13: Sag Mir Wo Die Blumen Sind*

„Der Kerl muss wohl der offensichtlichste Tourist sein, den ich je gesehen habe."

Ich schaute in die Richtung, in die Jane fast unmerklich zeigte. Ein Mann wartete, wie wir alle, in der langen Schlange, um in den Reichstag zu kommen. Frau und Kinder im Schlepptau. Er trug, was wohl das bunteste und grellste Hawaii-Hemd auf der Welt sein musste. Ich rümpfte die Nase. „Warum sollte er so was tragen wollen?"

„Vielleicht hat ihn seine Frau dazu gezwungen." schlug Eden vor.

„Warum sollte sie das tun?" fragte Jane. „Ich würde ganz sicher nicht mit einem Kerl in der Öffentlichkeit gesehen werden wollen, der aussieht wie ein Möchtegern-Surfer-Heini."

Eden zuckte mit den Schultern. „Damit sie ihn in der Menge nicht verliert, wenn er herumwandert?"

„Eden, das ist ein ausgewachsener Mann von dem wir da reden." teilte ich ihr mit. „Es ist ziemlich unwahrscheinlich, das er glänzenden Objekten hinterherjagen geht oder so etwas, und dabei verloren geht."

Sie hob ihre Hände ergeben. „Es war nur ein Gedanke."

Janes Augen weiteten sich und sie stieß mir heftig mit den Ellbogen in die Seite.

„Au!" schrie ich. „Wofür zum Teufel war das?"

„Shh!" zischte sie. „Kurt ist auf dem Weg hier her."

Ich spähte über meine Schulter. Und tatsächlich, kam die ach so vertraute, große Gestalt auf mich zu, sein Blick auf den Gehweg gerichtet.

„Scheiße!" murmelte ich.

Jane tätschelte meinen Rücken. „Bleib einfach cool."

„Cool. Genau, cool." Ich atmete tief ein und bereitete mich auf die bevorstehende Begegnung vor. Kurt räusperte sich, um mir zu signalisieren, das er neben mir stand. Ich schaute zögernd auf und entschied mich, mich auf sein Kinn zu konzentrieren (was leicht stoppelig war, aber nicht so sehr, das es total ekelig oder so war), anstatt auf seine Augen, von denen ich mir nicht sicher war, ob ich in Moment mit ihnen umgehen konnte.

„Äh, Lotte" begann er. „Können wir, äh..."

Ich nickte. „...Ja, wir müssen..."

„...ähm, später?" Er scharrte verlegen mit seinen Füßen.

„Ja..." erwiderte ich murmelnd und wandte meinen Blick von ihm ab und auf das große Steingebäude vor mir. Die Inschrift, über dem Eingang 'Dem deutschen Volke' wurde plötzlich total faszinierend.

„Also..." er verstummte. „Ähm...wir sehen uns dann später..."

„Sicher..."

Ich hielt es erst für in Ordnung ihn anzusehen, nachdem er mir bereits seinen Rücken zugewandt hatte, um zurück zu seinem Platz zu gehen.

„Also, wenn das nicht mal unangenehm war..." bemerkte Jane sarkastisch. „Du musst wirklich an deinen Sozialen-Kompetenzen arbeiten, Schätzchen."

„Also, wirst du dich bei ihm entschuldigen?" erkundigte sich Eden.

Ich seufzte. „Ja, ich denke schon." Ich musste nur eine temporäre Lagereinheit finden, in der ich für ein oder zwei Stunden meinen Stolz verstauen konnte. Vielleicht würde mir Brigid ihren Koffer ausleihen...

Die Eintrittskarten bitte." forderte der stämmige Wachmann am Eingang des Reichstags, und unterbrach somit meine Gedanken. Ich übergab ihn meine Karte und deutete Eden und Jane an, dasselbe zu tun.


Als wir das Gebäude betraten, trafen wir auf einer Reihe piepender, Flughafen-ähnlicher Sicherheitseinrichtungen, die von einer handvoll gepanzerter Beamter besetzt waren.

„Das ist ziemlich....beängstigend." flüsterte Eden.

Jane kicherte. „Du solltest Mal die Sicherheitsvorkehrungen sehen, durch die du gehen musst, um ins Weiße Haus zu kommen. Das ist so viel schlimmer."

„Nun." bemerkte ich nachdenklich. „Sie sind hier etwas weniger Paranoid, was Terroristen angeht."

Will Buckley (Extraordinäres Arschloch, Anti-Deutsch Fanatiker, amerikanischer Chauvinist, allgemeiner Vollpfosten....oh, und der Kerl, der es genoss mich 'Krautfresse' zu nennen, wann immer er die Chance dazu bekam), der zufällig vor mir stand, drehte sich zu mir um und fixierte mich mit seinem finsteren Blick. Eigentlich sah es vielmehr so aus, als hätte er Verstopfung, aber ich hatte das Gefühl, das er dachte, das er einschüchternd aussah.

„Was?" fragte ich empört.

Er sah mich von oben bis unten an. „Du bist eine Beleidigung für die stolze Nation von Amerika." erklärte er mit einem höhnischen grinsen.

Ich schnaubte. „Du bist eine Beleidigung für die menschliche Rasse. Jeder hat das Recht auf gelegentliche dumme Momente, aber du missbrauchst das Privileg."

Will, war von meiner unglaublich cleveren Beleidigung nicht amüsiert. Er grunzte mit der Grazie eines Höhlenmenschen während der Paarungszeit, drehte sich wieder um und murmelte irgendetwas das sich stark nach 'verdammte Einwanderer' anhörte.

Also, ein fremdenfeindlicher, engstirniger Kommentar wie dieser, konnte nicht ungestraft bleiben. Anstatt ihn jedoch anzuranzen, entschied ich mich für eine....kreativere Form der Rache.

Ich setzte das ernsteste Gesicht, das ich aufbringen konnte auf, und näherte mich vorsichtig einen Wachmann, mit einem Namensschild auf dem 'Ralf' stand, der in der Nähe einer dieser Röntgengeräte stand.

Entschuldigung." flüsterte ich. „Ich glaube, dass dieser Mann da vorne, irgendeine Art Waffe hat." ich zuckte mit meinen Kopf fast unmerklich in Wills Richtung. „Ich bin mir ziemlich sicher, das ich etwas in seiner Hose gesehen habe. Vielleicht war es nur sein Schlüssel, aber trotzdem..." ich verstummte unheilverkündend.

Ralf spannte sich an, dankte mir und flüsterte etwas zu einem seiner Kollegen. Ich stellte mich wieder in die Reihe, um zuzusehen, wie sich der Spaß entfaltete. Ich musste nicht lange warten.

Entschuldigung, Sir" begann Ralf ernst, trat zu Will und platzierte eine fleischige Hand auf seiner Schulter. „Aber sie müssen mit uns mitkommen."

