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Als Nyaz die Tür hinter sich ins Schloss wirft, fällt die letzte Mauer meiner Selbstbeherrschung in sich zusammen. Ein scharfer Schmerz schießt durch meinen Magen, und bevor ich es richtig realisiere, renne ich zum Badezimmer. Mit zitternden Händen reiße ich den Toilettendeckel hoch, und dann bricht es aus mir heraus.
Ich übergebe mich heftig, während sich mein Körper krampfhaft gegen all die Angst, Scham und den Ekel wehrt, die sich in mir angestaut haben. Die Galle brennt in meiner Kehle, und meine Augen tränen unkontrolliert. Ich halte mich krampfhaft an den Rändern der Toilette fest, während ich spüre, wie die letzte Spur von Kraft und Würde mich verlässt.
Als ich endlich wieder Luft holen kann, sinke ich erschöpft auf den kalten Fliesenboden neben der Toilette zusammen. Mein ganzer Körper zittert, und ich fühle mich so unglaublich leer und ausgelaugt. Der bittere Nachgeschmack der Übelkeit bleibt in meinem Mund zurück, während ich starr auf den Boden blicke, unfähig, mich zu bewegen.
Tränen steigen erneut in meine Augen, doch diesmal halte ich sie nicht zurück. Ich weine, leise und kraftlos, und lasse die Tränen über meine Wangen laufen.
Es dauert eine Weile, bis ich mich wieder dazu bringen kann, aufzustehen. Mit schwachen Beinen schleppe ich mich zum Waschbecken, spüle den bitteren Geschmack aus meinem Mund und versuche, mich irgendwie wieder zu sammeln. Ich schaue in den Spiegel. Ich sehe aus wie jemand, der gerade durch die Hölle gegangen ist – und vielleicht stimmt das sogar.
Was Nyaz mir angetan hat, werde ich ihm niemals verzeihen können.
Den Rest des Tages liege ich in meinem Bett, starre die Decke an oder weine. Immer wieder schweifen meine Gedanken zu Tuan ab. Der gebrochene Ausdruck in seinen Augen lässt mich nicht mehr los, er verfolgt mich sogar in meinen Träumen.
Dass ich Dienstag zur Arbeit muss, ist eine regelrechte Strafe. Ich will weder das Haus verlassen, noch die Gefahr eingehen, auf Tuan zu treffen. Aber ich muss.
Ich ziehe mich an, schwarze Leggings, ein graues Oversize-Shirt, eine Jeansjacke und Sneakers. Unscheinbar, in der Hoffnung nicht aufzufallen. Jeder Handgriff fühlt sich mechanisch an und der Gedanke, Tuan zu begegnen, lässt mein Herz rasen und meinen Magen sich verkrampfen. Aber ich muss zur Arbeit. Nachdem ich letzte Woche schon einen Krankenschein hatte, habe keine andere Wahl.
Auf dem Weg dorthin dreht sich mein Kopf nur um eine Sache: Tuan. Ich versuche, mich auf den Verkehr zu konzentrieren, auf die Musik im Radio, auf alles, außer auf ihn.
Meine Schritte sind schwer, als ich mich schließlich in mein Büro schleppe und die Tür hinter mir schließe. Der Raum fühlt sich plötzlich viel zu klein an, als würden die Wände langsam auf mich zukommen.
Ich setze mich an meinen Schreibtisch und atme tief durch, doch bevor ich mich sammeln kann, öffnet sich die Tür abrupt und Dila tritt mit einem entschlossenen Ausdruck auf ihrem Gesicht ein. Ihre blonden Haare sind streng nach hinten gebunden, ihre braunen Augen glitzern wild entschlossen und mir schwant Böses.
"Guten Morgen", begrüße ich sie scheinheilig und versuche, meine innere Panik zu verbergen.
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und fixiert mich mit einem wütenden Blick. "Hast du was mit meinem Bruder?"
Mir bleibt das Herz stehen. "Was? Wie kommst du darauf?" stottere ich, während mir das Blut aus dem Gesicht weicht.
Sie lacht verächtlich, es ist ein bitteres Lachen. Sie hat mich längst durchschaut. "Dieser Mann, von dem du mir erzählt hast – der, den du so toll findest, aber wegen Nyaz nicht richtig kennenlernen kannst – ist das Tuan?", fragt sie erneut.
Seinen Namen zu hören schmerzt. Die Sehnsucht nach ihm ist so groß und ich hasse Nyaz dafür, ich verachte ihn geradezu, dass er mir die Chance nimmt, diesen perfekten Mann kennenzulernen.
Ich schlucke schwer, doch meine Kehle fühlt sich wie zugeschnürt an. Selbst wenn ich wollte, ich kann ihr nicht antworten.
"Ich wusste es," faucht sie und schüttelt den Kopf. "Er hat mir erzählt, dass er eine Frau kennengelernt hat, die er total toll findet, aber die keine Beziehung will. Und dann kommst du, einen Tag später, und erzählst mir von diesem Typen, den du nicht kennenlernen kannst, wegen Nyaz. Und als ich euch zusammen in deinem Büro gesehen habe.. Diese komische Spannung zwischen euch, wie erschrocken du warst, als er da stand, wie er dich zu deinem Auto bringen wollte.. Es war einfach zu offensichtlich. Sag es mir ins Gesicht: Ist es mein Bruder, den du verarscht?"
Ihre Worte treffen mich wie ein Schlag ins Gesicht. "Ich habe ihn nicht verarscht," antworte ich, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. "Ich habe ihm von Anfang an gesagt, dass ich keine Beziehung will und dass ich ihn nicht richtig kennenlernen kann."
"Und hast du ihm auch gesagt, dass du weiterhin lustig mit Nyaz bumst?" spuckt sie die Worte wie Gift aus.
