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Bis die Polizei eintraf hatte sich schon eine kleine Schar Schaulustiger versammelt. Ich versuchte die Tote so gut es ging vor ihren neugierigen Blicken zu schützen. "Frau Gerlinger?" Ein Polizist mittleren Alters mit grauen Schläfen und einem mürrischen Gesichtsausdruck kam auf mich zu. Ich saß in einiger Entfernung auf einem Stein, immer noch klitschnass. Es hatte noch keiner für nötig gehalten mir eine Decke oder ein Handtuch zu geben und so wie der Polizist aussah würde sich das auch nicht ändern. Vielleicht müsste man unserem "Freund und Helfer" mal sagen, dass man durch ein gewisses Maß an Freundlichkeit gleich viel Vertrauensvoller aussah. "Ja, die bin ich" sagte ich knapp. Er musterte mich. "Kannten Sie die Tote?" Ich schüttelte den Kopf. Mir war kalt und ich sehnte mich nach trockenen Klamotten und einer heißen Dusche. "Also kommt sie nicht von der Insel?" "Hören Sie, ich weiß es nicht. Ich kannte sie nicht." "Also kennen Sie keinen Namen, Anschrift, etc.?" Ich verneinte wieder. "Finden Sie es nicht seltsam, dass genau Sie immer die Toten finden." Ich richtete mich etwas auf. Eigentlich war mir klar gewesen, dass irgendwann der Verdacht aufkommen würde, ich hätte damit was zu tun. "Falls Sie andeuten möchten, dass ich etwas mit dem Tod der letzten Frauen zu tun habe so lautete meine Antwort Nein. Ich kannte sie alle nicht. Eines der Mädchen ging auf meine Schule und falls Sie es noch nicht wissen ist meine beste Freundin selber Opfer dieser Morde gewor..." Ich verstummte. Ich war so blöd, so blind. Natürlich, die Monster, die Nele am Strand umgebracht hatten waren auch für die Toten hier verantwortlich. "Frau Gerlinger? Ist Ihnen noch etwas eingefallen, was uns weiter helfen könnte?" Der Polizist sah mich prüfend und fragend an. "Nein...nein, mit ist nichts eingefallen. Wenn Sie keine Fragen mehr an mich haben, würde ich jetzt gerne nach Hause gehen und mir was trockenes Anziehen. Mir ist kalt." Noch einmal traf mich ein prüfender Blick. „Ich werde Sie trotzdem mit aufs Revier nehmen müssen, fürchte ich. Da es sich um einen Serienkiller zu handeln scheint, benötigen wir jede Aussage, die wir kriegen können." Etwas entgeistert starte ich ihn an. „Kann ich mir wenigstens noch etwas trockenes anziehen?" Nun musterte der Polizist mich eingehend. „Sie werden auf dem Revier etwas zum Anziehen bekommen. Kommen Sie bitte, Frau Gerlinger." Mit einem tiefen Atemzug schluckte ich den bissigen Kommentar herunter, der mir auf der Zunge lag und erhob mich.
Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal in einem Verhörraum wiederfinden würde. Es war kalt und unpersönlich. An der Wand neben der Tür stand eine grimmig Aussehende Polizistin, die keine Miene verzog als ich sie vorsichtig anlächelte. Vorsichtig nippte ich an dem Pappbecher mit Wasser, der vor mir Stand. Es war wie in einem schlechten Film. Schließlich öffnete sich die Tür und ein dunkelhaariger Mann mittleren Alters betrat den Raum. Ihm folgte eine kleine, stämmige Frau, deren dunkelblonden Locken in einem strengen Zopf steckten. Keine widerspenstige Strähne wagte es, sich in ihr Gesicht zu verirren, wie es bei mir oft der Fall war. Mir wurde wieder bewusst, was für einen erbärmlichen Anblick ich liefern musste in dem zu großen schwarzen Pulli und der ebenfalls zu großen schwarzen Jogginghose. Der unfreundliche Polizist, der mich am Strand aufgelesen hatte, war nicht dabei. Der dunkelhaarige Mann lächelte mich an und streckte mir seine Hand entgegen. „Frau Gerlinger?" Ich nickte nur. „Mein Name ist Schmitd und das ist meine Kollegin Knecht." Die Frau nickte mir zu. „Wir befragen Sie als Zeugin. Es sieht fast so aus, als würde der Täter bewusst wollen, dass Sie die erste am Tatort sind, Frau Gerlinger. Können Sie sich vorstellen, wer es sein könnte? Haben Sie in den letzten Jahren irgendjemanden sehr...verärgert." Ich schnaubte. Verärgert. Wie sehr musste man einen Menschen verärgern, dass er einem Leichen praktisch vor die Haustür legte? Dem Polizisten ignorierte mein Schnauben und sah mich erwartungsvoll an. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, zumindest nicht, dass ich wüsste." „Da es sich ausschließlich um weibliche Opfer handelt, liegt die Vermutung nah, dass es sich um einen männlichen Täter handelt" mischte sich nun die Polizistin ein. „Kennen Sie eine männliche Person, der Sie eine solche Tat zutrauen?" Hatte mich ihr Kollege gerade nicht das Gleiche, nur mit einer anderen Wortwahl, gefragt? Ganz kurz flackerte Kirans Gesicht durch meinen Kopf, aber ich verbannte diesen Gedanken ganz schnell aus meinem Hirn. „Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, aber ich kenne auch keine männliche Person, der ich solche grausame Taten zutraue." Sie nickte nur, notierte sich etwas auf dem Zettel vor ihr. „Eine letzte Frage noch, dann dürfen Sie nach Hause, Frau Gerlinger. Wo waren sie zwischen 15 und 19 Uhr?" Ah ha, die Alibifrage. Ich hätte nie gedacht, dass Polizisten das wirklich interessiert. „Ich war zu Hause auf meinem Zimmer. Alleine. Zuvor war ich am Strand, aber das Gewitter hat mich überrascht." Wieder wurde etwas notiert. „Gut, dass war dann auch schon alles. Wenn Ihnen noch was einfällt, dann melden Sie sich bitte bei uns." „Der Täter muss sich hier auf jeden Fall sehr sicher fühlen, wenn er es wagt am helllichten Tag zu morden." Die beiden Polizisten nickten, allerdings bemerkte ich sehr wohl den kritischen Blick, die mir die dunkelblonde Polizistin Knecht zuwarf.
Nach dem ich geduscht hatte und wieder in meinen eigenen Klamotten steckte, setzte ich mich aufs Bett und versuchte die Puzzlestücke in meinem Kopf zu einem Puzzle zusammen zu bringen. In mir keimte der Verdacht auf, dass die Polizei mich sehr wohl verdächtigte, aber schlichtweg keine Beweise gegen mich hatte. "Die erste Tote am Strand hatte blaue Augen mit grünen Schlieren, die andern auch. Bei Nele ging es zu schnell um ihr noch mal in die Augen zu schauen. Jetzt Bernsteinfarben mit grün. Was sind das für Monster?" Murmelte ich vor mich hin. Ich fand keine Verbindung zwischen Nele, den anderen Frauen und der Insel hier. Und was wusste meine Großmutter darüber? Ich musste dringend mit ihr reden. Denn dass meine Großmutter mehr wusste, als sie zugab war mir inzwischen klar. Ein leises Klopfen an der Türe riss mich aus meinen Gedanken. Ich zuckte zusammen. Außer mir war doch hier keiner. Schnell suchte ich mich nach einer geeigneten Waffe um, fand aber nur eine halbvolle Wasserflasche aus Glas. Die müsste zur Not auch gehen. "Ja?" fragte ich argwöhnisch, die Flasche fest umklammert. Zaghaft streckte meine Oma ihren Kopf durch die Türe. "Oma? Was machst du denn hier? Ich dachte, du bleibst noch eine Woche bei Celia." Möglichst unauffällig stellte ich die Flasche zurück neben mein Bett. "Na ja, Celia hat mir ins Gewissen geredete. Sie meinte, wir müssen uns aussprechen und du müsstest endlich die Wahrheit erfahren. Dann komm ich hier an und das Erste was ich höre ist, dass du von der Polizei verhaftete wurden bist" Sie holte tief Luft. "Darf ich mich setzten?" Ich nickte. „Allerdings wurde ich nicht verhaftete. Die Polizei hatte lediglich ein paar Fragen und wollte mein Alibi wissen." „Das gefällt mir absolut nicht, Alina. Entweder, da will dir jemadn wirklich was anhängen oder es ist eine Warnung. Angefangen von der ersten Leiche, die du gefunden hast, über Neles Tod und jetzt das. Die Wahrheit also?" Wechselte Oma so abrupt das Thema, dass ich kurz überlegen musste, was sie meinte. Dann nickte ich eifrig. Seufzend ließ sich meine Großmutter neben mir auf das breite Bett sinken. "Es ist alles ziemlich wirr und ich möchte nicht, dass du denkst, bei mir würde etwas nicht stimmen..." "Oma, ich habe gesehen wie meine beste Freundin von merkwürdigen Mensch-Monster umgebracht wurde, ich habe kurzzeitig meine