„Huh?" grunzte Will unintelligent.

Der Wachmann verdrehte seine Augen. „Es tut mir leid, aber sie müssen mit uns kommen, Sir."

Panik breitete sich in Wills Augen aus, während ihm sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. „Was habe ich gemacht?"

„Wir haben Grund zur Annahme, das sie eine Waffe bei sich tragen." antwortete der Wachmann schroff.

Ich konnte förmlich die Buchstaben WTF über Wills Kopf schwirren sehen (natürlich mit einem großen Fragezeichen betont), als er hinter einen großen Sicherheitsschirm gezogen wurde.

Unter normalen Umständen, hätte ich nie eine so eklatant zickige Tat begangen, aber Will Buckley, war ein besonderer Fall. Er verachtete alle Ausländer (Jane hatte ebenfalls, mehr als ihren gerechten Anteil an unhöflichen Bemerkungen von ihm erhalten), aber er schien eine besondere Abneigung gegen Deutsche zu haben.

Ich wusste ganz sicher, das sein Vater ein Veteran war, und das er, in den Tagen der sowjetischen Besatzung, in West-Berlin stationiert gewesen war. Also lautete meine Theorie, das Will irgendwie seinen Hass, von den alten Vorurteilen seines Vaters übernommen hatte. Natürlich gab es auch noch die Möglichkeit, das er einfach nur ein Arschloch war.

„Lass mich raten." begann Jane, in ihrer Stimme lag eindeutig Belustigung, als Will etwas über die amerikanische Botschaft brüllte. „Du hast etwas damit zu tun, nicht wahr, Lotte?"

Ich warf ihr mein bestes unschuldiges Lächeln zu.

„Ich nehme das als ein ja."

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Die Aussicht vom Dach des Reichstags, war einfach völlig überwältigend. Ich war tatsächlich noch nie zuvor hier oben gewesen, also war ich genauso bezaubert von der Szene vor mir, wie alle andren.

„Was für eine tolle Aussicht auf das Brandenburger Tor!" staunte Eden und schoss ein Foto. „Apropos, Lotte, wir müssen mindestens ein geschmackloses, Touristenfoto vor dem Ding machen."

„Aber ich bin kein geschmackloser Tourist!" beschwerte ich mich schmollend.

„Es ist ein Teil der Erfahrung!" beharrte sie. „Wenn du nach Berlin fährst, musst du ein kitschiges Gruppenfoto vor dem Brandenburger Tor machen. Du bist Teil der Gruppe. Deshalb, musst du mit auf das Foto!"

„Ich hasse deine Logik." erwiderte ich grummelnd

„Wo wir gerade von kitschigen Bildern sprechen." unterbrach uns Bryce und schlang seine Arme um Eden und mich. „Wir werden gleich eins hier machen, mit dem entzückenden Glas Ding im Hintergrund." Er deutete auf die Kuppel, die wie ein kugelförmiges Toupet auf dem Reichstag saß.

Ich fing an zu widersprechen, aber er unterbrach mich. „Kein wenn und aber, Lotte!"

Ich beschloss mich quer zu stellen und verschränkte meine Arme. „Nein!" protestierte ich mit der Stimme, die einer fünf jährigen ähnelte. „Kein Foto!"

„Lotte." drohte er und seine dunklen Augen funkelten. „Ich muss dir wohl den Hintern versohlen, wenn du dich weiter so unartig benimmst."

Wenn Bryce jemand anders gewesen wäre, hätte ich ihn vermutlich dafür geschlagen, das er einen so unverhohlenen, sexuellen Kommentar abgegeben hatte. So aber, spielte ich mit. „Kriegst mich aber nicht!" krähte ich triumphierend, flitzte über das Dach und wich ziemlich überraschten Touristengruppen aus.

Natürlich wusste ich, das Weglaufen völlig sinnlos war, da Bryce Sportler war, aber egal.

„Ich hab dich gleich." kicherte Bryce, als er zu mir aufholte.

Ich drehte meinen Kopf herum und streckte ihn die Zunge raus. „Du kannst mich maaa...oof!" Mein Spott wurde unterbrochen, als ich kopfüber in einen unglücklichen Zuschauer hineinlief und auf meinen Hintern fiel. Bryce kriegte sich vor Lachen natürlich nicht mehr ein.

Ich funkelte meinen sogenannten Freund, böse an und drehte mich herum, um mich bei meinem zufälligen Unfallopfer zu entschuldigen, und starrte hinauf zu der einen Person, auf die ich nicht vorbereitet war. Das Leben ist schon ironisch, oder nicht?

„Alles okay, Lotte?" fragte Kurt mich und versuchte nicht all zu amüsiert auszusehen.

„Mir geht's gut!" gelang es mir zu quietschen.

„Hier, lass mich dir helfen." Er hielt mir seine Hand hin.

Ich zögerte, nahm sie dann aber und er zog mich auf meine Füße. „Danke." murmelte ich.

Er lächelte ein wenig schüchtern. „Keine Ursache."

Ich sah mich nach Bryce um, da ich das kitschige Touristenfoto, einer unangenehmen Unterhaltung mit Kurt, vorzog, aber er war auf 'unerklärlicher weise' verschwunden. Idiot.

Nervös zupfte ich unsichtbare Fussel von meinem Shirt, biss mir auf die Lippe und drehte mich zu Kurt, der aufmerksam nicht vorhandene Vögel über unseren Köpfen beobachtete. Ich schätze, jetzt, war so gut wie jede andere Zeit.

„Also." begann ich vorsichtig, und versuchte herauszufinden ob irgendeine Art Feindseligkeit in der Luft lag. „Äh, was gibt es neues?" Ich zuckte zusammen, sobald die Worte meine Lippen verlassen hatten. Was für eine überaus dämliche Art, eine Unterhaltung zu starten.

Kurt räusperte sich. „Vielleicht, äh....vielleicht sollten wir dieses Mal nicht um den heißen Brei herum reden."

Ich hatte das Gefühl, das dies eine weitere amerikanische Redewendung war, die ich nicht kannte, aber ich beschloss diesen Verdacht für mich zu behalten.

„Ich denke..." fuhr Kurt fort, und schien, je mehr er redete, sein Selbstvertrauen wieder zu erlangen. „Ich denke, das wir unsere Probleme einfach frei aussprechen sollten, damit wir sie hinter uns lassen können."

Ich nickte. „Okay."

Ein Moment lang herrschte Stille, bis Kurt, da er wohl spürte, das ich nicht vorhatte anzufangen, die Initiative ergriff. „Lotte, mir tut wirklich leid, was in Madrid passiert ist. Ich wusste nur nicht, was ich tun sollte. Ich meine, du standest da, in deiner Unterwäsche -" (an dieser Stelle errötete ich aufs heftigste) „- und das hat mich irgendwie völlig aus dem Konzept gebracht, weißt du?"

