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Am nächsten Morgen bin ich pünktlich um 7 Uhr im Büro. Es ist so warm, dass ich mich gegen eine Jeans und für eine leichte, beige Stoffhose mit hoher Taille entschieden haben. Dazu trage ich einen eng anliegenden, weißen Body mit halblangen Ärmeln und einem schönen V-Ausschnitt.
Ich habe gerade meinen ersten Kaffee auf dem Tisch und lese eine der noch unbeantworteten E-Mails, als ein bekanntes Gesicht im Türrahmen auftaucht und mein Herz einen Schlag aussetzt.
"Guten Morgen, schöne Frau", raunt der gutaussehende Unbekannte von gestern und schenkt mir ein einnehmendes Lächeln.
Sein bulliger Körper steckt wie gestern in einem schwarzen Hemd und einer schwarzen Hose, doch heute hängt aus seiner Hosentasche das letzte Stück eines bedruckten Schlüsselbandes und an seinem Hemd ist ein Kartenhalter mit einer weißen, bedruckten Scheckkarte befestigt. Auch, wenn ich von der Entfernung nicht erkennen kann, was genau auf der Karte steht, kann ich in Sekundenschnelle eins und eins zusammenzählen: mein heißer, neuer Freund ist Security-Mitarbeiter und er war sich so sicher, dass wir uns wiedersehen werden, weil er nun hier arbeitet.
Mir wird gleichzeitig heiß und kalt unter seinem Blick und meine Finger beginnen zu schwitzen. Schnell räuspere ich mich und schenke ihm meinerseits ein strahlendes Lächeln. "Guten Morgen."
"Und wo ist meiner?", fragt er und nickt grinsend auf die hellblaue Tasse in meiner linken Hand.
"Unkonventioneller Weg. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie ein Mann sind, der sich von einer Frau auf einen Kaffee einladen lässt. Ich hätte eher geschätzt, dass Sie eine getrennte Rechnung für einen beleidigenden Angriff auf Ihre Männlichkeit halten", antworte ich und lege den Kopf schief. Meine blauen Augen funkeln ihn fordernd an.
Wie schon gestern schiebt er sich ein Stück weiter in mein Büro und lehnt sich lässig an den weißen Türrahmen.
"So offensichtlich?"
Schmunzelnd nicke ich. "Ziemlich."
"Das heißt also, Sie wollen, dass ich Sie auf einen Kaffee einlade?" Offensiv blickt er mir in die blauen Augen, die seinen schimmern dunkel und unergründlich.
Meine Fingerspitzen beginnen zu kribbeln und mein Mund wird trocken. Ich verstärke meinen Griff um die Tasse haltsuchend und grübele fieberhaft nach einer Antwort.
Kaffee ist das Letzte, an das ich denke, wenn ich den durchtrainierten, maskulinen Südländer sehe. Lieber Longdrinks und Shots. Hemmungslose Küsse, Lippen die nach süßen Früchten und Alkohol schmecken. Seine Zunge federleicht auf meiner. Die großen starken Hände fordernd erst in mein Oberteil geschoben und dann in meinen String.
Mein Tagtraum wird unterbrochen, weil er sich räuspert. Sofort schießt mir die Schamesröte in die Wangen, als ich bemerke, zu welchen Gedanken ich mich soeben habe hinreißen lassen.
"Für einen Kaffee bin ich immer zu haben", antworte ich zuckersüß und unschuldig. Zum Glück weiß er nicht, was in meinem Kopf gerade wirklich vorgeht.
"Aber einen richtigen, nicht die wässrige Plörre aus der Kantine hier", stellt er klar und zieht auffordernd seine buschigen Augenbrauen hoch.
"Das habe ich vorausgesetzt", grinse ich. Es gefällt mir, dass er so offensiv und selbstbewusst ist.
Er wirft einen schnellen Blick auf die silberne Wanduhr neben mir. "Ich komme wieder", raunt er und hebt mahnend den Zeigefinger.
"Ist das ein Versprechen oder eine Drohung?", erwidere ich kess.
"Drohen ist was für Schwächlinge", antwortet er ernst. Er hat ja gar keine Ahnung, wie sehr er damit ins Schwarze trifft. Es ist wie ein Zeichen von ganz oben, dass mir bestätigt, dass ich mich schleunigst von Nyaz lösen muss.
Für einen Moment schauen der Unbekannte und ich uns nur tief in die Augen, bevor sein Gesicht wieder weicher wird und er mir kurz zuzwinkert. "Bis später, Frau Giannopoulos."
Mein Herz setzt einen Schlag aus. Er muss schon beim Reinkommen auf das Schild an meiner Bürotür geschaut haben und sich meinen Nachnamen gemerkt haben. Und obwohl dieser wirklich schwierig auszusprechen ist für jeden, der im Gegensatz zu mir keine griechischen Wurzeln hat, hat er ihn einwandfrei über die Lippen gebracht.
