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Nachdem ich Tuan die Wahrheit offenbart habe, ist seine Reaktion so heftig wie befürchtet - allerdings nicht mir gegenüber, sondern gegenüber Nyaz. Er besteht darauf, Nyaz zur Rede zu stellen, auch wenn ich erst versuche, ihn davon abzubringen. Irgendwann gebe ich mich geschlagen und stimme zu, auch wenn mir dabei ganz schlecht wird. Das Ganze muss enden, das weiß ich selbst, sonst war diese Vergewaltigung gestern nur ein Vorgeschmack der Hölle, die mich in den nächsten Monaten erwartet. Freiwillig wird Nyaz mich sicher nicht gehen lassen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Zusammen fahren wir mit Tuans Wagen in den heruntergekommenen Mönchengladbacher Stadtteil, in dem Nyaz mit seinen Eltern und Geschwistern in einer viel zu kleinen Sozialwohnung wohnt. Auch wenn ich ihn noch nie zuhause besucht habe, habe ich ihn des öfteren hier abgeholt und kenne daher die Adresse.
Mein Herz rast, und ich kann kaum atmen, als wir ankommen. Ich habe keine Ahnung, wie das hier gleich ausgehen wird. Übelkeit steigt in mir auf und ergreift von meinem ganzen Körper Besitz.
Tuan parkt direkt vor dem tristen, grauen Wohnblock, und ich rufe Nyaz an, damit er runterkommt. Mit zittrigen Fingern klicke ich mich durch meine Kontakte, bis sein Name auf meinem Display erscheint. Es kostet mich Überwindung, auf den Hörer zu klicken. Nach ein paar Sekunden nimmt er ab. "Ich bin bei dir vor der Tür. Kannst du kurz runterkommen? Ich muss mit dir reden", bitte ich ihn ohne eine Begrüßung. Ich bin zu nervös für Höflichkeitsfloskeln.
Es dauert nicht lange, bis er draußen vor der Haustür erscheint. Er trägt einen schwarzen Jogginganzug und hat seine Locken unter einer Cappy versteckt. Als er Tuan neben mir sieht, stutzt der schmächtige Syrer, sichtlich irritiert von meiner unerwarteten Begleitung.
"Was will der denn hier?" fragt Nyaz misstrauisch, seine Augen flackern zwischen uns hin und her.
Tuan tritt einen Schritt auf ihn zu, sein Blick hart und unbeugsam. "Ich will mit dir reden, du Şerefsiz. Erzähl mal, wieso erpresst du Yael? Hast du überhaupt keine Ehre? Was zur Hölle stimmt nicht mit dir? Wenn sie keinen Bock mehr auf dich hat, musst du das akzeptieren."
Nyaz zuckt mit den Schultern und versucht, seine Unsicherheit mit einem Grinsen zu überspielen. "Sie hat das doch alles freiwillig gemacht. Ich hab sie zu nichts gezwungen."
Tuan ignoriert seine Ausrede und geht direkt zum Kern der Sache. "Du gibst mir jetzt alles, was du hast. Laptop, Handy, Kamera, was auch immer du benutzt hast, um diese Aufnahmen zu machen." Sein Ton lässt keinen Widerspruch zu. Der breitgebaute Türke überragt Nyaz locker um anderthalb Köpfe und baut sich bedrohlich vor ihm auf. Nyaz zögert kurz, sieht sich hektisch um, doch er weiß, dass er keine Wahl hat. Tuan zeugt deutlich, dass es ihm ernst ist. Langsam nickt er und wendet sich zum Haus, um die geforderten Sachen zu holen.
"Und keine Spielchen. Solltest du nicht innerhalb von drei Minuten wieder hier unten sein, komme ich hoch, und dann erzähle ich deinen Eltern, was ihr Sohn so treibt."
Er nickt eingeschüchtert.
Die Zeit vergeht wie im Flug, bis Nyaz nach zwei Minuten abgehetzt und kurzatmig wieder zu uns stößt.
In seinen Händen hält er einen alten Laptop und sein Handy. Tuan nimmt ihm beides ab und beginnt, gründlich alle Dateien zu durchsuchen. Jede Datei wird geöffnet, überprüft und gelöscht, Kopien in sämtlichen Ordnern und Cloud-Speichern beseitigt. Währenddessen behält er Nyaz im Auge, der immer nervöser wird.
"Sollte irgendwo eine Kopie existieren und irgendwas davon jemals irgendwo auftauchen, mache ich dich fertig. Yael wird dich anzeigen und von mir bekommst du deine Strafe auf eine andere Art", droht Tuan. Seine Stimme ist gefährlich leise, und die Intensität seiner Worte lässt selbst mich erschauern.