Ich lächelte schwach. „Ich weiß...ich....ich glaube, ich habe ziemlich....überreagiert. Ich war total gestresst, und du kamst herein und....ja..." Ich biss mir nervös auf meine Unterlippe. „Äh, nur fürs Protokoll, ich wäre wahrscheinlich total in Panik geraten und hätte etwas Dummes gemacht, wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre und bei mir in Unterwäsche hereingeplatzt wäre."

Kurt blinzelte. „Okay..."

„Ja." ich zuckte zusammen. „Ich weiß, das hat nicht wirklich irgendeinen Sinn ergeben." Ich starrte auf meine Schnürsenkel, die sind wirklich faszinierend, wisst ihr, und es entstand eine ziemlich bedeutungsvolle Pause.

„Ähm." begann Kurt erneut und fuhr sich nervös mit einer Hand durch seine Haare. „Ich schätze, wenn wir schon mal dabei sind...sollte ich mich für....so ziemlich alles was ich seit 1997 getan habe, entschuldigen."

„Das musst du nicht." murmelte ich.

„Aber das möchte ich." betonte er. „Was du letztens gesagt hast, auch wenn du Überreagiert hast," fügte er spitz hinzu, als er bemerkt hatte, das ich meinen Mund geöffnet hatte, um zu protestieren. „...wurde mir klar, was für ein Arsch ich dir gegenüber, die ganze Zeit gewesen bin. Ich meine, ich wollte eigentlich nie gemein sein. Du warst nur...unterhaltsam, wenn du sauer warst, schätze ich, und ich war dumm...sehr dumm."
„Nun, du bist mit einem Y-Chromosom geboren worden." scherzte ich halbherzig und versuchte damit die Spannung im Gespräch ein wenig zu verringern. „Dummheit ist leider einer der Nebeneffekte."
Er lachte anerkennend, wenn auch nicht ganz so fröhlich wie ich es mir gewünscht hätte. Ich schluckte unbehaglich. „Ich...ich möchte das du weißt, das ich...na ja, ich denke, das ist wirklich nett von dir, Kurt. Es ist nicht gerade einfach, sich zu entschuldigen. Ich sollte das Wissen." Ich atmete tief durch, um mich auf das, was ich jetzt gestehen würde, vorzubereiten. „Ich, äh...ich hab versucht den Mut aufzubringen, um mich bei dir zu entschuldigen....ähm...seit...also, gleich nachdem es passiert ist."
Er nickte ernst, aber gab keinerlei Hinweise auf seine Gefühle, was meine Feigheit anging. Ich machte mir Sorgen, das er dachte, das ich ein gewaltiges Miststück sei, weil ich nicht früher mit ihm gesprochen hatte.
„Ich...hab das Gespräch, zwischen dir und Adam letzte Nacht mitbekommen."
Kurt wechselte sofort in den Panik-Modus, was ihn so aussehen ließ, als hätte er ein paar übergroße Augen in sein Gesicht geklebt. „Das stimmt nicht, Lotte." bestritt er vehement. „Ich war nicht Notgeil! Adam ist einfach nur ein Idiot!"
Ich starrte ihn verblüfft an. „Ich hatte nicht mal vor das zu erwähnen."
Obwohl Kurt normalerweise ziemlich schwierig für mich zu lesen war, schien er genau jetzt, am liebsten vom Reichstag springen und mit einem Platschen unten auf der Straße aufkommen zu wollen. „Oh."
„Ich wollte nur sagen, das Détente nach einer ziemlich gute Idee für mich klingt. Was sagst du, Nixon?" Ich hielt ihn meine Hand hin.
Kurt starrte sie eine Minute lang an, bevor er antwortete. „Kling gut, Brezhne." Darauf gaben wir uns die Hand.
„Übrigens." fügte er hinzu. „Ich hasse Nixon."
Ich lächelte. „Nun ja, ich bin auch nicht gerade der größte Brezhnev Fan."

