie hofft, das es einen Knöchel bald wieder besser geht und das du ihr bitte verzeihen sollst, das sie auf jeden Fall mit allem Recht hat.“
Ich schnaubte. „Typisch. Aber hey, was zum Teufel war das?“
Er schaute mich verwirrt an. „Was?“
„Das!“ ich wedelte mit meiner Hand in Richtung Telefon.
„Ähm, eine Unterhaltung?“ schlug er vor und rieb seinen Nacken mit einer Hand.
„Du hast direkt vor mir, mit meiner Mutter über mich geredet.“
Er runzelte die Stirn. „Nun, da du nicht mit ihr reden wolltest, hat sie mir all die Fragen über dich gestellt. Was sollte ich denn deiner Meinung nach machen? Mir was ausdenken?“
Ich erkannte das ich mich dämlich benahm und hielt meinen Mund. Kurt interpretierte das richtig, das ich mir mit dem Argument ein Eigentor geschossen hatte. Allerdings rieb er mir das nicht unter die Nase, wie ich es von ihm erwartet hatte. Stattdessen kam er rüber, setzte sich zu mir aufs Bett und verlagerte den Eisbeutel, um meine Schwellung am Knöchel besser abzudecken.
„Deine Mutter hat erzählt, das sie zu Hause Abends jede Menge Gewitter haben.“
„Wirklich?“ fragte ich. „Verdammt, das ärgert mich ein wenig das ich die verpasse.“ Ich war ein großer Fan von Gewittern. Da war einfach irgendwas an ihnen, das mich faszinierte. Vielleicht war es ihre atemberaubende Schönheit. Jedenfalls, zu Hause in Massachusetts, sorgte die feuchte Sommerluft fast immer, zumindest für ein Donner-Grollen in den späten Abendstunden, wenn nicht sogar für einen vollen Sturm. Ich liebte es, sie von meinem Fenster aus zu beobachten. Das war eine Sache, die ich wirklich vermisste, während ich den Sommer über weg war.
Kurts Stimme holte mich aus meiner Tagträumerei und zurück in die (leider) Donnerlose Realität, des Hotelzimmers in Stockholm. „Ja, ich weiß, mich auch.“
Das überraschte mich. „Du magst Gewitter?“
Er nickte und lächelte. „Ja, ich liebe sie. Ich hab ein Fenstersitz in meinem Zimmer, und ich mag es dort zu sitzen und zu beobachten wie sie vorbeiziehen. Als ich noch jünger war, hab ich immer gefragt, ob ich mich aufs Dach setzen kann um sie zu beobachten. Ich hab nie verstanden, warum meine Mutter immer nein gesagt hat. Das war natürlich, bevor ich über Blitze gelernt hatte.“
Ich kicherte. „Als ich sehr jung war, hatte ich Angst davor. Ich hab mir die Decke über den Kopf gezogen und gezittert wie Espenlaub. Ich bin mir nicht ganz sicher wann, aber ich hab schließlich aufgehört vor ihnen Angst zu haben. Danach fing ich an sie zu lieben. Es gab keinen bestimmten 'Stelle dich deiner Furcht' Moment oder so etwas, es war einfach ein langsamer Sinneswandel.“
Kurt drehte sich zu mir um und sah mich aufmerksam an. Wie immer, waren seine braunen Augen voll von einem Gefühl, das ich nicht identifizieren konnte.
„Manchmal.“ sagte er leise. „Kann ein Sinneswandel sehr lange dauern.“
Ich nickte nur und starrte in seine faszinierenden Augen. Ein nachdenkliches Schweigen lag in der Luft.
„Also.“ sagte Kurt und löste sich von meinem Blick. „Wie ist deiner Familie so?“
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe, aber fuhr dennoch fort. „Ganz okay, denke ich. Laut, Deutsch, psychotisch, du kennst das ja.“
Kurt lachte anerkennend. „Deine Familie ist nicht so psychotisch.“
„Okay, das ist eine Übertreibung. Aber sie sind genug, um dich Irre zu machen.“
„Das erklärt eine Menge.“ murmelte er.
„Hey!“ rief ich empört aus und schubste ihn leicht.