Nyaz' Stimmung schlägt langsam um. Er wird sichtlich abgefuckt und murmelt abfällig: "Ich hab sie doch nie gezwungen, man. Sie hat das alles freiwillig gemacht, die kleine Schlampe. Ich habe nicht gesagt, lass dich von vier Typen gleichzeitig durchnehmen oder lass dir zwei Schwänze auf einmal reinschieben - das war ihr Kink. Und die Kohle hat ihr genauso gut geschmeckt wie mir."
Ich schäme mich zu Tode, als die Worte aus seinem Mund kommen, vor allem, da sie wahr sind. Mein Magen dreht sich um, und ich muss mich zusammenreißen, nicht zu weinen. Tuan schluckt, sein Gesichtsausdruck verrät, wie sehr ihn diese Aussagen treffen, aber er bleibt fokussiert.
"Scheißegal, was war", sagt er entschlossen. "Ab heute lässt du Yael in Ruhe. Keine Anrufe, keine Nachrichten, gar keine Kontaktversuche mehr. Und du lauerst ihr auch nirgendwo auf, sonst kriegst du es mit mir zu tun, hast du das verstanden?"
Nyaz stimmt widerwillig zu, doch bevor er sich umdreht, um zu gehen, wirft er noch einen letzten, giftigen Blick auf mich. Voller Verachtung sieht er mich an, dann wendet er sich erneut Tuan zu. "Lass dich nicht verarschen von ihr. Die ist keine Frau für eine Beziehung, die ist 'ne billige Hoe, die auf Gangbangs und perversen Scheiß steht. Ist sowieso nur eine Frage der Zeit, bis du der nicht mehr reichst und die sich in irgendwelchen Swingerclubs austoben geht."
Tuan packt Nyaz wütend an den Schultern und schubst ihn grob zur Seite. "Pass auf wie du redest!", weist er ihn in bedrohlichen Tonfall zurecht.
Nyaz hebt abwehrend die Hände, seine Augen zeugen von Schock, doch er versucht cool zu bleiben und seine Fassade aufrecht zu erhalten. "Ist deine Entscheidung. Aber frag dich mal, wieso sie gestern noch mit mir geschlafen hat."
Seine Worte treffen mich wie ein Faustschlag. Tuan wirft mir einen kurzen, schmerzhaften Blick zu, bevor er sich von Nyaz abwendet und tief durchatmet, um seine Fassung zu bewahren. Nyaz zieht sich zurück, sich dessen bewusst, dass er besser nicht weiter provoziert, bevor die ganze Situation vollends eskaliert. Mir gegenüber hatte er eine deutlich größere Klappe, doch plötzlich wird er kleinlaut.
Hauptsache sich an Schwächeren vergehen..
"Denk daran, was ich dir gesagt habe", ruft Tuan Nyaz noch hinterher, dann dreht er sich um und geht zurück zu seinem Wagen.
Ich senke den Kopf, vermeide es, Nyaz nochmal anzuschauen und folge Tuan wortlos. In meinem ganzen Leben habe ich mich noch nie so sehr geschämt. Am liebsten würde ich einfach weglaufen und Tuan nie wieder begegnen.
Stattdessen öffne ich mit feuchten Fingern die Beifahrertür und setze mich auf den schwarzen Ledersitz.
Tuan lässt mich schweigend ins Auto einsteigen, sein Gesicht wütend, die Kiefermuskeln hart angespannt. Als er den Motor startet, ist die Spannung im Wagen unerträglich. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, alles ungeschehen machen. Hätte ich gewusst, dass ich irgendwann in meinem Leben Tuan treffe, hätte ich mich in diese ganze Scheiße niemals reinmanövriert. Ich hätte auf ihn gewartet, anstatt alles zwischen uns kaputt zu machen, bevor es angefangen hat.
Er fährt ruhig, aber mit einer fast bedrohlichen Entschlossenheit, die sich in seiner gesamten Haltung widerspiegelt. Seine Finger umklammern das Lenkrad fest, während er durch die Straßen navigiert, ohne auch nur einmal zu mir herüberzusehen. Die Stille lastet schwer auf mir, und ich weiß, dass das hier nicht einfach so vorbeigehen wird.
Schließlich bricht er das Schweigen, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. "Wieso hast du mich nicht vorgewarnt, Yael?" Seine Stimme ist ruhig, aber die angestaute Wut schwingt zwischen den Zeilen mit. "Wieso musste ich erst aus seinem dreckigen Maul erfahren, dass ihr gestern noch miteinander gevögelt habt?"