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Kurt Matthews Idee der Détente, stellte Richard Nixon in den Schatten (obwohl es das meiste von allem tat). Er verwandelte sich in einen der nettesten Jungs, die ich kannte. Genau genommen, war seine Verwandlung, auch wenn es ein Stück weit rührend war, fast unheimlich. Ich fragte mich, ob mein Leben sich plötzlich in ein billiges Remake von der 'Invasion der Körperfresser' verwandet hatte. Der nette Kurt musste irgendeine Art Alien Doppelgänger sein.
Als ich diese Theorie, Eden zum Ausdruck brachte, teilte sie mir mit, das ich mir viel zu viele schwarz-weiß Horror Filme angesehen hatte und sie anfingen mir zu Kopf zu steigen.
„Es ist nicht meine Schuld!" erwiderte ich und rannte fast gegen einen Laternenpfahl, während der gesamte Chor die Ebertstraße hinunter lief.
„Das Set von fünfzig Horror Klassikern, war für nur 20 Dollar im Sonderangebot! Das sind vierzig Cent pro Film, Eden. Haunted Hill, Nosferatu, das ORIGINAL von Andrew Lloyd Webbers Phantom der Oper, mit Lon Chaney....wie hätte ich da widerstehen könne?"
Eden verdrehte die Augen. „Was ist nur los mit dir und alten Filmen?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Nur eine leichte Sucht."
Sie grinste und kniff mir in die Wange. „Nun, es ist eine liebenswerte Eigenart, und ich liebe dich dafür."
„Ich liebe dich auch, Oma." neckte ich sie. „Hast du Lust dir später 'Die Nacht der lebenden Toten' anzusehen?"
„Du hast das DVD Set mitgenommen?" fragte sie überrascht.
„Natürlich!" rief ich stolz.
Sie kicherte. „Also, so schockierend es auch für dich sein mag, Lotte, es ist nicht wirklich mein Ding, dabei zuzusehen, wie Zombies aus dem Hinterhalt angreifen und Menschen essen."
„Er ist in schwarz-weiß!" wandte ich ein. „Ist ja nicht so, als wäre er ekelhaft oder so."
Eden verdrehte erneut die Augen, dieses mal auf eine liebevolle Art und Weise. „Ich kann sowieso nicht, süße. Ich hab Matt versprochen, mit ihm auf die Spitze des Turms auf den Alexanderplatz zu gehen."
„Den Fernsehturm?"
Sie nickte. „Ja, der."
Ich grinste. „Es wird dir gefallen. Von da gibt es eine großartige Aussicht über die Stadt. Es ist ebenfalls ziemlich romantisch." ich wackelte anzüglich mit meinen Augenbrauen.
„Ich weiß." kicherte sie. „Ich glaube, das ist der Grund, weshalb er es vorgeschlagen hat."
Ich strahlte, begeistert über das Glück meiner besten Freundin im Reich der Romantik. „Ihr beide gebt so ein niedliches Paar ab."
Eden seufzte zufrieden und ein seliges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Ja..."
Ich erlaubte Eden, leicht amüsiert über den verträumten Ausdruck auf ihrem Gesicht, eine Weile im siebten Himmel zu schweben. Als sie jedoch fast auf den Fahrradweg landete (vor einem Speed-Dämon, in nichts geringeren, als in einem Spandex-Anzug), beschloss ich, das es ratsamer für sie wäre, wenn sie wieder auf die Erde zurückkehren würde.
„Oh!" rief sie, als ich sie aus der Schusslinie zog und somit vor dem Irren Fahrradfahrer, der irgendetwas fieses auf Polnisch über seine Schulter schrie, rettete.
„Uh, tut mir leid deswegen."
„Keine Sorgen, Lovergirl." neckte ich.
„Also, hast du irgendeine Ahnung, wohin wir gehen?" fragte sie.
Ich schaute mich in meiner Umgebung um, und spürte wie mir das Herz in die Hose rutschte und mich Angst, wie eine Flutwelle überkam. „Ich hab das Gefühl, das ich das tue."
Eden etwas verwirrt über meine Aussage, versuchte mich weiter zu befragen, aber es erwies sich als unnötig. Denn wir waren stehen geblieben. Unser Ziel erstreckte sich vor uns: eine quadratische Fläche, bedeckt mit dunklen, rechteckigen Steinplatten, in verschiedenen Größen - Die Holocaust Gedenkstätte.
Mr. Faulkner begann eine Rede, über die Symbolik des Denkmals zu halten, wann es gebaut wurde, wer es entworfen hatte und so weiter, aber alles was ich über das Surren meiner eigener Gedanken hören konnte, war ein leises Gemurmel. Zu sagen, das ich beschäftigt gewesen wäre, wäre eine massive Untertreibung gewesen.
Niemand in meiner Familie, ging gut mit der Vergangenheit um. Jedenfalls nicht, mit der Vergangenheit unseres Heimatlandes. Wir waren alle ziemlich leicht durch sie bestürzt und bevorzugten daher, nicht darüber zu reden. Es war ein übles Kapitel in unserer Geschichte, von dem wir keine Lust hatten, es nochmal zu lesen. Ich war da keine Ausnahme.
Ich neigte dazu, Dinge zu meiden, die mich dazu zwangen, an die Gräueltaten, für die ich mich teilweise mit verantwortlich fühlte, zu denken. Wenn ich es jedoch nicht vermeiden konnte, fiel ich unweigerlich in eine Abwärtsspirale von Schuld und Trauer. In der neunten Klasse, wurde ich dazu gezwungen 'Schindler's Liste' für den Geschichtsunterricht zu schauen, und ich konnte drei Wochen lang danach nicht zu schlafen.
Die Bilder vom menschlichen Leid und brutalen Tod, spielten sich immer wieder erneut in meinem Kopf ab, wie eine schlechte Cindy Lauper Platte auf Wiederholung. Ich kam einfach nicht über die Tatsache hinweg, das meine Vorfahren etwas damit zu tun hatten.
Während es stimmte, das keiner meiner Familienmitglieder in Konzentrationslagern gearbeitet hatte (ich bezweifele, das sie überhaupt von der 'Erlösung' wussten), war ich trotzdem nie in der Lage gewesen, die überwältigenden Gefühle von ewiger Reue in meinen Herzen, zu verbannen. Und während ich dort stand, und auf die grauen Steinblöcke vor mir schaute, starrten sie zurück - eine fassbare Erscheinungsform meines tiefen Kummers und Bedauerns.
Ich nahm nur vage wahr, wie eine Hand die meine ergriff und mich in das Labyrinth von Steinen riss, „Komm schon, Lotte." drängte Eden. Als ich weiter in die labyrinthähnlichen Passagen zwischen den Steinen gezogen wurde, begann der Boden sich nach unten zu neigen. Die Blöcke, die am Eingang noch Kniehoch gewesen waren, erhoben sich auf beiden Seiten immer höher und verschlangen mich schnell in einem dunklen Schleier aus Traurigkeit und Isolation.