Er lachte, als er zurück gegen die Kissen fiel. „Ich hab nur Spaß gemacht.“
Ich grinste und verdrehte die Augen. „Also, wie ist deine Familie so, Kurt.“
Er schien wegen meiner Frage überrascht. „Was?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Du weißt mehr über meine Familie, als du vermutlich solltest, und da wir Freunde sind, dachte ich, das ich vielleicht zumindest etwas über deine wissen sollte. Da ich im Moment in deinem Zimmer gefangen bin, dachte ich, dass das eine gute Zeit wäre. Ist ja nicht so, als hätten wir was besseres zu tun.“
„Okay, na dann....“ Kurt schaute nachdenklich an die Decke. „Was willst du wissen?“
Ich tippte mit meinem Finger gegen mein Kinn. „Was ist mit deinem Vater?“ fragte ich nach einer Minute. „Wie ist er so?“
Kurt grinste. „Wie ich, nur älter.“
„Ich bemitleide deiner Mutter.“
Kurt warf mir einen bösen Blick zu.
„Nur Spaß!“ Ich hob meine Hände ergebend.
Er schaute mich weiterhin an, und eine unangenehme Stille breitete sich aus. Ich rutschte unbehaglich auf dem Bett hin und her. „Ähm....du hast vor ein paar Tagen erwähnt, das du einen Bruder hast. Das wusste ich gar nicht.“
Kurt zuckte mit den Schultern. „Du hast nie gefragt.“
„Der Punkt geht an dich.“ gab ich zu. Ganz ehrlich, ließ mich dieses Wissen in Frage stellen, was ich noch alles von Kurt nicht wusste. Er war nicht gerade eine geheimnisvolle Person, aber dennoch schien es kleine Dinge zu geben, über die ich mir nicht bewusst war.
—————-
Der nächste Tag war ein Mittwoch, aber noch viel wichtiger, es war ein freier Tag. Wir durften machen was wir wollten. Für mich hieß das, herumzuliegen und zu faulenzen, während ich meinen verstauchten Knöchel als Entschuldigung dafür benutzte, nichts zu tun.
Das ärgerte meine Mitbewohner tierisch, da ich im Grunde einen dauerhaften Wohnsitz auf unserer Couch eingenommen hatte, und sie davon abhielt, darauf zu sitzen. Sie fanden ebenfalls meine neugewonnene Faszination für schwedische Seifenopern nicht besonders amüsant.
„Gott, ich wünschte, ich könnte einen auf Mr. Miagi machen, in die Hände klatschen und einfach irgendwie magisch diesen Knöchel heilen, damit du endlich deinen Arsch hoch kriegst!“ Jane stand vor mir und hatte ihre Hände bestimmt in die Hüften gestemmt.
Normalerweise hätte ich einen Witz über ihre Anspielung auf einen '80er Jahre Kult-Klassiker gemacht, aber ich stöhnte einfach nur und legte mir ein Kissen über meinen Kopf. „Geh weg!“ Natürlich klang es mit dem Kissen über meinen Mund eher nach 'Göööö wööch!“
„Lotte!“ begann Brigid und stellte sich neben Jane. „Ich weiß das du einen verstauchten Knöchel hast, aber das bedeutet nicht, das du dich einfach in ein verdammtes Gemüse verwandeln kannst.“
„Und die Couch in Beschlag nehmen kannst!“ fügte Jane hinzu.
Ich schob das Kissen wütend von meinem Gesicht weg. „Und was zum Teufel soll ich tun? Aufstehen und Polka tanzen?“
Jane seufzte genervt. „Das erfordert verzweifelte Maßnahmen, Ladies Besprechung!“
Vor meinen Augen, steckten meine drei Mitbewohner ihre Köpfe zusammen, um meine 'Situation' zu bereden und um einen gemeinen Plan aufzustellen, damit ich mich bewegte. Diese Verräter.
Nach einer Minute, brachen sie auseinander und drehten sich zu mir. Alle hatten ihre Hände bestimmt in die Hüften gestemmt und entschlossene (und leicht amüsierte) Ausdrücke auf ihrem Gesicht.
„In Ordnung.“ begann Eden, eher wie eine allgemeine Ankündigung eines Schlachtplans. „Hier ist der Deal. Wir leihen uns ein Boot aus, um uns Schloss Drottningholm anzusehen. Die Gärten dort sollen wunderschön sein. Du,“ hier zeigte sie mit einen Finger auf mich. „Kommst mit uns.“
Ich verdrehte die Augen. „Muss ich dich daran erinnern, das ich nicht laufen kann?“
Ein eher ziemlich gemeines Grinsen formte sich auf Janes Gesicht. „Das sollte kein Problem darstellen.“
Sie hatten definitiv etwas ausgefressen.
Hatte ich Angst?
Darauf könnt ihr wetten.
—————-
„Das ist so erniedrigend.“ zischte ich.
