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Sie sieht mir ernst in die Augen. "Pass auf, Yael, du hast zwei Möglichkeiten: entweder du sagst mir, was Nyaz gegen dich in der Hand hat, oder du sagst es Tuan. Und wenn du es uns nicht freiwillig sagst, hole ich mir die Informationen von diesem Pisser. Aber was ich ganz bestimmt nicht machen werde, ist zusehen, dass dieser Hund dich mit irgendwas so dermaßen unter Druck setzt, dass du denkst, der einzige Ausweg sei Selbstmord!"
"Ich kann nicht", wispere ich.
Sie umrundet meinen Schreibtisch, geht vor mir auf Knie und nimmt meine Hände. "Hast du jemanden umgebracht?", fragt sie ernst.
Mir entweicht ein heiseres Lachen. "Um Gottes Willen, nein!"
"Hast du einen Raubüberfall begangen?"
Ich schüttele den Kopf.
"Ein anderes Kapitalverbrechen?"
Ich verneine erneut.
"Hast du irgendwas strafrechtlich relevantes getan, was dich in den Knast bringt?"
"Nein, Dila", antworte ich erschöpft.
"Na also, dann kann es doch gar nicht so schlimm sein. Na los, rück raus mit der Sprache."
Ich nehme all meinen Mut zusammen. Meine Hände zittern und mein Herz rast. Würde ich nicht sitzen, würden meine Knie vermutlich in diesem Moment nachgegeben.
"Du weißt, dass Nyaz und ich miteinander schlafen. Aber es ist die Art, wie wir miteinander schlafen."
Fragend sieht sie mich an. "Was heißt das? Habt ihr irgendeinen komischen Fetisch, den ihr zusammen auslebt?"
"Es gibt eigentlich nichts, was wir noch nicht miteinander gemacht haben. Wir haben uns sexuell ausgelebt, völlig tabulos", erkläre ich beschämt.
"Ja und? Ist doch eure Sache, was ihr im Schlafzimmer macht!", entgegnet sie empört. "Und damit erpresst er dich jetzt? Dass du nicht auf Blümchen-Sex stehst?"
So wie Dila das sagt, hört sich das ja beinahe harmlos an.
"Hat er dich gefilmt, oder was?"
"Das ist es ja", murmele ich kleinlaut.
Sie zieht die Augenbrauen hoch. "Was? Habt ihr Pornos gedreht zusammen?"
Ich schlucke hart. "Wir haben einen gemeinsamen Only Fans Kanal, auf dem wir Bilder und Videos von mir oder uns verkaufen."
Jetzt ist es raus.
Das wars.
Mein Leben ist vorbei.
Sie ist die erste, die davon weiß und von nun an ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich diese Information verbreitet wie ein Lauffeuer.
"Das ist alles? Oder kommt da noch was?" Sie legt den Kopf schief.
Fassungslos starre ich sie an. Hat sie überhaupt verstanden, was ich ihr gerade offenbart habe?
"Also versteh mich nicht falsch, mein Baba würde mich auch einen Kopf kürzer machen, wenn er erfahren würde, dass man im Internet Schmuddelfilmchen von mir kaufen kann, aber das ist jetzt auch kein Weltuntergang."
Ich mustere prüfend ihr Gesicht, doch ich sehe kein Anzeichen davon, dass sie mich verarscht.
Dilas Worte hängen in der Luft, und ich kann kaum glauben, was sie gerade gesagt hat. Mein Herz hämmert in meiner Brust, als ich versuche, ihre Reaktion zu verarbeiten. Sie sitzt immer noch vor mir auf den Knien und hält meine Hände in ihren.
"Dila, wenn das rauskommt.. Ich kriege die Kündigung, meine Freunde wenden sich von mir ab, meine Familie wird mich verstoßen."
Sie verdreht die Augen. "Schwachsinn. Ich bin deine Freundin, und ich sitze auch noch hier. Du hast einfach nur Angst, und Nyaz nutzt das aus, um dich zu kontrollieren, aber das hat jetzt ein Ende. Du wirst dich nicht mehr länger von ihm erpressen lassen."