Ich verlor mich selbst in meiner überwältigenden Schuld und bemerkte nicht einmal, als Eden abbog und begann einen Seitengang entlangzulaufen. Ich lief auf Autopilot weiter geradeaus, schreckliche Bilder von hungernden, verstümmelten und verkohlten Leichen schossen durch meinen Kopf. Mich schüttelnd, zwang ich sie zu verschwinden. Aber sie weigerten sich.
Es dauerte nicht lange und ich fand mich im Herzen der Gedenkstätte wieder, die vier bis fünf Meter hohen Steine ragten über meinem Kopf und starrten vorwurfsvoll auf mich herab.
„Deutsche." schienen sie zu zischen. „Du bist Deutsche...es ist deine Schuld...."
„Es tut mir leid." flüsterte ich und starrte flehend zu ihnen auf. „Oh Gott, es tut mir so leid...."
Als Bäche von Tränen begannen meine Wangen hinunterzuströmen, lehnte ich mich gegen den kalten, harten Stein und glitt langsam zu Boden und zog meine Knie an die Brust.
„Deine Schuld..." beschuldigten mich die Platten. „Deine Schuld.....deine Schuld..."
Ich begann mich hin und her zu schaukeln, und starrte nach oben, auf den kleinen Streifen des blauen Himmels, mit einer Stillen Bitte um Gnade, an Gott, um mich vor den gnadenlosen Steinen, die mich umgaben, zu retten. „Oh, Gott....Gott....Gott..."
„DEINE SCHULD!"
„VERGIB MIR!" jammerte ich und streckte meine Arme gen Himmel und betete um Erlösung. „Bitte! Gott...vergib mir..." Ich brach in einen bebenden, schluchzenden Haufen auf dem Boden zusammen, die Steine wieder still.
Ich hätte dort für zwei Sekunden, zwei Minuten oder sogar zwei Stunden liegen können. Die Zeit hatte keinen bedeutenden Platz mehr in meinem Kopf. Ich erlangte nur wieder ein wenig Sinn für die Realität, als ich Schritte hörte, die sich mir schnell näherten.
„Lotte?" rief eine tiefe Stimme. „Oh scheiße....LOTTE!" Die Stimme begann panisch zu klingen, und die Schritte beschleunigten ihr Tempo. Plötzlich wurde ich von ein paar warmen und starken Armen hoch gehoben, und auf einen Jeans bekleideten Schoß gezogen.
Ich wusste wer mich gefunden hatte, aber ich konnte nicht ertragen, das er mich in solch einem elenden Zustand sah. Ich weigerte mich sogar den Blick der haselnussbraunen Augen zu treffen, die ich Löcher in meine Seele bohren spürte.
„Lotte, was ist passiert?" fragte Kurt, seine Stimme vor Sorge leise. Ich schluchzte lediglich als Antwort darauf weiter.
Kurt stieß eine Art ersticktes Geräusch aus und zog mich an seine Brust. „Oh, Gott, Lotte."
Ich vergrub mein Gesicht in die Wärme, die seine Anwesenheit zur Verfügung stellte, dabei ruinierte ich vermutlich sein Shirt, aber es schien ihm nichts auszumachen. Er wiegte mich wie ein Kind einfach vor und zurück, und streichelte mir mit seiner Hand beruhigend über den Rücken. Hin und wieder äußerte er etwas, das ich, unter normalen Umständen, lächerlich gefunden hätte, wie: „Shhh, Lotte, Engel, ist in Ordnung, süße, shhh.."
„Kurt." wimmerte ich. „I-ich...sie...."
Er legte sanft einen Finger auf meine Lippen und brachte mich damit zum Schweigen. „Shh. Beruhige dich, süße."
Ich schluckte ein oder zweimal, dann atmete ich ein paar Mal tief durch, um mich selbst zu beruhigen. Kurt wischte mir zärtlich mit seinen Daumen über meine Wangen. „Dein Mascara läuft dir über dein Gesicht."
Ich hickste. „Sehe ich aus wie ein Waschbär?"
„Nee." versicherte er mir. „Ganz sicher nicht. Willst du mir jetzt erzählen, was passiert ist?"
Ich erschauderte, die Erinnerung an die bedrohlichen, vorwurfsvollen Steine immer noch frisch in meinem Kopf. „Ich...ich fühle einfach....hier zu sein..."
Kurt verstand was ich meinte. Der Blick von Verständnis und Mitgefühl, den er mir gab, brach wie eine Spitzhacke in einen Damm und bevor der arme Junge überhaupt wusste, was los war, ertrank er im Stausee meiner Gefühle.
„Oh, Kurt!" heulte ich, warf meine Arme um seinen Nacken und schluchzte hysterisch gegen seine Schulter. „Es ist meine Schuld! Meine Schuld! Sie sind TOT, Kurt, TOT! Und es ist alles meine Schuld."
Er drückte mich fest an sich, als ob er mich vor dem Schrecken der mich aus meinen Verstand verfolgte beschützen könnte. „Shh, Lotte. Es ist nicht deine Schuld. Nichts ist deine Schuld."
„Aber," würgte ich hervor. „Meine Familie..."
Er begann erneut mit seiner Hand beruhigend über meinen Rücken zu streicheln. „Nein, Lotte. Es ist auch nicht die Schuld deiner Familie. Niemand wusste wirklich was passierte, bis es vorbei war."
Mit einer Hand strich er mir ein paar eigensinnige Strähnen, meiner blonden Haare aus meinen Augen. „Bitte hör auf, dir selbst so die Schuld dafür zu geben. Das macht dich nur unglücklich. Bitte, Lotte..."
Ich nickte stumm, und wischte mir die letzten meiner Tränen weg.
„Soll ich Mr. Faulkner suchen gehen? Oder Eden?" fragte Kurt.
„Nein." rief ich aus, wahrscheinlich ein wenig verzweifelter, als ich es hätte sollen. Ich war einfach noch nicht bereit, aufzustehen. „Nein, Kurt. Bitte...bitte, bleib...einfach nur ein klein bisschen länger, bei mir....bitte."
Er lächelte und hielt mich weiter fest. „Natürlich."
Als ich dort so auf dem Boden, in der Mitte des Holocaust Mahnmals, in Berlin saß, kam ich zu dem Schluss, das ich mich nie mehr bewegen wollte. Es fühlte sich einfach so beruhigend an, in Kurts Armen zu liegen, ihn mein Herz auszuschütten und getröstet zu werden.
Ich klammerte mich an ihm, wie es jemand auf einer stürmischen See an einen Fels tun würde, und er wurde der einzige Anker, der meinen Verstand beisammen hielt. Selbst wenn der nette Kurt, nur eine Schalen-Person war, war ich unbeschreiblich dankbar, ihn einmal mehr, zu meinen Freunden zählen zu dürfen.