Solche kleinen Dinge sind es, die mich beeindrucken: Interesse, Aufmerksamkeit, Humor, Charme.
"Bis später", rufe ich ihm halb hinterher, da er schon längst durch die Tür ist.
Ich atme tief durch.
Wer ist dieser Mann und wieso ist es ihm ein Leichtes, mich so zu beeindrucken, wie es schon verdammt lange kein Mann mehr geschafft hat?
Sein freches Grinsen, die tiefbraunen Augen und das männliche, erwachsene, selbstbewusste Auftreten bringen meinen Bauch zum Kribbeln und mein Hirn zum Aussetzen, wenn ich ihn sehe.
Ein solches Gefühl hatte ich schon lange nicht mehr. Der letzte Mann, der mich derart aus der Fassung gebracht hat, war Sirius, mein Exfreund.
Er hatte die selbe charmante Art wie der Unbekannte. Ein großer, kräftiger, griechischer Mann, den ich mit achtzehn Jahren auf der Hochzeit einer meiner zahlreichen Cousinen kennengelernt habe.
Schon als ich ihn das erste Mal sah, hat er mich gleich in seinen Bann gezogen. Er wusste genau, wie er mich um den Finger wickeln konnte. Er war ein wahrer Gentleman, immer höflich und zuvorkommend. Ich war mir sicher, dass er der Eine ist, den ich heirate und mit dem ich Kinder bekomme. Er war der erste Mann, mit dem ich geschlafen habe und auch der erste, den ich meinen Eltern vorgestellt habe.
Damals wollte ich immer unbedingt einen Griechen heiraten. Meinen Eltern ist unsere Kultur extrem wichtig. Das Essen, die Sprache, die Geschichte unseres Heimatlandes. Jeden Sommer ging es mit dem Auto nach Griechenland, noch lange bevor Mykonos ein Instagram-Hotspot war und die oberen Zehntausend auf teuren Yachten zwischen unseren Inseln umher schipperten. Mit Luxus hatten unsere Reisen ohnehin wenig gemein. Stundenlange Fahrten in unserem in die Jahre gekommenen Multivan, meine Eltern und vier quengelige Kinder. Tonnen von Gepäck im Kofferraum, Geschenke für die gesamte bucklige Verwandtschaft. Wir hatten das Glück, dass meine Eltern beide aus großen Familien stammen, die quer durch das ganze Land verteilt sind, sodass wir von der Ägäis bis zu den griechischen Inseln, vom hohen Norden bis in den tiefsten Süden des Landes schon alles bereist haben. Damals wollten wir unbedingt wie unsere Klassenkameraden auch mal mit dem Flugzeug fliegen und All Inclusive-Hotelurlaub in Spanien oder der Türkei machen, doch heute denke ich mit viel Sehnsucht und zahlreichen Erinnerungen an die schönen, langen Sommer zurück.
Sirius war genau der Mann, den sich meine Eltern immer für mich gewünscht haben: witzig, eloquent, intelligent, fleißig, gutaussehend - und griechisch.
Als ich nach fast vier Jahren herausgefunden habe, dass er mich nahezu die gesamte Beziehung lang betrogen hat, ist daher nicht nur für mich eine Welt zusammengebrochen.
Ich hätte sowas Niederträchtiges vielen Männern zugetraut, doch ganz bestimmt nicht ihm. Er war immer der Inbegriff eines guten Mannes. Halt nur nicht ausschließlich für mich, sondern für diverse Frauen.
Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich mich seit knapp einem Jahr an Nyaz halte. Er ist kein guter Mann, aber er tut auch nicht so, als wäre er einer. Als wäre es besser, einen schlechten Mann zu haben, der ehrlich ist, als einen der nur vorgibt gut zu sein und in Wahrheit noch schlechter ist. Außerdem ist unsere Verbindung rein sexueller Natur und ohne Erwartungen und Emotionen auch keine Enttäuschungen.
Wie vom Teufel gerufen ploppt eine Nachricht von ihm auf meinem Handy auf. "Treffen wir uns heute?" Nyaz ist einfach nicht der Typ Mann, der Zeit mit Höflichkeitsfloskeln verliert. Manchmal frage ich mich, wie er wohl wäre, wenn ihm eine Frau mal wirklich was bedeuten würde.
Ob er überhaupt lieben kann?
Oft hat er so eindeutig narzisstische und selbstsüchtige Charakterzüge, dass ich daran zweifele, dass er jemals jemanden auch nur annähernd so sehr lieben kann, wie sich selbst.
Vielleicht ist er aber auch einfach noch zu jung und zu tief in seiner "Sturm und Drang"-Zeit, als dass er das will.