Ich kann fühlen, wie sich mein Herz zusammenzieht. Er schüttelt den Kopf, seine Finger drücken sich noch fester in das Leder des Lenkrads. Diese Frage trifft mich hart, und ich spüre, wie meine Kehle trocken wird. "Er hat mir keine Wahl gelassen, Tuan," flüstere ich, meine Stimme kaum hörbar.
Endlich dreht er den Kopf zu mir, seine dunkelbraunen Augen scharf und durchdringend. "Was meinst du damit? Wie keine Wahl?"
Meine Hände zittern in meinem Schoß, als ich die Wahrheit ausspreche. "Ich wollte nicht mit ihm schlafen. Er wollte das nicht mal selbst. Er wollte mich einfach demütigen und bestrafen, weil ich mich seinem Befehl wiedersetzt habe, mich von dir fernzuhalten."
Die Härte in Tuans Gesicht weicht einem Ausdruck, der mir das Herz bricht. Entsetzen und Unglauben flackern in seinen Augen, als die Bedeutung meiner Worte bei ihm ankommt. "Willst du mir gerade erklären, dass er dich vergewaltigt hat?" Seine Stimme ist leise, aber voller ungläubiger Wut.
Ich nicke, und die Tränen, die ich so verzweifelt versuche zurückzuhalten, brechen durch.
"Wieso hast du mir das nicht vorher gesagt? Dann hätte ich gar nicht mehr mit ihm geredet, sondern ihn gleich zu Brei geschlagen", knurrt er. Seine Fingerknöchel treten weiß hervor, Wut lodert in seinen Augen.
"Yael, du musst zur Polizei und ihn anzeigen!"
"Ich will doch einfach nur, dass es vorbei ist", schluchze ich und wische mir die Tränen mit dem Handrücken weg.
Er schlägt wutentbrannt mit der flachen Hand auf das Lenkrad, der dumpfe Schlag durchbricht die angespannte Stille im Auto. "Aber dieser Hurensohn darf damit nicht durchkommen! Das kann nicht sein, dass er einfach weitermacht, als wäre nichts passiert, nach allem, was er dir angetan hat", ruft er verzweifelt.
"Tuan, niemand wird mir glauben," sage ich leise, meine Stimme bricht fast unter der Last. "Ich habe hundertmal mit ihm geschlafen. Ich habe die unaussprechlichsten Dinge freiwillig mit ihm getan. Wieso sollte einfacher Sex bei mir zuhause dann plötzlich eine Vergewaltigung sein? Keiner wird mir glauben, erstrecht nicht die Polizei.."
"Ich glaube dir doch auch," antwortet er, und ich spüre, wie seine Stimme weicher wird. "Außerdem geht es ums Prinzip, Yael. Das darf nicht einfach so enden. Er muss für das, was er getan hat, zur Rechenschaft gezogen werden."
Ich schüttele den Kopf. "Du verstehst das nicht, Tuan. Ich will einfach nur noch abschließen. Ich will dieses Kapitel in meinem Leben beenden, als wäre es nie passiert."
Er verstummt, dreht den Kopf wieder nach vorne und starrt konzentriert auf die Straße.
Ihm gefällt meine Antwort nicht. Er scheint keine Kraft mehr für diese Diskussion zu haben, vielleicht bin ich ihm das auch einfach nicht mehr wert.
Ich wusste von Anfang an, dass ich mit meiner ganzen Geschichte keine Chance bei ihm habe. Niemand will eine Frau wie mich zur Freundin, erstrecht kein Mann wie Tuan, so anständig wie er ist.
Je näher das Jobcenter rückt, unser Arbeitsplatz, zu dem er mich fährt, weil ich mein Auto nach Feierabend hier auf dem Parkplatz habe stehen lassen, desto überzeugter bin ich davon, dass er mich nie wieder sehen will.
Unser Abschied scheint für mich unvermeidlich. Als er schlussendlich seinen Wagen neben meinem parkt und seinen Gurt löst, bildet sich ein Kloß in meinem Hals.
"Es- es tut mir leid", stammele ich, unfähig, einen geraden Satz herauszubringen. "Ich schäme mich so sehr. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen. Dann würde ich diese ganze Scheiße lassen und auf dich warten. Ich bin da einfach immer tiefer reingerutscht. Hätte ich jemals geahnt, dass ich einen Mann wie dich treffe, hätte ich einfach auf dich gewartet. Es tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe, Tuan. Danke, dass du mir trotzdem geholfen hast. Mach's gut.."
Dann öffne ich die Autotür und steige aus.
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