Ihr letzter Satz trifft mich wie ein Messer ins Herz. Die Luft scheint mir aus den Lungen gepresst zu werden, und für einen Moment weiß ich nicht, ob ich antworten oder einfach weglaufen soll. Die Wahrheit, die ich so verzweifelt versucht habe, vor allen – vor allem vor mir selbst – zu verbergen, liegt nun in ihrer ganzen Hässlichkeit vor uns ausgebreitet.
"Dila, es ist nicht so einfach.." beginne ich, doch meine Stimme versagt. "Ich habe ihm gesagt, dass es jemanden gibt, mit dem ich regelmäßig schlafe und auch, dass ich an keinen Verabredungen interessiert bin."
"Und trotzdem hast du dich mit ihm getroffen", stellt sie klar. Ihre braunen Augen sind zu Schlitzen verengt, ihr ganzer Körper angespannt.
Ich beiße mir auf die Unterlippe und unterdrücke die Tränen, die mir in die Augen schießen.
"Er hat mich überredet", entgegne ich verzweifelt. Es war nie meine Absicht, ihn zu verletzen. Ich konnte mich einfach nicht gegen die krasse Anziehung wehren, die Tuan auf mich hat.
Dila verschränkt ihre Arme noch fester vor der Brust, ihre Augen bohren sich in meine. "Überredet? Echt jetzt?" fragt sie scharf, ihre Stimme zittert vor Zorn. "Oder hast du es insgeheim gewollt, dass er dich überredet?"
Ich schließe für einen Moment die Augen und atme tief durch. Alles in mir schreit danach, mich zu verteidigen, aber ich weiß, dass es nichts gibt, was ich sagen kann, um das, was passiert ist, irgendwie besser zu machen. An ihrer Stelle würde ich genauso ausflippen.
"Ich weiß es nicht, Dila. Es tut mir leid, dass es so gekommen ist. Ich wollte Tuan nicht verletzen. Es ist einfach passiert."
"Es ist einfach passiert", wiederholt sie bitter, als wäre es das lächerlichste, was sie je gehört hat. "Sowas passiert nicht einfach so. Du hättest ihm von Anfang an die Wahrheit sagen müssen. Ihm eine klare Grenze setzen müssen. Aber du hast mit seinen Gefühlen gespielt, und das auch noch, während du mit Nyaz-" Sie bricht ab, zu angewidert, um den Satz zu Ende zu bringen.
Ich wische mir eine Träne von der Wange, die sich doch ihren Weg gebahnt hat. "Dila, ich verstehe, dass du wütend bist. Aber ich habe versucht, ehrlich zu ihm zu sein. Es ist einfach so kompliziert."
"Kompliziert? Du hast es kompliziert gemacht!", schnauzt sie zurück. "Mein Bruder ist niemand, der seine Gefühle einfach mal so rauslässt. Wenn er dir gesagt hat, dass er dich toll findet, dann meint er es ernst mit dir! Und was machst du? Du benutzt ihn als Ablenkung von deinem kaputten Leben mit Nyaz. Wie kannst du es wagen, meinen Bruder in dieses Chaos hineinzuziehen?"
Ihre Worte schneiden tief in mein Herz, und der Schmerz, den ich in ihren Augen sehe, macht alles nur noch schlimmer. "Ich habe ihn nicht benutzt", sage ich leise, fast flehend. "Ich habe mich einfach so zu ihm hingezogen gefühlt. Ich will ihn doch auch, aber ich kann ihn nicht kennenlernen, solange Nyaz.."
"Solange Nyaz was?", unterbricht sie mich scharf. "Solange du nicht endlich den Mut hast, eure komische Affäre zu beenden?"
Verzweifelt schüttele ich den Kopf. "Du verstehst das nicht, verdammt. Nyaz lässt mich nicht gehen, er-" Wieder fällt sie mir ins Wort: "Wie bitte kannst er dich nicht gehen lassen? Fesselt er dich? Hält er dir eine Pistole an die Brust? Was will der kleine Pisser denn machen?"
"Jetzt lass mich doch auch ausreden, verdammt!", schreie ich.
Ihre Augen weiten sich erschrocken.
"Wenn ich Nyaz verlasse oder mich weiter mit Tuan treffe, macht er mir mein Leben zur Hölle. Er wird mir alles ruinieren, und wenn er damit fertig ist, wird weder Tuan mich wollen, noch sonst irgendjemand auf der Welt. Nicht als Freundin, nicht als Partnerin, nicht mal mehr meine eigenen Eltern werden mich wollen!"
Tränen rinnen über meine Wangen.
Dila macht einen Schritt auf mich zu. "Aber warum? Was hat er denn gegen dich in der Hand? Sag es mir doch, dann kann ich dir helfen!"
Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. "Du kannst mir nicht helfen, keiner kann mir helfen", schluchze ich.
"Das stimmt nicht, es gibt immer eine Lösung."
Ich schüttele bestimmt den Kopf. "Es gibt dafür keine Lösung. Die einzige Lösung diesem Alptraum zu entkommen ist Selbstmord."
"Astaghfirullah", stößt sie entsetzt aus.
Sie sieht mir ernst in die Augen. "Pass auf, Yael, du hast zwei Möglichkeiten: entweder du sagst mir, was Nyaz gegen dich in der Hand hat, oder du sagst es Tuan. Und wenn du es uns nicht freiwillig sagst, hole ich mir die Informationen von diesem Pisser. Aber was ich ganz bestimmt nicht machen werde, ist zusehen, dass dieser Hund dich mit irgendwas so dermaßen unter Druck setzt, dass du denkst, der einzige Ausweg sei Selbstmord!"
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