Kurt verdrehte die Augen. „Ach, stell dich nicht so an.“
Das war einfach für ihn zu sagen. Er wurde ja auch nicht in einem Knallroten Kinderwagen durch die Gärten von Drottningholm gezogen. Er war nur derjenige, der ihn zog.
Wie sich herausstellte, hielt sich eine Familie mit drei Kindern, in einem Zimmer auf der Etage unter uns auf. Nach einigen treuen Hundeblicken und etwas betteln (und vielleicht einen kleinen monetärer Anreiz, auch bekannt als Bargeld) hatte Jane es geschafft sie zu überreden, uns den Wagen für den Tag zu leihen.
Ich wollte natürlich überhaupt nichts mit diesen verrückten Schwindel zu tun haben, aber ich hatte nicht wirklich eine Wahl. Eden, meine angeblich beste Freundin, rief Kurt, um mich hinunter in die Lobby zu tragen, wo mein 'Wagen' bereits auf mich wartete. Ich war mehr als sauer. Vor allem aber, war mir das ganze peinlich.
Die Räder meines überaus Coolen und Neid erregenden Gefährts, knirschten den Kiesweg entlang, als unsere kleine Gruppe (meine Mitbewohner und ich, Kurt, Matt und Bryce) durch die Gärten spazierten. Ich musste zugeben, das sie wirklich schön waren. Aber um ehrlich zu sein, waren sie die seltsamen Blicke, die ich von den Passanten zugeworfen bekam, nicht wert. Sie dachten wahrscheinlich alle, das ich irgendeine Art geisteskranker Patient auf einem 'Ausflug' war, und Kurt war mein Pfleger oder so etwas.
„Ohhhh.“ quietschte Brigid plötzlich. „Lasst uns alle ein Bild vor dem Brunnen machen!“
„Großartige Idee!“ rief Eden. Sie begann dann alle vor einem großen und reich verzierten Brunnen, der in der Mitte eines Kreises lag, wo sich zwei Kieswege trafen, zu positionieren. Der Palast selbst, war im Hintergrund zu sehen.
Zu meiner völligen Bestürzung, begann Kurt mich hinter sich herzuziehen, als er sich fürs Bild aufstellte. Das letzte was ich wollte, war eine fassbare Erinnerung (so wie ein Foto) an meinen derzeitig erniedrigten Zustand.
„Kurt!“ schrie ich, was ihn amüsiert zu mir zurück schauen ließ. „Hör auf mich zu ziehen! Auf keinen Fall will ich mit auf das Bild.“
Er legte seinen Kopf schief und grinste. „Du hast nicht wirklich eine Wahl in der Angelegenheit, oder?“
Mein Mund stand offen, als er sich wieder nach vorne drehte und weiter zog. Dieser kleine dreckige....!
Ich tat das einzige, an das ich denken konnte. Ich schnappte mir eine Handvoll kleiner Kieselsteine, die den weg darstellten und warf sie auf Kurts Rücken.
Er drehte sich, mit einem breiten Grinsen auf seinem Gesicht zu mir um und drohte mit den Finger. „Na, na, Lotte. Wir werfen keine Kieselsteine auf andere Leute. Das ist nicht nett.“
Hervorragende Leistung, mich noch mehr wie ein kleines Kind fühlen zu lassen, Kurt!
Meine Blicke ignorierend, zog mich Kurt weiter in Richtung des Brunnens.
„Stell Lottes Wagen nach vorne, damit sie auch im Bild ist!“ schlug Matt unschuldig vor. Ich fügte ihn, auf meiner geistigen Liste von Leuten, die ich Kastrieren wollte hinzu.
Als jeder auf seinen Platz stand, fragte Eden einen vorbeilaufenden Mann, ob er ein Foto von uns machen würde. Dann übergab sie ihn die Kamera und rannte auf ihren Platz.
„Eins, zwei....“ begann der Mann zu zählen, und schaute durch den Sucher. „Moment noch!“ rief Kurt. Er stieß mich in den Rücken. „Lotte! Lächeln!“
Mein Blick verfinsterte sich nur noch mehr. „Nein.“ weigerte ich mich hartnäckig.
„Lächel, verdammt!“
„Nein!“ Ich konnte die waschende Spannung zwischen uns spüren. Jane verdrehte die Augen.
„Ach Kurt, lass sie finster dreinschauen. Das macht das Bild sowieso viel witziger.“
Also machte der Mann das Bild, während ich immer noch düster schaute. Als die Kamera vor mir blitzte, fragte ich mich, ob diese ganze Waffenstillstands-Sache, überhaupt je wirklich funktionieren würde.
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