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Kiran holte mich von der Schule ab. Ich bemerkte sofort, dass etwas anders war. Seine Augen glänzten fiebrig und er fuhr so aggressiv, dass ich mich mehr als einmal am Türgriff festklammerte. „Kiran, bitte! Ich möchte lebend ankommen! Könntest du dein Tempo vielleicht ein bisschen drosseln?" fragte ich schließlich, als er die nächste Siedlung mit deutlich mehr als 30 km/h durchfuhr. Sofort trat er auf die Bremse. „Entschuldige, bitte." Dann schwieg er wieder und ich traute mich nicht zu fragen, was los war. Schließlich hielten wir vor Kirans Haus. Schnell öffnete ich die Beifahrertür und stieg mit wackeligen Knien aus. Scheibenkleister, das war heftig gewesen. „Wenn du morgen wieder so fährst, lauf ich" beschwerte ich mich. „Es tut mir wirklich leid, aber es gab einen...Zwischenfall, der mich etwas aus der Bahn geworfen hat." Ich sah ihn abwartend an, in der Hoffnung, dass er den Zwischenfall genauer erläutern würde. Als er nichts sagte, seufzte ich leise. „Lass mich raten, du kannst auch darüber mit mir nicht reden?" fragte ich schnippischer, als eigentlich beabsichtig war. „Du hast es erfasst" erwiderte Kiran kalt und lief zur Haustür. „Kommst du?" fragte er, ohne sich umzudrehen. Ich schluckte eine zickige Antwort, die mir auf der Zunge lag, hinunter und folgte Kiran ins Haus. Das Schweigen hielt an, als wir oben in seiner Wohnung waren. Sofort verzog Kiran sich in sein Büro, ließ mich einfach ohne ein Wort mitten im Wohnzimmer stehen. Ich seufzte, dabei hätte ich gerade jetzt eine tröstende Umarmung nur zu gut gebrauchen können. Der Tag in der Schule hatte mich aufgewühlt, mir noch mal klar gemacht wie sehr mir Nele fehlte. Ich hatte keine Ahnung wie ich die Beerdigung in ein paar Tagen überstehen sollte. Ich schluckte die Tränen runter und machte mich in Kirans Küche auf die Suche nach etwas Essbaren. Wenn er mich schon hier stehen ließ, musst er damit rechnen, dass ich mich selbstständig um meine Versorgung kümmerte. In den tiefen des Vorratsschrankes fand ich eine Packung Instand Nudeln. Großartig kochen wollte ich hier nicht. Kirans Küche flößte mir gewaltigen Respekt ein. Der Wasserkocher war relativ einfach zu bedienen und inzwischen kannte ich mich bei Kiran gut genug aus um zu wissen, wo er sein Geschirr lagerte. Ich angelte mir eine Müslischale aus dem Hängeschrank, kippte die Nudeln inklusive Geschmacksverstärkertütchen (das hatte ich heute mehr als nötig) rein und schüttete genügend Wasser drüber. Aus Kirans Büro kam kein Laut. Gut, dann sollte er eben schmollen, aus welchem Grund auch immer. Da mich die Stille langsam erdrückte, scrollte ich auf meinem Account durch meine Playlisten und blieb schließlich an meinem aktuellen Lieblingslied hängen, während ich dich Nudeln verspeiste. Da ich es hasste, wenn man benutztes Geschirr einfach stehen ließ, nahm ich meine Schale und trug sie zur Spülmaschine. Beziehungsweiße, ich versuchte es. Schusselich, wie ich war, glitt mir die Schale in dem Moment aus der Hand als ich gerade dabei war die Spülmaschine zu öffnen. „Na toll, verdammter Mist" fluchte ich leise, doch bevor ich mich bücken konnte um die Scherben aufzulesen. Schoss eine große Hand mit langen, messerscharfen Klauen nach vorne, packte meinen Hals und drückte mich gegen die Anrichte. Das harte Material drückte schmerzhaft gegen meinen Rücken, aber das nahm ich gar nicht wahr. Ich starte panisch in das schwarze paar Augen, dass mich so hasserfüllt und zornig anstarrte. Die Hand schloss sich fester um meine Kehle und das atmen fiel mir schwer. „Was in Gottes Namen muss ich tun, damit ich hier in meinem Haus meine Ruhe habe?" hinter diesem animalischen, wütenden Knurren konnte ich entfernt Kirans rauen Bariton erkennen. „Was. Muss. Ich. Tun." Fauchte mich das kiranähnliche Wesen an. Seine Haare wogen wild um seinen Kopf, die Pupillen waren sichelförmig und hoben sich kaum von der schwarzen Iris ab. Eine Mischung aus Faszination und Panik waberte durch meine Adern. Dieses Wesen vor mir war auf eine grausame Art schön. Doch die Faszination verschwand in dem Moment in dem es seine Krallen noch tiefer in meinen Hals bohrte. Es tat weh und ich konnte bereits die ersten Tropfen Blut über meine Hals laufen spüren. Tränen traten in meine Augen und ich gab ein ersticktes „Bitte nicht" von mir. Meine Worte schienen das Wesen aus seinem Rausch zu holen. Abrupt lies es mich los und ich rutschte kraftlos auf den Boden. Tränen liefen in einem stetigen Strom über meine Wangen. Kalt starrte das Wesen mich an. „Wenn ich zurückkomme, bist du verschwunden. Haben wir uns verstanden?" Kalt wie Eis strichen die Worte über meine Seele und tief in meinem Inneren zerbrach etwas. Ich konnte es brechen hören. Das Wesen starrte mich weiter an, es schien auf eine Antwort zu warten. Hecktisch nickte ich. Darauf schien es gewartete zu haben, denn es dreht sich um und wenige Sekunden später hörte ich die Haustüre ins Schloss fallen. Panisch rollte ich mich auf dem Boden zu einer Kugel zusammen. Schluchzer schüttelten meinen Körper. Dieses Wesen sah Kiran nicht nur ähnlich, nein. Dieses Wesen WAR Kiran. Diese Erkenntnis lies mich nur noch heftiger weinen. Was war gerade passiert? Das Bild wollte nicht aus meinem Kopf. Diese seelenlosen, bodenlosen schwarzen Augen, die mich so kalt, vollkommen ohne Mitleid gemustert hatten, als wäre ich ein Insekt. In meinem Kopf formten sich Bilder aus der Nacht, in der Nele getötet wurde. Diese Wesen hatten die gleichen seelenlosen...nein, mein Verstand weigerte sich, diese Erkenntnis weiter zu spinnen. Es musste eine andere Erklärung für Kirans...Wesensveränderung geben. Erschöpfte wankte Richtung Wohnungstüre. Darüber würde ich mir später Gedanken machen. Er wollte, dass ich verschwinde und ich wollte mir nicht ausmalen, was er mit mir machte, wenn er mich später noch hier in seiner Wohnung fand. Mein Hals brannte immer noch. Mit tränenverhangen Augen wankte ich die Treppe zur Haustüre hinunter. Wie sollte ich jetzt nach Hause kommen? In meinem Tempo würde es mindestens eine Stunde dauern. Wieder wollte ein Schluchzer aus mir rausbrechen. Ich wollte nicht noch mehr weinen. Wütend über den nicht enden wollenden Tränenstrom wischte ich mir energisch über die Augen, was nicht viel nützte. Nur wage bekam ich mit, dass neben mir ein Auto hielt. „Hey, Kleines. Kann ich dich irgendwo hin mitnehmen?" Die Stimme war sanft und dunkel. Abrupt hob ich dem Kopf und starrte in ein paar graue, fast schon quecksilberne Augen.
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