"Wollte heute Abend zum Sport", antworte ich genauso emotionslos wie Nyaz gefragt hat.
Das Treffen mit ihm war physisch und psychisch so anstrengend, dass es mir für die nächsten Tage erstmal reicht.
Außerdem beschäftigen mich seine gestrigen Aussagen viel zu sehr, als dass ich Lust hätte, heute Sex mit ihm zu haben.
"Ich will das mit uns nicht beenden und ich habe Mittel und Wege, dich davon abzuhalten, weil du mir gehörst."
Schon bei dem Gedanken an seine Worte läuft mir erneut ein kalter Schauer über den Rücken.
Sein Blick war so eiskalt und berechnend, dass mir schlagartig so bitterkalt wurde, als stände ich leicht bekleidet im tiefsten Alaska.
Und leider weiß ich wirklich nur zu gut, was er meint. Er hat genug Beweise für mein Doppelleben. Nachrichten, Sprachnachrichen, Bilder, Videos. Wir haben viele Dinge getan, von denen ich nicht wollen würde, dass sie jemals jemand aus meinem näheren Umfeld erfährt.
Übelkeit steigt in mir auf.
Das Gefühl, ihm ausgeliefert zu sein, ist beklemmend.
Ich fühle mich, als hätte ich keine andere Wahl, als unsere Affäre fortzuführen, bis er die Lust an mir verliert.
"Wir können gemeinsam Sport machen."
Tonlos seufze ich und lege mein Handy beiseite ohne zu antworten. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, aber vielleicht kommt mir mit ein wenig Zeit ein guter Schlachtplan in den Sinn, wie ich die Verabredung möglichst elegant abwenden kann.
Ich schlage mich weiter durch abzuarbeitende Vorgänge bis mir gegen 10 Uhr so der Kopf raucht, dass ich eine Pause brauche.
"Kommst du mit runter, eine rauchen?", frage ich zwei Türen weiter meine Lieblingsarbeitskollegin Dila, deren schmaler Kopf mit den langen blondierten Haaren hinter dem Computerbildschirm verschwunden ist.
Dila ist zwei Jahre älter als ich und ein echtes Goldstück. Sie ist offen, lustig und herzlich. Wir essen Mittags gemeinsam in der Kantine oder gehen im Hof rauchen. Wann immer ich eine zweite Meinung oder einen Rat brauche, ist sie meine erste Ansprechpartnerin und auch privat verstehen wir uns ziemlich gut.
"Ne sorry, ich passe. Ich bin gerade mitten in einem Vorgang."
Ich nicke ihr zu und laufe gedankenverloren zum Aufzug, um von unserer zweiten Etage in den Keller zu fahren, wo es einen Hinterausgang zum Parkplatz gibt, an dessen Rand sich ein Raucherstand für die Mitarbeiter befindet.
Als der Aufzug kommt, steige ich ein, doch während sich bereits die Türen schließen, schiebt sich der Unbekannte plötzlich zu mir in den Fahrstuhl.
"Ich habe gehört, Sie machen einen Raucherpause. Darf ich Sie begleiten?", fragt er charmant.
"Klar", antworte ich lächelnd, trete einladend einen Schritt zurück und ignoriere das Herzklopfen, dass deutlich stärker wird bei dem Gedanken, nun einige Sekunden mit ihm alleine in der kleinen Kabine gefangen zu sein.
Die Türen schließen sich und sofort werden die zwei Quadratmeter erfüllt von seinem fruchtig-herben Parfum.
"Ich finde es übrigens albern, wenn wir uns die ganze Zeit siezen", erkläre ich selbstbewusst und lege den Kopf schief, um ihn herausfordernd anzuschauen.
"Ich finde es höflich", erklärt er schulterzuckend und sieht mir tief in die Augen. "Schließlich kenne ich nicht mal Ihren Namen."
Entschlossen halte ich ihm die Hand hin. "Ich bin Yael." Er nimmt sie mit einem festen Händedruck und schüttelt sie kurz. Seine Finger sind weicher als erwartet und hinterlassen ein angenehmes Kribbeln auf meiner Haut.
"Tuan", antwortet er schelmisch grinsend.
Die Aufzugtüren öffnen sich und er lässt mir mit einer ausladenden Handbewegung den Vortritt.
"Ich habe einen anderen Vornamen erwartet. Dein Nachname ist doch griechisch, nicht wahr?"
Er folgt mir durch die schwere Glastür ins Freie. "Genau", antworte ich überrascht. "Meine Geschwister haben auch klassische, griechische Namen, aber bei mir sind meine Eltern irgendwie vom Kurs abgewichen", lache ich und komme unter dem gläsernen Unterstand zum Stehen.