"Aber was ist, wenn er alles veröffentlicht? Wenn er die Videos an unseren Chef schickt oder an meine Eltern? Was, wenn er mich komplett zerstört?"
Dila sieht mich an, ihre Augen voller Entschlossenheit. "Hör zu, Nyaz ist ein Arschloch, aber er ist nicht allmächtig. Wenn er droht, die Videos zu veröffentlichen, können wir rechtliche Schritte einleiten. Aber wir werden dafür sorgen, dass es gar nicht erst soweit kommt. Aber dafür müssen wir Tuan einweihen."
"Tuan wird mich hassen. Er wird nie wieder mit mir reden, Dila, und ich kann das sogar verstehen."
Dila seufzt. "Das glaube ich nicht, Yael. Und selbst wenn: es ist besser, dass Tuan dich hasst und aus euch nichts wird, als wenn du weiterhin von Nyaz erpresst wirst wie seine Sexksklavin. Der wird doch nicht damit aufhören, der wird dich immer weiter zwingen, bei ihm zu bleiben. Was kommt als nächstes? Gehst du dann anschaffen für den?"
Ich weiß, dass sie Recht hat, aber die Vorstellung, Tuan die Wahrheit zu sagen, schnürt mir die Kehle zu.
"Mein Bruder ist sehr empathisch und loyal. Und er mag dich wirklich gerne. Du hättest mal sehen sollen, wie er von dir geschwärmt hat. Er wollte unbedingt Tipps von mir, wie er seine unbekannte Angebetete für sich gewinnen kann. Ich kenne ihn mein ganzes Leben lang, und wenn ich dir sage, er wird alles tun, um dir zu helfen, dann kannst du mir glauben. Was danach aus euch wird und ob ihr eine Zukunft miteinander habt, das steht in den Sternen. Aber Stand jetzt denkt er, du hast einen Freund und hast ihn die ganze Zeit belogen, also kann es nicht mehr schlimmer werden, sondern nur noch besser."
Sie umarmt mich fest und streicht beruhigend über meinen Rücken. "Du bist stärker, als du denkst, Yael, und ich werde dir helfen. Wir stehen das gemeinsam durch."
Ihr Worte und ihr Beistand geben mir Hoffnung. Vielleicht gibt es doch einen Ausweg aus diesem Albtraum. Auch, wenn es ein steiniger und schmerzhafter Weg sein wird.
"Danke, Dila", flüstere ich an ihre Schulter. "Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde."
"Das wirst du auch nicht herausfinden müssen", sagt sie sanft, löst sich dann von mir und sieht mir ernst in die Augen. "Aber du musst den ersten Schritt machen. Sag Tuan die Wahrheit. Hol ihn mit ins Boot. Wenn du möchtest, können wir auch zusammen mit ihm sprechen."
Die Vorstellung, Tuan einzuweihen, macht mir große Angst, aber ich weiß auch, dass Dila Recht hat. Es ist besser, mit offenen Karten zu spielen. Ihm selbst mein wohl gehütetes Geheimnis zu offenbaren, nimmt Nyaz auch einen Teil seiner Macht über mich und gibt mir die Kontrolle zurück.
Ich atme tief ein, wische mir die Tränen aus den Augen und nicke. "Okay, ich werde mit ihm sprechen, gleich heute nach der Arbeit."
Dila lächelt und nickt anerkennend. "Gut so. Und egal was passiert, ich bin für dich da. Wir schaffen das."
...
Der Arbeitstag zieht sich endlos in die Länge. Meine Gedanken schweifen immer wieder zu Tuan und zu dem Gespräch, das vor mir liegt. Wenn er nach gestern überhaupt noch mit mir sprechen will.
Zu sagen, ich hätte Angst, wäre eine Untertreibung.