Beine nicht gespürt. Meinst du nicht, dass ich inzwischen auch mehr wirre Sachen gesehen habe, als mir lieb ist?" Sie sah mich für einen Moment nur schweigend an. "Du bist wie deine Mutter." Sagte sich schließlich, dann fuhr sie fort. "Kurz vor deiner Geburt hat Valentin, also dein Vater, angefangen mit der Wahrheit über sich rauszurücken. Er..." Sie stocke "Er erzählte, er würde aus dem Meer kommen. Aus einem Königreich, viele tausend Meter unter der Wasseroberfläche . Dort würden ungefähr 200 seiner Art leben. Nur Männer und sie müssten an die Oberfläche, um...eine Frau zu finden, sie zu verwandeln und dann Kinder zeugen." Mit jedem Wort, wurde die Stimme meiner Oma leiser. "Die Verwandlungen enden zu 90% tödlich für die menschliche Frau. Dieses Schicksal wollte er deiner Mutter ersparen. Er hat sie wirklich geliebt. Du warst auch nicht geplant, genau genommen darf es dich gar nicht geben. Das Gesetzt verbietet es, ein Kind mit einer nicht verwandelten Menschenfrau zu haben. Deshalb mussten sie sterben. Erst jetzt erkennen sie langsam wie wertvoll du bist. Mit der Verwandlung von dir hätten sie mehr Macht. Du kannst definitiv für mehr als nur einen Monat an Land bleiben und vielleicht würdest du diese Eigenschaft an deine Kinder weitergeben." Oma holte tief Luft und sah mich an. Ich schluckte kurz, versuchte zu verarbeiten was sie mir gerade erzählt hatte. Ich war also etwas Verbotenes und etwas Besonders. Ich war halb Mensch und halb...ja, was eigentlich. "Was sind das für Wesen, Oma?" Fragte ich. "Sirenen" sagte sie. „Was meinst du damit, dass die...Sirenen nur ein Monat über Wasser bleiben können?" Oma runzelte die Stirn. „Das ist das einzige, was dich interessiert? Ich erzähle dir, dass dein Vater eine Sirene war und du willst wissen warum sie nur einen Monat an Land bleiben dürfen?" Sie sah mich einen Augenblick geradezu fassungslos an. „Wenn sie länger an Land bleiben, dann sterben sie." Beantwortete sie schließlich meine Frage. Ein Gedanke schob sich in mein Hirn doch ich schob ihn in den hintersten Winkel. Jetzt wollte ich mich damit nicht auseinandersetzen
Eine halbe Stunde später saß ich mit einem Becher Tee vor mir auf dem Sofa und blätterte alte Fotoalben durch, die Oma Jahrelang vor mir versteckt hatte. "Ich wollte dir das aller ersparen. Die Geschichten über Sirenen, die Angst vor ihnen und die Last dich nicht verwandeln zu lassen." Omi sah mich traurig an. Ich blätterte weiter. Auf einem Bild sah meine Mutter mit einem jungen gutaussehenden Mann. Er hatte dunkel braune Haare und ein Lächeln, dass einem die Knie weich wurden. Er hatte den Arm zärtlich um meine Mutter gelegt, die ihn verliebt ansah. In ihrem Arm hatte sie ein kleines rosa Bündel. „Das war einen Monat nach deiner Geburt." Oma strich über das Bild. "Du siehst ihr so unglaublich ähnlich. Sie hätte dich so gerne aufgezogen. Sie wollte immer Kinder haben." Die Stimme meine Großmutter brach und sie zog ihre Hand weg von dem Bild. Ein weiteres Bild zeigte meine Mutter in einem Krankenhausbett, ein kleines rotes Würmlein im Arm, das ziemlich verquollen aussah. "Kurz nach deiner Geburt. Deine Mutter war so wahnsinnig glücklich und stolz." Ich wusste nicht was ich darauf antworten sollte. Ehrlich gesagt fühlte ich mich schuldig. Schließlich mussten meine Eltern meinetwegen sterben. "Schätzchen, du bist bestimmt nicht schuld an ihrem Tod. Wenn du jemandem die Schuld geben musst, dann diesen...Monstern, die ihnen das angetan haben." Ja, wahrscheinlich hatte sie Recht. "Du solltest ins Bett gehen, Alina. Es ist schon spät." Im ersten Moment wollte ich schon protestieren doch dann verstand ich, dass sie einfach alleine sein wollte. "Gute Nacht." Ich hatte plötzlich das Bedürfnis sie fest in den Arm zu nehmen und nie wieder loszulassen. Ich tat es nicht, drückte ihr nur ein Küsschen auf die Wange und verzog mich nach oben in mein Zimmer.
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