Prüfend sieht er mich an. "Jetzt will ich mehr Details." Er steckt sich eine Zigarette an und gibt mir Feuer. Wieder eine dieser kleinen, aufmerksamen Gesten, auf die ich so stehe.
"Ich bin die jüngste Schwester, das Nesthäkchen. Meine Schwester heißt Nike und meine Brüder heißen Ares und Zino."
Er zieht an seiner Zigarette und sieht dabei wahnsinnig anziehend aus, wie James Dean in den 50er-Jahren.
"Die Namen hören sich tatsächlich deutlich griechischer an als deiner", grinst er. "Aber Yael gefällt mir richtig gut. Habe ich noch nie zuvor gehört."
Aus seinem Mund klingt mein Name so schön harmonisch, wie eine Melodie. Es würde mir gefallen, wenn er ihn öfter sagen würde.
"Sprichst du denn auch fließend griechisch?"
Ich nicke. "Zum Glück. Und wo kommst du her?"
"Na hier aus Mönchengladbach", gibt er schulterzuckend zurück. Als er meinen beleidigten Blick sieht, lacht er wieder. "Meine Eltern kommen aus der Türkei, aus Ardahan, eine Stadt im Osten an der Grenze zu Armenien."
"Sprichst du auch türkisch?"
Nun ist er es, der nickt. Obwohl wir beide längst unsere Zigaretten in dem silbernen Standaschenbecher ausgedrückt haben, macht keiner von uns Anstalten, unser Gespräch zu beenden und wieder an die Arbeit zu gehen.
"Aber kommen wir mal zu einem viel wichtigeren Thema", entscheidet er, streicht sich bedächtig durch den dichten, schwarzen Bart und bekommt plötzlich wieder diesen schelmischen, frech grinsenden Gesichtsausdruck. "Wann gehen wir Kaffee trinken?"
"Ich muss heute nach der Arbeit mein Auto in die Werkstatt bringen und weiß noch nicht, wann ich es wieder abholen kann", antworte ich ehrlich.
Ein Hauch von Enttäuschung blitzt für den Bruchteil einer Sekunde über sein Gesicht. "Du willst nicht", schlussfolgert er.
Energisch schüttele ich den Kopf. "Dann würde ich sagen, dass ich momentan keine Verabredung will. Das ist nicht mal gelogen, aber.."
"Für einen Kaffee bist du immer zu haben", vervollständigt er meinen Satz und wiederholt damit meine Antwort auf seine Einladung.
"Ganz genau", lache ich und berühre ihn dabei kurz mit der Hand am Oberarm. Man merkt deutlich, dass er trainiert ist. Seine Muskeln sind hart und ausgeprägt. Gefällt mir.
Bisher gibt es rein gar nichts, was mir an ihm nicht gefällt.
Was mich jedoch hemmt, ist der Gedanke an Nyaz und seine gestrigen Drohung sowieso die schlechten Erfahrungen, die ich mit einem "guten Mann" gemacht habe.
Und trotz alledem kann ich mich von Tuan irgendwie nicht fern halten. Vielleicht könnte er der Auslöser dafür sein, alles hinter mir zu lassen und nach Jahren einem Mann eine ernsthafte Chance zu geben.
"Was hältst du von folgendem Vorschlag: Ich bringe dein Auto mit dir weg, wir gehen einen Kaffee trinken und danach fahre ich dich heim. Ich kriege meine Verabredung, du kriegst Kaffee und musst nicht von der Werkstatt nachhause laufen."
"Klingt nach einem guten Plan. Ich habe den Termin um 17.30 Uhr bei Audi auf der Düsseldorfer Straße, wir treffen uns dann da, okay?"
Zufrieden nickt er.
"Ich muss langsam wieder hoch, nicht dass mich noch jemand vermisst", stelle ich fest und rolle mit den Augen.
"Besser ist das", stimmt er mir zu und wir laufen gemeinsam zum Fahrstuhl.
Als sich die Türen hinter uns schließen, geht er einen Schritt auf mich zu und sieht mir so tief in die Augen, dass sich die feinen Härchen in meinem Nacken aufstellen. "Ich freue mich auf später."
Ich schenke ihm ein ehrliches Lächeln. "Ich freue mich auch."
Fernab von allen Bedenken, allen Zweifeln und allen Ängsten freue ich mich wirklich. Tuan ist so heiß, er ist witzig und wir sind einfach auf einer Wellenlänge, niemals sonst hätte er es geschafft, mich zu einem Treffen zu bewegen.
Als sich die silbernen Schiebetüren wieder öffnen, lässt er mir den Vortritt. "17.30 Uhr", wiederholt er noch einmal so leise, dass nur ich es höre und zwinkert mir zu, bevor er in die andere Richtung läuft.
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