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Ein Erdinger, bitte." bestellte ich und reichte den Barkeeper 3 Euro. Er duckte sich unter die Theke und tauchte mit einem köstlichen Hefeweizen in seiner Hand wieder auf.

Ich strahlte ihn an. „Danke." Zufrieden machte ich mich wieder auf dem Weg zu meinem Platz, und wackelte mit meinen Zehen, im Sand der Strandbar um Ufer der Spree. Dies war ein weiter meiner Lieblingsorte in Berlin. Es war Donnerstag, der Tag vor dem Konzert und Mr. Faulkner hatte uns etwas Zeit, für uns selbst gegeben, also hatte ich natürlich Eden und Jane mit auf eine weitere 'Lotte-Spezial-Besichtigungstour geschleppt.

Zum Glück hatte sich mein Denkmal-induzierter Nervenzusammenbruch am Tag zuvor gelegt, so, das ich mich wieder wie mein normales Selbst verhielt.
„Bist du jetzt glücklich, das du dein Bier hast?" fragte Jane mit einer hochgezogenen Augenbraue, als ich mich neben sie nieder ließ.
„Oh, ja." antwortete ich, öffnete den Flaschenverschluss und nahm einen Schluck.
Sie schüttelte ihren Kopf liebevoll. „Du bist so ein Alki."
„Bin ich nicht!" gab ich zurück. „Ich brauche keinen Alkohol. Ich verbinde einfach nur den Geschmack von Bier mit Deutschland, und meiner Familie. Daran gibt es nichts auszusetzen."
Jane lehnte sich weiter in ihren rot-weiß gestreiften Strandkorb zurück. „Also ist Kultur deine Entschuldigung."
Ich zuckte mit den Schultern. „Es ist dasselbe, wie mit den Russen und Wodka, denke ich."
Sie kicherte. „Kurt ist zum Teil Russe, und er rennt nicht umher, und kippt sich Alkohol der aus Kartoffel gemacht wurde rein."
Ich dachte darüber nach und tippte dabei einen Moment lang mit meinem Finger auf meinem Kinn herum. „Ja, aber er ist nur ein viertel Russisch, also zählt er nicht." Zufrieden damit, trank ich einen weiteren Schluck von meinem Bier.
Eden wurde munter. „Oh, Lotte, wo wir gerade von Kurt sprechen, hab ich dir gesagt, das Matt ihn letzte Nacht, in seinem Schlaf von dir hat reden hören?"
Besagtes Bier, spritze aus meinem Mund und über die Beine eines unbekannten Zuschauers, der darüber nicht besonders erfreut zu sein schien.
„Was?" stotterte ich, nachdem ich mich schnell entschuldigt hatte. „Er hat in seinem Schlaf über mich geredet?"
Sie nickte. „Jup. Das ist jedenfalls das, was Matt mir erzählt hat."
„Was hat er gesagt?" fragte ich.
„Keine Ahnung." antwortete sie schulterzuckend. „Matt hat gesagt, das dein Name im Grunde das einzige war, was Kurt gesagt hat, dass tatsächlich Sinn ergab. Er hat scheinbar auch irgendetwas davon gesagt das der Lila Reis ausgeht und er mehr von David Ricardo kaufen müsste aber ich glaube nicht, dass das irgendwas mit dir zu tun hat."
Ich hob meine Augenbraue. „David Ricardo, wie der berühmte Ökonom?"
„Ich denke schon." bestätigte Eden.
Jane kicherte. „Vielleicht ist Kurt ein Geheimer-Aktivist für die Erschaffung eines freien Marktes für Lila Reis."
„Weil das ja, heutzutage ein so heiße Handelsware ist...." witzelte ich sarkastisch. „Aber im Ernst, warum sollte Kurt in seinen Schlaf über mich sprechen?"
Jane grinste schelmisch. „Ich wette, ich weiß..."
Ich fixierte sie mit einem finsteren Blick, der einen Volkswagen, der mit 150 km/h auf der Autobahn unterwegs gewesen wäre, sofort zum völligen Stillstand gebracht hätte. „Denk nicht mal daran."
Sie klimperte unschuldig mit ihren Wimpern und gab dann einen Husten vor, das verdächtig nach 'Feuchter Traum' klang. Ich schlug ihr gegen den Hinterkopf.
Eden rümpfte ihre Nase. „Schlechter Eindruck."
„Wem sagst du das!" stimmte ich zu und verdrehte die Augen.
Jane zuckte die Schultern. „Ich denke das es irgendwie süß ist, um ehrlich zu sein..."
Eden und ich warfen ihr identisch, skeptische Blicke zu. „...auf eine perverse Art und Weise...."
„Das ist vermutlich sowieso nicht das was es war." entschied Eden. „Leute reden andauert in ihrem Schlaf. Tatsächlich machst du das recht häufig, Lotte."
„Ich weiß." gab ich verlegen zu. Hans hatte mir das viele Male während meiner Kindheit gesagt.
„Sogar, letzte Nacht." kicherte Jane. „Du hast die ganze Zeit von einem Squash Spiel gegen Kaiser Wilhelm den dritten geredet. Anscheinend, hat er dich ordentlich abgezogen, was Sinn ergibt, da wir ja alle wissen, wie schlecht du bekanntermaßen in Schläger Sportarten bist. Trotzdem war es ziemlich unterhaltsam."
Mein Schönheits-Schlaf hat sich in eine Open-Mic Nacht verwandelt. Großartig.
„Nun, tut mir leid dich aufgeweckt zu haben." entschuldigte ich mich und trank den Rest von meinem Bier aus.
Jane grinste. „Nee, das war es so was von Wert. Erlebt man auch nicht alle Tage, das man jemanden einen toten Monarchen, über Bälle im Aus anschreien hört."
„Auf jeden Fall besser als Stand-Up Comedy." stimmte Eden zu.
„Schön, das ich euch unterhalten konnte." spottete ich. Ich war jedoch froh, das sich die Unterhaltung von Kurts angeblicher Sex Fantasie entfernt hatte. Ich wollte wirklich nicht daran denken, vor allem, wenn es nur die entfernteste Möglichkeit gab, das ich darin verwickelt war.
„Seit ihr bereit von hier zu verschwinden?" fragte Jane.
Eden hob eine Augenbraue. „Wirst du unruhig?"
„Ein wenig, ja." gab Jane verlegen zu.
„Schon okay." antwortete ich, stand auf und ging zurück zur Bar, um meine leere Flasche zurückzubringen. „Es gibt sowieso noch einen Ort, den ich besuchen wollte."
Ich führte sie zur Straße, bog dann rechts ab und begann in die Richtung meines angestrebten Zielorts zu laufen. Ich hatte es als Kind viele Male besucht und ich hätte meinen Weg dorthin, mit verbundenen Augen gefunden. Unterwegs hielt ich inne, und huschte in einen Blumenladen und kaufte eine einzelne gelbe Rose.
„Für wem ist die?" fragte Eden neugierig und legte ihren Kopf schief.
Ich fuhr mit einem Finger über die zarten Blütenblätter. „Meinen Großonkel."
Meine zwei Begleiter schauten sich gegenseitig verwirrt an, zuckten mit den Schultern und folgten mir aus dem Laden und die Straße hinauf in Richtung eines scheinbar großen Parks am Ende davon. Als wir uns jedoch den schmiedeeisernen Toren näherten, wurden die gemeißelten Steine, die sich über das Gras verteilten, sichtbar.
„Lotte?" begann Eden unsicher. „Wo sind wir?"

Friedhof zwei, der Sophiengemeinde." antwortete ich und öffnete das Tor. „Opa Karls Bruder, Alfons, liegt hier begraben."

Sie nickte verständnisvoll, und wir drei gingen schweigend an den alten Gräbern vorbei. Einige von ihnen bröckelten bereits und waren von Moos und Flechten bedeckt. Ich hielt schließlich vor einem blassen Granitstein an, der vom Wetter ein wenig verwittert war, aber ganz sicher nicht vernachlässigt wurde, und las wortlos die Inschrift:

„Was bedeutet es?" fragte Eden leise.

Ich nahm mir einem Moment, um tief durchzuatmen, bevor ich antwortete. „Alfons Wilhelm Leisch: geboren am elften Mai, 1924; gestorben am vierten April, 1945; geliebter Sohn und Bruder, Schlaf in Gottes Armen."

Fast wie im Traum, sank ich langsam auf meine Knie und legte die gelbe Rose auf sein Grab. Ich äußerte ein leises Gebet und starrte dann Gedanken versunken auf den Grabstein...

Eine gewaltige Explosion erschütterte die provisorische Barrikade, als eine Bombe auf der Straße hoch ging. Der achtzehn Jahre alte Karl Leisch, duckte sich hinter den Haufen Sandsäcke und schlang seine Arme über seinen Kopf, als ob den Helm gegen seinen Schädel zu quetschen, ihn vor dem Angriff schützen würde. Seine Pistole gegen die Brust klammernd, spähte er auf die rauchenden Ruinen, die einst die Friedrichstraße, einer der Hauptstraßen durch Berlin, gewesen war.