Als ich Feierabend habe, ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Ich mache mich auf die Suche nach Tuan, laufe kreuz und quer durchs Gebäude, passiere nahezu jeden Flur, bis ich ihn dann im Erdgeschoss endlich finde.
Er steht mit einem Arbeitskollegen zusammen an der großen Drehtür und unterhält sich. Meine Schritte verlangsamen sich automatisch, als ich ihn entdecke.
Kurz überlege ich, ob ich meine Pläne doch verwerfen soll, aber ich tue es nicht. Ich muss da jetzt durch.
Tuan sieht gut aus. Seine dunklen Haare sind akkurat frisiert, wie immer, und seine markanten Gesichtszüge sind durch die ernste Miene, die er aufgesetzt hat, noch schärfer definiert. Sein schwarzes Hemd spannt sich über seine breiten Schultern, und seine kräftigen Arme kreuzen sich vor seiner Brust.
Ich spüre, wie die Sehnsucht nach ihm sich wie ein heißes Feuer in mir ausbreitet. Es ist eine Qual, ihn so nah zu sehen und zu wissen, dass er mir im Moment so fern ist.
Was würde ich dafür geben, dass zwischen uns alles wieder gut ist? Dass er mich wieder küsst und ansieht, wie gestern..
Zu wissen, dass das vielleicht nie wieder passieren wird, lässt mein Herz schmerzhaft zusammen zucken.
Ich nehme all meinen Mut und gehe auf ihn zu. "Können wir bitte reden?" Meine Stimme zittert leicht, und ich verfluche mich dafür, dass ich so verletzlich klinge.
Er dreht den Kopf zu mir, seine schönen braunen Augen sind kalt und distanziert. "Es gibt nichts zu bereden."
Ich beiße mir auf die Lippe. "Bitte", wispere ich leise. "Nur zehn Minuten."
Er sieht mich eine Weile schweigend an, sein Blick durchdringt mich und ich sehe ihm an, wie er mit sich hadert. Herz gegen Verstand.
Schließlich seufzt er, verabschiedet sich kurz von seinem Kollegen und dreht sich wieder zu mir um. "Ich gebe dir fünf."
Ich folge ihm hinaus auf den Parkplatz. Die Angst in mir wächst, meine Nervosität steigt ins Unermessliche.
Vor seinem Mercedes kommt er zum Stehen und sieht mich auffordernd an. "Also, was gibt's? Hast du Streit mit deinem Freund und brauchst jetzt einen Lückenbüßer?"
Seine Worte sind wie ein Schlag ins Gesicht, und ich zucke unwillkürlich zusammen. "Er ist nicht mein Freund."
"Ja, ist klar", antwortet er spöttisch, während ein bitteres Lächeln seine Lippen umspielt. "Das habe ich gestern gesehen."
Ich schlucke hart, die Verzweiflung wächst in mir. Meine Stimme bricht beinahe, als ich rede. "Es ist nicht so, wie du denkst."
Er lacht kurz, hart und kalt. "Genau, Yael. Verkauf mich doch bitte nicht für dumm. Wir sind doch keine sechzehn mehr."
Er verschränkt die Arme vor der Brust und wartet.
"Ich habe dir gesagt, dass ich dich nicht kennenlernen kann, und ja, Nyaz ist wirklich der Grund dafür, aber es ist bei Weitem nicht so, wie du denkst. Nyaz ist nicht mein Freund, wir hatten eine Affäre und jetzt erpresst er mich, damit ich diese nicht beende."
Tuan mustert mich kurz. Die Wut in seinen Augen ist unverkennbar, aber er wirkt plötzlich auch enttäuscht. "Und wieso hast du mir das nicht einfach gesagt? Ich kann dir doch helfen."
"Weil ich dir nicht sagen wollte, womit er mich erpresst. Ich schäme mich dafür Tuan, und ich wollte um jeden Preis verhindern, dass jemand davon erfährt, schon gar nicht du."
Der schöne Türke legt den Kopf schief und vergräbt die Hände in seinen Hosentaschen. "Du brauchst dich vor mir für gar nichts zu schämen. Du kannst mir alles sagen, ich verurteile dich nicht."
Hoffnung keimt in mir auf und seine Worte lassen mein Herz ganz warm werden, auch wenn ich ihm nicht glauben kann. Er hat ja noch keine Ahnung, wie schlimm das alles ist, sonst würde er das nicht sagen.
Tuan kommt einen Schritt auf mich zu. Seine Stimme ist sanfter, seine Augen wieder wärmer. "Womit erpresst er dich?"
Ich atme tief durch und versuche, den Kloß in meinem Hals zu schlucken. Meine Hände zittern, als ich sie aneinanderpresse, um irgendwie die Fassung zu bewahren.
"Nyaz und ich haben intime Fotos und Videos im Internet verkauft. Ich wollte damit aufhören und das alles mit ihm beenden, als ich dich kennengelernt habe, aber Nyaz ist ausgeflippt und jetzt erpresst er mich damit, dass er diese Dateien veröffentlicht, sie meinem Chef, meinen Freunden oder meiner Familie zuspielt, und mein Doppelleben exposed, wenn ich mich von ihm trenne."
Tuan blinzelt, als müsse er die Worte erst verarbeiten. Seine Wangenmuskeln spannen sich an, und seine Augen werden schmal, als die Bedeutung meiner Worte bei ihm ankommt. "Du meinst, er erpresst dich, damit du weiter mit ihm schläfst?"
Ich nicke stumm, Tränen brennen in meinen Augen. "Ich schäme mich so sehr, Tuan. Ich wollte nicht, dass du oder irgendjemand anderes das jemals erfährt. Und ich kann verstehen, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst. Aber ich will, dass du weißt, dass ich keinen Freund habe und dich nicht freiwillig abgewiesen habe. Ich finde dich auch toll, vom ersten Moment an. Ich wollte nur verhindern, dass das hier passiert. Nyaz hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass er nicht duldet, wenn ich mich weiter mit dir treffe."
Die Tränen rollen nun unaufhaltsam über meine Wangen. "Es tut mir so leid, dass ich dich in diese dreckige Scheiße mit reinziehe. Du verdienst das nicht."
Tuan steht da, seine Miene ist eine Mischung aus Unglauben und Wut. Aber es ist zu meiner Überraschung keine Wut auf mich, sondern auf Nyaz. Er macht einen Schritt auf mich zu und legt eine Hand auf meine Schulter. Seine Berührung fühlt sich so gut an, vertraut und schützend. Als könne mir niemand mehr was anhaben, so lange er bei mir ist.
"So ein Quatsch, Yael. Du musst dich bei mir nicht entschuldigen. Es tut mir für dich leid, dass du das durchmachen musst. Ehrlich gesagt, würde es mir nicht gefallen, wenn du das als meine Freundin machen würdest, aber deine Vergangenheit geht mich nichts an. Ich akzeptiere dich so, wie du bist, mit allem was du bist und getan hast. Du bist eine tolle Frau mit einem großartigen Charakter und ich will dich immer noch kennenlernen."
Seine Worte treffen mich tief. Die Erleichterung ist überwältigend, es fühlt sich an, als seien mir mehrere Steine von der Seele gefallen.
"Aber vorher müssen wir uns um diesen ekelhaften Bastard kümmern, Yael. Ich lasse nicht zu, dass du noch einen Tag länger bei dem bleibst. Was der macht ist niederträchtig, ekelhaft und auch strafbar. Nötigung ist keine Kleinigkeit."
Dass es gestern mehr als das war, verschweige ich Tuan. Noch habe ich die Kraft nicht, darüber zu reden. Vielleicht werde ich das irgendwann tun, aber für heute bin ich schon weit genug über meinen Schatten gesprungen.
Seine Stimme ist fordernd, sein Gesichtsausdruck wild entschlossen. "Komm, wir schnappen uns diesen Hund und klären das jetzt."
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