Ein junger Mann, der in einer ähnlichen S.S. Uniform gekleidet war wie Karl, rannte aus den Überresten einer Bäckerei und zu der Stelle, wo sein Kamerad versteckt lag.

Die Russen kommen!" schrie er und fuchtelte wie wild mit seinen Armen. „Sie werden uns alle töten!"

Karls Atem stockte und er griff schnell nach dem Foto, das er immer in der Tasche trug. Wenn er zum Sterben, durch die Hände der sowjetischen Soldaten verurteilt war, musste er das Gesicht von Irmgard, seiner Geliebten, noch ein letztes mal sehen. Er hatte gehofft sie zu heiraten, wenn sie genug Geld gespart hatten, aber der Plan wurde unterbrochen, als er eingezogen wurde. Er wusste wirklich nicht, worum es in dem Krieg ging, er war noch recht jung, als die nationalistische Partei erstmals an die Macht kam, und er war gerade mal 13 Jahre alt, als die Kämpfe begannen. Er wollte nicht mit, in die ganze schmutzige Angelegenheit hineingezogen werden, aber es war nicht so, als hätte er eine große Wahl in der Sache. Jetzt, wo er inmitten der Schlacht war, war alles was er wusste, das er seine Heimat und seine Familie, vor sämtlichen Gefahren beschützen wollte. Im Moment war die Bedrohung, die rote Armee.

Alfons!" schrie er zu einer anderen Barrikade etwa zwanzig Meter entfernt, wo sein 20 Jahre alter Bruder, Zuflucht gesucht hatte. „Komm, wir müssen unsere Heimat beschützen."

Alfons kroch vorsichtig hinter seinem Schutz hervor und raste hinüber, wo sein Bruder hockte. „Karl" begann er und starrte auf seine Hände. „Ich hab Angst. Normalerweise würde ich nie so etwas sagen, aber du bist mein Bruder und ich muss ehrlich sein." Er hob langsam seinen Kopf, und die Angst war deutlich in seinen hellblauen Augen zu sehen.

Karl schluckte den Kloß, der begonnen hatte sich in seiner Kehle zu bilden, hinunter. „Ich habe auch Angst." gab er zu und nahm die Hand seines Bruders, in wie er hoffte einer unterstützenden Geste. „Aber wir dürfen uns nicht um uns selber Sorgen. Denk an unsere Familie, an Mama und Papa und unsere Schwestern..." Und an Irmgard, fügte er in Gedanken hinzu.

Alfons holte tief Luft und schien sich zusammen zunehmen, um sich den Kampf zu stellen. Er nickte seinen Bruder entschlossen zu und die beiden traten hinter der Barrikade hervor, um sich den verschiedenen Gruppen von Soldaten und bewaffneten Zivilisten anzuschließen, die bereits auf den Vormarsch waren, um den Feind zu treffen.
Sie waren ein bunt zusammengewürfelte, unorganisierter Haufen von Männern, die von Jahren des Krieges bereits erschöpft waren, und halbherzig versuchten die Invasionstruppen zurückzudrängen, um damit zumindest einen Funken ihrer Würde zu behalten.
Die Schlacht von Berlin, hatte sich irgendwie zu ein Frei-für-alle Kampf entwickelt. Menschen liefen in alle Richtungen, mit was für immer eine Waffe sie auch in die Finger bekamen und versuchten einfach nicht getötet zu werden. Die ranghöchsten Kommandanten hatte sich wie Feiglinge, mit Hitler, in einem befestigten Bunker versteckt, und zwangen die 'einfachen Leute', sich den Gefahren der Schlacht, allein zu stellen. Karl konnte sie zu verachten.

Plötzlich entdeckte er eine Gruppe russischer Soldaten, die mit Gewehren in Anschlag aus einer Seitengasse gerannt kamen. „VORSICHT!" brüllte er.

Als sie die feindlichen Truppen auf sich zukommen sahen, verstreute sich die Mischung aus Soldaten und Zivilisten und suchten Zuflucht hinter allem, was zur Verfügung stand. Sie trafen auf einen Hagel von sowjetischer Kugeln, gefolgt von den schrecklichen Schreien, von jenen, die getroffen wurden.

Karl tauchte hinter einen teilweise zerstörten Auto, und wich nur knapp, was sicherlich ein tödlicher Schuss gewesen wäre, aus. Er hob schnell den Lauf seiner Pistole über den Rand seiner Zuflucht und feuerte ein paar Kugeln, von den er glaubte, das es die allgemeine Richtung der sowjetischen Truppen war, ab. Er hatte keine Ahnung, ob er jemanden traf oder nicht, aber er hatte kein Verlangen, zu riskieren, seinen Kopf in die Reichweite der russischen Infanteristen zu bringen, nur um einen Blick zu erhaschen.

Ein stechender Schmerz schoss plötzlich durch sein Bein. Eine Kugel hatte ihren Weg unter dem Auto hindurch gefunden. Er stieß ein gequältes Stöhnen aus und schaute auf sein verletztes Bein hinunter. Es schien nicht all zu schlimm zu sein, da sie scheinbar nur seine Wade gestreift hatte. Obwohl die Wunde brannte, betrachtete Karl es als Glück, das die Kugel nicht in seinem Fleisch stecken geblieben war. Er drückte eine Fingerspitze auf die Wunde, was einen stechenden Schmerz, in seinem Bein hervor rief. Er fluchte laut.

KARL?"kam ein panischer Schrei, von hinter einem nahe gelegenen Haufen Schrott. „Was ist passiert?"

Ich wurde getroffen, Alfons." stöhnte er.

Ich komme, kleiner Bruder." brüllte Alfons. „Ich komme." Er sprang aus seinem Versteck und begann in die Richtung zu rennen, in der sein Bruder lag. Er hatte fast die verhältnismäßige Sicherheit des alten Autos erreicht, als ein sowjetisches Gewehr, die Kugel abschoss, die sein Leben beenden würde.

Alfons!" schrie Karl, als sein Bruder sich an die Seite packte und zusammen brach. „ALFONS!"

Alfons streckte seinen linken Arm schwach aus. „Bruder..." keuchte er.

Karl ignorierte den stechenden Schmerz in seinem Bein, sammelte all seine Kraft in seinem Körper zusammen, stand auf und humpelte so schnell wie er konnte, in Richtung der Blutlache, die sich um seinen Bruder zu sammeln begann. Er schlang einen Arm unter Alfons, zog ihn hinter die Barrikade und wich dabei drei Schüssen aus.

Als Alfons sterbend dalag, wiegte Karl ihn in seinem Schoss, und versuchte ihn zu beruhigen, indem er leise ein trauriges Wiegenlied summte, das ihre Mutter ihnen als Kinder immer vorgesungen hatte.

Warum?" wimmerte Alfons, seine Atmung wurde flacher und schwankte.

Karl schüttelte seinen Kopf verloren. „Ich weiß es nicht....ich weiß es nicht..."

Alfons Atem stockte und signalisierte das der Tod endlich angekommen war. „Auf Wiedersehen, Karl." flüsterte er. Mit seinen letzten Worten, hörte auch sein Herz aufzuschlagen und sein Körper wurde schlaff in den Armen seines Bruders.

Auf Wiedersehen." würgte Karl hervor und Tränen begannen seine Sicht zu verwischen. Der Klang der Schüsse war weiter die Straße hinunter gewandert und er riskierte aus seinem Versteck zu kriechen. Alfons Körper fest an seine Brust gepresst. Er konnte sehen wie der Kampf ungefähr siebzig Meter entfernt, weiter ging. Also humpelte er in die entgegengesetzte Richtung und suchte schließlich Zuflucht, in dem inneren einer verfallenen Kirche. Er legte die wertvolle Fracht, am Fuße des Altars ab und sprach jedes Gebet, das er kannte und bat den Herrn, das schreckliche Blutbad zu beenden...

Eine einsame Träne lief meine Wange hinunter und ich spürte wie Eden eine Hand auf meine Schulter legte. Ich legte meine über ihre, und drückte sie leicht.

„Was machst du denn hier?" wollte eine tiefe, raue Stimme wissen, und unterbrach somit, meinen Moment der Trauer.

Ich drehte mich um und fixierte Will Buckley mit einen Blick so kalt, wie flüssiger Stickstoff. „Ich zolle meinen Respekt. Was könntest du wohl hier auf dem Friedhof zu tun haben?"

Will teilte ein Grinsen mit Seth Venon und Carey Harris, seinen Kumpanen, die ihn offenbar begleitet hatten. „Wir zollen unsere Respektlosigkeit." Seth und Carey lachten über den lahmen Wortwitz, als wäre er absolut brillant. Ich verlagerte meinen mörderischen Blick auf die beiden und sie hörten schnell auf. Dämliche Arschkriecher.

„Was genau meinst du damit?" fragte ich in einer gefährlich leisen Stimme, stand auf und begann langsam in die Richtung der Gruppe von dummköpfigen Schurken, zu laufen. Seth und Carey traten beide jeweils einen nervösen Schritt zurück, aber Will schien unbeeindruckt. „Hier sind Nazis begraben." verkündigte er und ein arrogantes Grinsen zierte seine Lippen. „Wir spucken auf ihre Gräber."

Die Anzeige auf dem Lotte Leisch Wut-O-Meter begann in den roten Bereich zu klettern, was im wesentlichen übersetzt hieß 'Wütender Nashorn Modus - kletter jetzt auf einen Baum und bleib da, oder stell dich meiner Rache.'

„Das ist heiliger Boden, du rücksichtsloses Arschloch." knurrte ich. Gehässigkeit schürte jedes meiner Worte. „Ihr habt absolut kein Recht, die letzte Ruhestätte dieser Menschen, mit eurer Keim-verseuchten Spucke zu entweihen. Verpisst euch verdammt noch mal hier. Sofort."

Ohne mich zu beachten, deutete Will auf das Grab hinter mir. „Wer ist das dann?"

„Mein Großonkel." antwortete ich und presste meine Zähne aufeinander, um mich zusammen zu reißen. Auf eine ziemlich beunruhigende Weise kichernd, ging er hinüber zum Grabstein.

„Alfons Wilhelm Leisch." las er mit einem deutlich verspottenden Ton. „Im Krieg getötet. Oh mei, oh mei oh mei." Er drehte sich, mit einem höhnischen Grinsen auf seinen Lippen, zu mir. „Der Bastard verdient kein anständiges Begräbnis. Er hätte in der Sonne zum verrotten, liegen gelassen werden sollen."

Wenn ich eine Zeichentrick-Figur gewesen wäre, wäre mir sicher Dampf aus den Ohren gekommen. Ich brachte jedes Quäntchen Selbstbeherrschung das ich besaß auf, um Will nicht anzugreifen, und ihm zu einen blutigen Haufen zusammen zu schlagen.

Muss....meine....Wut....kontrollieren....

Will erkannte offenbar die Warnsignal, das der sprudelnde Vulkan vor ihm auszubrechen, und ihm unter einen Ansturm von Lava und Bimsstein zu begraben drohte, nicht. „Hey, Krautfresse." spottete er. „Ja, du. Wie gefällt dir das, Krautfresse?" Und damit, räusperte er sich und spuckte. Es landete auf Alfons Grabstein, direkt in der Mitte seines Namens.

Alle Anwesenden starrten geschockt auf den Klumpen Spucke, bis Eden ein Blatt vom Boden aufhob und versuchte es abzuwischen. Also, ich war nie ein großer Fan von Gewalt. Es brauchte eine Menge, mich bis zu dem Punkt zu bringen, wo ich komplett meine Fassung verlor. Meine Familie allerdings zu Beleidigen, war eine todsichere Methode mich wütend zu machen und mich in kürzester Zeit zum Siedepunkt zu bringen. Es war eine Schande, das Will das nie über mich gelernt hatte...nun ja, zumindest eine Schande für ihn.

Überaus wütend, ballte ich meinte rechte Hand in eine Faust. Und dann, schlug ich mit aller Kraft die ich aufbringen konnte, Will so hart, das er zu Boden fiel und er ohne Zweifel ein hübsches Veilchen davon tragen würde.

Das Arschloch starrte ungläubig zu mir hinauf und bemühte sich rückwärts über den Boden zu krabbeln, wie eine Art verrückte Krabbe, als ich auf ihm zusteuerte. Tränen der Wut strömten über meine Wangen.

„Du elender Hurensohn!" brüllte ich, hob einen Stein auf und warf ihn auf seinen Kopf. Zum Glück für ihn, verfehlte ich ihn. „Du abscheuliche, verachtenswerte, widerlicher kleine Kakerlake!" Ich zielte zwei schnelle Tritte gegen seinen Bauch und hätte wahrscheinlich noch mehr Schaden zugefügt, wenn Eden und Jane mich nicht zurück gehalten hätten.

„Er ist es nicht wert, Lotte." Erklärte Eden und versuchte mich zu beruhigen.

„Ja." stimmte Jane zu. „Er ist nur ein kleiner, dummer Verlierer, der einfach nur wütend ist, weil er nicht flachgelegt wird."

Will stotterte.

„Tu nicht so, als würde es nicht stimmen." schnauzte Jane.

Normalerweise hätte ich das lustig gefunden. Unter den gegebenen Umständen jedoch, hatte ich genug. Ich befreite mich aus dem Armen meiner Freunde und rannte. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich ging. Alles was ich wusste war, das ich da weg musste.

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